Die Schlacht von Aspern und Eßling, zwischen Franzosen und Österreichern, vor den Toren Wiens 1809 gilt als das erste große Blutbad des modernen Krieges, als ein Gemetzel ohne Sieger und Besiegte, ohne Ruhm und Illusionen: In dreißig Stunden wurden 40000 Soldaten getötet und 11000 verwundet. Rambaud erzählt aus wechselnden Perspektiven, aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten, von Napoleon, seinen Marschällen und Offizieren bis zu den einfachen Soldaten und dem Beobachter Henri Beyle, der sich damals noch nicht Stendhal nannte. Im Mittelpunkt steht der Obrist Louis-François Lejeune - eine authentische historische Figur -, der als Verbindungsoffizier des Generalstabs Kontakt zu den einzelnen Gefechtsabschnitten zu halten hat und damit einen genauen Überblick über das Kampfgeschehen gewinnt. Der Autor führt den Leser in das von der Armee Napoleons besetzte Wien, über die schwankenden Pontonbrücken der reißenden Donau auf das Schlachtleid, zeigt die alten Haudegen und die angsterfüllten Rekruten, die Rivalitäten der goldbetreßten Marschälle, schildert hautnah den erbarmungslosen Kampf der feindlichen Armeen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.05.2000Wenn Pferde schießen könnten
Patrick Rambauds Roman über die Schlacht von Aspern
Dass Balzac, erdrückt von der Fülle anderer Projekte, es einst unterließ, die im Jahre 1809 geschlagene Schlacht von Aspern und Eßling vor den Toren von Wien zu schildern, ist das ein zureichender Grund, das im neunzehnten Jahrhundert Versäumte nachzuholen und Balzacs Werk gewissermaßen posthum zu komplettieren? Patrick Rambaud bejaht die Frage heftig und mit ihm sechshunderttausend Franzosen, die das Buch gekauft haben. Ob sich dieser Erfolg nach Deutschland übertragen lässt?
Der Autor folgt nur recht ungefähr dem Plan, den sein großes Vorbild 1833 aufgestellt hatte. Mit allen Greueln, allen Schönheiten eines Schlachtfeldes wollte Balzac den Leser vertraut machen. Auch ein kühler Kopf solle die Menschenmassen, die strategischen Schachzüge, die reißende Donau und die hastig gezimmerten Pontonbrücken leibhaftig vor sich sehen, solle die Artillerie hören und in jeder Äußerung des großen Heeres Napoleon spüren. Kein weibliches Gesicht solle vorkommen, "nur Kanonen, Pferde, zwei Armeen, Uniformen; auf der ersten Seite ertönt die Kanone, auf der letzten verstummt sie".
Gehen wir die Programmpunkte einzeln durch. Greuel sind reichlich vorhanden, Schönheiten fehlen - der heutige Zeitgeist kann sich die Ästhetisierung des Krieges nicht mehr leisten. Die Massen und die Strategie stehen plastisch vor dem geistigen Auge - allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass alles unreflektiert nur aus dem französischen, nichts aus dem österreichischen Blickwinkel geschrieben ist. Die Donau erscheint als hinterhältige Siegerin, weil sie die Pontonbrücken fortspült und damit die französischen Nachschub- und Rückzugslinien kappt, weshalb die Schlacht zu einem tagelangen ortsfesten Gemetzel verkommt. Napoleon spüren wir in der Tat überall. Er allein ist verantwortlich in einem heute undenkbaren Grade, alles hängt von ihm ab, keiner würde einen Finger krümmen ohne seinen Willen. Insofern ist es eine Schlacht ohne Idee, ohne eine andere Idee als die der Macht. Kein weibliches Gesicht: Eine schwächliche Liebesgeschichte hat der sonst penibel auf historische Treue bedachte Autor dazu erfunden - das hätte er besser sein lassen sollen. Kanonen von der ersten bis zur letzten Seite: Stattdessen erhalten wir eine ausführliche, ein bisschen langweilige Vorgeschichte und eine kurze Nachgeschichte.
"Wagram" lautet das letzte Wort des Buches. Bei Wagram siegte Napoleon wenige Monate später und machte Aspern wieder wett. Aber hätte das letzte Wort nicht besser "Waterloo" gelautet? Der Verkaufserfolg in Frankreich mag damit zusammenhängen, dass durch allen Schlachtendreck hindurch der Mythos Napoleon eine düstere Gewalt behält. Der Grand Empereur ist zwar ein Vieh, roh und gewalttätig, schmierig und gefühllos, aber ein Genie ist er auch, und Frankreichs Größe noch im Untergang blitzt gelegentlich durch Rauch, Gestank und Pulverschwaden.
Die Schilderung der Schlacht selbst ist fraglos sehr spannend. Rambaud hat sorgfältig recherchiert und Balzac einige erzählerische Kniffe abgelernt. Die tiefere Absicht des Buches aber bleibt undeutlich und wenig überzeugend. Vierzigtausend Tote in drei Tagen, das scheint der eigentliche Knackpunkt zu sein. Aspern soll den modernen Krieg begründet haben, das ist die These. Das Blutbad mimt prophetische Kraft. Aber das allzu probate erzählerische Mittel der Individualisierung bindet die Aufmerksamkeit des Lesers an ein paar Prototypen; die Massen sind nur Kulisse. Auch der prophetische Trumpf sticht nicht. Angesichts der vorbildlosen Entsetzenshäufungen im zwanzigsten Jahrhundert nimmt jener Kampf von 1809 unweigerlich rückwärts-, nicht vorwärtsgerichtete Züge an. Ein Hauch Romantik schwebt über den bunten Uniformen, den Biwakfeuern, Reitern und narbigen Haudegen.
Einmal wird die Schlacht mit einer heiligen Messe verglichen, die Schlachtrufe mit Chorälen und das Pulver mit Weihrauch. Es ist Napoleon, dem diese Vision zugeschrieben wird. "Er spürte das Glück auf seiner Seite", heißt es, aber damit ist es in Wirklichkeit vorbei. Die größte Leistung des Buches ist es, zu schildern, wie Napoleon vom Glück verlassen wird, das Blatt sich wendet, die Gewalt ihren Charme verliert, ein schrecklicher Automatismus sich bildet und menschliche Marionetten, mit der Sinnlosigkeit ihres Einsatzes allein gelassen, zu gefühllosen Kampfmaschinen degenerieren. Napoleons Truppen können nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Das treibt sie in die Grausamkeit. Siebenhundert Gefangene werden mit dem Bajonett geschlachtet, um Munition zu sparen. Im Lazarett alle zwanzig Sekunden eine Amputation, ohne Betäubung, mit der Säge. Die abgesägten Glieder auf einem Haufen. Überall Pferde mit aufgeschlitzten Bäuchen, denen man den Gnadenschuss verwehrt, weil Kugeln knapp sind. Fast wecken die Tiere, die nichts dafür können, mehr Mitleid als die törichten Menschen. "Wenn die Pferde schießen könnten, würden sie sich auf der Stelle umbringen."
HERMANN KURZKE
Patrick Rambaud: "Die Schlacht". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ina Kronenberger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2000. 319 S., geb., 48,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Patrick Rambauds Roman über die Schlacht von Aspern
Dass Balzac, erdrückt von der Fülle anderer Projekte, es einst unterließ, die im Jahre 1809 geschlagene Schlacht von Aspern und Eßling vor den Toren von Wien zu schildern, ist das ein zureichender Grund, das im neunzehnten Jahrhundert Versäumte nachzuholen und Balzacs Werk gewissermaßen posthum zu komplettieren? Patrick Rambaud bejaht die Frage heftig und mit ihm sechshunderttausend Franzosen, die das Buch gekauft haben. Ob sich dieser Erfolg nach Deutschland übertragen lässt?
Der Autor folgt nur recht ungefähr dem Plan, den sein großes Vorbild 1833 aufgestellt hatte. Mit allen Greueln, allen Schönheiten eines Schlachtfeldes wollte Balzac den Leser vertraut machen. Auch ein kühler Kopf solle die Menschenmassen, die strategischen Schachzüge, die reißende Donau und die hastig gezimmerten Pontonbrücken leibhaftig vor sich sehen, solle die Artillerie hören und in jeder Äußerung des großen Heeres Napoleon spüren. Kein weibliches Gesicht solle vorkommen, "nur Kanonen, Pferde, zwei Armeen, Uniformen; auf der ersten Seite ertönt die Kanone, auf der letzten verstummt sie".
Gehen wir die Programmpunkte einzeln durch. Greuel sind reichlich vorhanden, Schönheiten fehlen - der heutige Zeitgeist kann sich die Ästhetisierung des Krieges nicht mehr leisten. Die Massen und die Strategie stehen plastisch vor dem geistigen Auge - allerdings mit der wichtigen Einschränkung, dass alles unreflektiert nur aus dem französischen, nichts aus dem österreichischen Blickwinkel geschrieben ist. Die Donau erscheint als hinterhältige Siegerin, weil sie die Pontonbrücken fortspült und damit die französischen Nachschub- und Rückzugslinien kappt, weshalb die Schlacht zu einem tagelangen ortsfesten Gemetzel verkommt. Napoleon spüren wir in der Tat überall. Er allein ist verantwortlich in einem heute undenkbaren Grade, alles hängt von ihm ab, keiner würde einen Finger krümmen ohne seinen Willen. Insofern ist es eine Schlacht ohne Idee, ohne eine andere Idee als die der Macht. Kein weibliches Gesicht: Eine schwächliche Liebesgeschichte hat der sonst penibel auf historische Treue bedachte Autor dazu erfunden - das hätte er besser sein lassen sollen. Kanonen von der ersten bis zur letzten Seite: Stattdessen erhalten wir eine ausführliche, ein bisschen langweilige Vorgeschichte und eine kurze Nachgeschichte.
"Wagram" lautet das letzte Wort des Buches. Bei Wagram siegte Napoleon wenige Monate später und machte Aspern wieder wett. Aber hätte das letzte Wort nicht besser "Waterloo" gelautet? Der Verkaufserfolg in Frankreich mag damit zusammenhängen, dass durch allen Schlachtendreck hindurch der Mythos Napoleon eine düstere Gewalt behält. Der Grand Empereur ist zwar ein Vieh, roh und gewalttätig, schmierig und gefühllos, aber ein Genie ist er auch, und Frankreichs Größe noch im Untergang blitzt gelegentlich durch Rauch, Gestank und Pulverschwaden.
Die Schilderung der Schlacht selbst ist fraglos sehr spannend. Rambaud hat sorgfältig recherchiert und Balzac einige erzählerische Kniffe abgelernt. Die tiefere Absicht des Buches aber bleibt undeutlich und wenig überzeugend. Vierzigtausend Tote in drei Tagen, das scheint der eigentliche Knackpunkt zu sein. Aspern soll den modernen Krieg begründet haben, das ist die These. Das Blutbad mimt prophetische Kraft. Aber das allzu probate erzählerische Mittel der Individualisierung bindet die Aufmerksamkeit des Lesers an ein paar Prototypen; die Massen sind nur Kulisse. Auch der prophetische Trumpf sticht nicht. Angesichts der vorbildlosen Entsetzenshäufungen im zwanzigsten Jahrhundert nimmt jener Kampf von 1809 unweigerlich rückwärts-, nicht vorwärtsgerichtete Züge an. Ein Hauch Romantik schwebt über den bunten Uniformen, den Biwakfeuern, Reitern und narbigen Haudegen.
Einmal wird die Schlacht mit einer heiligen Messe verglichen, die Schlachtrufe mit Chorälen und das Pulver mit Weihrauch. Es ist Napoleon, dem diese Vision zugeschrieben wird. "Er spürte das Glück auf seiner Seite", heißt es, aber damit ist es in Wirklichkeit vorbei. Die größte Leistung des Buches ist es, zu schildern, wie Napoleon vom Glück verlassen wird, das Blatt sich wendet, die Gewalt ihren Charme verliert, ein schrecklicher Automatismus sich bildet und menschliche Marionetten, mit der Sinnlosigkeit ihres Einsatzes allein gelassen, zu gefühllosen Kampfmaschinen degenerieren. Napoleons Truppen können nicht mehr vor und nicht mehr zurück. Das treibt sie in die Grausamkeit. Siebenhundert Gefangene werden mit dem Bajonett geschlachtet, um Munition zu sparen. Im Lazarett alle zwanzig Sekunden eine Amputation, ohne Betäubung, mit der Säge. Die abgesägten Glieder auf einem Haufen. Überall Pferde mit aufgeschlitzten Bäuchen, denen man den Gnadenschuss verwehrt, weil Kugeln knapp sind. Fast wecken die Tiere, die nichts dafür können, mehr Mitleid als die törichten Menschen. "Wenn die Pferde schießen könnten, würden sie sich auf der Stelle umbringen."
HERMANN KURZKE
Patrick Rambaud: "Die Schlacht". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Ina Kronenberger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 2000. 319 S., geb., 48,- DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ein glatter Verriss! Jörg Drews kann diesem Buch gar nichts abgewinnen. Gewiss, es ist gut recherchiert und der Autor "militärhistorisch bestens informiert". Aber die "rasende Harmlosigkeit" des Erzähltons findet Drews schlicht unangemessen für ein Buch, dass den Wandel von der "Schlacht zur blanken Metzelei" zum Thema hat, die schon die Massenmorde des 20. Jahrhunderts ankündigt. Der milde Erzählton ist "auf elegante Weise unfreiwillig grotesk", meint Drews. Richtig zynisch findet er das. Das Werk "nimmt sich selbst nicht ernst" resümiert er und schließt etwas pathetisch: "Damit ist es gerichtet: Gewogen und zu leicht befunden".
© Perlentaucher Medien GmbH
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