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Schamil, ein junger Dagestaner, der sich nach Verlust seines Verwaltungsjobs als Lokalreporter versucht, trifft die Redaktionskollegen in großer Aufregung an. Gerüchte über eine Mauer, die die Russen bauen, um den Kaukasus abzutrennen, machen die Runde. In der Stadt am Kaspischen Meer greift Unruhe um sich, täglich finden Versammlungen statt: Pro-islamische Demonstranten aus Kumykien und Streiter für ein "vereinigtes Lesgistan" debattieren über Grenzfragen, die Atmosphäre ist aufgeheizt. Angst liegt in der Luft.
Doch Schamil versucht, weiterzuleben wie bisher. Er treibt Kampfsport, rast mit
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Produktbeschreibung
Schamil, ein junger Dagestaner, der sich nach Verlust seines Verwaltungsjobs als Lokalreporter versucht, trifft die Redaktionskollegen in großer Aufregung an. Gerüchte über eine Mauer, die die Russen bauen, um den Kaukasus abzutrennen, machen die Runde. In der Stadt am Kaspischen Meer greift Unruhe um sich, täglich finden Versammlungen statt: Pro-islamische Demonstranten aus Kumykien und Streiter für ein "vereinigtes Lesgistan" debattieren über Grenzfragen, die Atmosphäre ist aufgeheizt. Angst liegt in der Luft.

Doch Schamil versucht, weiterzuleben wie bisher. Er treibt Kampfsport, rast mit Freunden im Auto durch die Stadt, tobt sich in der Disko aus. Wie betäubt sitzt er da, als Madina, seine Verlobte, ihm erklärt, sie werde den Schleier nehmen und einem salafistischen Kämpfer in die Berge folgen. Selbst nachdem es die ersten Toten gegeben hat und seine Kusine Assja, eine belesene junge Frau, ihn überreden will, mit ihr nach Georgien und weiter in den Westen zu fliehen, kann Schamil sein Zaudern nicht überwinden. Dann überstürzen sich die Ereignisse.

Mit feinem Gespür für die heraufziehende Katastrophe erzählt Alissa Ganijewa vom Zerfall und Untergang einer Gesellschaft, die zwischen ihren Extremen zerrissen wird. Doch inmitten des Albtraums zeigt sich, wie eine Vision, das Sehnsuchtsbild jenes "Berges der Freude", auf den sich rettet, wer der Intoleranz und Gewalt überdrüssig ist.
Autorenporträt
Ganijewa, Alissa
Alissa Ganijewa, geboren 1985, wuchs in Machatschkala/Dagestan auf und lebt heute als Literaturkritikerin und Autorin in Moskau. Ihr Debüt, die unter männlichem Pseudonym veröffentlichte Erzählung Salam, Dalgat, löste heftige Reaktionen aus. Die russische Mauer, ihr erster Roman, wird zur Zeit in mehrere Sprachen übersetzt.

Körner, Christiane
Christiane Körner lebt als Übersetzerin und Publizistin in Frankfurt am Main.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Für die Schilderung der unruhigen sozialen und politischen Situation in der Republik Degestan in ihrem Roman kann die Debütantin Alissa Ganijewa auch aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz schöpfen, erklärt Katharina Granzin. Im Modus der indirekten Vermittlung erzählt sie die Geschichte eines jungen, orientierungslos durchs Leben ziehenden Mannes im Angesicht eines islamistischen Putsches, schreibt sie weiter: Die Ereignisse haben sich immer schon ereignet, oft wissen die Figuren erst im Nachhinein, was um sie herum geschehen ist. In einer ähnlich orientierungslosen Situation befindet sich auch das Lesepublikum, wenn es mit einer Vielzahl von Stimmen und Textsorten sowie einer überbordenden Anzahl von Charakteren hantieren muss, schreibt die Kritikerin, die aus ihrer Ermüdung darüber keinen Hehl macht: Diese könne man aber durchaus als beabsichtigt erachten, erklärt sie weiter: Es handele sich dabei womöglich "um die literarische Dekonstruktion einer dagestanischen Identität", die es im Vielvölkerstaat so überhaupt nicht geben kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.02.2014

Die radikale Entzauberung des romantischen Kaukasusbildes

Sondermülldeponie der sowjetischen Altlasten: In "Die russische Mauer" erzählt die dagestanische Schriftstellerin Alissa Ganijewa von der Gewaltspirale in ihrer Heimat.

Wir werden von Russland abgetrennt. Grenzer und so, die ganze Geschichte. Eine Berliner Mauer." Die verläuft in Alissa Ganijewas Romandebüt innerhalb Russlands, zwischen dem Mutterland und seiner ungeliebten Teilrepublik Dagestan. Das Buch liefert ein schockierendes Sittenbild über einen heruntergekommenen Teil des russischen Imperiums, in dem sich sowjetische Altlasten und globale Konflikte sammeln wie auf einer hochexplosiven Sondermülldeponie.

Der junge Schamil hat seinen Job im Büro verloren, jetzt versucht er sich als Lokalreporter. Doch für die Geschichte über ein altes Handwerkerdorf interessiert man sich wenig, in der am Kaspischen Meer gelegenen Hauptstadt Machatschkala hat man andere Sorgen. Dagestan ist ein multiethnisches Pulverfass. Salafisten treiben hier ebenso ihr Unwesen wie der russische Geheimdienst im Komplott mit der von ihm korrumpierten lokalen Regierungselite. Tagelang lässt sich Schamil, einem Ulysses gleich, durch die Stadt treiben, die immer mehr zum Schauplatz eines blutigen Bürgerkrieges wird.

Eine Cousine will mit ihm nach Georgien fliehen und von dort weiter gen Westen, die Landeselite hat sich längst abgesetzt oder ist, dieses Gerücht hält sich hartnäckig, von den Islamisten auf eine einsame Insel im Kaspischen Meer entführt worden. In den Behörden des Landes feilt man sich gelangweit die Nägel, gearbeitet wird hier schon lange nicht mehr. Für Brot bilden sich lange Schlangen wie in den schlechtesten kommunistischen Zeiten. Polizisten werden ermordet, und junge Muslime oder solche, die man dafür hält, verschwinden spurlos, als hilflose Racheakte der korrupten Machthaber. Je mehr Einsätze die Sonderkommandos des russischen Geheimdienstes übernehmen, desto mehr Geld bekommen sie aus Moskau zugeteilt. Auf der anderen Seite endet der islamische Traum vom Kalifat, in dem es weder Musik noch Alkohol, noch Schönheitssalons oder weltliche Bildung gibt, in einer Orgie aus Gewalt, bei der aus den Fenstern der städtischen Konzerthalle fliegende Instrumente auf den Straßen zerschellen. Das Land wird zu einem Afghanistan an den Toren Europas.

Mit dem Namen Dagestans verbindet man heute vor allem eins: militanten Islamismus. Während der Winterspiele in Sotschi zittert derzeit die ganze Welt, ob sich sogenannte schwarze Witwen oder fanatische junge Wahhabiten zusammen mit Sportlern und Zuschauern in die Luft jagen werden oder ob der starke Mann Russlands, dessen Vorname nichts anderes heißt als einer, der groß in seiner Macht ist, die Sache in den Griff bekommt.

Wer wüsste aber im Westen, dass es gar keine Dagestaner gibt, sondern dass die größte dortige Volksgruppe, die gut siebzehn Prozent der knapp drei Millionen Bewohner in der russischen Teilrepublik stellt, Darginer heißt. Sie teilen sich das kleine bergige Land zwischen Kaspischem Meer und Kaukasus - etwa so groß wie Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zusammen - mit Awaren, Aserbaidschanern, Lesgiern, Kumyken, Laken, Nogiern, Tabassaranen und vielen anderen Ethnien, womit man bei einem der vielen Probleme dieser Notstandszone am Rande Europas wäre. In Ganijewas Roman schreien sich die Vertreter der unterschiedlichen Volksgruppen auf einem öffentlichen Platz in der Hauptstadt gegenseitig an. Schuld am Elend sind immer die anderen.

In der russischen Literatur und mehr noch in der in der Sowjetunion hochgezüchteten Nationalliteratur der Kaukasusvölker wurden diese Landstriche und die in sie einziehende sozialistische Moderne gern romantisch verklärt. Ganijewa, eine 1985 in Moskau geborene awarische Autorin und Absolventin des hauptstädtischen Literaturinstituts, liefert nun eine radikale Entzauberung. Bereits 2009 hatte sie für ihre Erzählung "Salam, Dalgat", in der vieles schon auf ihren jetzt auf Deutsch erschienenen Roman verbindet, den renommierten Debüt-Literaturpreis erhalten. Dass eine junge Frau aus Dagestan aus einer radikal männlichen Perspektive schreibt und gleichzeitig ihre Heimat schonungslos seziert, war eine Sensation (F.A.Z. vom 21. August 2013).

Das große Problem, sagt Alissa Ganijewa, sei die Marginalisierung ihres Landes. Über Jahrhunderte habe sich in der Abgeschiedenheit seiner Bergdörfer die archaische Kultur erhalten, die aus einer Mischung aus Stammestraditionen und Islam bestand. Diese Isolation war ein Garant fürs Überleben. Was jetzt an kultureller Vielfalt Einzug halte, seien billiger Wodka, das unerträglich stupide russische Fernsehen, Drogen, Diskomusik und Korruption. Die nationalen Sprachen beherrschten heute die wenigsten, dem aufbrechenden Nationalismus leiste dies keinen Abbruch. Was aus dem Westen und aus Russland komme, werde als Bedrohung empfunden. Neuankömmlinge aus Pakistan oder Saudi-Arabien haben leichtes Spiel bei der enttäuschten Jugend. Wo es kein Recht und keine Ordnung mehr gebe, erscheine die Scharia manchem biederen Dorfbewohner als Rettungsanker. Lieber die Scharia als gar kein Recht.

Mittels einer konsequent durchgehaltenen Polyphonie der Stimmen findet solches gesellschaftliche Chaos im Buch sein Echo. Schamil, der zu Beginn dem Wahnsinn noch einen Hauch von Vernunft entgegensetzen möchte, verstummt immer mehr und wird schließlich mit in die Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, die kein Gut und Böse kennt, gerissen.

Nicht jedes erschütternde Buch ist aber gleichzeitig ein Meisterwerk, und so kämpft man sich streckenweise ebenso mühselig durch diesen in salopper Jugendsprache geschriebenen Roman wie sein Held durch die dagestanische Realität. Ein Glossar für die vielen auch in der Übersetzung im Awarischen, Darginischen oder einer kaukasischen Mischsprache belassenen Idiome wäre sinnvoller gewesen als die endlosen Anmerkungen auf den Seiten, und manchmal ist es wohl auch einfach zu viel des sprachethnologischen Eifers. Zwar weiß man nun, das "Sagraj" auf Lesgisch "Mach's gut!" heißt, aber das deutsche Äquivalent hätte es hier und an vielen anderen Stellen auch getan.

SABINE BERKING

Alissa Ganijewa: "Die russische Mauer". Roman.

Aus dem Russischen von Christiane Körner. Suhrkamp Verlag, Berlin 2014. 232 S., geb., 22,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Alissa Ganijewa führt ihre LeserInnen in eine Welt, die von Zerrisseriheit geprägt ist ...Es sind nicht zuallererst die bewaffneten Auseinandersetzungen, die im Fokus stehen. Sondern die feinen Trennlinien zwischen Menschen, die an einem gemeinsamen Küchentisch sitzen."
Katrin Rönicke, Missy Magazine 1/2014