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Natalie Zemon Davis ist mit ihren Arbeiten zur Historischen Anthropologie für eine ganze Generation von Forscherinnen und Forschern zum Vorbild geworden. In dieser meisterhaften Studie beschreibt sie die alles überragende Macht der Geschenke im frühneuzeitlichen Frankreich und entwickelt eine Theorie des Schenkens in der Moderne. Ein Ausblick auf die immer noch mächtige Rolle von Geschenken in der Gegenwart - man denke nur an Korruption und an Seilschaften - beschließt den Band.

Produktbeschreibung
Natalie Zemon Davis ist mit ihren Arbeiten zur Historischen Anthropologie für eine ganze Generation von Forscherinnen und Forschern zum Vorbild geworden. In dieser meisterhaften Studie beschreibt sie die alles überragende Macht der Geschenke im frühneuzeitlichen Frankreich und entwickelt eine Theorie des Schenkens in der Moderne. Ein Ausblick auf die immer noch mächtige Rolle von Geschenken in der Gegenwart - man denke nur an Korruption und an Seilschaften - beschließt den Band.
Autorenporträt
Natalie Zemon Davis gehört weltweit zu den renommiertesten Historikern. Sie lehrte u.a. in Providence, Toronto, Berkeley, Paris, Princeton und Oxford. Seit ihrer Emeritierung 1996 lebt sie als freie Schriftstellerin in Toronto und ist wieder an der dortigen Universität tätig. In deutscher Sprache erschienen u.a. Die wahrhaftige Geschichte von der Wiederkehr des Martin Guerre (1984) und Drei Frauenleben (1996). Natalie Z. Davis wurde u.a. mit dem Toynbee-Preis (2000) und dem Warburg-Preis (2001) ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.03.2002

Teure Gaben
Natalie Zemon Davis untersucht
die schenkende Gesellschaft
Glaubt man dem französischen Philosophen Jacques Derrida, so sind selbstloses Schenken, Mildtätigkeit oder Freigiebigkeit, auch in Form der Künstlerpatronage, aus unserer Zivilisation gänzlich verschwunden, da die „Marktwirtschaft” sich offenbar unseres Denkens bemächtigt, den Altruismus im Westen ausgemerzt und das Schenken zu kirchlichen wie weltlichen Anlässen kommerzialisiert habe.
Derridas Kritik am selbstsüchtigen Abendland erweist sich freilich als sträfliche Vereinfachung, sobald man sich der Geschichte des Schenkens zuwendet. So kommt die angesehene nordamerikanische Historikerin Natalie Zemon Davis in ihrer Studie „Die schenkende Gesellschaft” zu dem Ergebnis, dass die Kehrseiten des Schenkens lange vor dem Kapitalismus empfunden wurden – beispielsweise von Michel de Montaigne, der klagte, nichts komme ihn so teuer zu stehen wie das, was ihm geschenkt werde, – und dass der von Privatinteressen gesteuerte „Markt” keineswegs die Welt des Schenkens und Tauschens ausgelöscht habe. Vielmehr habe er sich neben ihr entwickelt oder sich sogar mit ihr verbunden. Ferner, stellt Davis fest, hätten sich sämtliche Formen des Schenkens bis auf unsere Tage erhalten: vom Altruismus über verpflichtende bis hin zu den korrumpierenden Gaben. Schade nur, dass Davis’ Ausführungen zur Gegenwart so kurz ausfallen und weithin aus Hinweisen auf Arbeiten anderer Forscher bestehen.
Doch die Autorin hat sich ja in ihrer sozialhistorischen Studie dezidiert auf die Praxis des Schenkens im Frankreich des 16. Jahrhunderts konzentriert und vorgeführt, in welcher Weise damals Gaben und Gegengaben die Beziehungen innerhalb der Familien oder Dorfgemeinschaften, zwischen Laien und Priestern, sozial höher und niedriger Gestellten, Ärzten und Patienten bestimmten und wie sich daraus ein dauerhaftes System gegenseitiger Verpflichtung ergab, das für Alltag, Beruf, Kirche und Politik gleichermaßen prägend war.
Vorzuwerfen ist Davis indes ihre Unentschiedenheit in der Bewertung, die den ersten Teil des Buches in ein eigenartiges Missverhältnis zum zweiten bringt. Während der Leser in den ersten vier Kapiteln die Vorstellung von einer in sich ruhenden „schenkenden Gesellschaft” gewinnt, drängt sich ihm in den letzten drei der Eindruck einer Krise auf, in die das Schenken im 16. Jahrhundert geraten scheint. Merkwürdigerweise lässt sich Davis aber nicht dazu aus, ob es sich bloß um die Schattenseiten eines stabilen Systems oder eher um ein Indiz für den sich anbahnenden Wandel handelt.
In vielen der angeführten Quellen zeichnen sich die Exzesse ab, in die die Praxis des Gebens mündete und die Beschränkungen unumgänglich machten. So scheinen die Festgelage, mit deren Hilfe etwa frisch gebackene Doktoren der Medizin zu ihrer ersten Anstellung gelangten oder auch Wahlkampagnen befördert wurden, im 16. Jahrhundert derart üppige Ausmaße angenommen zu haben, dass die Regierenden sich entschlossen, ihnen enge Grenzen zu ziehen. Zudem stieß der Verkauf königlicher Ämter auf wachsende Empörung, weil er sich nur zum geringsten Teil am Verdienst orientierte. Auch die Justiz wurde immer heftiger der Bestechlichkeit beschuldigt.
Ohne Verpflichtung
Darüber hinaus dokumentieren die Chroniken eindrücklich, wie der Brauch des Schenkens von neuen gesellschaftlichen Kräften allmählich in die Schranken gewiesen wurde. Im Alltag etwa wollten die Kinder immer weniger ihren Verpflichtungen gegenüber den Eltern nachkommen. Im Religiösen nahm der Calvinismus viel radikaler als zuvor den Vorwurf der Simonie auf und forderte in Abgrenzung von der katholischen Kirche die Abschaffung aller zur Gegengabe verpflichtenden Geschenke.
In der Politik schließlich begannen die französischen Könige den gewohnten Gabenaustausch mit Städten und Provinzen aufzukündigen. Namentlich die feierlichen Einzüge, die die Städte den Neugekrönten der Tradition gemäß bescherten, wollten die allerchristlichsten Könige nicht mehr als Verpflichtung zum Erlass von Steuern oder zur Freilassung Gefangener begreifen, sondern als persönliche Huldigung, aus der keinerlei Recht oder Pflicht erwuchs. Es hat demnach ganz den Anschein, als seien Calvinismus und Absolutismus, also die neuen religiösen und politischen Kräfte des 16. Jahrhunderts, die das Ende der Renaissance bedeuteten, aus der Reaktion auf eine bald zu exzessive bald die Macht des Herrschers zu sehr beschränkende Kultur des Schenkens entstanden. Sicherlich eine überraschende Hypothese, die Davis jedoch nicht ausführt.
„Die schenkende Gesellschaft” ist klar und gut verständlich geschrieben. Eine große – manchmal erdrückende – Masse historischen und literarischen Materials wird anschaulich und detailliert entfaltet. Auf diese Weise eröffnet sich dem Leser die Innenansicht einer uns sowohl verwandt als auch fremd erscheinenden früheren Gesellschaftsform. Es wäre allerdings von Vorteil gewesen, wenn sich die Historikerin über das akribische Erschließen von Quellen hinaus an einer allgemeinen Einschätzung des 16. Jahrhunderts, namentlich an einer genaueren Einordnung der Schenk-Kultur versucht hätte. FRANZISKA MEIER
NATALIE ZEMON DAVIS: Die schenkende Gesellschaft. Zur Kultur der französischen Renaissance. Aus dem Englischen von Wolfgang Kaiser. Verlag C.H. Beck , München 2002. 228 Seiten, 22 Abbildungen, 22,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.03.2002

Geschenktes kommt teurer
Natalie Zemon Davis erforscht mit ethnologischem Blick die französische Gesellschaft der Renaissance / Von Martin Mulsow

Es gibt bei Rabelais eine Episode, in der Gargantua von seinem Vater Grandgousier und dessen Begegnung mit dem Piratenkönig der Kanarischen Inseln erzählt. Als Grandgousier den König besiegt hatte, warf er ihn nicht etwa ins Gefängnis und erpreßte ihn nicht auf Lösegeld hin, sondern überhäufte ihn mit Geschenken und Gunstbeweisen und schickte ihn zurück in sein Land. Von dieser Großmut bewegt, setzte sich der Piratenkönig mit seinen Beratern zusammen, um zu überlegen, wie die Geschenke ähnlich vergolten werden konnten. Schließlich boten sie Grandgousier das ganze Königreich der Kanaren an und dazu neuntausend Schiffe voll Gold und Silber.

Man ist versucht, sich den französischen Anthropologen Marcel Mauss als Feldforscher und Beobachter dieser Szene vorzustellen. Mauss war nicht auf den Kanaren, hat aber die polynesischen Maori in ihren Praktiken untersucht, Geschenke auszutauschen. Seine Beobachtung gleicht dem, was Rabelais schildert. So schreibt Mauss in seinem klassisch gewordenen Buch "Die Gabe" von 1925: "In vielen Kulturen finden Austausch und Verträge in Form von Geschenken statt, die theoretisch freiwillig sind, in Wirklichkeit jedoch immer gegeben und erwidert werden müssen."

Natalie Zemon Davis ist nicht die erste, die die Thesen von Mauss nach Europa zurückbringt. Schon seit einiger Zeit haben Historiker und Soziologen entdeckt, daß in der "Reziprozität" von "Geschenksystemen" ein anthropologischer Schlüssel vergangener Gesellschaftsstrukturen liegt. Mauss selbst hat eine evolutionäre Perspektive angedeutet: Aus Geschenkbeziehungen in frühen Gesellschaften wurden die kommerziellen und vertraglichen Beziehungen, die heute das Leben dominieren. Doch wann war der Übergang? Ist das frühneuzeitliche Europa in diesem Sinne schon modern oder noch altertümlich?

Die These der amerikanischen Historikerin ist, daß im Frankreich des sechzehnten Jahrhunderts Geschenke noch einen wesentlichen Teil der konnektiven Strukturen in Familie, Nachbarschaft und Gesellschaft geprägt haben, daß daneben aber auch schon die Verhaltensmodi von Kaufen, Verkaufen und auch von Zwang existierten. Diese Austauschbeziehungen überlagern sich, ohne daß deutlich eine Entwicklungsrichtung auszumachen wäre. In der Beobachtung dieser Vielfalt und dieser Überlagerungen liegt denn auch der Reichtum des Buches. Und sein Handicap: Dieser Stoff läßt sich nicht so gut erzählen wie die Geschichte von Martin Guerre und andere Episoden, durch die Davis berühmt geworden ist. Die ersten Kapitel des Buches ermüden zuweilen durch das Aneinanderreihen von Details.

Am Beginn steht der Rhythmus des Schenkens im Lauf des Jahres und im Kreis von Verwandtschaft und Nachbarschaft. Umherziehende Kinder, die zu bestimmten Tagen Präsente erbitten, mildtätige Gaben an die Armen, Buchgeschenke zum Neujahrstag, Heiratsgaben, Nachbarschaftshilfe - die Welt der Geschenksysteme scheint unerschöpflich. Interessant wird es in dem Moment, in dem Davis über "fehlgehende" Geschenke, über Bestechung und politische Beziehungen redet. Denn wie hat der Bereich des Schenkens reagiert, als die Märkte sich ausgedehnt haben? Ist er zurückgedrängt worden und hat Löcher in den sozialen Beziehungen hinterlassen? Nein, nach Davis hat er flexibel reagiert. Ein Buch beispielsweise konnte Handelsware sein, aber auch Geschenk, Erbe und Vermächtnis. Königliche Beamte erhielten Schenkungen von Geld, aber auch von Gewändern oder Land. Kaum noch zu sagen, wo bei Schenkungen, die Freundschaften und die Verpflichtung zur Dankbarkeit schufen, Bestechung anfing und wo nicht. Juristen wie Jean Bodin haben versucht, eine Schneise durch diesen Dschungel zu schlagen.

Davis spricht viel von den emotionalen Kosten des Schenkens. Wie haben die Individuen aus ihrer eigenen Perspektive eine Welt, die auf sozialen Reziprozitäten und Ehre gegründet war, empfunden? War es nicht auch eine Belastung, in den nie endenden Kreislauf von Gaben und Gegengaben eingezwängt zu sein? So klagt Michel de Montaigne: "Ich finde, nichts kommt mich so teuer zu stehn wie das, was mir geschenkt wird und wofür mein Wille mit einer Dankesschuld belastet bleibt." Aus dieser Sicht erscheint die Ablösung von Geschenksystemen durch kommerzielle Verträge als Emanzipation. Ein Vertrag ist nüchtern und begrenzt, er benötigt keinen emotionalen Aufwand.

Und er zeitigt vielleicht nicht so desaströse Folgen, wie wenn ein Geschenk falsch ankommt. Das konnte zu Kleinkriegen zwischen Familien oder ganzen Familienverbänden führen. Was für die Franzosen nur "Nebengeschenke" waren, die man zu Hause benutzte, um etwas Vertrauen zu schaffen, etwa Messer oder Glasperlen, wurden im bewußten Mißverstehen zwischen ganz unterschiedlichen kulturellen Geschenksystemen "Hauptgeschenke". Da es "nur" Indianer waren, funktionierten die üblichen Mechanismen von Anstand und Ehrgefühl nicht, die sonst für eine vollgültige Erstattung sorgten.

Das ist der große Vorteil einer Beobachtung aus der engen Perspektive des Schenkens und auch die Stärke des Buches: Von hier aus ergeben sich überraschende Einsichten in Themenbereiche, die inzwischen reichlich mit Forschung bedacht worden sind. So zur frühneuzeitlichen Geschichte der Frauen, wenn ihre Eingeschlossenheit in Verpflichtungen sichtbar wird, bei der sie kaum je diejenigen sind, die dabei profitieren. Oder zur Theologie der Reformationszeit.

Denn die Sprache von Gabe und Geschenk betraf auch die Religion. "Im Grunde waren die religiösen Reformationen des sechzehnten Jahrhunderts ein Streit um Geschenke." Damit ist gemeint, daß die Frage, ob Menschen Gott etwas vergelten und ihn zu etwas verpflichten können, die Konfessionen gespalten hat. Und in der Tat wird die calvinistische Loslösung aus den traditionellen katholischen Vorstellungen von wechselseitigen Verpflichtungen in selten plastischer Weise deutlich. Keine Verpflichtung für Gott sollte es mehr geben, auf Opfer mit Versöhnung zu reagieren. "Das Himmelreich ist nicht ein Lohn für Knechte, sondern ein Erbe für Kinder." Begriffe wie Adoption, Erbe und Bund, die aus den Erfahrungen des Familienlebens heraus zu verstehen waren, sollten helfen, aus den Fallen des Reziprozitätsdenkens herauszuführen. Die calvinistische Abendmahlslehre bekommt hier, durch sorgfältige historische Semantik und kulturelle Einbettung, ihren Hintergrund an Alltagskultur zurück.

Dieses Kapitel ist sicherlich eines der stärksten im Buch. Es läßt erkennen, wie historische Anthropologie bis weit hinein in die "elitären" Disziplinen wie Theologie und Philosophie Verständnismöglichkeiten eröffnet. Der Gabentausch ist sowohl Teil der symbolischen Kultur einer Epoche als auch ihrer materiellen Kultur. Das Thema der Gabe hat das Potential, der Kulturwissenschaft auf die Sprünge zu helfen. Man kann verstehen, daß dieses Buch seine Autorin über zwanzig Jahre immer wieder beschäftigt und nie losgelassen hat. Es erzählt keine spannende Fallgeschichte, mit der sich schnell fertig werden ließe. Es ist vielmehr das Aufblättern eines ganzen Straußes von Themen, die alle in sich keimhaft Erzählungen bergen. Und alle einen ungewohnten Blick auf scheinbar Vertrautes freigeben.

Natalie Zemon Davis: "Die schenkende Gesellschaft". Zur Kultur der französischen Renaissance. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Kaiser. Verlag C. H. Beck, München 2002. 234 S., 23 Abb., br., 24,90 .

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Volker Reinhardt hat mit Interesse die Studie der Ethnologin Natalie Davis über die "schenkende Gesellschaft" im Frankreich des 16. Jahrhunderts gelesen. Das Buch gleiche einem "Almanach des Gebens und Nehmens" im Ancien Regime. Die Autorin verfolge das als "soziale Kunst verstandene" Schenken quer durch alle Stände und begreife auch Belohnungen wie kirchlichen Ablass als untersuchenswerte Geschenkformen. Einwände formuliert Reinhardt gegen das methodisch-theoretische Konzept der Autorin. Die zugrunde liegende ethnologische Perspektive vermöge es nicht, eine etwaige "besondere französische Art des Schenkens im 16. Jahrhundert" deutlich herauszufiltern. Weiterhin fehlt Reinhardt der sozialhistorische Blick auf den instrumentellen Charakter von Geschenken und Freundschaft, "ein Grundelement der profitablen Patronage-Beziehungen im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts". Ergiebiger wäre für Reinhardt folglich eine Analyse "der vielen amüsanten, lehrreichen und auch verblüffenden Geschenkgeschichten" nach sozialen Gesichtspunkten gewesen.

© Perlentaucher Medien GmbH