Produktdetails
- Fischer Taschenbücher
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- Gewicht: 127g
- ISBN-13: 9783596257041
- ISBN-10: 3596257042
- Artikelnr.: 23986713
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.04.2008Das Ende des Glaspalasts
Bayerisch-französische Entente: Annette Kolb und „Die Schaukel”
Gibt es so etwas – beschwingte Denkmäler, heitere Epitaphe? Ja, in den Büchern von Annette Kolb gibt es das. Ihre Romane – vom Erstling „Das Exemplar” (1913) über „Daphne Herbst” (1928) bis zu „Die Schaukel” (1934) – leben von der Erinnerung an das München des Fin de Siècle und frühen 20. Jahrhunderts, sind Nachrufe auf das Lebensgefühl einer Epoche, die im Ersten Weltkrieg unterging. Aber die Sätze in strahlendem Dur haben darin gegenüber den Moll-Sequenzen das letzte Wort. Auch der letzte dieser drei Romane, noch in Deutschland erschienen und schon ein Buch des Exils, schlägt den Nachrufton aus.
Trotzig trägt er die von den Malern des Rokoko so hinreißend in Szene gesetzte, in Fontanes „Effi Briest” noch einmal weit ausschwingende Schaukel im Titel, das Symbol der Lebenslust, auf dem junge Mädchen der Schwerkraft zu entkommen und in den Himmel zu schweben scheinen. Einer seiner Dur-Sätze lautet: „Oh seht, wie hoch über alle hinaus die Schaukel mit ihr emporfliegt!” Das ist von Hespera gesagt, der charismatischen älteren Tochter im Hause Lautenschlag. Diese Familie hat Annette Kolb, die 1870 in München geboren wurde und fast ein Jahrhundert später, 1967, dort starb, nach ihrer eigenen Herkunftsfamilie modelliert: Hier wie dort ist der Vater Gartenarchitekt, die Mutter Pianistin französischer Herkunft. Das Zentrum der Familie bilden – jedenfalls im Roman – nicht die Eltern, sondern die Kinder, die Töchterschar mit dem Bruder. Allen voran die irrisierende jüngste, vorwitzige Tochter mit dem irritierenden Namen „Mathias”, in der die junge Annette Kolb selbst Gestalt gewinnt.
Nie ist München, nie ist Bayern in diesem Roman mit sich allein. Der französische Einschlag prägt nicht nur das Familienleben, sondern auch die Gesellschaft, zum kosmopolitisch-europäischen bildet das preußisch-protestantische Element in Gestalt der Familie des Universitätsprofessors von Zwinger ein satirisch gezeichnetes Gegengewicht. Der Konfessionskrieg unter den Familien zeugt von Annette Kolbs komödiantischem Talent.
Der Brand des Münchner Glaspalastes 1931 gibt dem Roman den Rahmen. Kurz vor dem Berliner Reichstagsbrand hatte Annette Kolb im Februar 1933 Deutschland verlassen. Die Erstausgabe enthielt eine Fußnote über die Juden: „Wir sind heute in Deutschland eine kleine Schar Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber bewußt bleibt. (Dieser Roman entstand 1934 in der Emigration.)” Die Fußnote erregte Aufsehen und musste in späteren Auflagen gestrichen werden. LOTHAR MÜLLER
Annette Kolb Foto: Süddeutsche Zeitung Photo
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Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Bayerisch-französische Entente: Annette Kolb und „Die Schaukel”
Gibt es so etwas – beschwingte Denkmäler, heitere Epitaphe? Ja, in den Büchern von Annette Kolb gibt es das. Ihre Romane – vom Erstling „Das Exemplar” (1913) über „Daphne Herbst” (1928) bis zu „Die Schaukel” (1934) – leben von der Erinnerung an das München des Fin de Siècle und frühen 20. Jahrhunderts, sind Nachrufe auf das Lebensgefühl einer Epoche, die im Ersten Weltkrieg unterging. Aber die Sätze in strahlendem Dur haben darin gegenüber den Moll-Sequenzen das letzte Wort. Auch der letzte dieser drei Romane, noch in Deutschland erschienen und schon ein Buch des Exils, schlägt den Nachrufton aus.
Trotzig trägt er die von den Malern des Rokoko so hinreißend in Szene gesetzte, in Fontanes „Effi Briest” noch einmal weit ausschwingende Schaukel im Titel, das Symbol der Lebenslust, auf dem junge Mädchen der Schwerkraft zu entkommen und in den Himmel zu schweben scheinen. Einer seiner Dur-Sätze lautet: „Oh seht, wie hoch über alle hinaus die Schaukel mit ihr emporfliegt!” Das ist von Hespera gesagt, der charismatischen älteren Tochter im Hause Lautenschlag. Diese Familie hat Annette Kolb, die 1870 in München geboren wurde und fast ein Jahrhundert später, 1967, dort starb, nach ihrer eigenen Herkunftsfamilie modelliert: Hier wie dort ist der Vater Gartenarchitekt, die Mutter Pianistin französischer Herkunft. Das Zentrum der Familie bilden – jedenfalls im Roman – nicht die Eltern, sondern die Kinder, die Töchterschar mit dem Bruder. Allen voran die irrisierende jüngste, vorwitzige Tochter mit dem irritierenden Namen „Mathias”, in der die junge Annette Kolb selbst Gestalt gewinnt.
Nie ist München, nie ist Bayern in diesem Roman mit sich allein. Der französische Einschlag prägt nicht nur das Familienleben, sondern auch die Gesellschaft, zum kosmopolitisch-europäischen bildet das preußisch-protestantische Element in Gestalt der Familie des Universitätsprofessors von Zwinger ein satirisch gezeichnetes Gegengewicht. Der Konfessionskrieg unter den Familien zeugt von Annette Kolbs komödiantischem Talent.
Der Brand des Münchner Glaspalastes 1931 gibt dem Roman den Rahmen. Kurz vor dem Berliner Reichstagsbrand hatte Annette Kolb im Februar 1933 Deutschland verlassen. Die Erstausgabe enthielt eine Fußnote über die Juden: „Wir sind heute in Deutschland eine kleine Schar Christen, die sich ihrer Dankesschuld dem Judentum gegenüber bewußt bleibt. (Dieser Roman entstand 1934 in der Emigration.)” Die Fußnote erregte Aufsehen und musste in späteren Auflagen gestrichen werden. LOTHAR MÜLLER
Annette Kolb Foto: Süddeutsche Zeitung Photo
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