Die philosophischen Positionen Blanchots sind seit langem fester Bestandteil der zeitgenössischen Theoriediskussionen und haben so unterschiedliche Köpfe wie Deleuze, Derrida oder Foucault massgeblich geprägt. Aus den Überlegungen des späten Blanchot, der sich zunehmend intensiver mit der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten auseinandersetzt und deren Konsequenzen zu erfassen versucht, ging das vorliegende Buch hervor. Es ist eine Sammlung von Fragmenten und Gedankensplittern, die teils streng philosophischen, teils mediativen, teils literarischen Charakter haben und die allesamt Reflexionen über das Ereignis bilden, das mit dem Namen "Auschwitz" zu bezeichnen Gewohnheit geworden ist. Die herausragende Qualität von Desaster ist es, dass dieses Buch nicht einfach auf den "Gegenstand" der Reflexionen zielt und die Vernichtung der Juden zum Thema macht, sondern zugleich und in erster Linie eine Reflexion auf die Form des Denkens selbst bildet. Das tut es in der Annahme, ein derart epochales Ereignis könne nicht ohne Folgen für das Denken gewesen sein und müsse auch seine elementaren Formen affiziert haben. "Nach Auschwitz" ist das Vertrauen in die traditionellen Methoden des diskursiven Denkens zerbrochen, das Denken selbst ist zu Bruch gegangen. Aus diesem Grund unternimmt Blanchot es, das Unheile des Bruchstücks als eine neue Denkform zu entwickeln. In dieser Perspektive ist seine Schrift nichts geringeres als eine Art Discours de la méthode aus dem Geist des Fragmentarischen, eine Abhandlung über die Methode des Denkens unter den Bedingungen des absoluten Zusammenbruchs und im Zeitalter des Desasters.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit einem Vierteljahrhundert Verspätung erscheint "Die Schrift des Desasters", die als einer von Maurice Blanchots "philosophischen Schlüsseltexten" gelten kann, nun begrüßenswerterweise auf Deutsch, erklärt Rezensent Hans-Peter Kunisch. Diesen Text zu verstehen, so Kunisch weiter, setzt jedoch voraus, dass man Blanchots bewegten gedanklichen und politischen Werdegang - vom erznationalen Antisemiten zum Mitglied der Resistance - kennt. Im Mittelpunkt dieser Schrift, wenn auch eher versteckt, stehe das titelgebende Desaster: der Holocaust und die mit ihm einhergehende Zerstörung des Denkens und seiner Repräsentationsformen. Aus dieser festgestellten Zerstörung ergebe sich für Blanchot die "paradoxe" Frage: Wie kann man "aus dem Denken das machen, was den Holocaust bewahren könnte, in dem alles verloren gegangen ist, auch das bewahrende Denken"? In seinem Versuch, diese Frage zu beantworten, greife Blanchot zu einer fragmentarischen Darstellungsweise. Doch wie der Rezensent feststellt, macht diese Abwesenheit eines absoluten Gültigkeitsanspruchs gegenüber der Wirklichkeit Blanchots Position nicht unangreifbar. Für Kunisch stiehlt sich Blanchot an seiner eigenen "politischen Genealogie" vorbei, insofern als er sich mit der Verabsolutierung des Holocaust und dessen geschichtsbeendendem Charakter der Frage nach dem "Zusammenhang zwischen intellektuellem Rechtsnationalismus, ökonomischer Macht, Gewalt und Antisemitismus" entziehe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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