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Produktdetails
  • Verlag: Ravensburger
  • ISBN-13: 9783473391165
  • ISBN-10: 3473391166
  • Artikelnr.: 23935144
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010

Nun aber ratz, fatz zum Duell, mein Lieber!

Da staunt nicht nur der Viktorianer: Robert Louis Stevenson bringt uns Zwielichtiges aus Samoa, einen schottischen Finsterling und Neues von der Schatzinsel.

Von Werner von Koppenfels

Kurz vor seinem Tod auf Samoa, wohin ihn seine schottische Sehnsucht nach südlicher Exotik und seine Tuberkulose verschlagen hatten, schrieb R. L. Stevenson eine Geschichte, die weder im Oxford Companion to English Literature noch im Kindler Erwähnung findet. Sie heißt "Der Strand von Falesá" (1892). Er selbst hielt sie mit gutem Grund für seine beste, aber das viktorianische Publikum vermisste die erwartete Dosis Südseeromantik. Erst spät wurde sie durch eine endlich unverfälschte Edition, die jetzt in einer guten deutschen Übersetzung vorliegt, aus ihrem Schattendasein erlöst. Der Protagonist und Erzähler, ein "gewöhnlicher gottverdammter Weißer", illusionslos und gewalttätig, im Umfeld allerhand angeschwemmtes Strandgut aus der Alten Welt, dazu die offen sexuelle Anziehung zwischen dem Helden und einer "Braunen" und ein schockierend kritischer Blick auf koloniale Praktiken - so etwas war man vom populären Autor der "Schatzinsel", historischer Abenteuerromane und unterhaltsamer Reiseskizzen nicht gewohnt. Der Verlag setzte den Rotstift an.

In "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" hatte Stevenson die anstößige Grenzverschiebung von Gut und Böse noch mit den Mitteln der Phantastik inszeniert. Nun aber belauern sich Wiltshire, der Erzähler, und Case, sein dämonischer Gegenspieler, im moralischen Zwielicht einer Dschungelwelt, die - wie später bei Joseph Conrad - zugleich nüchtern gesehener Schauplatz der Handlung und symbolische Landschaft ist, "voll unsichtbarer Augen". Der Weiße wird in seiner Rolle als Kolonialisator durch den unergründlichen Blick der Fremde in Frage gestellt. Wiltshire, der auf einer der Inseln eine Handelsstation übernimmt, sieht sich kurz nach seinem Einzug von Eingeborenen belagert, die ihn stumm wie Götzenbilder anstarren, "als ob ich auf dem Galgenpodest stünde und diese lieben Leute gekommen wären, mich hängen zu sehen".

Kein Wunder, dass der solcherart Ausgegrenzte mit Wut reagiert. Was ist das auch für eine verkehrte Welt, in der "ein Neger als Weißer gezählt wird - ebenso wie ein Chinese". Man müsste den Eingeborenen wieder Respekt vor den Weißen beibringen: "Wir brauchen einen Soldaten, einen Deutschen, wenn möglich - die wissen, wie man mit kanakas (polynesisches Wort für Mensch) umgeht." Doch indem Wilt-shire sich auf die Fremde einlässt, wird er zum Entdecker des Unbekannten, nicht zuletzt im eigenen Bewusstsein.

Der erste Schritt ist ein Akt des Zynismus, zu dem Case ihn anstiftet: die Scheinheirat mit Uma, einer Inselschönen, beglaubigt durch eine höhnische ,Urkunde', die den Freier berechtigt, die Braut schon am nächsten Morgen zur Hölle zu jagen - Uma wird sie wie einen Schatz hüten. Später, nachdem er sich lang genug für seine Zuneigung zu einer kanaka geschämt hat, zerreißt Wiltshire den Fetzen vor ihren Augen, um sich erneut, und diesmal rechtmäßig, von einem Missionar mit ihr verheiraten zu lassen.

Seine Abkehr von Case vollzieht sich schrittweise. Zuerst, als er merkt, dass dieser die Eingeborenen gegen ihn aufhetzt, um sein Geschäft zu ruinieren, verprügelt er ihn in einer wilden Rauferei. Nachdem ihn der Missionar in das Terrorregime eingeweiht hat, das Case über die Einheimischen ausübt, indem er ihren Aberglauben ausbeutet, wagt er sich auf einem nächtlichen Dschungelgang, dem Höhepunkt des Ganzen, ins Herz der Finsternis. Er jagt den Teufelstempel seines Gegenspielers in die Luft und bringt ihn selbst nach einem Zweikampf auf Leben und Tod zur Strecke.

Doch der Ausklang ist alles andere als triumphal. Wiltshires Traum von einer Heimkehr als Schankwirt in England liegt in unerreichbarer Ferne, und er sorgt sich um die Zukunft seiner Töchter. Sie sind natürlich nur Mischlinge, "und niemand denkt schlechter von Mischlingen als ich, aber sie sind meine und so ziemlich alles, was ich habe" - wo in aller Welt soll er weiße Schwiegersöhne finden? Wie bei seinem ersten Blick auf die Insel ist es am Ende "weder Nacht noch Morgen".

Ein nächtliches Duell mit dem dämonischen Widersacher steht auch im Zentrum der zweiten Stevenson-Ausgrabung des Jahres - ohne dass (o Wunder) ein dezimales Jubiläum diesen Entdeckungen nachgeholfen hätte. Der 1890 veröffentlichte und als "Wintergeschichte" untertitelte Roman "The Master of Ballantrae" spielt freilich in anderen Breiten und Zeiten und bei deutlich kühlerer Außentemperatur. Ein düsteres schottisches Herrenhaus, regenverhangene Moorlandschaft, dazu der tragische letzte Aufstand der Stuart-Anhänger von 1745 als historischer Hintergrund: Dies ist die Atmosphäre, in der die bittere Rivalität zweier ungleicher Brüder ihren tödlichen Verlauf nimmt.

Beim älteren, dem "Master", ist die Verwandtschaft mit den düster-attraktiven Byronschen Helden und letztlich mit Miltons Satan unverkennbar; Mr. Henry, der Jüngere, verkörpert die heimeligen viktorianischen Tugenden, darin unterstützt von seinem getreuen Verwalter, der als Icherzähler die Ungeheuerlichkeiten der Handlung zu bezeugen hat. Als der Master auf dem Feld der Ehre verschollen ist, erbt Henry den Titel und die Braut des Bruders. Doch dieser schafft es wie ein Untoter, das vermeintliche Ende auf dem Schlachtfeld, im Zweikampf und sogar als lebendig Begrabener zu überleben, Letzteres freilich nicht allzu lange. Wie so oft in der viktorianischen Literatur, wenn sie ihrer Verpflichtung zum Realismus müde wird, und erst recht bei Stevenson, fungiert hier der ,Andere' als vampirhafter Doppelgänger des ordentlichen Bürgers und als Triebfeder der Intrige. Der Böse versteht es, zum moralfreien Genuss des Lesers, dem Guten immer wieder die Schau zu stehlen.

Von Melanie Walz vorzüglich übersetzt und kommentiert, legt der mare Verlag diesen bei uns wenig bekannten Text in einer auch äußerlich schönen Ausgabe vor. Auf der Kassette preisen Henry James und G. K. Chesterton das Werk in höchsten Tönen. Da wäre es kleinlich, an der reichlich anämischen Heldin herumzumäkeln (der Autor zählt sie zu seinen "missratenen Kindern") oder an den Zumutungen des Plot, besonders was die zeitweilige Piratenlaufbahn des Protagonisten und seinen bis zuletzt ungehobenen Schatz betrifft.

In puncto Piraten und Schatzsuche konnte Stevenson unmöglich seine eigene "Schatzinsel" je übertreffen. Zahllose Übertragungen und Bearbeitungen bezeugen ihre unbestreitbare Unsterblichkeit. Die neueste, soeben bei Reclam erschienene Version von Ulrich Bossier will, laut Klappentext, die packende Geschichte ins einundzwanzigste Jahrhundert transportieren und ihr neue Frische geben. Diese Absicht kommt besonders den Dialogen zugute, die mit nautischen Fachbegriffen, flotter Idiomatik und ein wenig Waterkant-Deutsch aufgefrischt werden.

Manchmal allerdings klingt der Verkehrston für den Kontext allzu familiär. Wer bei der Order an die Adresse eines Untergebenen "my man" mit "mein Guter" übersetzt, macht sich falsche Vorstellungen über das gemütliche Miteinander an Bord eines englischen Schiffes von anno dazumal. Andererseits koexistiert das neudeutsche "ratz, fatz" oder das etwas ältere "zack, zack" unbehaglich mit der regelmäßig verwendeten Anredeformel "ihr" und "euch".

Die knappe Direktheit, die den Augenzeugenbericht des jugendlichen Erzählers auszeichnet, wird immer wieder aufgeweicht, ja aufgeschwemmt. "Als ich zu mir kam, hatte das Scheusal seinem kurzfristig derangierten Zustand bereits abgeholfen", heißt es, nachdem Long John Silver, der brillante Bösewicht der Geschichte, gerade einen Kameraden per Krückenwurf ermordet hat. Im Original steht: "When I came again to myself, the monster had pulled himself together." Übersetzerschwulst passt zur "Schatzinsel" wie die Faust aufs Auge. Und warum muss Silvers Papagei, den der Autor mit genialer Frechheit aus "Robinson Crusoe" entwendet hat, eigentlich "Piaster, Piaster" kreischen, statt wie bisher üblich "Escudos" oder "Dublonen"? Die ägyptische Währung hat in dieser Geschichte nun wirklich nichts verloren.

Robert Louis Stevenson: "Der Strand von Falesá". Übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Jung und Jung, Salzburg und Wien 2010. 131 S., geb., 18,95 [Euro].

Ders.: "Die Schatzinsel". Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier. Nachwort von Burkhard Niederhoff. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 326 S., geb., 22,95 [Euro].

Ders.: "Der Master von Ballantrae". Eine Wintergeschichte. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. mare Verlag, Hamburg 2010. 352 S., geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.01.2011

Des toten Mannes Kiste
Die „Schatzinsel“ von Robert Louis Stevenson
in einer neuen Prachtausgabe
Bücher gibt es, die werden durch ihren übergroßen Ruhm gewissermaßen ausgelöscht. Jeder meint sie zu kennen, ohne sie eigentlich je gelesen zu haben. Hierzu gehören der Don Quixote , Dantes Göttliche Komödie – und nicht zuletzt Die Schatzinsel , Treasure Island von Robert Louis Stevenson. Als Schallplatte, als Adventsvierteiler im Fernsehen, als stark überarbeitetes Jugendbuch nahm sie breiten Raum in der Kindheit auch des Rezensenten ein, so dass er bislang gar nicht auf den Gedanken gekommen war, sich dem Original zuzuwenden, hielt er die Geschichte doch für etwas, das mit den frühen Jahren versunken ist.
Nun hat sich der Verlag Sauerländer an eine Hebung des Werks gewagt. Der schwierigen Mitte zwischen Jugendlektüre und vollwertiger Literatur, die es stets eingenommen hat, sucht er zu entsprechen, indem er einerseits Stevensons ungeschmälerten Text bietet, ihn aber andererseits auf eine Weise präsentiert, dass er auch junge Leser in den Bann zu schlagen vermag.
Der erwachsene Leser, erstmals mit dem Original konfrontiert, erstaunt zunächst einmal, über das ihm Erinnerliche hinaus, über das große Können, das Stevenson beim Bau der Geschichte an den Tag legt. Spannender fast als die Geschehnisse auf der Insel selbst gestaltet sich die lange, zweigeteilte Exposition. Alles nimmt seinen Anfang in dem abgelegenen Küsten-Gasthof zum „Admiral Benbow“, wo der Erzähler, der junge Jim Hawkins, aufwächst. Wie alt mag er sein? Die Frage ist nicht unwichtig, denn sie entscheidet mit darüber, ab welchem Alter man das Buch empfehlen möchte. Er wird nicht weniger als dreizehn, kaum mehr als sechzehn Jahre zählen; und so kann jeder Leser ab etwa zehn Jahren, der sich sehnsuchtsvoll mit einem etwas älteren Jungen und dessen erweiterten Lebens-Möglichkeiten identifiziert, die Handlung mit Genuss verschlingen. Die Geschichte beginnt langsam mit der Einquartierung des „alten Seebären“, der offenbar ein Geheimnis verbirgt und sich vor Verfolgern fürchtet; sie beschleunigt, als diese Verfolger – erst der Schwarze Hund, dann der furchtbare Blinde Pew – wirklich eintreffen; sie überschlägt sich mit dem Angriff der Halunken auf den Gasthof und dem Auftauchen der Schatzkarte. Dann wechselt sie, wiederum etwas ruhiger geworden, dabei aber die Erwartung des Lesers immer weiter lockend, in ihre zweite Phase, als in Bristol das Schiff zur Schatzsuche ausgerüstet wird, die Mannschaft anheuert und es endlich auf See geht. Hier nun erst hat das Kernpersonal Gelegenheit, sich deutlicher zu zeigen: Squire Trelawney, der Finanzier, aufbrausend und angesichts des großen Geheimnisses etwas zu schwatzhaft, aber grundsolide; der kühle und beherzte Arzt Livesey; der strenge Kapitän Smolett; und die faszinierendste Figur im Buch, der Schiffskoch Silver, einbeiniger Veteran, liebenswürdig, charismatisch und aalglatt, der – man ahnt es bald – nicht nur das Essen für die Mannschaft, sondern sein eigenes Süppchen kocht. Die Ahnung wird zur Gewissheit am Wendepunkt des Romans, als Jim, der in der Apfeltonne eingeschlafen ist, zufällig mithört, wie Silver nachts der Mannschaft seine Pläne darlegt; und es verschlägt Jim nicht weniger als dem Leser den Atem, als ihm klar wird, dass sich hier fast die ganze alte Crew von Käpt’n Flint versammelt hat, jenem Seeräuber, nach dessen märchenhaftem Schatz alle gieren.
Nun sind die Fronten klar und die Gefahren offen; und obwohl die Handlung bis zum Schluss nichts von ihrem Schwung verliert, verringert sich doch über solcher Klarheit die Qualität des Zwielichtigen. Auch begeht Stevenson nun ein paar narrative Fehler, von denen der Umstand, dass er den einbeinigen Silver „bis zu den Knien“ in einen Überrock steckt, noch der kleinste ist. Als abträglich erweist sich besonders, dass die Erzählerrolle aus praktischen Rücksichten zwischendurch für längere Zeit auf den Schiffsarzt übergeht. Und was eigentlich gibt den „Guten“ das ausschließliche Recht auf jenen Schatz, den die Piraten sich doch zuvor auf sozusagen ehrliche Weise zusammengestohlen haben? Das steht nirgends zur Debatte. Aber zu mächtiger Präsenz gelangt die ambivalente Figur des John Silver, und immer wieder überrascht die Eindringlichkeit einzelner Szenen, etwa ganz zum Schluss, als die letzten drei Seeräuber, überwältigt und jeden Muts beraubt, darum flehen, doch auf dem absegelnden Schiff mitgenommen zu werden, sei es selbst zum Galgen in England – und doch ausgesetzt auf der Schatzinsel zurückbleiben müssen, deren entsetzliche Ödigkeit dem Leser erst jetzt aufgeht.
Was diese Ausgabe noch über den Text hinaus zum Erlebnis macht, sind die Illustrationen von John Lawrence. Um ihnen den nötigen Raum zu verschaffen, hat der Verlag ein großes, schweres Format gewählt. Auf diese Weise können diese herrlichen Farbholzschnitte sich ganz entfalten, manchmal über eine Doppelseite, die dann nur noch ein schmaler Streifen Text begleitet. So liest man nicht nur, wie der Blinde niedergeritten wird, man sieht es auch, das verstörte schwarze Pferd bäumt sich hoch auf, während der dämonischen Figur, die sich auf der Erde wälzt und mit ihr zu verwachsen scheint, der Blindenstock aus den entsetzlich gekrümmten Fingern fällt. Lawrence entbindet dem Holz, bei aller Grobheit, die es ihm vorgibt, die komplexesten Strukturen, er macht das Schiff mit Takelage und Aufbauten zu einem unheimlichen Lebewesen, und zu leben scheint auch das Wasser, das mit seinen Strömungen und Strudeln eine so wichtige Rolle spielt.
Jedem der sechs Teile des Buchs geht eine Doppelseite voraus, die eine kleine Vignette zeigt und sonst nur den Abrieb einer Brettermaserung, dass man bei den fünfzehn Mann auf des toten Mannes Kiste, die das finster gegrölte Leitlied des Buchs heraufbeschwört, selbst dabei zu sein glaubt. Es ist ein packendes Lese- und Bilderbuch geworden. BURKHARD MÜLLER
ROBERT LOUIS STEVENSON: Die Schatzinsel. Aus dem Englischen von Richard Mummendey. Mit Illustrationen von John Lawrence. Sauerländer 2010. 270 Seiten, 29,90 Euro.
Illustration aus Stevenson: Die Schatzinsel
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