Im Zentrum dieses vielschichtigen Abenteuerromans steht das Schicksal der österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition der »Payer-Weyprecht-Expedition«, die im arktischen Sommer 1872 in das unerforschte Meer nordöstlich des sibirischen Archipels Nowaja Semlja aufbricht. Das Expeditionsschiff wird bald - und für immer - vom Packeis eingeschlossen. Nach einer mehr als einjährigen Drift durch alle Schrecken des Eises und der Finsternis entdeckt die vom Skorbut geplagte Mannschaft eine unter Gletschern begrabene Inselgruppe am Rande der Welt und tauft sie zu Ehren eines fernen Herrschers »Kaiser-Franz-Joseph-Land«. Einer der letzten blinden Flecke ist damit von der Landkarte der Alten Welt getilgt.
Parallel zum Drama dieser historischen Expedition erzählt Ransmayr die Geschichte eines jungen, in Wien lebenden Italieners namens Mazzini, der mehr als hundert Jahre später zum besessenen Sammler aller hinterlassenen Zeugnisse und Dokumente der »Payer-Weyprecht-Expedition« wird undschließlich ins Eismeer aufbricht, um als Passagier eines norwegischen Forschungsschiffes die Entdeckung des »Franz-Joseph-Landes« nachzuvollziehen. Aber im Verlauf seiner Recherchen zur polaren Entdeckungsgeschichte gerät Mazzini immer tiefer in die arktische Gegenwart und verschwindet schließlich, ein Schlittenreisender, in den Gletscherlandschaften Spitzbergens.
Parallel zum Drama dieser historischen Expedition erzählt Ransmayr die Geschichte eines jungen, in Wien lebenden Italieners namens Mazzini, der mehr als hundert Jahre später zum besessenen Sammler aller hinterlassenen Zeugnisse und Dokumente der »Payer-Weyprecht-Expedition« wird undschließlich ins Eismeer aufbricht, um als Passagier eines norwegischen Forschungsschiffes die Entdeckung des »Franz-Joseph-Landes« nachzuvollziehen. Aber im Verlauf seiner Recherchen zur polaren Entdeckungsgeschichte gerät Mazzini immer tiefer in die arktische Gegenwart und verschwindet schließlich, ein Schlittenreisender, in den Gletscherlandschaften Spitzbergens.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.12.2007Wie Adam vor dem Fall
Christoph Ransmayr: „Die Schrecken des Eises und der Finsternis”
K.u.k. österreichisch-ungarische Nordpolexpedition – schon das klingt wie eine Erfindung von Herzmanowsky-Orlando. Franz-Joseph-Land: gewiss, auf der Karte des nördlichen Eismeers ist es eingezeichnet, aber seine Entdeckung und seine Namensgebung entziehen sich der Wahrscheinlichkeit. Überhaupt, Nord- und Südpol – sind das nicht reine Fiktionen, geographische Phantasien, das Nichts in Eiswüste, Schnee und ungeheuerlichem Klima?
Christoph Ransmayr, Jahrgang 1954, aus Oberösterreich stammend, erzählt die Geschichte dieser Expedition, die zwischen 1872 und 1874 zwei entsetzliche Polarwinter lang im Packeis festsaß und dabei ein von Gletschern bedecktes schneesturmumtostes Land aus schwarzen Steinen entdeckte, das sie zu Ehren ihres Kaisers „Franz-Joseph-Land” taufte. Er erzählt von den unsäglichen Strapazen und qualvollen Verzweiflungen der Teilnehmer, darunter Südländer, für die Eis und Schnee mehr exotische Legenden als Realitäten waren, von den unmenschlichen Anstrengungen der Besatzung, ihr Schiff, die „Admiral Tegetthoff”, wieder in freies Wasser zu bekommen, schließlich von der unglaublichen Rückkehr in die Zivilisation zu Fuß über das Eis.
Und er erzählt von Josef Mazzini, der von seiner Mutter erfährt, dass seine Vorfahren Helden waren, vor allem sein Urgroßonkel Antonio Scarpa, der die kaiserlich-königliche Nordfahrt mitgemacht und überlebt hatte. Mazzini stößt auf die Dokumente der Polexpedition und entwickelt aus seiner Faszination für deren – nach seiner Meinung von ihm erfundene – Realität die Obsession, sich auf die Spuren der Eismeerfahrer zu begeben, ihnen ein echter Nachfahre zu sein. So gerät er in die Arktis und verschwindet schließlich in den Gletschern Spitzbergens wie eine Phantasie in der Wirklichkeit.
Ransmayr breitet einen grandiosen Fund aus: Wie der Kommandant zu Wasser, Carl Weyprecht, allen Ungeheuerlichkeiten zum Trotz Fassung, Mut und Forschergeist in sich vereint; wie der Kommandant zu Lande, Julius Payer, besessen ist vom noch nie gesehenen paradiesischen Land und, wie Adam vor dem Fall, auch den unwirtlichsten Stätten dieser Erde Namen gibt, sich als Herr der Welt fühlt, weil er sie als Erster betreten hat. Wenn Ransmayr aus den diversen Tagebüchern und Berichten der Expeditionsteilnehmer zitiert, entsteht allmählich der Eindruck, dass jeder seine eigene Expedition erlebt. Aus der herrschaftlichen k.u.k. Nordpolexpedition heraus erwachsen die einzelnen Blicke und Wahrnehmungen, die Ansichten und Erfahrungen von Männern, die nach Klasse, Beruf, Herkunft, Vorstellungen und Ausbildung grundverschieden sind.
Einen Roman hat Ransmayr sein Buch genannt, sich selbst einen Chronisten. Doch auf seltsame Weise wirken alle zitierten Dokumente, die Versuche, die Nüchternheit des Tatsächlichen zu erreichen, vergeblich, denn alle Unternehmungen auf der Suche nach Nordwest- und Nordostpassagen bleiben unwirklich, imaginär. Von ihnen geht ein Zauber aus, den Ransmayr in seiner großartigen „Chronik” mit strenger Zurückhaltung, respektvoller Sympathie, sorgfältiger Recherche und einer staunenswert klaren Sprache eingefangen hat. HARALD EGGEBRECHT
Christoph Ransmayr Foto: Teutopress/SV-Bilderdienst
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Christoph Ransmayr: „Die Schrecken des Eises und der Finsternis”
K.u.k. österreichisch-ungarische Nordpolexpedition – schon das klingt wie eine Erfindung von Herzmanowsky-Orlando. Franz-Joseph-Land: gewiss, auf der Karte des nördlichen Eismeers ist es eingezeichnet, aber seine Entdeckung und seine Namensgebung entziehen sich der Wahrscheinlichkeit. Überhaupt, Nord- und Südpol – sind das nicht reine Fiktionen, geographische Phantasien, das Nichts in Eiswüste, Schnee und ungeheuerlichem Klima?
Christoph Ransmayr, Jahrgang 1954, aus Oberösterreich stammend, erzählt die Geschichte dieser Expedition, die zwischen 1872 und 1874 zwei entsetzliche Polarwinter lang im Packeis festsaß und dabei ein von Gletschern bedecktes schneesturmumtostes Land aus schwarzen Steinen entdeckte, das sie zu Ehren ihres Kaisers „Franz-Joseph-Land” taufte. Er erzählt von den unsäglichen Strapazen und qualvollen Verzweiflungen der Teilnehmer, darunter Südländer, für die Eis und Schnee mehr exotische Legenden als Realitäten waren, von den unmenschlichen Anstrengungen der Besatzung, ihr Schiff, die „Admiral Tegetthoff”, wieder in freies Wasser zu bekommen, schließlich von der unglaublichen Rückkehr in die Zivilisation zu Fuß über das Eis.
Und er erzählt von Josef Mazzini, der von seiner Mutter erfährt, dass seine Vorfahren Helden waren, vor allem sein Urgroßonkel Antonio Scarpa, der die kaiserlich-königliche Nordfahrt mitgemacht und überlebt hatte. Mazzini stößt auf die Dokumente der Polexpedition und entwickelt aus seiner Faszination für deren – nach seiner Meinung von ihm erfundene – Realität die Obsession, sich auf die Spuren der Eismeerfahrer zu begeben, ihnen ein echter Nachfahre zu sein. So gerät er in die Arktis und verschwindet schließlich in den Gletschern Spitzbergens wie eine Phantasie in der Wirklichkeit.
Ransmayr breitet einen grandiosen Fund aus: Wie der Kommandant zu Wasser, Carl Weyprecht, allen Ungeheuerlichkeiten zum Trotz Fassung, Mut und Forschergeist in sich vereint; wie der Kommandant zu Lande, Julius Payer, besessen ist vom noch nie gesehenen paradiesischen Land und, wie Adam vor dem Fall, auch den unwirtlichsten Stätten dieser Erde Namen gibt, sich als Herr der Welt fühlt, weil er sie als Erster betreten hat. Wenn Ransmayr aus den diversen Tagebüchern und Berichten der Expeditionsteilnehmer zitiert, entsteht allmählich der Eindruck, dass jeder seine eigene Expedition erlebt. Aus der herrschaftlichen k.u.k. Nordpolexpedition heraus erwachsen die einzelnen Blicke und Wahrnehmungen, die Ansichten und Erfahrungen von Männern, die nach Klasse, Beruf, Herkunft, Vorstellungen und Ausbildung grundverschieden sind.
Einen Roman hat Ransmayr sein Buch genannt, sich selbst einen Chronisten. Doch auf seltsame Weise wirken alle zitierten Dokumente, die Versuche, die Nüchternheit des Tatsächlichen zu erreichen, vergeblich, denn alle Unternehmungen auf der Suche nach Nordwest- und Nordostpassagen bleiben unwirklich, imaginär. Von ihnen geht ein Zauber aus, den Ransmayr in seiner großartigen „Chronik” mit strenger Zurückhaltung, respektvoller Sympathie, sorgfältiger Recherche und einer staunenswert klaren Sprache eingefangen hat. HARALD EGGEBRECHT
Christoph Ransmayr Foto: Teutopress/SV-Bilderdienst
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