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Hier wird der Versuch unternommen, an einer Reihe von Skulpturen, deren Auftraggeber und Künstler bekannt sind, zunächst den Gang der Entwicklng selbst festzustellen, die Stilbegriffe zu prägen, welche eine nachvollziehbare Beurteilung der einzelnen Schöpfungen und Stilelemente durch den Betrachter ermöglichen, und so die Beziehung zwischen Auftraggeber, Schöpfer und Betrachter der Schönheiten des Realismus deutlich zu machen.

Produktbeschreibung
Hier wird der Versuch unternommen, an einer Reihe von Skulpturen, deren Auftraggeber und Künstler bekannt sind, zunächst den Gang der Entwicklng selbst festzustellen, die Stilbegriffe zu prägen, welche eine nachvollziehbare Beurteilung der einzelnen Schöpfungen und Stilelemente durch den Betrachter ermöglichen, und so die Beziehung zwischen Auftraggeber, Schöpfer und Betrachter der Schönheiten des Realismus deutlich zu machen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.1999

Der Geist möchte einfach nur hier sitzen
Dennoch gibt er komplizierte Rätsel auf: Bernhard Andreaes Blick auf die hellenistische Plastik

Es dauerte fast 250 Jahre, ehe jene bronzene Porträtbüste des Nationalmuseums in Neapel identifiziert wurde, die 1750 aus der sogenannten Pisonenvilla von Herculaneum geborgen worden war. Seit 1993 erkennen wir dank der Forschungen der Numismatikerin Nathalie de Chaisemartin in dem jungen Mann, der wegen seiner "befehlsgewohnten" Züge als "junger Feldherr" bezeichnet worden war, König Eumenes II. (197 bis 159 vor Christus), den Attaliden und Stifter des großen Altars von Pergamon. Stilvergleiche, die Kombination von Münzbildnissen und Statuen führten endlich zum Ziel.

Ebenfalls seit mehr als zweihundert Jahren sehen viele Archäologen in solchen detektivischen Glanzleistungen Sinn, Zweck und höchste Erfüllung ihrer Profession. Derartige Selbstbescheidung, das Genügen am Faktischen, an hieb- und stichfesten Datierungen, Nutzungsnachweisen und Stilgeschichten war noch nie Sache des Archäologen Bernard Andreae. Nicht daß, sondern warum eine antike Epoche ihre Bauten, Bilder und Statuen so und nicht anders gestaltete, ist sein Interesse. Weshalb Eumenes II. so schön, herrisch und heroisch dargestellt wurde, aber auch, wieso ein römischer Patrizier das hellenistische Bildnis in einer exzellenten Kopie sich und seinen Gästen vor Augen stellte, interessiert ihn in seinem neuen Buch. Es trägt den so lakonischen wie anspruchsvollen Titel "Schönheit des Realismus".

Andreae wäre nicht der leidenschaftliche Archäologe, der er ist, begönne seine Untersuchung über die Eigenarten der hellenistischen Kunst nicht mit der berühmten "Grotte des Tiberius" in Sperlonga, die er seit 1957 erforscht hat, und deren die Odyssee umkreisende Statuengruppe er als Kopie eines Werks des Nikeratos von Athen identifizierte, eines, wenn man so sagen darf, pergamenischen Hofbildhauers. Doch so, wie dem Archäologen die Zuweisung an einen berühmten Künstler nicht genügt, erklärt er wenige Seiten weiter, daß überhaupt die "Schönheit dieses ersten Realismus in der Geschichte der Kunst" von ihm nicht wegen ihres bloßen Daseins analysiert werde, sondern "um ihrer vom Auftraggeber beabsichtigten, vom Künstler verwirklichten und vom Betrachter rezipierten historischen Aussage willen".

Weil, wie Andreae feststellt, die "Realität der Welt, so, wie sie sich in ihrer Vielfalt darbietet", Thema dieser Kunst wurde, die Wirklichkeit in "ihrer Schönheit und Größe" zum Ausdruck brachte und steigerte, konnten damals und können heute vordergründig so unterschiedliche Werke wie die groteske "Bronzestatuette eines Krüppels" oder der pittoreske "Gänsewürger" ebenso faszinieren wie der erhabene Sturzflug der "Nike von Samothrake", der fassungslose Odysseus des "Palladionraubs" in Sperlonga und der sinnende Menander, dessen Sitzstatue bald nach seinem Tod 291 vor Christus im Dionysos-Theater von Athen aufgestellt wurde und später in zahllosen Kopien verbreitet war.

"Es zeichnet sich ab, daß Politiker eher durch Standbilder, Geistesgrößen aber durch Sitzbilder geehrt wurden." So Andreae in diesem Zusammenhang, wobei er, seine Kollegen Paul Zanker und Klaus Fittschen zitierend, prägnant eine Entwicklungsreihe der Sitzstatuen skizziert. Naheliegende, derzeit hochaktuelle Spekulationen, daß damit der Geist über die Macht gestellt worden wäre, meidet Andreae. Doch seine Interpretationen der antiken Umstände bauen wie von selbst leichte und tragfähige Brücken ins Heute. Schreibt er, daß es bei allen Meisterwerken dieser Kunst "im allgemeinen" darum ging "Zielgruppen durch die Aufstellung ...zu beeindrucken und in politischem Sinn günstig zu stimmen", so federn subtile Beschreibungen die drohende Reduktion solcher Aussagen auf "Herrschaftskunst" ab. Die Nike, triumphales Siegesmal der Rhoder, wird zugleich gewürdigt als grandioses Frauenbildnis, als perfekte Simulation und delikate Huldigung des Diesseits, die schon dem antiken Betrachter mehr bot als bloßes Siegesgeschmetter. Der Kunst, der Wahrheit und der Vieldeutigkeit bleiben ihre Rechte, sei es in Andreaes erweiterten Deutungen des Pergamon-Altars, der Umdatierung von Statuen, der zeitlichen und stilistischen Neubestimmung einiger berühmter Bildhauer.

Menanders "Ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mit fremd" könnte auch über der hellenistischen Plastik stehen, so wie Andreae sie sieht. Aber auch über den Aussagen des Autors. Denn Bernhard Andreae beschreibt und deutet die antiken Menschenbilder so mitreißend wie wenige seiner Zunft. Doch im blendenden Einfühlungsvermögen, mit dem er alles Menschliche der Statuen sprechen macht, sind auch die Fallstricke emphatischer Nähe zu ihnen verborgen, eine Begeisterung, die von Hellsicht in Verklärung umschlagen kann.

Da ist zum Beispiel die Sicherheit, mit der Mienenspiele entschlüsselt und aus ihnen wiederum Charaktere entwickelt werden. Wie er zu Beginn Eumenes II. durch seine Schilderung zur einzigartigen unverwechselbaren Persönlichkeit werden läßt, so vergleicht Andreae am Ende des Buches, angelangt an der Schwelle zur römischen Kunst, zwei Porträtbüsten. Die eine stellt Poseidonios von Apameia dar, den Philosophen, der oft als "Lehrer der Römer" bezeichnet wird. Die andere zeigt Gaius Julius Caesar. Beide Bildnisse sind zu Lebzeiten der Dargestellten entstanden, beide sind, so Andreae, Werke "des gleichen späthellenistischen Stilhorizonts". Minutiös werden beider Züge beschrieben, endend mit der Feststellung, die jeweils fast identisch fest geschlossenen Lippen zeigten doch die Welten, die zwischen den beiden Männern und deren Weltsicht lägen: "Es ist erstaunlich, wie mit den gleichen Stilmitteln eine so verschiedene Psychologie ausgedrückt werden kann: die Melancholie des Sentiments bei Poseidonios, die Überlegenheit des Wollens bei Caesar."

Ist es das, was uns diese beiden Porträts über die Männer aussagen und darüber hinaus über das Ende einer Epoche und den Beginn einer anderen? Oder sind es die schriftlichen Überlieferungen, die unser - von Andreae geleiteter - Blick in den Büsten Gesichter annehmen sieht? Was, wenn jemand mit ebensolchem Einfühlungsvermögen in dem Caesarkopf den mokant lächelnden verführten Verführer Cleopatras erkennen würde? Weshalb blickt Poseidonios melancholisch und nicht abgeklärt? Und ist das Antlitz des Eumenes II. wirklich das eines heroischen Menschen? Erachtet man ihn als Autokraten, könnten dieselben Linien plötzlich brutal oder verschlagen wirken, womit seinerzeit die Römer dann nicht das Bild eines so weisen wie tatkräftigen Herrschers verehrt hätten, sondern das eines Staatenlenkers, wie ihn zwei Jahrtausende später Mussolini und seine Gefolgschaft in die Antike projizierten. Doch mit solchen Überlegungen ist jene Grenze des momentan Belegbaren überschritten, die Bernhard Andreae bei aller Interpretationsfreude wohlweislich einhält.

DIETER BARTETZKO

Bernhard Andreae: "Schönheit des Realismus". Auftraggeber, Schöpfer, Betrachter hellenistischer Plastik. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 1998. 336 S., zahlr. Abb., geb., 68,- DM.

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