Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2002Die Liebe zum Tohuwabohu
Friedrich Karl Waechters drastische, zärtliche "Schöpfung"
War Gott, als er die Erde schuf, eigentlich selber ganz da? Friedrich Karl Waechter läßt ihn am Anfang seines neuen Schöpfungs-Bilderbuches auf die Welt kommen wie alle anderen Menschen auch: Durch einen dunklen Schlund wird er herausgedrückt, Kopf voran mit puterrotem Gesicht, in Schmerz und Arbeit - ein Baby mit uralten, verdrossenen Zügen. Auf dem Kopf trägt es einen Hut wie Uncle Sam, vielleicht ist es aber auch der Hut eines Zauberers.
Ins Tohuwabohu kommt er hinein, der kleine Schöpfer, und Waechter liebt dieses Wort so sehr, daß er es ständig wiederholt in den Sätzen, die er in biblischer Ruhe und Knappheit über seinen Bildern am oberen Rand entlanglaufen läßt. Tohuwabohu ist das Wort, das am häufigsten vorkommt in dieser wilden, energiegeladenen Schöpfungsgeschichte, die gar nicht so sehr von der Schöpfung als solcher handelt, sondern davon, wie etwas erst wüst und leer ist, auch nachdem es erschaffen wurde, und dann plötzlich voller Leben und von dem Wunder, durch das dies geschehen konnte.
Denn Gott, oder wie wir den spillerigen kleinen Kerl mit Hut nennen wollen, der hier anfängt, aus dem Tohuwabohu, von dem er selbst nur ein kleiner Teil ist, etwas zu machen, dieser kleine Männchengott bleibt verdrossen und unfroh, während er schafft und schafft. Zuerst löffelt er aber den Teller Suppe aus, das einzige, was er vorfindet in dem Chaos - und nur der Leser weiß, daß die Schöpferin dieser Ursuppe die kleine Eva war mit den blonden Zöpfen, denn die sah man mit Schöpfkelle und Teller schon auf dem Vorsatzblatt.
Jedenfalls ißt das Männchen, das vielleicht gar nicht Gott, sondern Adam ist, seinen Teller leer und macht anschließend die Welt voll. Erst pinkelt er das weite, große Meer einfach so hin - ein atemberaubendes, weit ausuferndes Bild von wasserblauer Omnipotenz tut sich dabei vor uns auf -, dann legt er große braune Haufen und nennt sie Afrika, Amerika und so weiter. Hier sehen wir die drastischsten Bilder des Buches: einen hockenden Wicht mit Hut, das Gesicht von der Anstrengung verzerrt, die Fäuste verkrampft, wie er sich mühevoll und mit großer Kraft ausdrückt. Kinder, für die ja die Schöpfung als analer Akt eine lustvolle Selbstverständlichkeit ist, werden diese Bilder besonders genießen und laut lachen.
Die wilde, ungestüme Wirkung dieser Episode der Schöpfungsgeschichte wird durch die Buchgestaltung und Bildtechnik noch intensiviert. Zunächst bestätigt das überdimensionale Format, daß es sich hier um eine der ganz großen Geschichten des Lebens handelt. Den weiten Umfang nutzt Waechter für eine neue Art der Bildaufteilung, mit der er zugleich ein schmaleres, hochformatiges und ein weites, ausladendes Bild auf einer Doppelseite zeigen kann. Dabei ist immer das Rauhe, Ungehobelte und Unfertige der ersten Tage zu spüren. Als Bildhintergrund dienen Pappblätter, faserige Tonpapiere oder marmorierte Seiten, auf denen es ungeordnet von Farben und Formen brodelt. Darüber agieren die Figuren als Zeichnungsausschnitte. Sie sind klar, schlicht und mit weichen Bewegungen, mit wenigen Kreidestrichen lebendig: Adam und Eva.
Denn nun kommt Eva endlich hinzu. Adam muß ganz schön schleppen an dem Erdbrocken, aus dem er sie formt: ein knuffiges kleines Mädchen, das schon Zufriedenheit im Gesicht trägt, bevor sie überhaupt die Augen aufgeschlagen hat, und danach erst recht (der innigste Moment ist aber der davor). An Evas Seite verschwindet die Verdrossenheit aus Adams Mundwinkeln, und zusammen erleben sie das Wunder: daß sich die Erde belebt. Sie bevölkert sich mit Fabelwesen, Fischen und Vögeln, die Waechter aus allerlei alten Stichen oder neuen Fotografien ausgeschnitten und zu einer surrealen Collagelandschaft über die Seiten ausgestreut hat. Adam wundert sich, und Eva erklärt ihm das Wunder. Wir wissen nicht, was sie sagt, aber sie tut es mit einer zärtlichen, hingebungsvollen, fordernden Geste.
Schon die letzten Bilderbücher Waechters waren Bücher mit glücklichem Ausgang. Aber keines davon ist eine so direkte Aufforderung zum Glücklichsein wie dieses und mit solcher Wucht ausgesprochen, ohne viel Worte.
MONIKA OSBERGHAUS.
Friedrich Karl Waechter: "Die Schöpfung". Diogenes Verlag, Zürich 2002. 56 S., geb., 24,90. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Friedrich Karl Waechters drastische, zärtliche "Schöpfung"
War Gott, als er die Erde schuf, eigentlich selber ganz da? Friedrich Karl Waechter läßt ihn am Anfang seines neuen Schöpfungs-Bilderbuches auf die Welt kommen wie alle anderen Menschen auch: Durch einen dunklen Schlund wird er herausgedrückt, Kopf voran mit puterrotem Gesicht, in Schmerz und Arbeit - ein Baby mit uralten, verdrossenen Zügen. Auf dem Kopf trägt es einen Hut wie Uncle Sam, vielleicht ist es aber auch der Hut eines Zauberers.
Ins Tohuwabohu kommt er hinein, der kleine Schöpfer, und Waechter liebt dieses Wort so sehr, daß er es ständig wiederholt in den Sätzen, die er in biblischer Ruhe und Knappheit über seinen Bildern am oberen Rand entlanglaufen läßt. Tohuwabohu ist das Wort, das am häufigsten vorkommt in dieser wilden, energiegeladenen Schöpfungsgeschichte, die gar nicht so sehr von der Schöpfung als solcher handelt, sondern davon, wie etwas erst wüst und leer ist, auch nachdem es erschaffen wurde, und dann plötzlich voller Leben und von dem Wunder, durch das dies geschehen konnte.
Denn Gott, oder wie wir den spillerigen kleinen Kerl mit Hut nennen wollen, der hier anfängt, aus dem Tohuwabohu, von dem er selbst nur ein kleiner Teil ist, etwas zu machen, dieser kleine Männchengott bleibt verdrossen und unfroh, während er schafft und schafft. Zuerst löffelt er aber den Teller Suppe aus, das einzige, was er vorfindet in dem Chaos - und nur der Leser weiß, daß die Schöpferin dieser Ursuppe die kleine Eva war mit den blonden Zöpfen, denn die sah man mit Schöpfkelle und Teller schon auf dem Vorsatzblatt.
Jedenfalls ißt das Männchen, das vielleicht gar nicht Gott, sondern Adam ist, seinen Teller leer und macht anschließend die Welt voll. Erst pinkelt er das weite, große Meer einfach so hin - ein atemberaubendes, weit ausuferndes Bild von wasserblauer Omnipotenz tut sich dabei vor uns auf -, dann legt er große braune Haufen und nennt sie Afrika, Amerika und so weiter. Hier sehen wir die drastischsten Bilder des Buches: einen hockenden Wicht mit Hut, das Gesicht von der Anstrengung verzerrt, die Fäuste verkrampft, wie er sich mühevoll und mit großer Kraft ausdrückt. Kinder, für die ja die Schöpfung als analer Akt eine lustvolle Selbstverständlichkeit ist, werden diese Bilder besonders genießen und laut lachen.
Die wilde, ungestüme Wirkung dieser Episode der Schöpfungsgeschichte wird durch die Buchgestaltung und Bildtechnik noch intensiviert. Zunächst bestätigt das überdimensionale Format, daß es sich hier um eine der ganz großen Geschichten des Lebens handelt. Den weiten Umfang nutzt Waechter für eine neue Art der Bildaufteilung, mit der er zugleich ein schmaleres, hochformatiges und ein weites, ausladendes Bild auf einer Doppelseite zeigen kann. Dabei ist immer das Rauhe, Ungehobelte und Unfertige der ersten Tage zu spüren. Als Bildhintergrund dienen Pappblätter, faserige Tonpapiere oder marmorierte Seiten, auf denen es ungeordnet von Farben und Formen brodelt. Darüber agieren die Figuren als Zeichnungsausschnitte. Sie sind klar, schlicht und mit weichen Bewegungen, mit wenigen Kreidestrichen lebendig: Adam und Eva.
Denn nun kommt Eva endlich hinzu. Adam muß ganz schön schleppen an dem Erdbrocken, aus dem er sie formt: ein knuffiges kleines Mädchen, das schon Zufriedenheit im Gesicht trägt, bevor sie überhaupt die Augen aufgeschlagen hat, und danach erst recht (der innigste Moment ist aber der davor). An Evas Seite verschwindet die Verdrossenheit aus Adams Mundwinkeln, und zusammen erleben sie das Wunder: daß sich die Erde belebt. Sie bevölkert sich mit Fabelwesen, Fischen und Vögeln, die Waechter aus allerlei alten Stichen oder neuen Fotografien ausgeschnitten und zu einer surrealen Collagelandschaft über die Seiten ausgestreut hat. Adam wundert sich, und Eva erklärt ihm das Wunder. Wir wissen nicht, was sie sagt, aber sie tut es mit einer zärtlichen, hingebungsvollen, fordernden Geste.
Schon die letzten Bilderbücher Waechters waren Bücher mit glücklichem Ausgang. Aber keines davon ist eine so direkte Aufforderung zum Glücklichsein wie dieses und mit solcher Wucht ausgesprochen, ohne viel Worte.
MONIKA OSBERGHAUS.
Friedrich Karl Waechter: "Die Schöpfung". Diogenes Verlag, Zürich 2002. 56 S., geb., 24,90
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Seine Phantasie ist unerschöpflich." (Lutz Wendler/Die Welt)
"Friedrich Karl Waechter zeichnet so souverän, daß oft übersehen wird, was er sprachlich leistet, wie er verdichtet. Beiläufig läßt der Texter Waechter das Tätigkeitswort `machen` von einer Bedeutung in die andere kippen, analog zum Zeichner Waechter, der scheinbar Eindeutiges mit wenigen Strichen neu situiert. Und so, wie er Alltagssprache und Luther-Ton verbindet, so gibt er seinem Kerlchen mal den Blick eines alten Mannes, mal das Staunen eines Knaben." (Hans Ten Doornkaat/Die Zeit)
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2003 in der Sparte Bilderbuch!
"Friedrich Karl Waechter zeichnet so souverän, daß oft übersehen wird, was er sprachlich leistet, wie er verdichtet. Beiläufig läßt der Texter Waechter das Tätigkeitswort `machen` von einer Bedeutung in die andere kippen, analog zum Zeichner Waechter, der scheinbar Eindeutiges mit wenigen Strichen neu situiert. Und so, wie er Alltagssprache und Luther-Ton verbindet, so gibt er seinem Kerlchen mal den Blick eines alten Mannes, mal das Staunen eines Knaben." (Hans Ten Doornkaat/Die Zeit)
Nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2003 in der Sparte Bilderbuch!
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
F.K. Waechter erzählt die Schöpfungsgeschichte neu, mit wenig Worten und viel Bildern, informiert uns Harald Eggebrecht. Nicht jedem wird diese Neufassung aus scheinbar kindlicher Perspektive gefallen, vermutet er, denn vieles ist seiner Meinung nach nahe am Kitsch, und die "Freudianischen Ironien über die Schöpfungskraft des Kleinkindes" findet er "etwas überstrapaziert". Dennoch, stellt er fest, übe dieses Buch gerade durch die kindliche Perspektive eine "seltsame, verstörende Wirkung "aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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