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Am Morgen des 21. Juni 1937 beschließt Todd Andrews, bester Anwalt an der Küste von Maryland und exzentrischster Bürger seiner Heimatstadt Cambridge, sich das Leben zu nehmen. Aus ethischen Gründen möchte er seinen letzten Tag so normal wie möglich verbringen. Doch als Andrews sein Leben Revue passieren lässt, kommt es zu einem überraschenden Ereignis auf einem Showboot im Hafen von Cambridge und alles kommt anders ...

Produktbeschreibung
Am Morgen des 21. Juni 1937 beschließt Todd Andrews, bester Anwalt an der Küste von Maryland und exzentrischster Bürger seiner Heimatstadt Cambridge, sich das Leben zu nehmen. Aus ethischen Gründen möchte er seinen letzten Tag so normal wie möglich verbringen. Doch als Andrews sein Leben Revue passieren lässt, kommt es zu einem überraschenden Ereignis auf einem Showboot im Hafen von Cambridge und alles kommt anders ...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2002

Nur Geduld, o Leser
Verirrt im Juxhaus: John Barths Debütroman erstmals auf deutsch

Daß nun fast ein halbes Jahrhundert nach Erscheinen des Originals - das 1956 herauskam und das der Autor dann 1967 revidiert hat - John Barths (mit sechsundzwanzig Jahren geschriebener) Erstlingsroman "Die schwimmende Oper" endlich auf deutsch erscheint, ist zu den mutigen (fast will man schreiben: tollkühnen) Aktionen kleiner Verlage zu rechnen. Barth ist in Deutschland nie besonders erfolgreich gewesen, obwohl er mit seinen eigenartigen Fiktionen, in denen die Postmoderne zwischen superber Künstlichkeit und großzügiger Gemütlichkeit schillert, eine gewisse Bekanntheit erlangt hat, vor allem mit "Der Tabakhändler" (1960). Diese Bücher gehören zur postmodernen Wiederkehr des pikaresken Romans; als typisches Beispiel mag dienen, daß der Held von "Giles Goat-Boy" das Kind einer Jungfrau und eines Computers ist und als Ziegenbock aufgezogen wird.

Gegen den systematischen Exzeß der Phantasie ist ja nun nichts zu sagen. Die Gefahr, in die sich der Autor dabei begibt, ist allerdings groß: Es ist die der Überdosis, der Betäubung, der Langweile, des sich beim Leser rasch einstellenden Gefühls: breit, nicht stark. Man möchte fast meinen, daß der kluge John Barth diese Gefahr programmatisch im Titel seines fünften Romans angenagelt hat: "Lost in the Funhouse" - im Juxhaus (der mit Spiegeln und rüttelnden Laufbrettern ausgerüsteten Jahrmarktsbude) verirrt. Verschollen in einem Volksfestzelt, dessen anreißerische Selbstreflexionsplakate so verlockend sind wie das Innere trist ist - wenn man in ihm herumtappt von einem aufgetakelten Exponat zum anderen, während der Nachmittag langsam vergeht und nur noch die Füße schmerzen: ständige Überraschungen, aber kein Geheimnis.

Der pikareske Roman hieß in der Germanistik lange Zeit "Schelmenroman". "Schelm" ist ein eigenartiges Wort, in dem sich eine ursprünglich auf derselben Ebene wie "Schuft", "Schurke" stehende negative Benennung ins Neckische, ins Kichernd-Liebenswerte gewendet hat. Dieser wortgeschichtliche Prozeß der Verharmlosung enthält in nuce die spätere Geschichte des Schelmenromans. Eine in der frühen Neuzeit radikal moderne Form wird zur anregend "barocken" Parade von Freaks, wobei das überkommene Erbe an Schwärze und Subversion zunehmend an die Gefälligkeit verscherbelt wird. Barth hat 1967 einen seinerzeit höchst einflußreichen Essay zur Begründung einer oder jedenfalls seiner "Postmoderne" verfaßt: "Die Literatur der Erschöpfung". Dieser Essay ist unter anderem als eine Hommage an Borges konzipiert.

Wer es merkwürdig fand, daß ausgerechnet dieser Meister kleiner Formen, dieser Schöpfer von kompakten Fiktionen, die auf acht Seiten ein Universum entwerfen können, als Schutzheiliger von einem Produzenten neobarock ausladender dicker Bücher ausgerufen wurde, wurde 1980 in einem zweiten Essay über "Die Literatur der Wiederauffüllung" ("Replenishment") bestätigt. Die Diagnose, nach der modernen Literatur bliebe der Gegenwart nur die ironische Imitation, wird hier zwar nicht zurückgenommen, aber aus der "Erschöpfung" wird nun die Konsequenz eines gargantuesken Appetits auf jegliches stoffliche junk food gezogen. Das "Replenishment" stellt sich in praxi heraus als das unablässige Bewerfen des Romanlesers mit kleinen Scherzen, Bizarrerien und Überraschungen, als eine Art Wiederkehr des Ornaments als Terror. Dies alles aber (was die ermüdende Veranstaltung irgendwie noch melancholischer macht) auf dem Gerüst einer wohlunterrichteten formalen Reflexion.

Nun also mit großer Verspätung sein Debütroman: Der Jurist Todd Andrews berichtet darin von einem einzigen Tag in seinem Leben - jenem Tag im Jahre 1937 (von der Gegenwart der Erstveröffentlichung also durch zwanzig Jahre getrennt), an dem er Selbstmord begehen wollte und es dann doch nicht tat. Das ist das Gerüst der "Schwimmenden Oper", in das Andrews' Autobiographie eingehängt ist, die nostalgisch-scharfzüngig-kokette Schwadroniererei eines langen Tages, eine kunstreiche Mischung aus Behäbigkeit, grotesken kleinen Inszenierungen und irrelevanten Details. All das erinnert unwiderstehlich an einen alten Titel aus der Kindheit: "Dies und das und noch mal was."

Zur Erläuterung seines Titels setzt Barths Erzähler gleich zu Beginn zu einem kleinen programmatischen Vortrag an. Der Titel soll der Name eines alten Showboats sein, das einst die Flußmündungen von Virginia und Maryland befuhr. Und der Erzähler stellt sich nun ein solches Theaterschiff vor, das unablässig mit den Gezeiten auf dem Fluß hin und her treibt und auf dessen Deck unablässig gespielt wird. Die Zuschauer an den beiden Ufern sehen immer nur Teile des Theaterstücks, sie müssen sich den Rest selbst ergänzen oder aus Gerüchten rekonstruieren. "Meist würden sie gar nicht mitbekommen, was vor sich geht, oder sie würden meinen, sie wüßten es, obwohl sie es tatsächlich gar nicht wissen." Und dann: "Ich brauche nicht zu erklären, daß es im Leben größtenteils genauso zugeht." Mit diesem Satz mündet das postmoderne Abenteuer geschickt in eine gemütliche Mimesis ein.

Das ist ja irgendwie verrückt - aber ist, seien wir ehrlich, das Leben nicht genauso? Größtenteils? Natürlich ist das Leben verrückt, aber es kommt alles auf den Tonfall an, in dem man diese Einsicht vorbringt. Und hier ist Barths erlesene Artifizialität nur einen Millimeter von dem besinnlichen Kopfschütteln und dem "Ja, ja . . ." des milde gestimmten Philisters entfernt. Und ferner muß man anmerken: Nichts ist mittlerweile schwieriger, als mit einer Stimme wie der von Tristram Shandy zu sprechen, die permanent "O Leser!" oder "Geduld, Freunde" sagt. Das muß man können; diese Kunst ist im zwanzigsten Jahrhundert nur noch sehr wenigen gegeben, und John Barth zählt nicht dazu. Das ganze Buch demonstriert in vielfältiger Weise, wie unkritisch ein kluger Autor sein kann, und wie wenig es für sich genommen bedeutet, wenn man jemandem "Fabulierfreude" nachsagen kann.

Die deutsche Veröffentlichung: ein nobles Unterfangen von Verlag und Übersetzer, was allerdings an der Qualität des Originals nichts ändern kann und an dem Umstand, daß der Autor seinen Erzähler alle Drohungen ("Ach ja. Alles, fürchte ich, ist bedeutsam, und nichts ist letztendlich wichtig") einlösen läßt.

JOACHIM KALKA.

John Barth: "Die schwimmende Oper". Roman. Aus dem Amerikanischen von Mathias Müller. Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2001. 331 S., geb., 20,- [
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