Jim Hawkins begibt sich mit anderen Abenteurern auf See. Auf einer Insel im Pazifik suchen sie einen Schatz, den Piraten dort versteckt haben sollen. Auf der Fahrt dorthin trifft Jim auf Halunken und Seeräuber der gefährlichsten Sorte. Er besteht große Gefahren und erlebt seine größten Abenteuer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010Nun aber ratz, fatz zum Duell, mein Lieber!
Da staunt nicht nur der Viktorianer: Robert Louis Stevenson bringt uns Zwielichtiges aus Samoa, einen schottischen Finsterling und Neues von der Schatzinsel.
Von Werner von Koppenfels
Kurz vor seinem Tod auf Samoa, wohin ihn seine schottische Sehnsucht nach südlicher Exotik und seine Tuberkulose verschlagen hatten, schrieb R. L. Stevenson eine Geschichte, die weder im Oxford Companion to English Literature noch im Kindler Erwähnung findet. Sie heißt "Der Strand von Falesá" (1892). Er selbst hielt sie mit gutem Grund für seine beste, aber das viktorianische Publikum vermisste die erwartete Dosis Südseeromantik. Erst spät wurde sie durch eine endlich unverfälschte Edition, die jetzt in einer guten deutschen Übersetzung vorliegt, aus ihrem Schattendasein erlöst. Der Protagonist und Erzähler, ein "gewöhnlicher gottverdammter Weißer", illusionslos und gewalttätig, im Umfeld allerhand angeschwemmtes Strandgut aus der Alten Welt, dazu die offen sexuelle Anziehung zwischen dem Helden und einer "Braunen" und ein schockierend kritischer Blick auf koloniale Praktiken - so etwas war man vom populären Autor der "Schatzinsel", historischer Abenteuerromane und unterhaltsamer Reiseskizzen nicht gewohnt. Der Verlag setzte den Rotstift an.
In "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" hatte Stevenson die anstößige Grenzverschiebung von Gut und Böse noch mit den Mitteln der Phantastik inszeniert. Nun aber belauern sich Wiltshire, der Erzähler, und Case, sein dämonischer Gegenspieler, im moralischen Zwielicht einer Dschungelwelt, die - wie später bei Joseph Conrad - zugleich nüchtern gesehener Schauplatz der Handlung und symbolische Landschaft ist, "voll unsichtbarer Augen". Der Weiße wird in seiner Rolle als Kolonialisator durch den unergründlichen Blick der Fremde in Frage gestellt. Wiltshire, der auf einer der Inseln eine Handelsstation übernimmt, sieht sich kurz nach seinem Einzug von Eingeborenen belagert, die ihn stumm wie Götzenbilder anstarren, "als ob ich auf dem Galgenpodest stünde und diese lieben Leute gekommen wären, mich hängen zu sehen".
Kein Wunder, dass der solcherart Ausgegrenzte mit Wut reagiert. Was ist das auch für eine verkehrte Welt, in der "ein Neger als Weißer gezählt wird - ebenso wie ein Chinese". Man müsste den Eingeborenen wieder Respekt vor den Weißen beibringen: "Wir brauchen einen Soldaten, einen Deutschen, wenn möglich - die wissen, wie man mit kanakas (polynesisches Wort für Mensch) umgeht." Doch indem Wilt-shire sich auf die Fremde einlässt, wird er zum Entdecker des Unbekannten, nicht zuletzt im eigenen Bewusstsein.
Der erste Schritt ist ein Akt des Zynismus, zu dem Case ihn anstiftet: die Scheinheirat mit Uma, einer Inselschönen, beglaubigt durch eine höhnische ,Urkunde', die den Freier berechtigt, die Braut schon am nächsten Morgen zur Hölle zu jagen - Uma wird sie wie einen Schatz hüten. Später, nachdem er sich lang genug für seine Zuneigung zu einer kanaka geschämt hat, zerreißt Wiltshire den Fetzen vor ihren Augen, um sich erneut, und diesmal rechtmäßig, von einem Missionar mit ihr verheiraten zu lassen.
Seine Abkehr von Case vollzieht sich schrittweise. Zuerst, als er merkt, dass dieser die Eingeborenen gegen ihn aufhetzt, um sein Geschäft zu ruinieren, verprügelt er ihn in einer wilden Rauferei. Nachdem ihn der Missionar in das Terrorregime eingeweiht hat, das Case über die Einheimischen ausübt, indem er ihren Aberglauben ausbeutet, wagt er sich auf einem nächtlichen Dschungelgang, dem Höhepunkt des Ganzen, ins Herz der Finsternis. Er jagt den Teufelstempel seines Gegenspielers in die Luft und bringt ihn selbst nach einem Zweikampf auf Leben und Tod zur Strecke.
Doch der Ausklang ist alles andere als triumphal. Wiltshires Traum von einer Heimkehr als Schankwirt in England liegt in unerreichbarer Ferne, und er sorgt sich um die Zukunft seiner Töchter. Sie sind natürlich nur Mischlinge, "und niemand denkt schlechter von Mischlingen als ich, aber sie sind meine und so ziemlich alles, was ich habe" - wo in aller Welt soll er weiße Schwiegersöhne finden? Wie bei seinem ersten Blick auf die Insel ist es am Ende "weder Nacht noch Morgen".
Ein nächtliches Duell mit dem dämonischen Widersacher steht auch im Zentrum der zweiten Stevenson-Ausgrabung des Jahres - ohne dass (o Wunder) ein dezimales Jubiläum diesen Entdeckungen nachgeholfen hätte. Der 1890 veröffentlichte und als "Wintergeschichte" untertitelte Roman "The Master of Ballantrae" spielt freilich in anderen Breiten und Zeiten und bei deutlich kühlerer Außentemperatur. Ein düsteres schottisches Herrenhaus, regenverhangene Moorlandschaft, dazu der tragische letzte Aufstand der Stuart-Anhänger von 1745 als historischer Hintergrund: Dies ist die Atmosphäre, in der die bittere Rivalität zweier ungleicher Brüder ihren tödlichen Verlauf nimmt.
Beim älteren, dem "Master", ist die Verwandtschaft mit den düster-attraktiven Byronschen Helden und letztlich mit Miltons Satan unverkennbar; Mr. Henry, der Jüngere, verkörpert die heimeligen viktorianischen Tugenden, darin unterstützt von seinem getreuen Verwalter, der als Icherzähler die Ungeheuerlichkeiten der Handlung zu bezeugen hat. Als der Master auf dem Feld der Ehre verschollen ist, erbt Henry den Titel und die Braut des Bruders. Doch dieser schafft es wie ein Untoter, das vermeintliche Ende auf dem Schlachtfeld, im Zweikampf und sogar als lebendig Begrabener zu überleben, Letzteres freilich nicht allzu lange. Wie so oft in der viktorianischen Literatur, wenn sie ihrer Verpflichtung zum Realismus müde wird, und erst recht bei Stevenson, fungiert hier der ,Andere' als vampirhafter Doppelgänger des ordentlichen Bürgers und als Triebfeder der Intrige. Der Böse versteht es, zum moralfreien Genuss des Lesers, dem Guten immer wieder die Schau zu stehlen.
Von Melanie Walz vorzüglich übersetzt und kommentiert, legt der mare Verlag diesen bei uns wenig bekannten Text in einer auch äußerlich schönen Ausgabe vor. Auf der Kassette preisen Henry James und G. K. Chesterton das Werk in höchsten Tönen. Da wäre es kleinlich, an der reichlich anämischen Heldin herumzumäkeln (der Autor zählt sie zu seinen "missratenen Kindern") oder an den Zumutungen des Plot, besonders was die zeitweilige Piratenlaufbahn des Protagonisten und seinen bis zuletzt ungehobenen Schatz betrifft.
In puncto Piraten und Schatzsuche konnte Stevenson unmöglich seine eigene "Schatzinsel" je übertreffen. Zahllose Übertragungen und Bearbeitungen bezeugen ihre unbestreitbare Unsterblichkeit. Die neueste, soeben bei Reclam erschienene Version von Ulrich Bossier will, laut Klappentext, die packende Geschichte ins einundzwanzigste Jahrhundert transportieren und ihr neue Frische geben. Diese Absicht kommt besonders den Dialogen zugute, die mit nautischen Fachbegriffen, flotter Idiomatik und ein wenig Waterkant-Deutsch aufgefrischt werden.
Manchmal allerdings klingt der Verkehrston für den Kontext allzu familiär. Wer bei der Order an die Adresse eines Untergebenen "my man" mit "mein Guter" übersetzt, macht sich falsche Vorstellungen über das gemütliche Miteinander an Bord eines englischen Schiffes von anno dazumal. Andererseits koexistiert das neudeutsche "ratz, fatz" oder das etwas ältere "zack, zack" unbehaglich mit der regelmäßig verwendeten Anredeformel "ihr" und "euch".
Die knappe Direktheit, die den Augenzeugenbericht des jugendlichen Erzählers auszeichnet, wird immer wieder aufgeweicht, ja aufgeschwemmt. "Als ich zu mir kam, hatte das Scheusal seinem kurzfristig derangierten Zustand bereits abgeholfen", heißt es, nachdem Long John Silver, der brillante Bösewicht der Geschichte, gerade einen Kameraden per Krückenwurf ermordet hat. Im Original steht: "When I came again to myself, the monster had pulled himself together." Übersetzerschwulst passt zur "Schatzinsel" wie die Faust aufs Auge. Und warum muss Silvers Papagei, den der Autor mit genialer Frechheit aus "Robinson Crusoe" entwendet hat, eigentlich "Piaster, Piaster" kreischen, statt wie bisher üblich "Escudos" oder "Dublonen"? Die ägyptische Währung hat in dieser Geschichte nun wirklich nichts verloren.
Robert Louis Stevenson: "Der Strand von Falesá". Übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Jung und Jung, Salzburg und Wien 2010. 131 S., geb., 18,95 [Euro].
Ders.: "Die Schatzinsel". Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier. Nachwort von Burkhard Niederhoff. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 326 S., geb., 22,95 [Euro].
Ders.: "Der Master von Ballantrae". Eine Wintergeschichte. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. mare Verlag, Hamburg 2010. 352 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Da staunt nicht nur der Viktorianer: Robert Louis Stevenson bringt uns Zwielichtiges aus Samoa, einen schottischen Finsterling und Neues von der Schatzinsel.
Von Werner von Koppenfels
Kurz vor seinem Tod auf Samoa, wohin ihn seine schottische Sehnsucht nach südlicher Exotik und seine Tuberkulose verschlagen hatten, schrieb R. L. Stevenson eine Geschichte, die weder im Oxford Companion to English Literature noch im Kindler Erwähnung findet. Sie heißt "Der Strand von Falesá" (1892). Er selbst hielt sie mit gutem Grund für seine beste, aber das viktorianische Publikum vermisste die erwartete Dosis Südseeromantik. Erst spät wurde sie durch eine endlich unverfälschte Edition, die jetzt in einer guten deutschen Übersetzung vorliegt, aus ihrem Schattendasein erlöst. Der Protagonist und Erzähler, ein "gewöhnlicher gottverdammter Weißer", illusionslos und gewalttätig, im Umfeld allerhand angeschwemmtes Strandgut aus der Alten Welt, dazu die offen sexuelle Anziehung zwischen dem Helden und einer "Braunen" und ein schockierend kritischer Blick auf koloniale Praktiken - so etwas war man vom populären Autor der "Schatzinsel", historischer Abenteuerromane und unterhaltsamer Reiseskizzen nicht gewohnt. Der Verlag setzte den Rotstift an.
In "Dr. Jekyll and Mr. Hyde" hatte Stevenson die anstößige Grenzverschiebung von Gut und Böse noch mit den Mitteln der Phantastik inszeniert. Nun aber belauern sich Wiltshire, der Erzähler, und Case, sein dämonischer Gegenspieler, im moralischen Zwielicht einer Dschungelwelt, die - wie später bei Joseph Conrad - zugleich nüchtern gesehener Schauplatz der Handlung und symbolische Landschaft ist, "voll unsichtbarer Augen". Der Weiße wird in seiner Rolle als Kolonialisator durch den unergründlichen Blick der Fremde in Frage gestellt. Wiltshire, der auf einer der Inseln eine Handelsstation übernimmt, sieht sich kurz nach seinem Einzug von Eingeborenen belagert, die ihn stumm wie Götzenbilder anstarren, "als ob ich auf dem Galgenpodest stünde und diese lieben Leute gekommen wären, mich hängen zu sehen".
Kein Wunder, dass der solcherart Ausgegrenzte mit Wut reagiert. Was ist das auch für eine verkehrte Welt, in der "ein Neger als Weißer gezählt wird - ebenso wie ein Chinese". Man müsste den Eingeborenen wieder Respekt vor den Weißen beibringen: "Wir brauchen einen Soldaten, einen Deutschen, wenn möglich - die wissen, wie man mit kanakas (polynesisches Wort für Mensch) umgeht." Doch indem Wilt-shire sich auf die Fremde einlässt, wird er zum Entdecker des Unbekannten, nicht zuletzt im eigenen Bewusstsein.
Der erste Schritt ist ein Akt des Zynismus, zu dem Case ihn anstiftet: die Scheinheirat mit Uma, einer Inselschönen, beglaubigt durch eine höhnische ,Urkunde', die den Freier berechtigt, die Braut schon am nächsten Morgen zur Hölle zu jagen - Uma wird sie wie einen Schatz hüten. Später, nachdem er sich lang genug für seine Zuneigung zu einer kanaka geschämt hat, zerreißt Wiltshire den Fetzen vor ihren Augen, um sich erneut, und diesmal rechtmäßig, von einem Missionar mit ihr verheiraten zu lassen.
Seine Abkehr von Case vollzieht sich schrittweise. Zuerst, als er merkt, dass dieser die Eingeborenen gegen ihn aufhetzt, um sein Geschäft zu ruinieren, verprügelt er ihn in einer wilden Rauferei. Nachdem ihn der Missionar in das Terrorregime eingeweiht hat, das Case über die Einheimischen ausübt, indem er ihren Aberglauben ausbeutet, wagt er sich auf einem nächtlichen Dschungelgang, dem Höhepunkt des Ganzen, ins Herz der Finsternis. Er jagt den Teufelstempel seines Gegenspielers in die Luft und bringt ihn selbst nach einem Zweikampf auf Leben und Tod zur Strecke.
Doch der Ausklang ist alles andere als triumphal. Wiltshires Traum von einer Heimkehr als Schankwirt in England liegt in unerreichbarer Ferne, und er sorgt sich um die Zukunft seiner Töchter. Sie sind natürlich nur Mischlinge, "und niemand denkt schlechter von Mischlingen als ich, aber sie sind meine und so ziemlich alles, was ich habe" - wo in aller Welt soll er weiße Schwiegersöhne finden? Wie bei seinem ersten Blick auf die Insel ist es am Ende "weder Nacht noch Morgen".
Ein nächtliches Duell mit dem dämonischen Widersacher steht auch im Zentrum der zweiten Stevenson-Ausgrabung des Jahres - ohne dass (o Wunder) ein dezimales Jubiläum diesen Entdeckungen nachgeholfen hätte. Der 1890 veröffentlichte und als "Wintergeschichte" untertitelte Roman "The Master of Ballantrae" spielt freilich in anderen Breiten und Zeiten und bei deutlich kühlerer Außentemperatur. Ein düsteres schottisches Herrenhaus, regenverhangene Moorlandschaft, dazu der tragische letzte Aufstand der Stuart-Anhänger von 1745 als historischer Hintergrund: Dies ist die Atmosphäre, in der die bittere Rivalität zweier ungleicher Brüder ihren tödlichen Verlauf nimmt.
Beim älteren, dem "Master", ist die Verwandtschaft mit den düster-attraktiven Byronschen Helden und letztlich mit Miltons Satan unverkennbar; Mr. Henry, der Jüngere, verkörpert die heimeligen viktorianischen Tugenden, darin unterstützt von seinem getreuen Verwalter, der als Icherzähler die Ungeheuerlichkeiten der Handlung zu bezeugen hat. Als der Master auf dem Feld der Ehre verschollen ist, erbt Henry den Titel und die Braut des Bruders. Doch dieser schafft es wie ein Untoter, das vermeintliche Ende auf dem Schlachtfeld, im Zweikampf und sogar als lebendig Begrabener zu überleben, Letzteres freilich nicht allzu lange. Wie so oft in der viktorianischen Literatur, wenn sie ihrer Verpflichtung zum Realismus müde wird, und erst recht bei Stevenson, fungiert hier der ,Andere' als vampirhafter Doppelgänger des ordentlichen Bürgers und als Triebfeder der Intrige. Der Böse versteht es, zum moralfreien Genuss des Lesers, dem Guten immer wieder die Schau zu stehlen.
Von Melanie Walz vorzüglich übersetzt und kommentiert, legt der mare Verlag diesen bei uns wenig bekannten Text in einer auch äußerlich schönen Ausgabe vor. Auf der Kassette preisen Henry James und G. K. Chesterton das Werk in höchsten Tönen. Da wäre es kleinlich, an der reichlich anämischen Heldin herumzumäkeln (der Autor zählt sie zu seinen "missratenen Kindern") oder an den Zumutungen des Plot, besonders was die zeitweilige Piratenlaufbahn des Protagonisten und seinen bis zuletzt ungehobenen Schatz betrifft.
In puncto Piraten und Schatzsuche konnte Stevenson unmöglich seine eigene "Schatzinsel" je übertreffen. Zahllose Übertragungen und Bearbeitungen bezeugen ihre unbestreitbare Unsterblichkeit. Die neueste, soeben bei Reclam erschienene Version von Ulrich Bossier will, laut Klappentext, die packende Geschichte ins einundzwanzigste Jahrhundert transportieren und ihr neue Frische geben. Diese Absicht kommt besonders den Dialogen zugute, die mit nautischen Fachbegriffen, flotter Idiomatik und ein wenig Waterkant-Deutsch aufgefrischt werden.
Manchmal allerdings klingt der Verkehrston für den Kontext allzu familiär. Wer bei der Order an die Adresse eines Untergebenen "my man" mit "mein Guter" übersetzt, macht sich falsche Vorstellungen über das gemütliche Miteinander an Bord eines englischen Schiffes von anno dazumal. Andererseits koexistiert das neudeutsche "ratz, fatz" oder das etwas ältere "zack, zack" unbehaglich mit der regelmäßig verwendeten Anredeformel "ihr" und "euch".
Die knappe Direktheit, die den Augenzeugenbericht des jugendlichen Erzählers auszeichnet, wird immer wieder aufgeweicht, ja aufgeschwemmt. "Als ich zu mir kam, hatte das Scheusal seinem kurzfristig derangierten Zustand bereits abgeholfen", heißt es, nachdem Long John Silver, der brillante Bösewicht der Geschichte, gerade einen Kameraden per Krückenwurf ermordet hat. Im Original steht: "When I came again to myself, the monster had pulled himself together." Übersetzerschwulst passt zur "Schatzinsel" wie die Faust aufs Auge. Und warum muss Silvers Papagei, den der Autor mit genialer Frechheit aus "Robinson Crusoe" entwendet hat, eigentlich "Piaster, Piaster" kreischen, statt wie bisher üblich "Escudos" oder "Dublonen"? Die ägyptische Währung hat in dieser Geschichte nun wirklich nichts verloren.
Robert Louis Stevenson: "Der Strand von Falesá". Übersetzt und herausgegeben von Alexander Pechmann. Jung und Jung, Salzburg und Wien 2010. 131 S., geb., 18,95 [Euro].
Ders.: "Die Schatzinsel". Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier. Nachwort von Burkhard Niederhoff. Philipp Reclam Verlag, Stuttgart 2010. 326 S., geb., 22,95 [Euro].
Ders.: "Der Master von Ballantrae". Eine Wintergeschichte. Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Melanie Walz. mare Verlag, Hamburg 2010. 352 S., geb., 29,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.04.2014Plädoyer
für Dösbaddel
Harry Rowohlt liest die neue
Übersetzung der Schatzinsel
Mit der Schatzinsel landete der bis dahin erfolglose Schriftsteller Robert Louis Stevenson das was man heute einen Bestseller nennt. Als Fortsetzungsgeschichte 1881 und 1882 in der Zeitschrift Young Folks erschienen, verkaufte sich die Buchfassung dieses so rasant zusammengesponnenen Seemannsgarns zigtausendfach. Nicht nur jugendliche Leser wurden von der Geschichte in Bann gezogen. Sondern auch Erwachsene. Es gab damals Stimmen, die es befremdlich fanden, dass aus angesehenen Männern plötzlich wieder schwärmerische Jungen würden. Freilich verhallten sie. Einfach viel zu gut war die exotische Abenteuer- und Piratengeschichte, als dass die Nachfrage nach dem Buch je wieder abebbte. Zu seinen Bewunderern zählten schon bald viele Schriftsteller.
Die Schatzinsel ist Weltliteratur. Sie als Jugendbuch abzustempeln, wird dem Werk nicht gerecht. Auch wenn uns dies die Kinder- und Jugendbuchverlage mit ihren verstümmelten Fassungen immer wieder glauben machen wollen. Im Zentrum steht die Gier nach Geld und wie diese die Menschen moralisch korrumpiert. Die letzen Worte des Romans lauten: „Dukaten! Dukaten!“
Vor gut einem halben Jahr brachte die Neuübersetzung von Andreas Nohl, erschienen im Hanser Verlag, den Roman wieder groß ins Gespräch. Hochgelobt wurde die „sprachliche Verdichtung“ des Originals. Freilich monierte man auch das eine oder andere. Muss es „Dösbaddel“ heißen, wenn der Rum gestärkte Billy Bones über Doktor Livesey herzieht? Die Beantwortung der Frage fällt nun leichter, weil Harry Rowohlt die neue Fassung ungekürzt eingelesen hat. Rowohlt ist bekanntlich gebürtiger Hamburger. Auf seine genüssliche Akzentuierung des Wortes „Dösbaddel“ möchte man nicht mehr verzichten.
Die achtstündige Hörbuchfassung wird sicherlich wieder viele für den Text begeistern. Kenner der Geschichte ebenso wie Neulinge, Erwachsene ebenso wie junge Hörer. Plädoyer: Letztere sollten dem Stoff in dieser Version erstmalig begegnen. Und nicht in einer für Kinder bearbeiteten, die nurmehr das Handlungsgerüst, aber wenig von Stevensons präziser, kraftvoller Sprache übrig lässt.
Harry Rowohlt liest so lebendig und frisch, dass man vergisst, dass der Text über 130 Jahre alt ist. Jede der Figuren erhält eine andere Stimmfarbe, und nimmt so vor unserem inneren Auge Gestalt an. Klar und deutlich Jim Hawkins, der Erzähler. Mit tief schnaubender und knarzender Stimme Billy Bones, der hünenhafte Seemann mit dem Säbelschmiss und dem unbändigen Durst. Vor allem ist er im Besitz der Schatzkarte von Captain Flint, hinter der die Piraten um den einbeinigen Schiffskoch Long John Silver her sind. Silver – laut Stevenson eine seiner Lieblingsfiguren – ist der intelligenteste von allen. In einem Augenblick noch einnehmender Charmeur, im nächsten hinterhältiger Mörder.
Manko des Hörbuchs ist die Aufmachung. Das Booklet beschränkt sich nur auf die nötigsten Informationen. Was umso misslicher ist, da das aufwendig gestaltete Hanser-Buch mit einem umfangreichen Anhang aufwartet. (ab 12 Jahre)
FLORIAN WELLE
Robert Louis Stevenson : Die Schatzinsel. Ungekürzte Lesung von Harry Rowohlt. Neu übersetzt von Andreas Nohl. 6 CDs, 8 Stunden 9 Minuten. Roof Music 2013, 17,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
für Dösbaddel
Harry Rowohlt liest die neue
Übersetzung der Schatzinsel
Mit der Schatzinsel landete der bis dahin erfolglose Schriftsteller Robert Louis Stevenson das was man heute einen Bestseller nennt. Als Fortsetzungsgeschichte 1881 und 1882 in der Zeitschrift Young Folks erschienen, verkaufte sich die Buchfassung dieses so rasant zusammengesponnenen Seemannsgarns zigtausendfach. Nicht nur jugendliche Leser wurden von der Geschichte in Bann gezogen. Sondern auch Erwachsene. Es gab damals Stimmen, die es befremdlich fanden, dass aus angesehenen Männern plötzlich wieder schwärmerische Jungen würden. Freilich verhallten sie. Einfach viel zu gut war die exotische Abenteuer- und Piratengeschichte, als dass die Nachfrage nach dem Buch je wieder abebbte. Zu seinen Bewunderern zählten schon bald viele Schriftsteller.
Die Schatzinsel ist Weltliteratur. Sie als Jugendbuch abzustempeln, wird dem Werk nicht gerecht. Auch wenn uns dies die Kinder- und Jugendbuchverlage mit ihren verstümmelten Fassungen immer wieder glauben machen wollen. Im Zentrum steht die Gier nach Geld und wie diese die Menschen moralisch korrumpiert. Die letzen Worte des Romans lauten: „Dukaten! Dukaten!“
Vor gut einem halben Jahr brachte die Neuübersetzung von Andreas Nohl, erschienen im Hanser Verlag, den Roman wieder groß ins Gespräch. Hochgelobt wurde die „sprachliche Verdichtung“ des Originals. Freilich monierte man auch das eine oder andere. Muss es „Dösbaddel“ heißen, wenn der Rum gestärkte Billy Bones über Doktor Livesey herzieht? Die Beantwortung der Frage fällt nun leichter, weil Harry Rowohlt die neue Fassung ungekürzt eingelesen hat. Rowohlt ist bekanntlich gebürtiger Hamburger. Auf seine genüssliche Akzentuierung des Wortes „Dösbaddel“ möchte man nicht mehr verzichten.
Die achtstündige Hörbuchfassung wird sicherlich wieder viele für den Text begeistern. Kenner der Geschichte ebenso wie Neulinge, Erwachsene ebenso wie junge Hörer. Plädoyer: Letztere sollten dem Stoff in dieser Version erstmalig begegnen. Und nicht in einer für Kinder bearbeiteten, die nurmehr das Handlungsgerüst, aber wenig von Stevensons präziser, kraftvoller Sprache übrig lässt.
Harry Rowohlt liest so lebendig und frisch, dass man vergisst, dass der Text über 130 Jahre alt ist. Jede der Figuren erhält eine andere Stimmfarbe, und nimmt so vor unserem inneren Auge Gestalt an. Klar und deutlich Jim Hawkins, der Erzähler. Mit tief schnaubender und knarzender Stimme Billy Bones, der hünenhafte Seemann mit dem Säbelschmiss und dem unbändigen Durst. Vor allem ist er im Besitz der Schatzkarte von Captain Flint, hinter der die Piraten um den einbeinigen Schiffskoch Long John Silver her sind. Silver – laut Stevenson eine seiner Lieblingsfiguren – ist der intelligenteste von allen. In einem Augenblick noch einnehmender Charmeur, im nächsten hinterhältiger Mörder.
Manko des Hörbuchs ist die Aufmachung. Das Booklet beschränkt sich nur auf die nötigsten Informationen. Was umso misslicher ist, da das aufwendig gestaltete Hanser-Buch mit einem umfangreichen Anhang aufwartet. (ab 12 Jahre)
FLORIAN WELLE
Robert Louis Stevenson : Die Schatzinsel. Ungekürzte Lesung von Harry Rowohlt. Neu übersetzt von Andreas Nohl. 6 CDs, 8 Stunden 9 Minuten. Roof Music 2013, 17,99 Euro.
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