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Kaum vorstellbar, daß Großonkel Wilhelm und Opa Heinrich, zwei biedere Kleinbürger, anno 1928 tatsächlich einen Schatz geraubt haben sollen. Aber Onkel Leo, der leider meist einzige Mann in Maria Mendels Leben, behauptet es steif und fest. Sein ewiges Schwadronieren geht Maria so sehr auf die Nerven, daß sie auf Schatzsuche geht. Doch was sie findet, hat niemand erwartet. "

Produktbeschreibung
Kaum vorstellbar, daß Großonkel Wilhelm und Opa Heinrich, zwei biedere Kleinbürger, anno 1928 tatsächlich einen Schatz geraubt haben sollen. Aber Onkel Leo, der leider meist einzige Mann in Maria Mendels Leben, behauptet es steif und fest. Sein ewiges Schwadronieren geht Maria so sehr auf die Nerven, daß sie auf Schatzsuche geht. Doch was sie findet, hat niemand erwartet.
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Autorenporträt
Hans Werner Kettenbach, geboren 1928, war Journalist und zuletzt stellvertretender Chefredakteur beim 'Kölner Stadt-Anzeiger'. Mit fünfzig schrieb er seinen ersten Roman. Insgesamt sind fünfzehn Romane erschienen, von denen fünf verfilmt wurden. Die Kritik hat sie mit den Werken von Sjöwall / Wahlöö ('Plärrer'), Simenon und Patricia Highsmith (FAZ) verglichen. 2009 erhielt Kettenbach den »Ehrenglauser« für sein Lebenswerk. Er starb am 5. Januar 2018 in Köln.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.06.1999

Jäger des vergrabenen Schatzes
Tiefschürfend: Hans Werner Kettenbach sucht die Spannung

Hans Werner Kettenbach ist ein spätberufener Autor. Er war fünfzig, als er seinen ersten Roman veröffentlichte. Jetzt ist er siebzig, und die Liste seiner Bücher wird, wie beim alten Fontane, lang und länger. Es ist ein respektables Werk. Krimis sind darunter, Liebesgeschichten und politische Stoffe. Immer ist der "plot" fein angelegt, und stets tritt er hinter dem Eigentlichen zurück, der Macht der Verhältnisse über die Menschen. Beide befinden sich, so hätte man früher gesagt, in einem objektiven Gegensatz. Und daraus entspringt, weil der Sieger feststeht, des Autors und des Lesers Mitgefühl. Kettenbachs Helden sind beschädigt, aber sie sind Charaktere geblieben in einem Umfeld, das Flexibilität verlangt. Sie erinnern an einen alten, fleckigen Kerzenleuchter, der nicht viel hermacht, aber seinen Dienst noch verrichten könnte - wenn nicht ein Lichtschalter so viel bequemer, praktischer und moderner wäre.

Kettenbach, der in seinem Hauptberuf politischer Redakteur beim "Kölner Stadtanzeiger" war, hat mit seinen Romanen ein Panorama des deutschen Mittelstandes der achtziger und neunziger Jahre aufgezogen: dieses wohlhabenden, verstörten, hilf- und freudlosen Menschenschlages, dem die Katastrophen der Vergangenheit in den Knochen stecken und der für die kommenden so schlecht gerüstet ist. Daraus entstehen dann die stillen oder lauten Katastrophen seiner Bücher: In "Schmatz" macht der brutal-elegante Konkurrenzkampf in einer Werbeagentur den Helden zum Mörder, in "Davids Rache" wird die demonstrative Fremdenfreundlichkeit eines ach so liberalen deutschen Lehrerhaushalts auf die praktische Probe gestellt. Kettenbach, der Moralist, ist auch ein glänzender Unterhalter: eine wertvolle, eine seltene Kombination.

"Die Schatzgräber", Kettenbachs neuer Roman, ist sein umfangreichster; der beste ist er bei weitem nicht. Die Erzählerin ist eine ältere Dame, die mit ihrem noch etwas älteren Onkel zwar nicht zusammen-, aber doch nahe beieinander lebt. Die beiden bekochen einander und erzählen sich alte Geschichten, sehr ausführlich und etwas umständlich; Leo, der Onkel, nimmt es mit der Wahrheit nicht immer genau; "se non è vero, è ben trovato" könnte sein Wahlspruch sein. Sein Glanzstück nimmt ihm die Nichte deshalb nicht ab, sooft er es vorträgt: Es ist die Geschichte des Familienschatzes.

Dieser besteht laut Leo aus sechs Goldbarren, je zwölfeinhalb Kilo schwer, und liegt wohlverwahrt unter einem Pflaumenbaum. Es ist die Beute eines Banküberfalls, verübt von Leos Vater Heinrich und dessen Bruder Wilhelm. Begangen wurde das Verbrechen im Jahr 1928, das Fluchtauto mußte noch mit einer Kurbel angeworfen werden, und so wie Leo es erzählt, müssen auch Überfälle damals eine gemütliche Angelegenheit gewesen sein.

Mit der Gemütlichkeit war es dann bald vorbei. Die Nazis ergriffen die Macht, und die Gentlemen-Bankräuber, die eine Weile Gras über die Sache wachsen lassen wollten, kamen später, als das Gras hoch stand, nicht mehr an die Beute heran. Das Gelände wurde für die Wehrmacht beschlagnahmt, nach dem Krieg übernahmen es die Besatzer, schließlich wird es parzelliert, mit Eigenheimen bestückt ("Wohnen über dem Strom") und verkauft. Die ungläubige Erzählerin, der Onkelschnurren müde, recherchiert nach, macht den einstigen Obstgarten ausfindig und findet tatsächlich auf einer der Parzellen einen prächtigen Pflaumenbaum, Lützelsachser Frühzwetschge. Und wie es so kommt, freundet sie sich mit der Frau des Besitzers an, einer ständig beschickerten grünen Witwe, und wird eingeladen, für zwei Wochen das Haus zu hüten. Jetzt kann die Schatzgräberei losgehen!

Da sind wir allerdings schon auf Seite vierhundertfünfzig und haben endlose Erwägungen über die moralischen, juristischen und praktischen Probleme hinter uns bringen müssen. Wem gehört das Gold, wenn es denn dort liegt, und wem stünde es zu? Wie findet man die genaue Stelle, und wie verbirgt man die Spuren der Suche? Das sind nicht etwa verzögernde Momente, die die Spannung heben - vielmehr sinkt diese mit jeder Störung, jedem Zögern, jedem neuen Hindernis, bis sie auf dem Nullpunkt angelangt ist. Dieser Roman ist eine einzige Verzögerung.

Nun wäre dies nicht von Nachteil - es gibt ja berühmte Romane der Weltliteratur, die überhaupt nicht vom Fleck kommen, ohne daß man sich eine Sekunde langweilt. Dann müssen die Ablenkungen die Hauptsache aber immer an Kuriosität übertreffen. Dies gelingt Leo nicht, nicht der Erzählerin und Autor Kettenbach ebenfalls nicht. Die Vergangenheit der Familie, die Geschichte der rheinischen Kleinstadt, die Finanznöte der Tochter, die sich an einer windigen Filmfirma beteiligt hat, die herbstliche Liebe zu einem Arzt und die Sorge um den kränkelnden Leo: All dies wird breit ausgemalt, Bewegung und Leben gewinnt es nicht.

Einmal erhält die Erzählerin einen Teppich geschenkt. "Ich freute mich sehr darüber und bedankte mich": Solch formelhafte Nichtigkeiten durchziehen den Roman. Die Komik, die in dem Motiv der geheimen Schatzsuche angelegt ist und sich zu slapstickhaften Verwicklungen geradezu anbietet, friert Kettenbach durch sein schleppendes Erzähltempo und die Monotonie der Tonlage regelrecht ein. Er zeigt sich in diesem ausufernden Roman nicht als lächelnder Ironiker, sondern als verkappter Prediger, nicht als moraliste, sondern als moralisateur. So führt er etwa ein jüdisches Paar ein, das in der Nachbarschaft wohnte, von den Nazis deportiert wurde und über dessen Schicksal auch der fabulierfreudige Onkel Leo nichts zu sagen weiß. Dieses Motiv soll einen Schatten auf die fröhliche Rheinlandschaft werfen, läßt aber auch die Suche nach dem Schatz als Gier nach dem schnöden Mammon schäbig aussehen. Das ist unfair vom Autor und unklug: Gegen Auschwitz ist alles nichts, also auch das, wovon er über fünfhundert Seiten handelt.

Es gibt auch stärkere Passagen in diesem Roman. Ein paar Einblicke in die Bank gehören dazu, in der die Erzählerin arbeitet und den Druck von oben nach unten weitergeben muß. Am überzeugendsten jedoch erzählt Kettenbach dort, wo der Onkel seine Phantasie von der Leine läßt oder die Nichte sich hineinträumt in ihre Mitmenschen und dahinsegelt auf dem Schiff ihrer Vorstellungskraft. Mehr, mehr, möchte man ausrufen - und schon stranden wir bei der strengen Beschreibung einer Marmorkuchenkuvertüre oder eines Abendessens und müssen Sätze lesen wie: "Leo fragte, was wir als Aperitif trinken möchten, und Dagmar nahm einen Martini und der Oberregierungsrat ein Glas Weißwein, Leo zögerte, blieb dann beim Bier, und ich schloß mich ihm an."

Schön wäre es, wenn man auf diesen Roman das Gleichnis vom Schatz im Acker anwenden könnte. Dort durchwühlten die Erben bekanntlich das Feldstück, drehten jeden Stein um, fanden aber nichts. Dafür brachte der so gründlich bearbeitete Boden üppige Ernten hervor: der eigentliche Schatz, den der kluge Erblasser gemeint hatte. In Kettenbachs "Schatzgräbern" hat der Leser die Mühe, aber die Ernte fällt mager aus.

MARTIN EBEL

Hans Werner Kettenbach: "Die Schatzgräber". Roman. Diogenes Verlag, Zürich 1998. 540 S., geb., 44,- DM.

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