Luxuriöse Bälle und große Jagden auf prächtigen Landschlössern, Affären in Budapester Palais, Duelle im Morgengrauen, Intrigen im Parlament: Sie bilden den Hintergrund dieses Romans, der die untergehende Welt zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus der Sicht der beiden jungen Grafen Bálint Abády und László Gyeröffy schildert. Das Buch erzählt vom Versagen der herrschenden Schichten und entwirft ein Gesellschaftsbild vom Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie. Dieser erste Band der "Siebenbürger Geschichte" wurde vor dem Zweiten Weltkrieg in Ungarn publiziert, kürzlich wiederentdeckt und erscheint jetzt erstmals auf Deutsch.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.03.2012Abendland ist noch nicht abgebrannt
Der Tolstoi von Transsylvanien ist zu entdecken: Miklós Bánffys Epos "Die Schrift in Flammen"
Von Wolfgang Schneider
Die literarischen Großwerke, die die Jahre vor dem Epochenbruch des Ersten Weltkriegs schildern, erweisen sich meist als melancholische Katastrophengesänge. Es sind Gesellschaftsanalysen, denen die Fatalität eingeschrieben ist. "Der Mann ohne Eigenschaften", "Der Zauberberg", "Radetzkymarsch" - der Donnerschlag des Kriegsausbruchs steht am Ende. Über der zum Tod verurteilten Welt liegt bei aller Kritik der Schmelz des Unwiederbringlichen.
So ist es auch in Miklós Bánffys Epos "Die Schrift in Flammen", in drei Bänden erschienen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Es ist eine opulente und heute ziemlich exotisch anmutende Darstellung der ungarischen Hocharistokratie in den Jahren 1904 bis 1914. Graf Bánffy wurde 1873 in Klausenburg geboren. Als Jurist ging er in den diplomatischen Dienst, war dann - wie seine Hauptfigur Bálint Abády - Parlamentsabgeordneter. Während des Ersten Weltkrieges hat er als Intendant der Budapester Oper und des Nationaltheaters gewirkt, danach wurde er kurzfristig ungarischer Außenminister. 1950 gestorben, war er während der kommunistischen Ära ein verdrängter Autor, schon aufgrund der aristokratischen Herkunft und seiner "reaktionären", will sagen: liberalen politischen Haltung. Seit den achtziger Jahren wurde vor allem seine Romantrilogie in Ungarn wiederentdeckt. Nun ist der erste Band endlich auch auf Deutsch erschienen, geschmeidig übertragen von Andreas Oplatka.
Warum Bánffy als Tolstoi von Transsylvanien gilt, spürt man schon bei der Erzähldramaturgie des einleitenden Kapitels. Es spielt auf einer staubigen Landstraße. Bálint Abády ist in einem etwas lahmen Landauer unterwegs zu einem Schloss, wo eine rauschende Feier stattfinden soll. Ständig wird er überholt von den flotten Gefährten der anderen Gäste. So ergibt sich die Gelegenheit, gewissermaßen in voller Fahrt mittels Bálints Reflexionen die wichtigen Figuren vorzustellen. Fahrweise und Ausstattung der Kutschen ergeben jeweils charakterologische und soziale Aufschlüsse.
Bälle, Sommerfeste, Jagdvergnügen, alberne, leider öfter tödliche Duelle, leidenschaftliche und komplexe Intrigen, sogar ein Mord - es wird viel geboten. Zwei Cousins sind die Hauptfiguren, auf die Bánffy seine Hauptinteressen verteilt: die Politik und die Kunst. Bálint Abády ist ein junger Weltmann voller Idealismus, der die Verhältnisse in der Provinz verbessern will, sich allerdings in den Niederungen der Tagespolitik schwertut. Lázlo Gyeröffy strebt nach Komponistenruhm. Als Waisenkind bei reichen Verwandten aufgewachsen, treibt ihn die innere Unruhe. Er fühlt sich überall fremd und beneidet den Cousin um dessen Selbstsicherheit. Zunehmend verfällt er dem hasardeurhaften Spiel und dem Alkohol. Grandios die Szenen im Casino, die Beschreibungen seiner inneren Ekstasen bei leidenschaftsloser Miene, die Darstellung der Glücksräusche und Kontrollverluste am Spieltisch.
Der Roman enthält drei große Liebesgeschichten; von der tragischen Farce (der fiese Baron Wickwitz, der seine Schulden durch eine lukrative Vermählung loswerden will) über eine bittere Komödie der Missverständnisse (Lázlo und Klára) bis hin zur großen Oper von Leidenschaft und Entsagung bei BálintAbády und Adrienne Uzdy. Entweder Schulden und Liebe - oder Schuld und Liebe. Denn der Frauenheld Bálint trifft mit Adrienne auf eine traumatisierte, in ihrer Ehe regelmäßig vergewaltigte Mädchenfrau, bei der ihm sein eigenes, sonst so selbstverständlich genossenes Verlangen plötzlich als unzumutbar erscheint.
Passenderweise stilisiert sich Adriennes Ehemann Pali Uzdyins zum Satanischen. Wie einige andere Zuschreibungen bei der Figurendarstellung mag dieses Leitmotiv überpointiert erscheinen. Bánffys Kunst besteht aber darin, solche Etikettierungen durch suggestive Darstellung zu beglaubigen: Wenn wir lesen, wie Uzdy auf seinem Anwesen herumgeistert, wie er in Gesprächen auftrumpft, wie er Treffen von Adrienne und Bálint hämisch-gönnerhaft zustimmt, wie er jederzeit Ironie und Selbstkontrolle wahrt und nur bei seinen Schießübungen ganz außer sich gerät - dann erscheint er tatsächlich als zwielichtige, undurchschaubar gefährliche, kurz: dämonische Gestalt.
Die Leidenschaft von Abády und Adrienne köchelt auf hoher Entsagungsflamme, bis am Ende dieses ersten Bandes in Venedig die einfühlsame Balintsche Trauma-Arbeit zum Erfolg führt. Manchmal liegt ein Hauch von Edelkitsch über der Darstellung dieser Liebe, wie bei Sándor Márai. Aber man schmachtet gern mit. Denn Bánffy ist ein begnadeter Menschenschilderer. Mit wenigen gestischen Strichen erweckt er Figuren zum Leben. Humorvoll sind seine Darstellungen des Luxus und der Moden: "Der dicke Chefkutscher saß auf dem Bock - die Mode verlangte, dass der Kutscher dick war -, während der mitfahrende junge Diener um des Gegensatzes willen spindeldürr und von kleinem Wuchs zu sein hatte." Voller Schönheit sind die Naturbeschreibungen: der Hochwald, die Ebenen, die dunstverhangenen Flusstäler und Wasserfälle. Höhepunkte sind die Kapitel, in denen Balint durch winterliche Gebirgslandschaften streift, über denen sonnendurchleuchtete Schneeschleier wehen. Er verbringt Nächte am Feuer, im Kreis rumänischer Holzfäller - epische Gegengewichte zu den Gesellschaftsszenen.
Wenn er sich um die "einfachen" Menschen bemüht, kollidiert Bálints Idealismus immer wieder mit der Realität. Dass er eine Genossenschaft einrichten, eine Volksbibliothek stiften und eine Mustergärtnerei anlegen will, erzeugt bei den Betroffenen eher Argwohn. Als clevere Verhinderer von Reformen erweisen sich die etablierten Honoratioren wie der Kreisnotar, der Pope oder der Forstverwalter.
Am schwächsten sind die politischen Passagen. Da geht es um die Niederungen der Siebenbürger Landespolitik und die Winkelzüge von Provinzpotentaten. Diese oft etwas hölzern dargebotenen Vorgänge machen immerhin deutlich: Es rumort mächtig im österreichisch-ungarischen Gefüge. Nationalisten richten ihren Hass gegen Wien, während sie zugleich die rumänische Minderheit magyarisieren wollen. Für die Aristokraten scheint das Abgeordnetenmandat eine Art Sport, der einen freilich nicht an anderen Vergnügungen wie Rebhuhnjagden und Pferderennen hindern darf. Der politische Betrieb erweist sich in Bánffys Darstellung abermals als Jahrmarkt der Eitelkeiten. Parteigezänk, Postengeschacher, Wichtigtuerei, Hohlheit - insofern sind die Vorgänge durchaus epochenübergreifend.
Die Schieflage dieser dekadenten Gesellschaft wird auf jeder Seite deutlich. "Die Schrift in Flammen" bietet Menetekel und Melodrama: ein Gesellschaftspanorama, das viel von Joseph Roth, Tolstoi und Proust hat - und sich in den süffig-seifigeren Passagen zugleich als ungarisches "Vom Winde verweht" lesen lässt.
Miklós Bánffy: "Die Schrift in Flammen". Roman.
Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka. Zsolnay Verlag, Wien 2012. 800 S., geb., 27,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Tolstoi von Transsylvanien ist zu entdecken: Miklós Bánffys Epos "Die Schrift in Flammen"
Von Wolfgang Schneider
Die literarischen Großwerke, die die Jahre vor dem Epochenbruch des Ersten Weltkriegs schildern, erweisen sich meist als melancholische Katastrophengesänge. Es sind Gesellschaftsanalysen, denen die Fatalität eingeschrieben ist. "Der Mann ohne Eigenschaften", "Der Zauberberg", "Radetzkymarsch" - der Donnerschlag des Kriegsausbruchs steht am Ende. Über der zum Tod verurteilten Welt liegt bei aller Kritik der Schmelz des Unwiederbringlichen.
So ist es auch in Miklós Bánffys Epos "Die Schrift in Flammen", in drei Bänden erschienen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. Es ist eine opulente und heute ziemlich exotisch anmutende Darstellung der ungarischen Hocharistokratie in den Jahren 1904 bis 1914. Graf Bánffy wurde 1873 in Klausenburg geboren. Als Jurist ging er in den diplomatischen Dienst, war dann - wie seine Hauptfigur Bálint Abády - Parlamentsabgeordneter. Während des Ersten Weltkrieges hat er als Intendant der Budapester Oper und des Nationaltheaters gewirkt, danach wurde er kurzfristig ungarischer Außenminister. 1950 gestorben, war er während der kommunistischen Ära ein verdrängter Autor, schon aufgrund der aristokratischen Herkunft und seiner "reaktionären", will sagen: liberalen politischen Haltung. Seit den achtziger Jahren wurde vor allem seine Romantrilogie in Ungarn wiederentdeckt. Nun ist der erste Band endlich auch auf Deutsch erschienen, geschmeidig übertragen von Andreas Oplatka.
Warum Bánffy als Tolstoi von Transsylvanien gilt, spürt man schon bei der Erzähldramaturgie des einleitenden Kapitels. Es spielt auf einer staubigen Landstraße. Bálint Abády ist in einem etwas lahmen Landauer unterwegs zu einem Schloss, wo eine rauschende Feier stattfinden soll. Ständig wird er überholt von den flotten Gefährten der anderen Gäste. So ergibt sich die Gelegenheit, gewissermaßen in voller Fahrt mittels Bálints Reflexionen die wichtigen Figuren vorzustellen. Fahrweise und Ausstattung der Kutschen ergeben jeweils charakterologische und soziale Aufschlüsse.
Bälle, Sommerfeste, Jagdvergnügen, alberne, leider öfter tödliche Duelle, leidenschaftliche und komplexe Intrigen, sogar ein Mord - es wird viel geboten. Zwei Cousins sind die Hauptfiguren, auf die Bánffy seine Hauptinteressen verteilt: die Politik und die Kunst. Bálint Abády ist ein junger Weltmann voller Idealismus, der die Verhältnisse in der Provinz verbessern will, sich allerdings in den Niederungen der Tagespolitik schwertut. Lázlo Gyeröffy strebt nach Komponistenruhm. Als Waisenkind bei reichen Verwandten aufgewachsen, treibt ihn die innere Unruhe. Er fühlt sich überall fremd und beneidet den Cousin um dessen Selbstsicherheit. Zunehmend verfällt er dem hasardeurhaften Spiel und dem Alkohol. Grandios die Szenen im Casino, die Beschreibungen seiner inneren Ekstasen bei leidenschaftsloser Miene, die Darstellung der Glücksräusche und Kontrollverluste am Spieltisch.
Der Roman enthält drei große Liebesgeschichten; von der tragischen Farce (der fiese Baron Wickwitz, der seine Schulden durch eine lukrative Vermählung loswerden will) über eine bittere Komödie der Missverständnisse (Lázlo und Klára) bis hin zur großen Oper von Leidenschaft und Entsagung bei BálintAbády und Adrienne Uzdy. Entweder Schulden und Liebe - oder Schuld und Liebe. Denn der Frauenheld Bálint trifft mit Adrienne auf eine traumatisierte, in ihrer Ehe regelmäßig vergewaltigte Mädchenfrau, bei der ihm sein eigenes, sonst so selbstverständlich genossenes Verlangen plötzlich als unzumutbar erscheint.
Passenderweise stilisiert sich Adriennes Ehemann Pali Uzdyins zum Satanischen. Wie einige andere Zuschreibungen bei der Figurendarstellung mag dieses Leitmotiv überpointiert erscheinen. Bánffys Kunst besteht aber darin, solche Etikettierungen durch suggestive Darstellung zu beglaubigen: Wenn wir lesen, wie Uzdy auf seinem Anwesen herumgeistert, wie er in Gesprächen auftrumpft, wie er Treffen von Adrienne und Bálint hämisch-gönnerhaft zustimmt, wie er jederzeit Ironie und Selbstkontrolle wahrt und nur bei seinen Schießübungen ganz außer sich gerät - dann erscheint er tatsächlich als zwielichtige, undurchschaubar gefährliche, kurz: dämonische Gestalt.
Die Leidenschaft von Abády und Adrienne köchelt auf hoher Entsagungsflamme, bis am Ende dieses ersten Bandes in Venedig die einfühlsame Balintsche Trauma-Arbeit zum Erfolg führt. Manchmal liegt ein Hauch von Edelkitsch über der Darstellung dieser Liebe, wie bei Sándor Márai. Aber man schmachtet gern mit. Denn Bánffy ist ein begnadeter Menschenschilderer. Mit wenigen gestischen Strichen erweckt er Figuren zum Leben. Humorvoll sind seine Darstellungen des Luxus und der Moden: "Der dicke Chefkutscher saß auf dem Bock - die Mode verlangte, dass der Kutscher dick war -, während der mitfahrende junge Diener um des Gegensatzes willen spindeldürr und von kleinem Wuchs zu sein hatte." Voller Schönheit sind die Naturbeschreibungen: der Hochwald, die Ebenen, die dunstverhangenen Flusstäler und Wasserfälle. Höhepunkte sind die Kapitel, in denen Balint durch winterliche Gebirgslandschaften streift, über denen sonnendurchleuchtete Schneeschleier wehen. Er verbringt Nächte am Feuer, im Kreis rumänischer Holzfäller - epische Gegengewichte zu den Gesellschaftsszenen.
Wenn er sich um die "einfachen" Menschen bemüht, kollidiert Bálints Idealismus immer wieder mit der Realität. Dass er eine Genossenschaft einrichten, eine Volksbibliothek stiften und eine Mustergärtnerei anlegen will, erzeugt bei den Betroffenen eher Argwohn. Als clevere Verhinderer von Reformen erweisen sich die etablierten Honoratioren wie der Kreisnotar, der Pope oder der Forstverwalter.
Am schwächsten sind die politischen Passagen. Da geht es um die Niederungen der Siebenbürger Landespolitik und die Winkelzüge von Provinzpotentaten. Diese oft etwas hölzern dargebotenen Vorgänge machen immerhin deutlich: Es rumort mächtig im österreichisch-ungarischen Gefüge. Nationalisten richten ihren Hass gegen Wien, während sie zugleich die rumänische Minderheit magyarisieren wollen. Für die Aristokraten scheint das Abgeordnetenmandat eine Art Sport, der einen freilich nicht an anderen Vergnügungen wie Rebhuhnjagden und Pferderennen hindern darf. Der politische Betrieb erweist sich in Bánffys Darstellung abermals als Jahrmarkt der Eitelkeiten. Parteigezänk, Postengeschacher, Wichtigtuerei, Hohlheit - insofern sind die Vorgänge durchaus epochenübergreifend.
Die Schieflage dieser dekadenten Gesellschaft wird auf jeder Seite deutlich. "Die Schrift in Flammen" bietet Menetekel und Melodrama: ein Gesellschaftspanorama, das viel von Joseph Roth, Tolstoi und Proust hat - und sich in den süffig-seifigeren Passagen zugleich als ungarisches "Vom Winde verweht" lesen lässt.
Miklós Bánffy: "Die Schrift in Flammen". Roman.
Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka. Zsolnay Verlag, Wien 2012. 800 S., geb., 27,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Aufgemerkt, ruft uns ein jubelnder Wolfgang Schneider zu, es gilt einen großen Klassiker der ungarischen Literatur, mithin den "Tolstoi von Transsylvanien" zu entdecken! Mit all ihren Schilderungen von Bällen, Intrigen und Duellen sei diese ursprünglich kurz vor dem 2. Weltkrieg in drei Bänden erschienene, "heute ziemlich exotisch anmutende" Rückschau auf die ungarische Aristokratie kurz vor dem Ersten Weltkrieg, die auch den familienbiografischen Hintergrund von Miklós Bánffy bildet, lebensprall geraten, schwärmt der Rezensent. Zur Beschreibung dieses "Gesellschaftspanoramas" zieht dieser nur die größten Namen - Roth, Tolstoi, Proust - heran und fühlt sich noch bei den "Edelkitsch"-Passagen, denen er aber mit Wonne erliegt, immerhin noch an "Vom Winde verweht" erinnert. Auch ansonsten Lob in höchsten Tönen: Mit grandiosen Casinoszenen, schönen Naturbeschreibungen, begnadeten Charakterzeichnungen, bitteren Komödien und einer "großen Oper" locke dieses Werk, mit dessen etwas schwächeren "politischen Passagen" der Rezensent sich dann auch gut arrangieren kann.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.07.2014Die mürbe Lust
am Untergang
Es werden Festessen gegeben, bei denen elektrisches Licht die Kerzen der Tisch-Kandelaber verstärkt. Fasanenjagden mit zweifacher Treiberkette werden ausgerichtet, Heiratsschwindler setzen sich auf die Fährte junger Damen, und der davon erzählt, kennt alles im Detail: die Kleidung, die Kutschen, die Träume und die Manieren. Denn Miklós Bánffy (1873–1950) entstammte der Welt, die er beschreibt, dem ungarischen Adel Siebenbürgens. Er war ein politisch denkender Mensch; schon in diesem ersten, 1934 erschienenen Band seiner Trilogie über die Jahre 1904 bis 1914, ist die opulente Schilderung dieser Herkunftswelt seine Art, ihr den Prozess zu machen. In die Kunst, vor allem in die Musik, ist die Erschütterung der Tradition schon eingewandert, und wenn der diplomatisch erfahrene Graf Bálint Abády, eine der beiden männlichen Hauptfiguren, am dritten Tag der Fasanenjagd „wie eine Rodin–Statue, wie der Penseur“ in der Remise sitzt, denkt er nicht an eine der vielen Heirats- und Sehnsuchtsgeschichten des Romans, sondern an die politischen Illusionen über die Zukunft der Habsburgermonarchie, von denen er umgeben ist.
LOTHAR MÜLLER
Miklós Bánffy: Die Schrift in Flammen. Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka. dtv, München 2014. 800 Seiten, 18,90 Euro.
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am Untergang
Es werden Festessen gegeben, bei denen elektrisches Licht die Kerzen der Tisch-Kandelaber verstärkt. Fasanenjagden mit zweifacher Treiberkette werden ausgerichtet, Heiratsschwindler setzen sich auf die Fährte junger Damen, und der davon erzählt, kennt alles im Detail: die Kleidung, die Kutschen, die Träume und die Manieren. Denn Miklós Bánffy (1873–1950) entstammte der Welt, die er beschreibt, dem ungarischen Adel Siebenbürgens. Er war ein politisch denkender Mensch; schon in diesem ersten, 1934 erschienenen Band seiner Trilogie über die Jahre 1904 bis 1914, ist die opulente Schilderung dieser Herkunftswelt seine Art, ihr den Prozess zu machen. In die Kunst, vor allem in die Musik, ist die Erschütterung der Tradition schon eingewandert, und wenn der diplomatisch erfahrene Graf Bálint Abády, eine der beiden männlichen Hauptfiguren, am dritten Tag der Fasanenjagd „wie eine Rodin–Statue, wie der Penseur“ in der Remise sitzt, denkt er nicht an eine der vielen Heirats- und Sehnsuchtsgeschichten des Romans, sondern an die politischen Illusionen über die Zukunft der Habsburgermonarchie, von denen er umgeben ist.
LOTHAR MÜLLER
Miklós Bánffy: Die Schrift in Flammen. Aus dem Ungarischen und mit einem Nachwort von Andreas Oplatka. dtv, München 2014. 800 Seiten, 18,90 Euro.
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