Iwan Turgenjews Prosawerke gehören zusammen mit den Romanen Lew Tolstojs und Fjodor Dostojewskis zu den Höhepunkten des russischen Realismus im 19. Jahrhundert. Neben Lyrik, Dramen und seinem berühmten Roman Väter und Söhne hat Turgenjew zahlreiche Erzählungen verfasst. Seine melancholischen Liebesgeschichten nehmen dabei einen besonderen Rang ein. Dieser Band enthält die schönsten davon. Ausgangspunkt ist zumeist ein psychologisch besonderer Fall, oft mit geheimnisvoller Komponente - wofür in den Romanen des Zeitkritikers kaum Platz war.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2018NEUE TASCHENBÜCHER
Seismograf der
Liebe
Wie beginnt Liebe? Immer wieder hat die Literatur in Worte zu fassen versucht, was sich im Grunde jeder Erklärung entzieht. Nicht selten hat sie dazu die Liebe auf den ersten Blick bemüht. Nicht so Turgenjew. In seinen Geschichten trifft es niemanden wie ein Blitz. Sondern das Begehren schleicht sich allmählich in die Herzen. Bis der 16-jährige Wolodja in der großen Novelle „Erste Liebe“ erstaunt „Ich war kein Junge mehr, ich war ein Verliebter“ ausruft, ist schon ein Drittel von ihr vorüber. Man hat Turgenjew als psychologisch versierten Seismografen der Liebe zu lesen, der nur zu gut weiß, wie er seine jungen Männer und Frauen in die Falle tappen lässt: durch einen Walzer hier, betörenden Duft dort. Und durch die richtige Lektüre. Jeder hier kennt seinen Puschkin. Turgenjew, der Realist, treibt sein Spiel mit romantischen Topoi, was die Ironie der natürlich unerfüllten Liebesgeschichten erklärt. In „Asja“ etwa fährt er die gesamte Rheinromantik auf, also Mond, Ruinen und die Loreley, und mitten drin: der Wildfang Asja. In den späten Erzählungen wird es dann gar schaurig, man schlafwandelt, und ein Liebender nennt sich „im Fieberwahn“ Romeo. FLORIAN WELLE
Iwan Turgenjew: Die schönsten Liebesgeschichten. A. d. Russ. von Herbert Wotte, Walter Schade u .a. Insel Verlag, Berlin 2018. 426 Seiten, 10 Euro.
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Seismograf der
Liebe
Wie beginnt Liebe? Immer wieder hat die Literatur in Worte zu fassen versucht, was sich im Grunde jeder Erklärung entzieht. Nicht selten hat sie dazu die Liebe auf den ersten Blick bemüht. Nicht so Turgenjew. In seinen Geschichten trifft es niemanden wie ein Blitz. Sondern das Begehren schleicht sich allmählich in die Herzen. Bis der 16-jährige Wolodja in der großen Novelle „Erste Liebe“ erstaunt „Ich war kein Junge mehr, ich war ein Verliebter“ ausruft, ist schon ein Drittel von ihr vorüber. Man hat Turgenjew als psychologisch versierten Seismografen der Liebe zu lesen, der nur zu gut weiß, wie er seine jungen Männer und Frauen in die Falle tappen lässt: durch einen Walzer hier, betörenden Duft dort. Und durch die richtige Lektüre. Jeder hier kennt seinen Puschkin. Turgenjew, der Realist, treibt sein Spiel mit romantischen Topoi, was die Ironie der natürlich unerfüllten Liebesgeschichten erklärt. In „Asja“ etwa fährt er die gesamte Rheinromantik auf, also Mond, Ruinen und die Loreley, und mitten drin: der Wildfang Asja. In den späten Erzählungen wird es dann gar schaurig, man schlafwandelt, und ein Liebender nennt sich „im Fieberwahn“ Romeo. FLORIAN WELLE
Iwan Turgenjew: Die schönsten Liebesgeschichten. A. d. Russ. von Herbert Wotte, Walter Schade u .a. Insel Verlag, Berlin 2018. 426 Seiten, 10 Euro.
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»Man hat Turgenjew als psychologisch versierten Seismografen der Liebe zu lesen, der nur zu gut weiß, wie er seine jungen Männer und Frauen in die Falle tappen lässt: durch einen Walzer hier, betörenden Duft dort. Und durch die richtige Lektüre.« Florian Welle Süddeutsche Zeitung 20180914