In the late 18th century, aesthetic and political discourses were indissolubly interlinked. The aesthetic philosophies and literary fictions of authors like Karl Philipp Moritz, Salomon Maimon, Daniel Jenisch, Johann Friedrich Reichardt, or the young Wilhelm von Humboldt are both reflections and normative anticipations of the change from the largely court-dominated residential culture of the epoch of Frederick the Great to the emancipated urban culture of the Age of Reform. The topographical approach adopted in this study makes it possible to situate the discourses examined within the history of institutions and the media, and to understand them as argumentative strategies employed in actual debates. Concentration on one location and one restricted period of time also makes it easier to investigate the issue in a manner that cuts across both the dividing lines usually drawn between history, literature, and philosophy and the definition of epochs normally upheld in discussions of literary and cultural history.
Ästhetische und politische Diskurse standen im späten 18. Jahrhundert in einem untrennbaren Wechselverhältnis. Nicht nur wird politische Theorie im Gewand der Ästhetik formuliert, sondern ebenso wird die aus der Ästhetikdiskussion stammende Begrifflichkeit für gesellschaftskritische Gegenentwürfe fruchtbar gemacht. Das moderne Subjekt konstitutiert sich im deutschen Sprachraum so wesentlich als "Homo Aestheticus".
Kommt dies bei Kant und Schiller theoretisch am avanciertesten zum Ausdruck, stellt sich der Vorgang in Berlin um 1790 systematisch weniger elaboriert, dafür aber praxisnäher dar. Die ästhetischen Entwürfe und literarischen Fiktionen von Autoren wie Karl Philipp Moritz, Salomon Maimon, Daniel Jenisch, Johann Friedrich Reichardt oder dem jungen Wilhelm von Humboldt sind sowohl Reflexionen als auch normative Vorwegnahmen des Wandels von der noch weitgehend höfisch dominierten Residenzkultur der friderizianischen Epoche zur emanzipierten Stadtkultur des Reformzeitalters.
Der in der Studie verfolgte topographische methodische Zugang ermöglicht es, die untersuchten ideellen Diskurse institutionen- und mediengeschichtlich zu verankern und als Argumentationsstrategien innerhalb konkreter Debatten zu verstehen. Durch die lokale und temporale Konzentration lässt sich der Gegenstand zudem quer zur disziplinären Arbeitsteilung (Geschichte, Literatur, Philosophie) und zu literatur- und kulturgeschichtlichen Epochengrenzen untersuchen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Ästhetische und politische Diskurse standen im späten 18. Jahrhundert in einem untrennbaren Wechselverhältnis. Nicht nur wird politische Theorie im Gewand der Ästhetik formuliert, sondern ebenso wird die aus der Ästhetikdiskussion stammende Begrifflichkeit für gesellschaftskritische Gegenentwürfe fruchtbar gemacht. Das moderne Subjekt konstitutiert sich im deutschen Sprachraum so wesentlich als "Homo Aestheticus".
Kommt dies bei Kant und Schiller theoretisch am avanciertesten zum Ausdruck, stellt sich der Vorgang in Berlin um 1790 systematisch weniger elaboriert, dafür aber praxisnäher dar. Die ästhetischen Entwürfe und literarischen Fiktionen von Autoren wie Karl Philipp Moritz, Salomon Maimon, Daniel Jenisch, Johann Friedrich Reichardt oder dem jungen Wilhelm von Humboldt sind sowohl Reflexionen als auch normative Vorwegnahmen des Wandels von der noch weitgehend höfisch dominierten Residenzkultur der friderizianischen Epoche zur emanzipierten Stadtkultur des Reformzeitalters.
Der in der Studie verfolgte topographische methodische Zugang ermöglicht es, die untersuchten ideellen Diskurse institutionen- und mediengeschichtlich zu verankern und als Argumentationsstrategien innerhalb konkreter Debatten zu verstehen. Durch die lokale und temporale Konzentration lässt sich der Gegenstand zudem quer zur disziplinären Arbeitsteilung (Geschichte, Literatur, Philosophie) und zu literatur- und kulturgeschichtlichen Epochengrenzen untersuchen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2007Musen für alle
Iwan D'Aprile modernisiert die Berliner Spätaufklärung
Anders als es die Existentialisten glauben machen wollten, ist das Gefühl, sich vor dem Alltäglichen zu ekeln, heilbar: Karl Philipp Moritz pflegte "ohne eigentliche Lebenslust" aufzuwachen, bis er sich eines Morgens einredete, dass der scheinbar so langweilige Alltag sich aus einer Vielzahl individueller und reizvoller "Kleinigkeiten" zusammensetze. Iwan-Michelangelo D'Aprile greift dieses Notat von 1786 auf, um das aufkeimende Interesse an der Popularkultur und damit das demokratische Antlitz einer Moderne zu skizzieren, die aus der Mitte der Berliner Spätaufklärung heraus ihren Anfang nahm.
Seine Untersuchungen reichen von Moses Mendelssohn bis Wilhelm von Humboldt und beziehen sich auf philosophische Schriften ebenso wie auf programmatische Künstlernovellen. Dabei wird just die preußische Hauptstadt als Heimat einer republikanisch verfassten Ästhetik profiliert und gegen Paris und Weimar in Position gebracht: Während Schiller die Idee der ästhetischen Erziehung entwickelt habe, seien in Berlin längst Überlegungen im Gange gewesen, wie eine emanzipatorische Kunst in der konkreten Praxis das ganze Volk erreichen könne. Hier wie dort sollte in der autonomen Schönheit das Ideal der Freiheit sinnlich erfahrbar gemacht werden, nur dass die Berliner dabei schon gleich an Volksfeste dachten.
Ein Anspruch der Studie besteht darin, Moritz, Begründer der modernen Autonomieästhetik, auch als "Alltagsästhetiker" aufzuwerten. Das gelingt vor allem über die Spätschrift "Anthusa oder Roms Alterthümer", in dem das alte Rom mit seinen Feiern und Riten als Vorbild für Berlin propagiert wurde. Die gedachte Verschönerung des Staats kannte keine Grenzen: Moritz warb für die Verzierung von Stockknöpfen, Uhrketten und Heizöfen als Zeichen der Aufwertung des vermeintlich Geringen. Auf literarischer Ebene schlug sich diese Strategie unter anderem in Daniel Jenischs siebenhundertseitigem Versepos über den Siebenjährigen Krieg mit dem Titel "Borussias" nieder. Die Pointe seines Textmonuments liegt in der Marginalisierung Friedrichs des Großen. Nicht ihm, sondern den "Vielen", die den Staat erst ausmachten, sei es gewidmet; und so nennt er die wesentlichen Träger der Geschichte alle bewusst beim Namen: die "Augustines, Carls, Fritzens, Lindners, Gottfrieds, Heinrichs, Sommers, Beers, Blumeaus, Eichels usw.". - Die Modernität der Berliner Republik, das zeigt die elegante Untersuchung, speist sich seit je auch aus einer hinterhöfischen Literaturgeschichte.
ROMAN LUCKSCHEITER
Iwan-Michelangelo D'Aprile: "Die schöne Republik". Ästhetische Moderne in Berlin im ausgehenden 18. Jahrhundert. Niemeyer Verlag, Tübingen 2006. 222 S., br., 42,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Iwan D'Aprile modernisiert die Berliner Spätaufklärung
Anders als es die Existentialisten glauben machen wollten, ist das Gefühl, sich vor dem Alltäglichen zu ekeln, heilbar: Karl Philipp Moritz pflegte "ohne eigentliche Lebenslust" aufzuwachen, bis er sich eines Morgens einredete, dass der scheinbar so langweilige Alltag sich aus einer Vielzahl individueller und reizvoller "Kleinigkeiten" zusammensetze. Iwan-Michelangelo D'Aprile greift dieses Notat von 1786 auf, um das aufkeimende Interesse an der Popularkultur und damit das demokratische Antlitz einer Moderne zu skizzieren, die aus der Mitte der Berliner Spätaufklärung heraus ihren Anfang nahm.
Seine Untersuchungen reichen von Moses Mendelssohn bis Wilhelm von Humboldt und beziehen sich auf philosophische Schriften ebenso wie auf programmatische Künstlernovellen. Dabei wird just die preußische Hauptstadt als Heimat einer republikanisch verfassten Ästhetik profiliert und gegen Paris und Weimar in Position gebracht: Während Schiller die Idee der ästhetischen Erziehung entwickelt habe, seien in Berlin längst Überlegungen im Gange gewesen, wie eine emanzipatorische Kunst in der konkreten Praxis das ganze Volk erreichen könne. Hier wie dort sollte in der autonomen Schönheit das Ideal der Freiheit sinnlich erfahrbar gemacht werden, nur dass die Berliner dabei schon gleich an Volksfeste dachten.
Ein Anspruch der Studie besteht darin, Moritz, Begründer der modernen Autonomieästhetik, auch als "Alltagsästhetiker" aufzuwerten. Das gelingt vor allem über die Spätschrift "Anthusa oder Roms Alterthümer", in dem das alte Rom mit seinen Feiern und Riten als Vorbild für Berlin propagiert wurde. Die gedachte Verschönerung des Staats kannte keine Grenzen: Moritz warb für die Verzierung von Stockknöpfen, Uhrketten und Heizöfen als Zeichen der Aufwertung des vermeintlich Geringen. Auf literarischer Ebene schlug sich diese Strategie unter anderem in Daniel Jenischs siebenhundertseitigem Versepos über den Siebenjährigen Krieg mit dem Titel "Borussias" nieder. Die Pointe seines Textmonuments liegt in der Marginalisierung Friedrichs des Großen. Nicht ihm, sondern den "Vielen", die den Staat erst ausmachten, sei es gewidmet; und so nennt er die wesentlichen Träger der Geschichte alle bewusst beim Namen: die "Augustines, Carls, Fritzens, Lindners, Gottfrieds, Heinrichs, Sommers, Beers, Blumeaus, Eichels usw.". - Die Modernität der Berliner Republik, das zeigt die elegante Untersuchung, speist sich seit je auch aus einer hinterhöfischen Literaturgeschichte.
ROMAN LUCKSCHEITER
Iwan-Michelangelo D'Aprile: "Die schöne Republik". Ästhetische Moderne in Berlin im ausgehenden 18. Jahrhundert. Niemeyer Verlag, Tübingen 2006. 222 S., br., 42,- [Euro].
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