Mathilda Gillespie, eine wegen ihrer spitzen Zunge nicht sehr beliebte alte Dame, ist tot. Die Ärztin Sarah Blakeney findet sie zwei Tage nach ihrem Ableben. Vollgepumpt mit Tabletten und Alkohol im Blut liegt sie, die Pulsadern aufgeschnitten, in der Badewanne. Gesteigert wird der schreckliche Anblick noch durch eine blumenverzierte mittelalterliche Maske, die das Gesicht der Toten bedeckt. Was zuerst wie ein inszenierter Selbstmord aussieht, erweist sich später als Mord. Und als nach der Testamentseröffnung feststeht, daß Sarah Blakeney das gesamte Vermögen Mathildas erbt, ist die Ärztin plötzlich bösen Verdächtigungen ausgesetzt...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.1996Die Elixiere der bösen Tante
Diesbezüglich ausschweifend: Minette Walters' "Schandmaske"
Die Spannung in einem Kriminalroman ermißt sich an seinem Purismus: Es sollten in ihm nur Sätze gesagt werden, die auf das Motiv der verruchten Tat zielen. Ecos "Name der Rose" wäre somit ein schlechter Kriminalroman. Das zwar steigert gerade seinen Erfolg, wie ihm auch andere als nur auf diese Gattung spezialisierte Leser geneigt sein könnten. Unter Fans aber dürfte Ecos nazarenischer Bildungsroman mit Minette Walters' Protokoll der Suche nach dem Täter eines vermutlichen Mordes nicht konkurrieren können.
Die Dialoge, die in der "Schandmaske" zwischen den Nachbarn, Töchtern, Freunden, Erben, Kommissaren hin- und hergehen, sind zwar lang, aber nicht weitschweifig: Kein Gedanke gleitet von der Frage ab, ob überhaupt die uralte Mathilda Gillespie ermordet worden sein kann und, gegebenenfalls, auf welche Weise. Mißtrauen erregt der Tod der Greisin auf jeden Fall, denn aufgeputzt als Ophelia ist sie aufgefunden worden, im Wasser liegend und verdächtigerweise Kopf und Zunge eingezwängt in ein Eisengitter, die Schandmaske, ein mittelalterliches Folterinstrument, mit dem Schwätzerinnen zum Schweigen gebracht worden sind.
Die Taktik der Gattung, den Leser immer wieder auf die falsche Spur zu führen, beherrscht Minette Walters perfekt. Als erstes fällt, wie es sich gehört, der Verdacht auf die einzige sympathische Person in der Umgebung des Opfers und in der Gesellschaft des Romans überhaupt, der der Leser Bestrafung und Untergang am allerwenigsten wünschen würde. Seine Menschenkenntnis, der es widerstrebt, diese Person schuldig zu sehen, bestätigt sich, indem so viele Indizien auf so viele andere Täter hinweisen, daß schließlich der Leser ein ganzes Genist aus unappetitlichen Verdächtigungen zu entwirren hat.
Für literarisches Behagen oder Mißbehagen ist der Ausgang eines Werkes unbedeutend, und so spielen auch hier die Verwandtschaftsverhältnisse, die sich, wie in E. T. A. Hoffmanns "Elixieren des Teufels", am Ende enthüllen und alle Rätsel lösen, kaum eine Rolle. Was den Leser, wenn überhaupt, vergnüglich stimmen kann, sind die Missetaten, die die hingegangene Greisin selbst auf dem Gewissen hat. Minette Walters scheut sich nicht, alles, was die Weltgeschichte an Grausamkeit erfunden hat, ihrer bösen toten Heldin als Untugenden und Untaten anzulasten.
Die Alte hat mehr Schuld auf sich geladen als je eine Figur de Sades, und das allerdings ist ihr Glück. Die Verbrechen nämlich häufen sich dermaßen, daß dem moralischen Bewußtsein des Lesers kaum Zeit bleibt, auf eines auch nur flüchtig zu reagieren. Nur so macht er die Begnadigung des Schlußsatzes mit, der ihm Verständnis für dies Monster anempfiehlt, weil dessen ganze Ungeheuerlichkeit die Reaktion auf eine Vergewaltigung durch den Vater in der Kindheit war.
Die quälend langen Dialoge sind so nichtssagend und vielversprechend zugleich wie die schwarzen Wände einer Geisterbahn; und erwartungsgemäß taucht denn auch immer einmal wieder die klapprige Allegorie einer Todsünde auf. Die englische Autorin weiß sich in vertrauter Tradition. Die Tagebücher der Greisin, die die Monstrositäten enthalten, hat diese, als Werke Shakespeares kaschiert, in ihrer Bibliothek versteckt; die Autorin verstreut die entlarvenden Passagen aus diesen Aufzeichnungen über die Ödnis ihrer Dialoge. Schlauere Leser können sich daher eine geraffte Lektüre verschaffen, indem sie nur diese kursiv gedruckten Texte lesen. Letztlich darf die Lektüre eines Kriminalromans nicht länger dauern als die Nachtzeit vor dem Einschlafen, damit seine Schrecken in den Traum hineinreichen. Die Dialoge, eine Usance vor allem angelsächsischer Romane, sollen zwar mimetisch und "lebensecht" wirken, schwächen jedoch das Kalkül der Handlungsstruktur und der Gedankenarbeit des Lesers. Sinnvollerweise können sie in einem Roman nur der psychologischen Charakterisierung der Figuren dienen. Diesmal aber sind sie nur Protokolle von Vernehmungen. Die Psychologie aber der Figuren ist hier nicht im mindesten in ihrer Seele verborgen. Sie hat sich vielmehr, noch ehe der Roman beginnt, in Taten offenbart.
Die ermüdende Suche nach dem etwaigen Täter soll dabei durch Nachrichten von allerlei Giftmischerei und schmutzigen Handlungen unterhaltsamer werden: Der Kriminalroman wird zur Pornographie, als habe die Autorin ihrem eigenen Kalkül nicht vertraut. HANNELORE SCHLAFFER
Minette Walters: "Die Schandmaske". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Mechtild Sandberg-Ciletti. Goldmann Verlag, München 1996. 409 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diesbezüglich ausschweifend: Minette Walters' "Schandmaske"
Die Spannung in einem Kriminalroman ermißt sich an seinem Purismus: Es sollten in ihm nur Sätze gesagt werden, die auf das Motiv der verruchten Tat zielen. Ecos "Name der Rose" wäre somit ein schlechter Kriminalroman. Das zwar steigert gerade seinen Erfolg, wie ihm auch andere als nur auf diese Gattung spezialisierte Leser geneigt sein könnten. Unter Fans aber dürfte Ecos nazarenischer Bildungsroman mit Minette Walters' Protokoll der Suche nach dem Täter eines vermutlichen Mordes nicht konkurrieren können.
Die Dialoge, die in der "Schandmaske" zwischen den Nachbarn, Töchtern, Freunden, Erben, Kommissaren hin- und hergehen, sind zwar lang, aber nicht weitschweifig: Kein Gedanke gleitet von der Frage ab, ob überhaupt die uralte Mathilda Gillespie ermordet worden sein kann und, gegebenenfalls, auf welche Weise. Mißtrauen erregt der Tod der Greisin auf jeden Fall, denn aufgeputzt als Ophelia ist sie aufgefunden worden, im Wasser liegend und verdächtigerweise Kopf und Zunge eingezwängt in ein Eisengitter, die Schandmaske, ein mittelalterliches Folterinstrument, mit dem Schwätzerinnen zum Schweigen gebracht worden sind.
Die Taktik der Gattung, den Leser immer wieder auf die falsche Spur zu führen, beherrscht Minette Walters perfekt. Als erstes fällt, wie es sich gehört, der Verdacht auf die einzige sympathische Person in der Umgebung des Opfers und in der Gesellschaft des Romans überhaupt, der der Leser Bestrafung und Untergang am allerwenigsten wünschen würde. Seine Menschenkenntnis, der es widerstrebt, diese Person schuldig zu sehen, bestätigt sich, indem so viele Indizien auf so viele andere Täter hinweisen, daß schließlich der Leser ein ganzes Genist aus unappetitlichen Verdächtigungen zu entwirren hat.
Für literarisches Behagen oder Mißbehagen ist der Ausgang eines Werkes unbedeutend, und so spielen auch hier die Verwandtschaftsverhältnisse, die sich, wie in E. T. A. Hoffmanns "Elixieren des Teufels", am Ende enthüllen und alle Rätsel lösen, kaum eine Rolle. Was den Leser, wenn überhaupt, vergnüglich stimmen kann, sind die Missetaten, die die hingegangene Greisin selbst auf dem Gewissen hat. Minette Walters scheut sich nicht, alles, was die Weltgeschichte an Grausamkeit erfunden hat, ihrer bösen toten Heldin als Untugenden und Untaten anzulasten.
Die Alte hat mehr Schuld auf sich geladen als je eine Figur de Sades, und das allerdings ist ihr Glück. Die Verbrechen nämlich häufen sich dermaßen, daß dem moralischen Bewußtsein des Lesers kaum Zeit bleibt, auf eines auch nur flüchtig zu reagieren. Nur so macht er die Begnadigung des Schlußsatzes mit, der ihm Verständnis für dies Monster anempfiehlt, weil dessen ganze Ungeheuerlichkeit die Reaktion auf eine Vergewaltigung durch den Vater in der Kindheit war.
Die quälend langen Dialoge sind so nichtssagend und vielversprechend zugleich wie die schwarzen Wände einer Geisterbahn; und erwartungsgemäß taucht denn auch immer einmal wieder die klapprige Allegorie einer Todsünde auf. Die englische Autorin weiß sich in vertrauter Tradition. Die Tagebücher der Greisin, die die Monstrositäten enthalten, hat diese, als Werke Shakespeares kaschiert, in ihrer Bibliothek versteckt; die Autorin verstreut die entlarvenden Passagen aus diesen Aufzeichnungen über die Ödnis ihrer Dialoge. Schlauere Leser können sich daher eine geraffte Lektüre verschaffen, indem sie nur diese kursiv gedruckten Texte lesen. Letztlich darf die Lektüre eines Kriminalromans nicht länger dauern als die Nachtzeit vor dem Einschlafen, damit seine Schrecken in den Traum hineinreichen. Die Dialoge, eine Usance vor allem angelsächsischer Romane, sollen zwar mimetisch und "lebensecht" wirken, schwächen jedoch das Kalkül der Handlungsstruktur und der Gedankenarbeit des Lesers. Sinnvollerweise können sie in einem Roman nur der psychologischen Charakterisierung der Figuren dienen. Diesmal aber sind sie nur Protokolle von Vernehmungen. Die Psychologie aber der Figuren ist hier nicht im mindesten in ihrer Seele verborgen. Sie hat sich vielmehr, noch ehe der Roman beginnt, in Taten offenbart.
Die ermüdende Suche nach dem etwaigen Täter soll dabei durch Nachrichten von allerlei Giftmischerei und schmutzigen Handlungen unterhaltsamer werden: Der Kriminalroman wird zur Pornographie, als habe die Autorin ihrem eigenen Kalkül nicht vertraut. HANNELORE SCHLAFFER
Minette Walters: "Die Schandmaske". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Mechtild Sandberg-Ciletti. Goldmann Verlag, München 1996. 409 S., geb., 39,80 DM.
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