Joseph Conrad: Die SchattenlinieAus einer jugendlichen Laune heraus mustert ein junger Maat der britischen Handelsmarine in Singapur ab und will das Seemannsleben hinter sich lassen. Kaum von Bord gegangen lernt er den alten Kapitän Giles kennen, der ihn beinahe nötigt, ein spontanes Angebot, als Kapitän ein eigenes Kommando zu übernehmen, anzunehmen. Er willigt ein und übernimmt eine Dreimaster-Bark im Hafen von Bangkok. Als das Schiff in nicht enden wollender Flaute umhertreibt und die Mannschaft an tropischem Fieber erkrankt, stößt der junge Kapitän an seine Grenzen.Joseph Conrad übernahm 1888 als 31-jähriger das Kommando der Otago im Hafen von Bangkok und geriet in große Schwierigkeiten auf See, die er nur mit knapper Not meistern konnte. An dieser existentiellen Erfahrung ist er - wie sein literarischer Held - zu einer verantwortungsbewussten Persönlichkeit gereift und hat seine Schattenlinie überwunden.Anders als die vorliegenden, eher freien Übertragungen bleibt Reinhard Roudeaux in seiner neuen Übersetzung dieses autobiografischen Meisterwerks eng am Original und bildet dessen eigenständige Sprachstruktur in all ihren Nuancen werkgetreu ab.»The Shadow Line«. Erstdruck: 1917. Hier in der Übersetzung von Reinhard Roudeaux, 2022.Neuausgabe, herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2023.Umschlagabbildung: Caspar David Friedrich, Segelschiff, 1815Gesetzt aus der Minion Pro, 11 pt.Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag Henricus - Edition Deutsche Klassik GmbH, BerlinÜber den Autor:1857 in Berdytschiw in der heutigen Ukraine als Sohn adliger polnischer Eltern geboren, geht Józef Teodor Nalecz Konrad Korzeniowski nach dem frühen Tod der Eltern 16-jährig nach Marseille, um Seemann zu werden. Nach gut vier Jahren auf französischen Schiffen heuert er bei der britischen Handelsmarine an und lernt, mit 21 Jahren, Englisch. Er fährt auf den Weltmeeren und macht Karriere, 1888 wird er Kapitän des Dreimasters »Otago«. 1889 beginnt er zu schreiben, nicht in seiner polnischen Muttersprache, sondern auf Englisch. 1894 hängt er die Seefahrt an den Nagel, 1896 heiratet er die Engländerin Jessy George und lässt sich in England nieder. In großer Dichte erscheinen nun seine Bücher, die seine Reisen verarbeiten und dabei vor allem die Begegnungen mit Menschen in den Fokus rücken. Am 3. August 1924 stirbt mit Joseph Conrad einer der wichtigsten englischsprachigen Schriftsteller seiner Zeit an Herzversagen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.07.2017Bericht von der seelischen Grenze
Einer der großen Seeschriftsteller in einer hinreißenden Ausgabe: Joseph Conrads "Die Schattenlinie"
Die Buchausgabe des Romans "Die Schattenlinie" erschien vor ziemlich genau hundert Jahren, im April 1917. Joseph Conrad - mit bürgerlichem Namen Józef Teodor Nalecz Konrad Korzeniowski - greift darin Ereignisse aus seinem Seemannsleben auf, als er 1888 in Südostasien zum ersten und einzigen Mal als Kapitän ein Schiff befehligte. Das Spätwerk eines großen Schriftstellers also - Conrad starb 1924 -, der mit den Augen des Alters und des sesshaft Gewordenen auf ein prägendes Erlebnis des jungen Seemanns zurückschaut.
Zugleich pulsiert in diesem Buch die neue Zeit, und das ist der Erste Weltkrieg, in den auch Conrads Sohn Borys gezogen ist. (Das Buch ist ihm und seiner Generation gewidmet.) Also: eine Kriegsgeschichte in Form einer Seegeschichte? Auch das ließe sich vertreten, wenn man sie als Drama der Prüfung eines jungen Mannes liest. Plötzlich erkennt der namenlose Ich-Erzähler, dass seine Besatzung an Tropenfieber erkrankt ist und der Geist seines Vorgängers noch über die Schiffsplanken zu wehen scheint; der Arzt hat ihm im Hafen von Bangkok die ominöse Botschaft hinterlassen, das Fieber werde wiederkommen.
"Die Schattenlinie" zeigt einen Mann, der erstmals völlig auf sich allein gestellt ist und nach bohrenden Selbstbefragungen moralische Entscheidungen treffen muss, deren Tragweite er kaum überschauen kann. Auf die Handlung kommt es Joseph Conrad nur insoweit an, als sie ihm ein Sprungbrett für die weit ausgreifende psychologische Erkundung seiner Figuren liefert. Wie auch die Erzählung "Der geheime Teilhaber", die den Band vervollständigt und ihren Stoff aus derselben Lebensetappe schöpft, lebt "Die Schattenlinie" vom Innehalten und der Reflexion. Conrad dehnt die Zeit nach Belieben, eines der Markenzeichen seines Schreibens. Der Titel bezieht sich auf die seelische Grenze, die junge Leute mit dem Eintritt in die "bewusstere, auch bitterere Periode des reiferen Lebens" überschreiten.
Die deutsche Ausgabe ist musterhaft. Der Göttinger Anglist Daniel Göske hat nicht nur eine souveräne, leichtfüßige Übertragung geliefert, sondern auch ein kluges Nachwort geschrieben sowie ein Glossar zu nautischen Begriffen und eine fünfzigseitige Chronik zu Conrads Leben dazugestellt. In dieser Form leuchtet Conrads Kunst - die Vertiefung und Intensivierung der Psychologie, die Erfassung des krisenhaften Augenblicks - noch heller.
Joseph Conrad hat mehr für die moderne Romantechnik getan als andere, deren ostentative Modernität offen zutage liegt. Noch immer staunt man darüber, dass dieser Französisch sprechende Pole erst als junger Mann Englisch lernte - seinen starken osteuropäischen Akzent verlor er nie - und wohl nur durch die Liebe zu dieser Literatursprache zum Schriftsteller wurde.
Paul Ingendaay
Joseph Conrad: "Die Schattenlinie. Der geheime Teilhaber". Kommentiert und aus dem Englischen übersetzt von Daniel Göske. Hanser, 420 Seiten, 30 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einer der großen Seeschriftsteller in einer hinreißenden Ausgabe: Joseph Conrads "Die Schattenlinie"
Die Buchausgabe des Romans "Die Schattenlinie" erschien vor ziemlich genau hundert Jahren, im April 1917. Joseph Conrad - mit bürgerlichem Namen Józef Teodor Nalecz Konrad Korzeniowski - greift darin Ereignisse aus seinem Seemannsleben auf, als er 1888 in Südostasien zum ersten und einzigen Mal als Kapitän ein Schiff befehligte. Das Spätwerk eines großen Schriftstellers also - Conrad starb 1924 -, der mit den Augen des Alters und des sesshaft Gewordenen auf ein prägendes Erlebnis des jungen Seemanns zurückschaut.
Zugleich pulsiert in diesem Buch die neue Zeit, und das ist der Erste Weltkrieg, in den auch Conrads Sohn Borys gezogen ist. (Das Buch ist ihm und seiner Generation gewidmet.) Also: eine Kriegsgeschichte in Form einer Seegeschichte? Auch das ließe sich vertreten, wenn man sie als Drama der Prüfung eines jungen Mannes liest. Plötzlich erkennt der namenlose Ich-Erzähler, dass seine Besatzung an Tropenfieber erkrankt ist und der Geist seines Vorgängers noch über die Schiffsplanken zu wehen scheint; der Arzt hat ihm im Hafen von Bangkok die ominöse Botschaft hinterlassen, das Fieber werde wiederkommen.
"Die Schattenlinie" zeigt einen Mann, der erstmals völlig auf sich allein gestellt ist und nach bohrenden Selbstbefragungen moralische Entscheidungen treffen muss, deren Tragweite er kaum überschauen kann. Auf die Handlung kommt es Joseph Conrad nur insoweit an, als sie ihm ein Sprungbrett für die weit ausgreifende psychologische Erkundung seiner Figuren liefert. Wie auch die Erzählung "Der geheime Teilhaber", die den Band vervollständigt und ihren Stoff aus derselben Lebensetappe schöpft, lebt "Die Schattenlinie" vom Innehalten und der Reflexion. Conrad dehnt die Zeit nach Belieben, eines der Markenzeichen seines Schreibens. Der Titel bezieht sich auf die seelische Grenze, die junge Leute mit dem Eintritt in die "bewusstere, auch bitterere Periode des reiferen Lebens" überschreiten.
Die deutsche Ausgabe ist musterhaft. Der Göttinger Anglist Daniel Göske hat nicht nur eine souveräne, leichtfüßige Übertragung geliefert, sondern auch ein kluges Nachwort geschrieben sowie ein Glossar zu nautischen Begriffen und eine fünfzigseitige Chronik zu Conrads Leben dazugestellt. In dieser Form leuchtet Conrads Kunst - die Vertiefung und Intensivierung der Psychologie, die Erfassung des krisenhaften Augenblicks - noch heller.
Joseph Conrad hat mehr für die moderne Romantechnik getan als andere, deren ostentative Modernität offen zutage liegt. Noch immer staunt man darüber, dass dieser Französisch sprechende Pole erst als junger Mann Englisch lernte - seinen starken osteuropäischen Akzent verlor er nie - und wohl nur durch die Liebe zu dieser Literatursprache zum Schriftsteller wurde.
Paul Ingendaay
Joseph Conrad: "Die Schattenlinie. Der geheime Teilhaber". Kommentiert und aus dem Englischen übersetzt von Daniel Göske. Hanser, 420 Seiten, 30 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Ein hinreißendes Werk der Hanser Klassiker... Die neue deutsche Übersetzung trifft den ganz speziellen, sehr kargen, sehr sprungreichen Stil von Joseph Conrad." Andreas Isenschmid, 3sat Kultur, 27.06.17
"Was in jedem Fall und durch alle sprachlichen Besonderheiten hindurch immer spürbar bleibt, ist Conrads grandioses Vermögen, existenzielle Erfahrungen zu beschreiben, mit melancholischer Energie und einem untrüglichen Blick für Ambivalenzen... 'Die Schattenlinie' liest man mit angehaltenem Atem." Martin Zingg, NZZ am Sonntag, 28.05.17
"Der Roman hat die Lakonie eines Hemingway, man begegnet existentialistischen Momenten und Ideen eines Albert Camus und er hat etwas Magisch-Realistisches - Marquez ist auch mit im Boot." Peter Henning, Deutschlandfunk "Büchermarkt", 23.05.17
"Ich habe das atemlos gelesen!" Angela Gutzeit, Deutschlandfunk "Büchermarkt", 23.05.17
"Dem Schriftsteller gelingt das Kunststück, die Moderne als Abenteuer zu erzählen... Die neueÜbersetzung schließt sich solcher Perfektion an und ist so schön und folgerichtig wie die Gestaltung des Buches." Jan Küveler, Die Welt, 13.05.17
"Joseph Conrad hat von sich selbst gefordert, jeder Satz müsse seine Rechtfertigung in sich selber tragen. Und sein in dieser Hinsicht mächtigstes Buch ist 'Die Schattenlinie'. Es liest sich, als wäre es erst gestern geschrieben worden und wurde doch vor genau einem Jahrhundert publiziert. Man nennt das zurecht Zeitlosigkeit. ... Die Weltliteratur hat wenig zu bieten, was meines Erachtens ermutigender wäre, als Joseph Conrad." Markus Gasser, YouTube "LITERATUR IST ALLES", 18.03.17
"Was in jedem Fall und durch alle sprachlichen Besonderheiten hindurch immer spürbar bleibt, ist Conrads grandioses Vermögen, existenzielle Erfahrungen zu beschreiben, mit melancholischer Energie und einem untrüglichen Blick für Ambivalenzen... 'Die Schattenlinie' liest man mit angehaltenem Atem." Martin Zingg, NZZ am Sonntag, 28.05.17
"Der Roman hat die Lakonie eines Hemingway, man begegnet existentialistischen Momenten und Ideen eines Albert Camus und er hat etwas Magisch-Realistisches - Marquez ist auch mit im Boot." Peter Henning, Deutschlandfunk "Büchermarkt", 23.05.17
"Ich habe das atemlos gelesen!" Angela Gutzeit, Deutschlandfunk "Büchermarkt", 23.05.17
"Dem Schriftsteller gelingt das Kunststück, die Moderne als Abenteuer zu erzählen... Die neueÜbersetzung schließt sich solcher Perfektion an und ist so schön und folgerichtig wie die Gestaltung des Buches." Jan Küveler, Die Welt, 13.05.17
"Joseph Conrad hat von sich selbst gefordert, jeder Satz müsse seine Rechtfertigung in sich selber tragen. Und sein in dieser Hinsicht mächtigstes Buch ist 'Die Schattenlinie'. Es liest sich, als wäre es erst gestern geschrieben worden und wurde doch vor genau einem Jahrhundert publiziert. Man nennt das zurecht Zeitlosigkeit. ... Die Weltliteratur hat wenig zu bieten, was meines Erachtens ermutigender wäre, als Joseph Conrad." Markus Gasser, YouTube "LITERATUR IST ALLES", 18.03.17