Eine junge Soubrette kommt an das Berliner Metropol-Theater. Schön ist sie nicht, ein wenig zu klein, ein wenig zu füllig. Aber wie sie geht, ihre Grazie und ihr Charme, ihre Disziplin und Präzisison machen Fritzi Massary zur berühmtesten Operettendiva der goldenen zwanziger Jahre. Sie begegnet ihrer großen Liebe, dem Schauspieler Max Pallenberg. Doch zur Zielscheibe antisemitischer Propaganda geworden, müssen beide aus Deutschland fliehen. In Hollywood gewinnt Massary neue Freunde: die Werfels und die Manns, Ernst Lubitsch und Ludwig Marcuse.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.12.1998Einmal betörend gelächelt
Carola Sterns Biographie über Fritzi Massary
Kein Kapitel der deutschen Theater- und Varieté-Geschichte in diesem Jahrhundert wurde so detailliert beschrieben wie das der "goldenen Jahre" von Berlin. Keine andere Epoche beflügelte Nostalgie und Phantasie so sehr wie das Leben und Treiben um und auf jenen Berliner Bühnen der zwanziger Jahre, die in drei Opernhäusern, drei großen Varietés und fünfundsiebzig Kleinkunst-Theatern allabendlich die harte Wirklichkeit verzauberten. Was wir darüber wissen, verdanken wir einer Flut von Biographien und Autobiographien. In ihnen verschlingen sich Authentisches und Verklärtes zu einem frivolen Panorama der Lebens- und Kulturlust. Inzwischen hat eine nahezu endlose Sekundärliteratur beinahe jede darin gelassene Lücke ausgeleuchtet.
Standen bisher die Göttinnen und Götter der "Hochkultur" oder die des literarischen Kabaretts im Lichtkegel der Chronisten, so hat sich nun die mehrfach mit Biographien hervorgetretene Journalistin und Publizistin Carola Stern einer Diva der leichteren Muse angenommen: Fritzi Massary, der "bestangezogenen Frau von Berlin", der Königin der Operette. Sie war Offenbachs umjubelte "schöne Helena", Leo Falls "Kaiserin" oder "Madame Pompadour", Kálmáns "Csárdásfürstin" oder "Faschingsfee". Sie verstand es wie keine andere Soubrette, noch aus dem nichtigsten Lied "ein flimmerndes Wunder an Schönheit, Anmut und Heiterkeit zu machen" (Siegfried Jacobson). Ihr Name verbindet sich mit der letzten großen Blüte einer Kunst, die längst von der Vergangenheit zehrt. Die Massary hat am Ende ihrer Berliner Karriere noch einmal einen Sprung ins kalte Wasser des Experiments gewagt. Zuerst scheiterte ein Revue-Projekt mit Kurt Tucholsky, der von ihrer Intelligenz schwärmte: "die klügste Frau, die ich je habe sprechen hören". Das Vorhaben wurde nach kurzer gemeinsamer Arbeit im Garmischer Sommerhaus der Künstlerin fallengelassen. "Die Massary, die auf der Spitze ihrer Erfolge wackelt, hat natürlich Angst", notierte Tucholsky resigniert, sie wolle doch "immer wieder dasselbe machen . . . den Dreck, den sie da gesungen hat". Dann, als die Nazis sie aus Berlin verjagten und sie in ihrem Schweizer Refugium Zuflucht gefunden hatte, hat Noel Coward ihr eine Rolle auf den Leib geschrieben, eine mit Jazz- und Walzermelodien angereicherte Revue mit dem lakonischen Titel "Operette". Nach der mit eisernen Disziplin betriebenen Aneignung der englischen Sprache versuchte sie 1938 ein letztes Mal - vor Mitgliedern der königlichen Familie - ein neues Publikum zu verzaubern. Ein Londoner Kritiker empfahl nach der Uraufführung in Manchester allen Schauspielschülern, nur zu studieren, wie die Massary über die Bühne gehe. Ein von Carola Stern nicht namentlich genannter Freund meinte lapidar: "Ein schreckliches Stück, aber Fritzi war wunderbar."
Der Wechsel in eine andere Sprache und in eine andere Bühnenwelt ist nicht die einzige Parallele zu der fünfzehn Jahre jüngeren Elisabeth Bergner, der im Londoner Westend noch einmal ein nachhaltiger Erfolg beschieden war. An der Spree hatten beide Damen, wie so viele der beliebtesten Berliner Künstler, das genialische Fluidum des jüdischen Wien mit Berlins unstillbarem Theaterhunger verschmolzen. Im kalifornischen Exil sind sie sich später wiederholt begegnet. Aber während die jüngere Elisabeth Bergner nach 1945 erneut die deutschen Bühnen erobern konnte, war Fritzi Massarys Stern mit der goldenen Berliner Operettenseligkeit untergegangen.
Carola Sterns Biographie beschränkt sich nicht auf die Nacherzählung der Lebens- und Wirkungsgeschichte Fritzi Massarys. Die Tochter eines galizischen Spirituosenhändlers, Friedericke Massarik, hatte ihren Erfolg durch harte Arbeit errungen. Ihr Name aber verbindet sich mit einem anderen Publikumsliebling ihrer Zeit, dem umjubelten Reinhardt-Schauspieler Max Pallenberg.
Mindestens ebenso große Aufmerksamkeit wie der Massary widmet Carola Stern ihrem langjährigen Bühnenpartner und Ehemann. Der Titel des Buches unterschlägt, daß es ihr in Wahrheit um eine Doppelbiographie geht. Pallenberg war ja ein Wiener Berlin-Import, ein "Volks-Schauspieler", der auch die erlauchtesten Texte zum Gaudium des Publikums mit extemporierten Zugaben zu würzen pflegte. Von seinem Schweijk in der berühmten Berliner Piscator-Aufführung von 1928 sagte Alfred Kerr: "Pallenberg ist das Spiel, der Abend, der Kern, der Geist, der Spaß, die Kunst, mit einem Wort: das Glück."
Max Pallenberg kam im Kahre 1934 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Was das umschwärmte und erfolgsverwöhnte Paar gemeinsam und getrennt, privat und auf der Bühne in einem von Höhepunkt zu Höhepunkt jagenden Leben erfuhr und erlitt, wie sehr ihrer beider Laufbahn zu einem Spielball der Politik wurde, wie eng ihre besten und erfolgreichsten Jahre mit dem kulturellen und gesellschaftlichen Netzwerk Berlins verbunden waren: Carola Sterns mit leichter Hand, aber reicher Materialfülle skizziertes Porträt einer sich überschlagenden Epoche ist ein erfrischend anschauliches, souverän und pointiert die literarischen Quellen auswertendes Zeitgemälde geworden, das keineswegs nur verblaßtem Operettenzauber huldigt.
Fritzi Massarys Tochter Elisabeth, deren kleine, von Büchern beladene Schwabinger Wohnung nach dem Kriege zu einem Treffpunkt der zurückgekehrten Emigranten wurde, hatte den Schriftsteller Bruno Frank, einen engen Freund Thomas Manns, geheiratet. Die beiden haben der heimatlosen First Lady der leichten Muse die Anfänge des Exils ebenso erleichtert, wie sie mit ihr in Kalifornien die Welt von gestern um sich versammelten. Am 30. Januar 1969 ist Fritzi Massary in Beverly Hills gestorben - ein Foto ihres achtzigsten Geburtstages im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten" im März 1962, das sie zusammen mit Elisabeth Bergner und Lili Palmer zeigt, läßt ein letztes Mal jenes "Land des Lächelns" erahnen, das viele Göttinnen kannte, aber in Fritzi Massary seine Königin fand. MATTHIAS WEGNER
Carola Stern: "Die Sache, die man Liebe nennt". Das Leben der Fritzi Massary. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1998. 378 S., mit Abbildungen, geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Carola Sterns Biographie über Fritzi Massary
Kein Kapitel der deutschen Theater- und Varieté-Geschichte in diesem Jahrhundert wurde so detailliert beschrieben wie das der "goldenen Jahre" von Berlin. Keine andere Epoche beflügelte Nostalgie und Phantasie so sehr wie das Leben und Treiben um und auf jenen Berliner Bühnen der zwanziger Jahre, die in drei Opernhäusern, drei großen Varietés und fünfundsiebzig Kleinkunst-Theatern allabendlich die harte Wirklichkeit verzauberten. Was wir darüber wissen, verdanken wir einer Flut von Biographien und Autobiographien. In ihnen verschlingen sich Authentisches und Verklärtes zu einem frivolen Panorama der Lebens- und Kulturlust. Inzwischen hat eine nahezu endlose Sekundärliteratur beinahe jede darin gelassene Lücke ausgeleuchtet.
Standen bisher die Göttinnen und Götter der "Hochkultur" oder die des literarischen Kabaretts im Lichtkegel der Chronisten, so hat sich nun die mehrfach mit Biographien hervorgetretene Journalistin und Publizistin Carola Stern einer Diva der leichteren Muse angenommen: Fritzi Massary, der "bestangezogenen Frau von Berlin", der Königin der Operette. Sie war Offenbachs umjubelte "schöne Helena", Leo Falls "Kaiserin" oder "Madame Pompadour", Kálmáns "Csárdásfürstin" oder "Faschingsfee". Sie verstand es wie keine andere Soubrette, noch aus dem nichtigsten Lied "ein flimmerndes Wunder an Schönheit, Anmut und Heiterkeit zu machen" (Siegfried Jacobson). Ihr Name verbindet sich mit der letzten großen Blüte einer Kunst, die längst von der Vergangenheit zehrt. Die Massary hat am Ende ihrer Berliner Karriere noch einmal einen Sprung ins kalte Wasser des Experiments gewagt. Zuerst scheiterte ein Revue-Projekt mit Kurt Tucholsky, der von ihrer Intelligenz schwärmte: "die klügste Frau, die ich je habe sprechen hören". Das Vorhaben wurde nach kurzer gemeinsamer Arbeit im Garmischer Sommerhaus der Künstlerin fallengelassen. "Die Massary, die auf der Spitze ihrer Erfolge wackelt, hat natürlich Angst", notierte Tucholsky resigniert, sie wolle doch "immer wieder dasselbe machen . . . den Dreck, den sie da gesungen hat". Dann, als die Nazis sie aus Berlin verjagten und sie in ihrem Schweizer Refugium Zuflucht gefunden hatte, hat Noel Coward ihr eine Rolle auf den Leib geschrieben, eine mit Jazz- und Walzermelodien angereicherte Revue mit dem lakonischen Titel "Operette". Nach der mit eisernen Disziplin betriebenen Aneignung der englischen Sprache versuchte sie 1938 ein letztes Mal - vor Mitgliedern der königlichen Familie - ein neues Publikum zu verzaubern. Ein Londoner Kritiker empfahl nach der Uraufführung in Manchester allen Schauspielschülern, nur zu studieren, wie die Massary über die Bühne gehe. Ein von Carola Stern nicht namentlich genannter Freund meinte lapidar: "Ein schreckliches Stück, aber Fritzi war wunderbar."
Der Wechsel in eine andere Sprache und in eine andere Bühnenwelt ist nicht die einzige Parallele zu der fünfzehn Jahre jüngeren Elisabeth Bergner, der im Londoner Westend noch einmal ein nachhaltiger Erfolg beschieden war. An der Spree hatten beide Damen, wie so viele der beliebtesten Berliner Künstler, das genialische Fluidum des jüdischen Wien mit Berlins unstillbarem Theaterhunger verschmolzen. Im kalifornischen Exil sind sie sich später wiederholt begegnet. Aber während die jüngere Elisabeth Bergner nach 1945 erneut die deutschen Bühnen erobern konnte, war Fritzi Massarys Stern mit der goldenen Berliner Operettenseligkeit untergegangen.
Carola Sterns Biographie beschränkt sich nicht auf die Nacherzählung der Lebens- und Wirkungsgeschichte Fritzi Massarys. Die Tochter eines galizischen Spirituosenhändlers, Friedericke Massarik, hatte ihren Erfolg durch harte Arbeit errungen. Ihr Name aber verbindet sich mit einem anderen Publikumsliebling ihrer Zeit, dem umjubelten Reinhardt-Schauspieler Max Pallenberg.
Mindestens ebenso große Aufmerksamkeit wie der Massary widmet Carola Stern ihrem langjährigen Bühnenpartner und Ehemann. Der Titel des Buches unterschlägt, daß es ihr in Wahrheit um eine Doppelbiographie geht. Pallenberg war ja ein Wiener Berlin-Import, ein "Volks-Schauspieler", der auch die erlauchtesten Texte zum Gaudium des Publikums mit extemporierten Zugaben zu würzen pflegte. Von seinem Schweijk in der berühmten Berliner Piscator-Aufführung von 1928 sagte Alfred Kerr: "Pallenberg ist das Spiel, der Abend, der Kern, der Geist, der Spaß, die Kunst, mit einem Wort: das Glück."
Max Pallenberg kam im Kahre 1934 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Was das umschwärmte und erfolgsverwöhnte Paar gemeinsam und getrennt, privat und auf der Bühne in einem von Höhepunkt zu Höhepunkt jagenden Leben erfuhr und erlitt, wie sehr ihrer beider Laufbahn zu einem Spielball der Politik wurde, wie eng ihre besten und erfolgreichsten Jahre mit dem kulturellen und gesellschaftlichen Netzwerk Berlins verbunden waren: Carola Sterns mit leichter Hand, aber reicher Materialfülle skizziertes Porträt einer sich überschlagenden Epoche ist ein erfrischend anschauliches, souverän und pointiert die literarischen Quellen auswertendes Zeitgemälde geworden, das keineswegs nur verblaßtem Operettenzauber huldigt.
Fritzi Massarys Tochter Elisabeth, deren kleine, von Büchern beladene Schwabinger Wohnung nach dem Kriege zu einem Treffpunkt der zurückgekehrten Emigranten wurde, hatte den Schriftsteller Bruno Frank, einen engen Freund Thomas Manns, geheiratet. Die beiden haben der heimatlosen First Lady der leichten Muse die Anfänge des Exils ebenso erleichtert, wie sie mit ihr in Kalifornien die Welt von gestern um sich versammelten. Am 30. Januar 1969 ist Fritzi Massary in Beverly Hills gestorben - ein Foto ihres achtzigsten Geburtstages im Münchner Hotel "Vier Jahreszeiten" im März 1962, das sie zusammen mit Elisabeth Bergner und Lili Palmer zeigt, läßt ein letztes Mal jenes "Land des Lächelns" erahnen, das viele Göttinnen kannte, aber in Fritzi Massary seine Königin fand. MATTHIAS WEGNER
Carola Stern: "Die Sache, die man Liebe nennt". Das Leben der Fritzi Massary. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1998. 378 S., mit Abbildungen, geb., 39,80 DM.
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