Die Salafisten predigen mit langen Bärten und Gewändern einen Islam der "Altvorderen" (salaf) und missionieren zugleich im Internet in jugendlicher Sprache. Rüdiger Lohlker erklärt, wo die Ursprünge dieser irritierenden Protestkultur liegen, welche unterschiedlichen Strömungen es gibt und wie mit saudischer Hilfe der Salafismus weltweit verbreitet wird. Sein wichtiges Buch öffnet die Augen für eine unterschätzte Gefahr.
Der Salafismus gilt als Inbegriff eines gewaltbereiten politischen Islam. Die Vordenker des "Islamischen Staats" sind ebenso Salafisten wie die Kämpfer von al-Qaida oder die Wahhabiten in Saudi Arabien. Doch es wäre ein Fehler, den Salafismus nur unter "politische Ideologie" und "Terror" zu verbuchen. Rüdiger Lohlker zeigt, dass die Ursprünge der sunnitischen Frömmigkeitsbewegung in einem Islam liegen, der sich - ähnlich wie Luther und die Reformatoren - auf die Quellen des Glaubens besinnt. Er beschreibt, wie sich hiervon eine militante Strömung abgezweigthat, die den gewaltsamen Dschihad predigt, weltweit aggressiv missioniert, andere islamische Traditionen bekämpft und ein islamisches Gemeinwesen wie in den Zeiten der ersten Kalifen schaffen will - dies alles mit tatkräftiger und finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Der Salafismus gilt als Inbegriff eines gewaltbereiten politischen Islam. Die Vordenker des "Islamischen Staats" sind ebenso Salafisten wie die Kämpfer von al-Qaida oder die Wahhabiten in Saudi Arabien. Doch es wäre ein Fehler, den Salafismus nur unter "politische Ideologie" und "Terror" zu verbuchen. Rüdiger Lohlker zeigt, dass die Ursprünge der sunnitischen Frömmigkeitsbewegung in einem Islam liegen, der sich - ähnlich wie Luther und die Reformatoren - auf die Quellen des Glaubens besinnt. Er beschreibt, wie sich hiervon eine militante Strömung abgezweigthat, die den gewaltsamen Dschihad predigt, weltweit aggressiv missioniert, andere islamische Traditionen bekämpft und ein islamisches Gemeinwesen wie in den Zeiten der ersten Kalifen schaffen will - dies alles mit tatkräftiger und finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.09.2017Irritierender Aufstand der Frommen
Neue Studie von Rüdiger Lohlker über den Salafismus: Woher kommt er? Was ist er?
Der Islam ist jene Weltreligion und Kultur, die sich offenkundig am schwersten tut mit der vom "Westen" ausgehenden Moderne und ihrer Globalisierung. Anders als Chinesen und Japaner, Inder, Südostasiaten, Afrikaner oder Lateinamerikaner schottet er sich vom Rest der Welt geistig weitgehend ab, bei Übernahme westlicher Technologien und Güter allerdings nicht. Der von vielen so charakterisierte Islamismus als religiös-politische Ideologie hat stark identitäre Züge, man will nicht - wie es der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini einmal formulierte - zum "Affen des Westens" werden. Und längst hat der Islam extreme Ausprägungen jener identitären Selbstbehauptung hervorgebracht, die in letzter Konsequenz für jenen asymmetrischen Krieg verantwortlich sind, den unter Berufung auf den Islam gegenwärtig islamistische Terroristen gegen den "Westen", sein Denken und seine Lebensformen führen. Auch in Europa ist eine viele verstörende Erscheinung wie der Salafismus seit etlichen Jahren schon angekommen und beunruhigt die Gemüter. Von einer "Salafistenszene" ist die Rede.
Doch woher kommt er? Und was ist er? Vordergründig eine Rückkehr zum Glauben der "frommen Altvorderen" (al-salaf al-salih), eine Definition, die freilich zu irritieren vermag, denn auch viele andere, wenn nicht die meisten Muslime glauben ja doch auch, dass sie der frommen Tradition gerecht werden, wenn sie dem Propheten und den Lehren des Korans auf je ihre Weise folgen.
Rüdiger Lohlker, Professor der Islamwissenschaft in Wien, geht in seiner jüngsten Studie von der Hypothese aus, "dass es ein gedankliches Milieu gibt, in dem sich Salafismus, Wahhabismus und Dschihadismus mischen und berühren". Wahhabismus ist die in Saudi-Arabien vorherrschende, strikt puritanische Lehre aus dem 18. Jahrhundert, Dschihadismus eine religiös-politische Ideologie, die - anders als im klassischen Islam - den Kampf, die Anstrengung "auf dem Wege Gottes" (dschihad fi sabil Allah) exklusiv militant interpretiert. Alles andere sei eine unter dem Druck des westlichen Liberalismus entstandene Verharmlosung des Islams, um ihn zu schwächen. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass solcherlei Radikalismus, selbst wenn er, wie bei manchen Salafisten, durchaus quietistisch-sanft daherkommt, keine "Form des authentischen Islams" sei. Andernfalls sei ja jede Kritik am Salafismus tatsächlich ein "Angriff auf den Islam".
Der Salafismus ist im Grunde jahrhundertealt. Lohlker führt zunächst jene Kette von Gelehrten an, die seit dem Wirken Ibn Taimijas im 13. Jahrhundert bis in unsere Zeit hinein reicht. Ibn Taimija gilt den Salafisten, gleich welcher Spielart, als "Gründervater", forderte er doch zu seiner Zeit die durch den verheerenden Einfall der Mongolen schwer getroffenen Muslime auf, die Reihen qua Religionsgesetz fest zu schließen und sich am Propheten und den ersten drei Generationen der Gläubigen ein Beispiel zu nehmen. Lohlker folgt dieser Einschätzung nur bedingt, sieht in diesem Gelehrten einen Mann, dessen theologische Tiefendimension noch nicht wirklich erkannt sei.
Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass Salafisten - wie andere Extremisten - gelehrte Schriften als Steinbruch benutzen, um dasjenige Material herauszubrechen, das sie zur Rechtfertigung ihrer Doktrinen verwenden können. Wie Ibn Taimija gegen die Mongolen, so wandte sich Mohammed Ibn Abdal Wahhab, als Inspirator der Saudi-Familie und Dynastie, im 18. Jahrhundert gegen den "hanafitischen Liberalismus" vornehmlich der Osmanen, aber auch gegen andere liberale Strömungen im Islam, wie etwa den weitverbreiteten Sufismus.
Gegen die kolonialen Bestrebungen Frankreichs, vor allem jedoch Großbritanniens richtete sich die in Ägypten Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Salafija als eine Bewegung der Erneuerung, die auch politische Ziele hatte, jedoch vor allem als geistig-religiöser Aufbruch aus geistiger Erstarrung konzipiert war - anders etwa als die 1928 entstandene Vereinigung der Muslimbrüder, deren Militanz von Beginn an Programm gewesen ist. Namen wie Muhammad Abduh (gestorben 1905) und Raschid Rida (gestorben 1935) sind da zu nennen.
Heute stellt sich der Salafismus als eine weltweit verbreitete, in vielem irritierende islamische Ausprägung dar, die in gewisser Weise - wie zu seiner Zeit der Prophet Mohammed aus Mekka - aus der geistigen Moderne "auswandert", entweder auf beschaulich zurückgezogene Weise oder, in letzter Konsequenz, in gewaltförmigen Formen, die als islamistische und terroristische Organisationen bis hin zum "Islamischen Staat" (IS) Muslime wie Nichtmuslime in vielen Ländern in Angst und Schrecken versetzt.
Ist auch der saudische Wahhabismus nicht identisch mit dem Salafismus und seinen unterschiedlichen Strömungen, so gibt es doch mancherlei gedankliche Übereinstimmung. Lohlker nennt alle wichtigen Religionsgelehrten beim Namen, die sich in jenem recht diffusen "gedanklichen Milieu" bewegen, von dem er zu Beginn seines Buches spricht. Die materielle Förderung "des Islams" durch saudi-arabische Quellen hat dazu geführt, dass der Einfluss des Salafismus weltweit gewachsen ist, nicht zuletzt in Deutschland. Lohlker beschreibt den Salafismus zudem als virtuelle Erscheinung. Seine Vernetzung existiert nicht allein in Gestalt seiner realen Anhänger, sondern auch als Internetphänomen. Dies gilt auch für den IS. Hier ist der Salafismus ganz modern, kapert er junge Leute mit modernster Technik und ausgepichten Werbemethoden, die westlichen Reklamefachleuten abgeschaut sind. Das reicht von den vielzitierten sozialen Netzwerken und Videos über muslimische Heiratsmärkte und Kontaktbörsen bis zu kulturellen Foren. So bietet der zeitgenössische Salafismus das Bild einer gut vernetzten Internationale, deren Propaganda - bis hin zur "Propaganda der Tat" - die Behörden in Frankreich, Belgien, Großbritannien und Deutschland vor enorme Probleme stellt. Die Gefahr ist lange Zeit unterschätzt worden.
Dass ein guter Muslim den Niqab (die Frauen) oder knöchellange Gewänder und lang wuchernde Bärte (die Männer) tragen müsse - dagegen regt sich, wie Lohlker am Schluss darlegt, allenthalben Widerstand in der islamischen Welt, von Indonesien, wo der Druck der Islamisten zugenommen hat, bis nach Marokko. Ja selbst einige salafistische Gruppen, der Militanz abhold, wenden sich, wie etwa in Ägypten die Gruppe Salafyo Costa, Neuinterpretationen zu. Der Kulturkampf der Muslime, in dessen Strudel Europa hineingeraten ist, muss erforscht und intellektuell durchdrungen werden, wenn man seine schlimmsten Folgen erfolgreich bekämpfen will. Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis dieses Buches trägt dazu bei wie sein gesamter Text.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Rüdiger Lohlker: Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen. Saudi-Arabien und der Islam. Verlag C. H. Beck, München 2017. 205 S., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Studie von Rüdiger Lohlker über den Salafismus: Woher kommt er? Was ist er?
Der Islam ist jene Weltreligion und Kultur, die sich offenkundig am schwersten tut mit der vom "Westen" ausgehenden Moderne und ihrer Globalisierung. Anders als Chinesen und Japaner, Inder, Südostasiaten, Afrikaner oder Lateinamerikaner schottet er sich vom Rest der Welt geistig weitgehend ab, bei Übernahme westlicher Technologien und Güter allerdings nicht. Der von vielen so charakterisierte Islamismus als religiös-politische Ideologie hat stark identitäre Züge, man will nicht - wie es der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini einmal formulierte - zum "Affen des Westens" werden. Und längst hat der Islam extreme Ausprägungen jener identitären Selbstbehauptung hervorgebracht, die in letzter Konsequenz für jenen asymmetrischen Krieg verantwortlich sind, den unter Berufung auf den Islam gegenwärtig islamistische Terroristen gegen den "Westen", sein Denken und seine Lebensformen führen. Auch in Europa ist eine viele verstörende Erscheinung wie der Salafismus seit etlichen Jahren schon angekommen und beunruhigt die Gemüter. Von einer "Salafistenszene" ist die Rede.
Doch woher kommt er? Und was ist er? Vordergründig eine Rückkehr zum Glauben der "frommen Altvorderen" (al-salaf al-salih), eine Definition, die freilich zu irritieren vermag, denn auch viele andere, wenn nicht die meisten Muslime glauben ja doch auch, dass sie der frommen Tradition gerecht werden, wenn sie dem Propheten und den Lehren des Korans auf je ihre Weise folgen.
Rüdiger Lohlker, Professor der Islamwissenschaft in Wien, geht in seiner jüngsten Studie von der Hypothese aus, "dass es ein gedankliches Milieu gibt, in dem sich Salafismus, Wahhabismus und Dschihadismus mischen und berühren". Wahhabismus ist die in Saudi-Arabien vorherrschende, strikt puritanische Lehre aus dem 18. Jahrhundert, Dschihadismus eine religiös-politische Ideologie, die - anders als im klassischen Islam - den Kampf, die Anstrengung "auf dem Wege Gottes" (dschihad fi sabil Allah) exklusiv militant interpretiert. Alles andere sei eine unter dem Druck des westlichen Liberalismus entstandene Verharmlosung des Islams, um ihn zu schwächen. Der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass solcherlei Radikalismus, selbst wenn er, wie bei manchen Salafisten, durchaus quietistisch-sanft daherkommt, keine "Form des authentischen Islams" sei. Andernfalls sei ja jede Kritik am Salafismus tatsächlich ein "Angriff auf den Islam".
Der Salafismus ist im Grunde jahrhundertealt. Lohlker führt zunächst jene Kette von Gelehrten an, die seit dem Wirken Ibn Taimijas im 13. Jahrhundert bis in unsere Zeit hinein reicht. Ibn Taimija gilt den Salafisten, gleich welcher Spielart, als "Gründervater", forderte er doch zu seiner Zeit die durch den verheerenden Einfall der Mongolen schwer getroffenen Muslime auf, die Reihen qua Religionsgesetz fest zu schließen und sich am Propheten und den ersten drei Generationen der Gläubigen ein Beispiel zu nehmen. Lohlker folgt dieser Einschätzung nur bedingt, sieht in diesem Gelehrten einen Mann, dessen theologische Tiefendimension noch nicht wirklich erkannt sei.
Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass Salafisten - wie andere Extremisten - gelehrte Schriften als Steinbruch benutzen, um dasjenige Material herauszubrechen, das sie zur Rechtfertigung ihrer Doktrinen verwenden können. Wie Ibn Taimija gegen die Mongolen, so wandte sich Mohammed Ibn Abdal Wahhab, als Inspirator der Saudi-Familie und Dynastie, im 18. Jahrhundert gegen den "hanafitischen Liberalismus" vornehmlich der Osmanen, aber auch gegen andere liberale Strömungen im Islam, wie etwa den weitverbreiteten Sufismus.
Gegen die kolonialen Bestrebungen Frankreichs, vor allem jedoch Großbritanniens richtete sich die in Ägypten Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Salafija als eine Bewegung der Erneuerung, die auch politische Ziele hatte, jedoch vor allem als geistig-religiöser Aufbruch aus geistiger Erstarrung konzipiert war - anders etwa als die 1928 entstandene Vereinigung der Muslimbrüder, deren Militanz von Beginn an Programm gewesen ist. Namen wie Muhammad Abduh (gestorben 1905) und Raschid Rida (gestorben 1935) sind da zu nennen.
Heute stellt sich der Salafismus als eine weltweit verbreitete, in vielem irritierende islamische Ausprägung dar, die in gewisser Weise - wie zu seiner Zeit der Prophet Mohammed aus Mekka - aus der geistigen Moderne "auswandert", entweder auf beschaulich zurückgezogene Weise oder, in letzter Konsequenz, in gewaltförmigen Formen, die als islamistische und terroristische Organisationen bis hin zum "Islamischen Staat" (IS) Muslime wie Nichtmuslime in vielen Ländern in Angst und Schrecken versetzt.
Ist auch der saudische Wahhabismus nicht identisch mit dem Salafismus und seinen unterschiedlichen Strömungen, so gibt es doch mancherlei gedankliche Übereinstimmung. Lohlker nennt alle wichtigen Religionsgelehrten beim Namen, die sich in jenem recht diffusen "gedanklichen Milieu" bewegen, von dem er zu Beginn seines Buches spricht. Die materielle Förderung "des Islams" durch saudi-arabische Quellen hat dazu geführt, dass der Einfluss des Salafismus weltweit gewachsen ist, nicht zuletzt in Deutschland. Lohlker beschreibt den Salafismus zudem als virtuelle Erscheinung. Seine Vernetzung existiert nicht allein in Gestalt seiner realen Anhänger, sondern auch als Internetphänomen. Dies gilt auch für den IS. Hier ist der Salafismus ganz modern, kapert er junge Leute mit modernster Technik und ausgepichten Werbemethoden, die westlichen Reklamefachleuten abgeschaut sind. Das reicht von den vielzitierten sozialen Netzwerken und Videos über muslimische Heiratsmärkte und Kontaktbörsen bis zu kulturellen Foren. So bietet der zeitgenössische Salafismus das Bild einer gut vernetzten Internationale, deren Propaganda - bis hin zur "Propaganda der Tat" - die Behörden in Frankreich, Belgien, Großbritannien und Deutschland vor enorme Probleme stellt. Die Gefahr ist lange Zeit unterschätzt worden.
Dass ein guter Muslim den Niqab (die Frauen) oder knöchellange Gewänder und lang wuchernde Bärte (die Männer) tragen müsse - dagegen regt sich, wie Lohlker am Schluss darlegt, allenthalben Widerstand in der islamischen Welt, von Indonesien, wo der Druck der Islamisten zugenommen hat, bis nach Marokko. Ja selbst einige salafistische Gruppen, der Militanz abhold, wenden sich, wie etwa in Ägypten die Gruppe Salafyo Costa, Neuinterpretationen zu. Der Kulturkampf der Muslime, in dessen Strudel Europa hineingeraten ist, muss erforscht und intellektuell durchdrungen werden, wenn man seine schlimmsten Folgen erfolgreich bekämpfen will. Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis dieses Buches trägt dazu bei wie sein gesamter Text.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Rüdiger Lohlker: Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen. Saudi-Arabien und der Islam. Verlag C. H. Beck, München 2017. 205 S., 14,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.06.2017Im Irrgarten
der Moderne
Rüdiger Lohlker über die salafistische Bewegung
und welche internen Konflikte sie erschüttern
VON SIMON WOLFGANG FUCHS
Deutschland ist längst ein begriffliches Einwanderungsland. Arabisch-islamische Ausdrücke wie Dschihadist, Salafist oder Wahhabit haben sich erstaunlich mühelos in den Duden integriert. Die dahinterliegenden Konzepte zu benennen oder gar auseinanderzuhalten, fällt jedoch selbst Spezialisten schwer. Es ist daher ein Glück für die deutschsprachige Öffentlichkeit, dass sich Rüdiger Lohlker, Professor für Islamwissenschaften an der Universität Wien, in seinem neuen Buch „Die Salafisten“ als trittsicherer Erläuterer dieses religiösen Phänomens erweist. Mit seiner klaren Meinung hält der Autor dabei nie hinter dem Berg. Für ihn ist der Salafismus in all seinen Spielarten bedenklich, da er einem friedlichen Zusammenleben und respektvollen Miteinander entgegenwirkt.
Lohlker geht es darum, die salafistische Selbstsicht als einzig authentische Version des Islam konsequent zu hinterfragen. Er unterstreicht die Verwandtschaft des Salafismus mit anderen modernen religiösen Bewegungen wie dem Pietismus, die in ähnlicher Weise die Rolle der Gemeinschaft betonen und den direkten, unverstellten Zugang zu den Textquellen suchen. Die von Salafisten propagierte Rückbesinnung auf die Überzeugungen und Gepflogenheiten der ersten Generationen von Muslimen ist eben keine vom Himmel gefallene, überzeitliche Geisteshaltung. Vielmehr integrierte die heutige Strömung im Laufe ihrer Genese seit dem 17. Jahrhundert eine ganze Reihe an Einflüssen. Das trifft beispielsweise auf eine lokale Tradition der arabischen Halbinsel, den sogenannte Wahhabismus, zu. Mit seiner kompromisslosen Betonung von Gottes Einheit und der darauf beruhenden Ablehnung von „polytheistischen“ Praktiken wie Heiligenverehrung lieferte diese Denkschule zentrale Glaubenselemente.
Ebenso ist der heutige Salafismus tief eingefärbt mit antikolonialen Reflexen, was sich in der geforderten gesellschaftlichen Abgrenzung von Nichtmuslimen und andersdenkenden Muslimen ausdrückt. Der selektive Umgang mit Schriften des islamischen Erbes, die nahezu beliebig als textueller „Steinbruch“ genutzt werden, weist Salafisten als Kinder der Moderne aus. Sie betrachten auf diese Weise gewonnene und ihres einstmaligen Kontextes enthobene Zitate und Koranverse als „objektive Tatsache, die mit wissenschaftlichen Methoden analysiert“ werden kann.
Großen Raum nimmt in Lohlkers Einführung die Darlegung ein, dass trotz dieser geschichtlichen und methodologischen Gemeinsamkeiten, trotz der Herausbildung einer „salafistischen Internationale“ im 20. Jahrhundert, nicht von einer homogenen Weltsicht gesprochen werden kann. Das lokale politische Umfeld spielt eine entscheidende Rolle, sei es im Nahen Osten, Nordafrika oder in Europa. Nur so lässt sich erklären, warum unter dem Schirm des Salafismus akademische, apolitische, aktionistische oder gar gewaltbereite Positionen unbehaglich nebeneinander existieren können.
Zweifellos hat in den vergangenen Jahrzehnten der weltweite saudische Einfluss dank Investitionen in Bildungseinrichtungen und religiöse Stiftungen zugenommen. Damit verbunden sind Versuche, eine einheitliche, sozial konservative, aber politisch unauffällige Version des Salafismus zu propagieren. Französische Salafisten haben allerdings immer noch eine andere Prägung als deutsche, reiben sich mit ihrem Protest an der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft, deren Wirtschaftssystem oder verschiedenen Vorstellungen zum Verhältnis von Kirche und Staat.
Wie kam es nun inmitten all dieser internen Debatten zur geschichtlich jüngsten salafistischen Ausprägung, nämlich einer zunehmenden dschihadistischen Tendenz, wovon der sogenannte Islamische Staat prominent Zeugnis ablegt? Lohlker weist in diesem Zusammenhang auf eine Gruppe salafistischer Gelehrter hin, die seit den 1980er-Jahren Bedeutung erlangten. Sie hatten längere Zeit in Saudi-Arabien verbracht und legten großen Wert auf Absonderung von allem, was nicht ihrem Verständnis vom „wahren Islam“ entsprach. Allein Rechtsgutachten gegen das Tragen von Jeans zu verfassen, war diesen Denkern jedoch zu wenig. Vielmehr trachteten sie danach, ihre „Gier nach Reinheit“ auch global und praktisch umzusetzen. Der Krieg in Afghanistan gegen die Sowjetunion in den 1980er-Jahren spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Die Wiederrichtung von „authentischer“ islamischer Herrschaft war plötzlich auf der Agenda und scheinbar zum Greifen nah. Viele dieser Gelehrten mischten dort kräftig mit und prägten die ideologische Ausrichtung entstehender dschihadistischer Organisationen über Jahre.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum der sogenannte IS als Produkt dieser globalen Prozesse beansprucht, die einzig legitime Verkörperung des Wahhabismus zu sein. Seine Kämpfer verdammen das saudische Königshaus und das religiöse Establishment des Landes als korrumpiert. Beide seien vom rechten Pfad abgekommen und nicht ernsthaft an der Errichtung einer wirklich islamischen Gesellschaft interessiert.
Lohlker gelingt eine zumeist klare und verständliche Nachzeichnung all dieser komplexen Zusammenhänge, noch dazu untermauert durch anschauliche Zitate aus arabischen Quellen. Gerade durch die Entscheidung des Autors, die längere geschichtliche Entwicklung des Salafismus in den Vordergrund zu stellen, mutet er seinen Lesern aber auch allerhand zu. Erst auf Seite 135 erklärt Lohlker beispielsweise, warum für Salafisten das Tragen knöchellanger Hosen von so entscheidender Bedeutung ist, obwohl schon in der Einleitung von diesem Merkmal die Rede ist. Erst ab dem siebten Kapitel finden sich nähere Ausführungen zu salafistischen Schlüsselbegriffen wie der „korrekten wissenschaftlichen Methode“ (manhadsch), auf welche der Leser zuvor immer wieder stößt. Zudem verweist der Autor auf wichtige islamische Konzepte wie den Grundsatz „das Gute anzuempfehlen und das Böse zu verbieten“, ohne die entscheidenden geistesgeschichtlichen Dimensionen für den Leser zu erläutern.
Bedauerlicher ist aber, dass Lohlker davor zurückschreckt, der rätselhaften Anziehungskraft des Salafismus nachzuspüren. Als Erklärungsansatz für den Erfolg der Ideologie in Europa verweist der Autor in knappen Worten auf das Scheitern älterer Konzeptionen des politischen Islam. Diese Lücke hätten Salafisten besetzt „als Protest gegen eine dominante Kultur, Gesellschaft und Politik, die Muslime benachteilige und den moralischen Verfall europäischer Gesellschaften fördere“. Jenseits dieser funktionalen Erklärung wäre es aber auch lohnenswert gewesen nachzufragen, warum der Salafismus im 21. Jahrhundert mit seinem Streben nach religiöser Eindeutigkeit und ungewöhnlich starker Betonung von Glaubensinhalten solch einen Nerv bei manchen Muslimen und gerade auch Konvertiten trifft. Als Fazit bleibt daher: Rüdiger Lohlkers Buch ist keine einfache, dafür aber lohnende Reise. Diese führt mitten durch ein, wie er es nennt, „irritierendes Labyrinth“, das eine kleine Minderheit als die Essenz muslimischen Denkens schlechthin ausgibt.
Simon Wolfgang Fuchs ist Research Fellow in Islamic Studies am Gonville and Caius College der Universität Cambridge.
Einige Denker trachteten danach,
ihre „Gier nach Reinheit“
auch praktisch umzusetzen
Rüdiger Lohlker:
Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen, Saudi-Arabien und der Islam. Verlag C.H. Beck, München 2017.
205 Seiten, 14,95 Euro.
Streben nach religiöser Eindeutigkeit: Teilnehmer einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel 2014 in Offenbach. Nicht nur er trifft offenbar einen Nerv einiger Muslime.
Foto: Boris Roessler/dpa
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der Moderne
Rüdiger Lohlker über die salafistische Bewegung
und welche internen Konflikte sie erschüttern
VON SIMON WOLFGANG FUCHS
Deutschland ist längst ein begriffliches Einwanderungsland. Arabisch-islamische Ausdrücke wie Dschihadist, Salafist oder Wahhabit haben sich erstaunlich mühelos in den Duden integriert. Die dahinterliegenden Konzepte zu benennen oder gar auseinanderzuhalten, fällt jedoch selbst Spezialisten schwer. Es ist daher ein Glück für die deutschsprachige Öffentlichkeit, dass sich Rüdiger Lohlker, Professor für Islamwissenschaften an der Universität Wien, in seinem neuen Buch „Die Salafisten“ als trittsicherer Erläuterer dieses religiösen Phänomens erweist. Mit seiner klaren Meinung hält der Autor dabei nie hinter dem Berg. Für ihn ist der Salafismus in all seinen Spielarten bedenklich, da er einem friedlichen Zusammenleben und respektvollen Miteinander entgegenwirkt.
Lohlker geht es darum, die salafistische Selbstsicht als einzig authentische Version des Islam konsequent zu hinterfragen. Er unterstreicht die Verwandtschaft des Salafismus mit anderen modernen religiösen Bewegungen wie dem Pietismus, die in ähnlicher Weise die Rolle der Gemeinschaft betonen und den direkten, unverstellten Zugang zu den Textquellen suchen. Die von Salafisten propagierte Rückbesinnung auf die Überzeugungen und Gepflogenheiten der ersten Generationen von Muslimen ist eben keine vom Himmel gefallene, überzeitliche Geisteshaltung. Vielmehr integrierte die heutige Strömung im Laufe ihrer Genese seit dem 17. Jahrhundert eine ganze Reihe an Einflüssen. Das trifft beispielsweise auf eine lokale Tradition der arabischen Halbinsel, den sogenannte Wahhabismus, zu. Mit seiner kompromisslosen Betonung von Gottes Einheit und der darauf beruhenden Ablehnung von „polytheistischen“ Praktiken wie Heiligenverehrung lieferte diese Denkschule zentrale Glaubenselemente.
Ebenso ist der heutige Salafismus tief eingefärbt mit antikolonialen Reflexen, was sich in der geforderten gesellschaftlichen Abgrenzung von Nichtmuslimen und andersdenkenden Muslimen ausdrückt. Der selektive Umgang mit Schriften des islamischen Erbes, die nahezu beliebig als textueller „Steinbruch“ genutzt werden, weist Salafisten als Kinder der Moderne aus. Sie betrachten auf diese Weise gewonnene und ihres einstmaligen Kontextes enthobene Zitate und Koranverse als „objektive Tatsache, die mit wissenschaftlichen Methoden analysiert“ werden kann.
Großen Raum nimmt in Lohlkers Einführung die Darlegung ein, dass trotz dieser geschichtlichen und methodologischen Gemeinsamkeiten, trotz der Herausbildung einer „salafistischen Internationale“ im 20. Jahrhundert, nicht von einer homogenen Weltsicht gesprochen werden kann. Das lokale politische Umfeld spielt eine entscheidende Rolle, sei es im Nahen Osten, Nordafrika oder in Europa. Nur so lässt sich erklären, warum unter dem Schirm des Salafismus akademische, apolitische, aktionistische oder gar gewaltbereite Positionen unbehaglich nebeneinander existieren können.
Zweifellos hat in den vergangenen Jahrzehnten der weltweite saudische Einfluss dank Investitionen in Bildungseinrichtungen und religiöse Stiftungen zugenommen. Damit verbunden sind Versuche, eine einheitliche, sozial konservative, aber politisch unauffällige Version des Salafismus zu propagieren. Französische Salafisten haben allerdings immer noch eine andere Prägung als deutsche, reiben sich mit ihrem Protest an der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft, deren Wirtschaftssystem oder verschiedenen Vorstellungen zum Verhältnis von Kirche und Staat.
Wie kam es nun inmitten all dieser internen Debatten zur geschichtlich jüngsten salafistischen Ausprägung, nämlich einer zunehmenden dschihadistischen Tendenz, wovon der sogenannte Islamische Staat prominent Zeugnis ablegt? Lohlker weist in diesem Zusammenhang auf eine Gruppe salafistischer Gelehrter hin, die seit den 1980er-Jahren Bedeutung erlangten. Sie hatten längere Zeit in Saudi-Arabien verbracht und legten großen Wert auf Absonderung von allem, was nicht ihrem Verständnis vom „wahren Islam“ entsprach. Allein Rechtsgutachten gegen das Tragen von Jeans zu verfassen, war diesen Denkern jedoch zu wenig. Vielmehr trachteten sie danach, ihre „Gier nach Reinheit“ auch global und praktisch umzusetzen. Der Krieg in Afghanistan gegen die Sowjetunion in den 1980er-Jahren spielte hierbei eine entscheidende Rolle. Die Wiederrichtung von „authentischer“ islamischer Herrschaft war plötzlich auf der Agenda und scheinbar zum Greifen nah. Viele dieser Gelehrten mischten dort kräftig mit und prägten die ideologische Ausrichtung entstehender dschihadistischer Organisationen über Jahre.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum der sogenannte IS als Produkt dieser globalen Prozesse beansprucht, die einzig legitime Verkörperung des Wahhabismus zu sein. Seine Kämpfer verdammen das saudische Königshaus und das religiöse Establishment des Landes als korrumpiert. Beide seien vom rechten Pfad abgekommen und nicht ernsthaft an der Errichtung einer wirklich islamischen Gesellschaft interessiert.
Lohlker gelingt eine zumeist klare und verständliche Nachzeichnung all dieser komplexen Zusammenhänge, noch dazu untermauert durch anschauliche Zitate aus arabischen Quellen. Gerade durch die Entscheidung des Autors, die längere geschichtliche Entwicklung des Salafismus in den Vordergrund zu stellen, mutet er seinen Lesern aber auch allerhand zu. Erst auf Seite 135 erklärt Lohlker beispielsweise, warum für Salafisten das Tragen knöchellanger Hosen von so entscheidender Bedeutung ist, obwohl schon in der Einleitung von diesem Merkmal die Rede ist. Erst ab dem siebten Kapitel finden sich nähere Ausführungen zu salafistischen Schlüsselbegriffen wie der „korrekten wissenschaftlichen Methode“ (manhadsch), auf welche der Leser zuvor immer wieder stößt. Zudem verweist der Autor auf wichtige islamische Konzepte wie den Grundsatz „das Gute anzuempfehlen und das Böse zu verbieten“, ohne die entscheidenden geistesgeschichtlichen Dimensionen für den Leser zu erläutern.
Bedauerlicher ist aber, dass Lohlker davor zurückschreckt, der rätselhaften Anziehungskraft des Salafismus nachzuspüren. Als Erklärungsansatz für den Erfolg der Ideologie in Europa verweist der Autor in knappen Worten auf das Scheitern älterer Konzeptionen des politischen Islam. Diese Lücke hätten Salafisten besetzt „als Protest gegen eine dominante Kultur, Gesellschaft und Politik, die Muslime benachteilige und den moralischen Verfall europäischer Gesellschaften fördere“. Jenseits dieser funktionalen Erklärung wäre es aber auch lohnenswert gewesen nachzufragen, warum der Salafismus im 21. Jahrhundert mit seinem Streben nach religiöser Eindeutigkeit und ungewöhnlich starker Betonung von Glaubensinhalten solch einen Nerv bei manchen Muslimen und gerade auch Konvertiten trifft. Als Fazit bleibt daher: Rüdiger Lohlkers Buch ist keine einfache, dafür aber lohnende Reise. Diese führt mitten durch ein, wie er es nennt, „irritierendes Labyrinth“, das eine kleine Minderheit als die Essenz muslimischen Denkens schlechthin ausgibt.
Simon Wolfgang Fuchs ist Research Fellow in Islamic Studies am Gonville and Caius College der Universität Cambridge.
Einige Denker trachteten danach,
ihre „Gier nach Reinheit“
auch praktisch umzusetzen
Rüdiger Lohlker:
Die Salafisten. Der Aufstand der Frommen, Saudi-Arabien und der Islam. Verlag C.H. Beck, München 2017.
205 Seiten, 14,95 Euro.
Streben nach religiöser Eindeutigkeit: Teilnehmer einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel 2014 in Offenbach. Nicht nur er trifft offenbar einen Nerv einiger Muslime.
Foto: Boris Roessler/dpa
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Für die Erforschung des "Kulturkampfs" der Muslime erhält Wolfgang Günter Lerch bei Rüdiger Lohlker wertvolle Hinweise und Anregungen, nicht nur im umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis des Bandes, wie der Rezensent versichert. Die unterschätzte Gefahr, die vom Salafismus ausgeht, kann ihm der Islamwissenschaftler darstellen, ebenso die Unterschiede der verschiedenen extremistischen gedanklichen Milieus um den Salafismus. Namentlich die wichtigen Religionsgelehrten dieser "islamischen Ausprägung" kann Lohlker benennen, so Lerch. Über die Vernetzung und Methoden der Salafisten erfährt er im Buch auch einiges.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Klare und verständliche Nachzeichnung all dieser komplexen Zusammenhänge, noch dazu untermauert durch anschauliche Zitate aus arabischen Quellen"
Simon Wolfgang Fuchs, Süddeutsche Zeitung, 19. Juni 2017
Simon Wolfgang Fuchs, Süddeutsche Zeitung, 19. Juni 2017