War die SED die ungebrochene Fortsetzung der Stalinschen KPD? Mit dieser Frage beginnt Malychas Buch, beginnt die Historiographie einer Partei, die für die Installierung des sowjetischen Gesellschaftsmodells im Osten Deutschlands steht. Die SED selbst war in den ersten Jahren ihrer Existenz einem Transformationsprozeß unterworfen, in deren Ergebnis sich die Partei ihrem sowjetischen Vorbild annäherte. Der Weg dorthin war spannungsreich und konfliktgeladen. Das Buch beleuchtet diesen Prozeß, indem es beschreibt, auf welche Weise die politische Gleichschaltung innerhalb der Partei vollzogen wurde.
Seitdem die überlieferten Akten zur Geschichte der SED der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung stehen, besteht erstmals die Chance, die Anfangsjahre der SED auf der Grundlage authentischen Materials fern aller politischen Zweckmäßigkeiten und Einbindungen zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches steht die wissenschaftliche Untersuchung der Etablierung und Ausformung stalinistischer Herrschaftsstrukturen und Herrschaftsmechanismen innerhalb der SED in den Jahren von 1946 bis 1953. Es wird hauptsächlich danach gefragt, mit welchen zentralen Weichenstellungen und mit welchen innerparteilichen Methoden autoritäre Strukturen in der Partei durchgesetzt wurden.
Die Transformation der SED verlief allmählich. Schritt für Schritt wurden SED-Funktionäre mit sozialdemokratischen bzw. demokratisch-kommunistischen Vorstellungen ausgeschaltet, ebenso wie Vorstellungen, die mit Etiketten wie "Sozialdemokratismus" und "Sektierertum" kriminalisiert wurden. Ins Blickfeld rückt deshalb auch das Vorgehen gegen innerparteiliche Dissidenten und deren politische Ausschaltung.
Es gibt noch viele offene Fragen an die Struktur- und Systemgeschichte der DDR. Das Buch von Andreas Malycha trägt überzeugend dazu bei, einige der ganz zentralen Fragen aus der Vor- und Frühgeschichte der DDR zu klären.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Seitdem die überlieferten Akten zur Geschichte der SED der Forschung uneingeschränkt zur Verfügung stehen, besteht erstmals die Chance, die Anfangsjahre der SED auf der Grundlage authentischen Materials fern aller politischen Zweckmäßigkeiten und Einbindungen zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt des vorliegenden Buches steht die wissenschaftliche Untersuchung der Etablierung und Ausformung stalinistischer Herrschaftsstrukturen und Herrschaftsmechanismen innerhalb der SED in den Jahren von 1946 bis 1953. Es wird hauptsächlich danach gefragt, mit welchen zentralen Weichenstellungen und mit welchen innerparteilichen Methoden autoritäre Strukturen in der Partei durchgesetzt wurden.
Die Transformation der SED verlief allmählich. Schritt für Schritt wurden SED-Funktionäre mit sozialdemokratischen bzw. demokratisch-kommunistischen Vorstellungen ausgeschaltet, ebenso wie Vorstellungen, die mit Etiketten wie "Sozialdemokratismus" und "Sektierertum" kriminalisiert wurden. Ins Blickfeld rückt deshalb auch das Vorgehen gegen innerparteiliche Dissidenten und deren politische Ausschaltung.
Es gibt noch viele offene Fragen an die Struktur- und Systemgeschichte der DDR. Das Buch von Andreas Malycha trägt überzeugend dazu bei, einige der ganz zentralen Fragen aus der Vor- und Frühgeschichte der DDR zu klären.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.09.2000Kleine Nazis wurden im Schnellkurs zu Stalinisten
Die SED war von Anfang an eine Partei der kommunistischen Diktatur
Andreas Malycha: Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946 - 1953. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000. 541 Seiten, 98,- Mark.
Über die SED ist mehr geschrieben worden als über jede andere deutsche Partei. Nur wenige Eingeweihte schaffen es, all das zu lesen, was die zahllosen Pathologen, die sich in die Eingeweide der ostdeutschen Diktatur hineingewühlt haben, im letzten Jahrzehnt herausgebracht haben. Andreas Malycha ist unter den SED-Analysten allerdings ein Sonderfall, weil er bis 1989 selbst zu den Eingeweihten im Braintrust der SED gehörte. Am Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED schloß er 1989 seine Promotion über die Geschichte der SPD im Jahr 1945 ab. Vieles von dem, was er damals schrieb, hat Malycha nach dem Ende der DDR revidiert. Jetzt legt er eine Geschichte der Stalinisierung seiner früheren Partei vor, die es in sich hat.
Sein Fazit lautet: Nicht als Reaktion auf den Beginn des Kalten Krieges begann die Stalinisierung der SED, sondern schon mit der Vereinigung von KPD und SED im April 1946. Bereits mit diesem Schachzug, schreibt Malycha, "gelang die Ausschaltung der Sozialdemokratie als politischer Machtfaktor in der SBZ". Die SPD wurde in eine tödliche Umarmung gezwungen und in die Lederhaut eines kommunistisch dominierten Parteiapparats eingeschnürt. Der Autor charakterisiert diese erste Phase als "die schleichende Stalinisierung" der SED.
Die strategische "Teilung der Welt" war demnach nicht die Konsequenz der Truman-Doktrin vom März 1947, sie begann hinter den Frontlinien der sowjetischen Streitkräfte überall in Osteuropa schon 1944/45 mit der systematischen Infiltration der Staatsverwaltungen durch die Kommunisten sowie der Herbeiführung ihrer politischen Dominanz in den osteuropäischen Ländern. Malycha bestätigt am Beispiel der SBZ die Grundannahmen der Truman-Doktrin. Die hintergründige, aber gleichwohl zielstrebige Einführung des sowjetischen Gesellschaftsmodells setzte mit dem Einmarsch der Roten Armee ein.
Unmittelbar nach der Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD sorgte der sowjetische Militärgeheimdienst durch exemplarische Verhaftungen und allerlei Pressionen für die Einschüchterung solcher Sozialdemokraten, die in der SED einen eigenständigen Kurs zu steuern versuchten. Die Abläufe und Maßnahmen, die nach 1946 rasch dazu führten, daß der SED-Mitgliedschaft jedes unabhängige Denken ausgetrieben wurde, sind in der westlichen Zeitgeschichtsschreibung schon in den fünfziger Jahren umfänglich untersucht und bewertet worden. Malycha bestätigt jetzt diese frühen Erkenntnisse, die in den siebziger und achtziger Jahren unter das Verdikt des Antikommunismus gerieten und nach Kräften relativiert wurden.
Malycha wertet das Archivgut der bis 1952 existierenden Landesverbände der SED aus und belegt, warum die Sozialdemokraten in der SED von Anfang an keine Chance hatten, als Demokraten zu überleben. Nur wer bereit war, Stalinist oder ein bedenkenloser Opportunist zu werden, überstand die Säuberungswellen, die aus der SED alle Traditionsbestände und geistigen Potentiale hinausspülten, die einer totalitären Ausrichtung zur Partei der kommunistischen Diktatur entgegenstanden.
Wie schnell und weitgehend die Sozialdemokratie in der SED glattgeschliffen wurde, erhellt eine Rede, die Hermann Matern, ein Mitglied der engeren SED-Führung, auf einer Landesdelegiertenkonferenz 1950 in Sachsen hielt. Er sprach über die Umwandlung der SED in eine marxistisch-leninistische "Partei neuen Typs": "Wir alle wollen gute und ernste Schüler Stalins sein, und wir werden keine Anstrengungen scheuen, Stalinisten zu werden." Niemand widersprach.
Welchen Ungeist die Anstrengungen, "Stalinisten zu werden", hervorbrachten, demonstrierte Matern auf einer Funktionärskonferenz im gleichen Jahr, als er über Ruth Fischer herzog. Malycha gibt eine Redepassage Materns wieder, ohne allerdings näher zu erläutern, über wen sich Matern derart unflätig äußerte. "Schaut euch diese Drecksau Ruth Fischer an", sagte Matern. "Entschuldigt diesen Ausdruck. Das Mistvieh war einmal in der Führung der Kommunistischen Partei. Schaut euch diese offene und hemmungslose Agentin an, dann seht ihr, wohin die Parteifeindschaft führt." Ruth Fischer hat als erste und einzige Frau vor Angela Merkel eine der großen Parteien in Deutschland geführt. Das linksradikale Bürgerskind aus Wien zog 1924 für die KPD in den Deutschen Reichstag ein und flog 1926 aus der Partei wieder heraus, weil sie sich deren Stalinisierung widersetzte. Als "jüdische Bolschewistin" stand sie 1933 ganz oben auf den Verhaftungslisten der Berliner SA-Kommandos. Als heimatlose Linke im amerikanischen Exil schrieb sie ein heute zu Unrecht vergessenes Buch, "Stalin und der deutsche Kommunismus", das 1948 in Frankfurt am Main herauskam. Ihre beiden jüngeren Brüder waren in der DDR zum Zeitpunkt, als Matern seine Verwünschungen ausstieß, bedeutende Männer: Gerhart Eisler war Mitglied des SED-Parteivorstandes und Regierungssprecher, Hanns Eisler Komponist der DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen".
Eine politische Auferstehung der besonderen Art erlebten in der SED parallel zur Ausschaltung bekennender Sozialdemokraten die sogenannten kleinen Nazis. Schon 1947 durften sie - sofern sie "keine Verbrechen begangen hatten" - in die SED aufgenommen werden. Viele von ihnen lernten im Schnelldurchgang, "Stalinisten zu werden", und profilierten sich alsbald bei der "Ausmerzung des Sozialdemokratismus". Malycha zitiert aus einer Rede, die der SED-Führer Anton Ackermann 1947 hielt. Demnach sollten Nazi-Mitläufer der Jahrgänge ab 1919 mit folgender Argumentation für die SED gewonnen werden: "Das, was ihr vom Faschismus erwartet habt, nämlich eine neue Weltordnung, eine neue soziale Ordnung, den sogenannten deutschen Sozialismus, konnte euch der Faschismus niemals bringen, denn er war ja nichts anderes als die schlimmste großkapitalistische Reaktion. Aber das, was der Faschismus nicht verwirklichen konnte, wird nun der Marxismus, der wissenschaftliche Sozialismus, verwirklichen."
In einzelnen SED-Bezirksverbänden lagen die Spitzenwerte der bekehrten Nazis bei 12,5 Prozent (Magdeburg) oder gar 15,4 Prozent (Erfurt). Rechnet man im letzteren Fall die NS-Gliederungen hinzu, so hatten 1954 35,8 Prozent der Erfurter SED-Mitglieder eine braune Vergangenheit. Malycha geht leider nicht der Frage nach, welche Positionen in Partei und Staat ehemalige Nazi-Mitläufer bekleidet haben. So geht etwa aus Erhebungen des SED-Politbüros hervor, daß 1951 von den 5833 in DDR-Ministerien beschäftigten SED-Funktionären 940 vormals der NSDAP angehört haben.
Überhaupt ist es schlechthin ein Manko dieser materialreichen Untersuchung, daß darin das Leben außerhalb der SED kaum vorkommt. In Malychas Darstellung scheint sich die Formierung der SED zur stalinistischen Diktaturpartei gleichsam in einem volklosen Land abzuspielen. Ohne Zweifel hat der Stalinismus seinen willigen Parteigängern immer wieder ungeheuerliche Dinge zugemutet. Doch in welcher Relation steht das zu dem, was politischen Gegnern und unpolitischen Bürgern außerhalb der SED angetan wurde? Malycha geht am Rande auf den Ausgang der Landtagswahlen ein, die im Oktober 1946 in der SBZ stattfanden. Das Ergebnis Groß-Berlins ist nicht in die Statistik aufgenommen und wird im Text unvollständig erwähnt. Dabei bietet die Viermächtestadt den einzigartigen Vergleichsmaßstab, weil nur hier diese Wahl nach demokratischen Regeln stattfand. Die SPD, die in den SBZ nicht kandidieren durfte, erhielt in der einzigen Gesamt-Berliner Wahl, die zwischen 1933 und 1990 stattfand, 48,7 Prozent der Stimmen, die CDU 22,2 Prozent, die SED 19,8 Prozent und die Liberalen 9,2 Prozent. Selbst in den ostzonalen Landtagswahlen, die unter sowjetischer Kontrolle stattfanden, erhielt die SED nirgends die absolute Mehrheit. Demnach wollten die Bürger bereits 1946 nicht von dieser Partei regiert werden. Doch was zählte damals schon der Bürgerwille gegen den Weltgeist?
JOCHEN STAADT
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Die SED war von Anfang an eine Partei der kommunistischen Diktatur
Andreas Malycha: Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946 - 1953. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2000. 541 Seiten, 98,- Mark.
Über die SED ist mehr geschrieben worden als über jede andere deutsche Partei. Nur wenige Eingeweihte schaffen es, all das zu lesen, was die zahllosen Pathologen, die sich in die Eingeweide der ostdeutschen Diktatur hineingewühlt haben, im letzten Jahrzehnt herausgebracht haben. Andreas Malycha ist unter den SED-Analysten allerdings ein Sonderfall, weil er bis 1989 selbst zu den Eingeweihten im Braintrust der SED gehörte. Am Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED schloß er 1989 seine Promotion über die Geschichte der SPD im Jahr 1945 ab. Vieles von dem, was er damals schrieb, hat Malycha nach dem Ende der DDR revidiert. Jetzt legt er eine Geschichte der Stalinisierung seiner früheren Partei vor, die es in sich hat.
Sein Fazit lautet: Nicht als Reaktion auf den Beginn des Kalten Krieges begann die Stalinisierung der SED, sondern schon mit der Vereinigung von KPD und SED im April 1946. Bereits mit diesem Schachzug, schreibt Malycha, "gelang die Ausschaltung der Sozialdemokratie als politischer Machtfaktor in der SBZ". Die SPD wurde in eine tödliche Umarmung gezwungen und in die Lederhaut eines kommunistisch dominierten Parteiapparats eingeschnürt. Der Autor charakterisiert diese erste Phase als "die schleichende Stalinisierung" der SED.
Die strategische "Teilung der Welt" war demnach nicht die Konsequenz der Truman-Doktrin vom März 1947, sie begann hinter den Frontlinien der sowjetischen Streitkräfte überall in Osteuropa schon 1944/45 mit der systematischen Infiltration der Staatsverwaltungen durch die Kommunisten sowie der Herbeiführung ihrer politischen Dominanz in den osteuropäischen Ländern. Malycha bestätigt am Beispiel der SBZ die Grundannahmen der Truman-Doktrin. Die hintergründige, aber gleichwohl zielstrebige Einführung des sowjetischen Gesellschaftsmodells setzte mit dem Einmarsch der Roten Armee ein.
Unmittelbar nach der Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD sorgte der sowjetische Militärgeheimdienst durch exemplarische Verhaftungen und allerlei Pressionen für die Einschüchterung solcher Sozialdemokraten, die in der SED einen eigenständigen Kurs zu steuern versuchten. Die Abläufe und Maßnahmen, die nach 1946 rasch dazu führten, daß der SED-Mitgliedschaft jedes unabhängige Denken ausgetrieben wurde, sind in der westlichen Zeitgeschichtsschreibung schon in den fünfziger Jahren umfänglich untersucht und bewertet worden. Malycha bestätigt jetzt diese frühen Erkenntnisse, die in den siebziger und achtziger Jahren unter das Verdikt des Antikommunismus gerieten und nach Kräften relativiert wurden.
Malycha wertet das Archivgut der bis 1952 existierenden Landesverbände der SED aus und belegt, warum die Sozialdemokraten in der SED von Anfang an keine Chance hatten, als Demokraten zu überleben. Nur wer bereit war, Stalinist oder ein bedenkenloser Opportunist zu werden, überstand die Säuberungswellen, die aus der SED alle Traditionsbestände und geistigen Potentiale hinausspülten, die einer totalitären Ausrichtung zur Partei der kommunistischen Diktatur entgegenstanden.
Wie schnell und weitgehend die Sozialdemokratie in der SED glattgeschliffen wurde, erhellt eine Rede, die Hermann Matern, ein Mitglied der engeren SED-Führung, auf einer Landesdelegiertenkonferenz 1950 in Sachsen hielt. Er sprach über die Umwandlung der SED in eine marxistisch-leninistische "Partei neuen Typs": "Wir alle wollen gute und ernste Schüler Stalins sein, und wir werden keine Anstrengungen scheuen, Stalinisten zu werden." Niemand widersprach.
Welchen Ungeist die Anstrengungen, "Stalinisten zu werden", hervorbrachten, demonstrierte Matern auf einer Funktionärskonferenz im gleichen Jahr, als er über Ruth Fischer herzog. Malycha gibt eine Redepassage Materns wieder, ohne allerdings näher zu erläutern, über wen sich Matern derart unflätig äußerte. "Schaut euch diese Drecksau Ruth Fischer an", sagte Matern. "Entschuldigt diesen Ausdruck. Das Mistvieh war einmal in der Führung der Kommunistischen Partei. Schaut euch diese offene und hemmungslose Agentin an, dann seht ihr, wohin die Parteifeindschaft führt." Ruth Fischer hat als erste und einzige Frau vor Angela Merkel eine der großen Parteien in Deutschland geführt. Das linksradikale Bürgerskind aus Wien zog 1924 für die KPD in den Deutschen Reichstag ein und flog 1926 aus der Partei wieder heraus, weil sie sich deren Stalinisierung widersetzte. Als "jüdische Bolschewistin" stand sie 1933 ganz oben auf den Verhaftungslisten der Berliner SA-Kommandos. Als heimatlose Linke im amerikanischen Exil schrieb sie ein heute zu Unrecht vergessenes Buch, "Stalin und der deutsche Kommunismus", das 1948 in Frankfurt am Main herauskam. Ihre beiden jüngeren Brüder waren in der DDR zum Zeitpunkt, als Matern seine Verwünschungen ausstieß, bedeutende Männer: Gerhart Eisler war Mitglied des SED-Parteivorstandes und Regierungssprecher, Hanns Eisler Komponist der DDR-Hymne "Auferstanden aus Ruinen".
Eine politische Auferstehung der besonderen Art erlebten in der SED parallel zur Ausschaltung bekennender Sozialdemokraten die sogenannten kleinen Nazis. Schon 1947 durften sie - sofern sie "keine Verbrechen begangen hatten" - in die SED aufgenommen werden. Viele von ihnen lernten im Schnelldurchgang, "Stalinisten zu werden", und profilierten sich alsbald bei der "Ausmerzung des Sozialdemokratismus". Malycha zitiert aus einer Rede, die der SED-Führer Anton Ackermann 1947 hielt. Demnach sollten Nazi-Mitläufer der Jahrgänge ab 1919 mit folgender Argumentation für die SED gewonnen werden: "Das, was ihr vom Faschismus erwartet habt, nämlich eine neue Weltordnung, eine neue soziale Ordnung, den sogenannten deutschen Sozialismus, konnte euch der Faschismus niemals bringen, denn er war ja nichts anderes als die schlimmste großkapitalistische Reaktion. Aber das, was der Faschismus nicht verwirklichen konnte, wird nun der Marxismus, der wissenschaftliche Sozialismus, verwirklichen."
In einzelnen SED-Bezirksverbänden lagen die Spitzenwerte der bekehrten Nazis bei 12,5 Prozent (Magdeburg) oder gar 15,4 Prozent (Erfurt). Rechnet man im letzteren Fall die NS-Gliederungen hinzu, so hatten 1954 35,8 Prozent der Erfurter SED-Mitglieder eine braune Vergangenheit. Malycha geht leider nicht der Frage nach, welche Positionen in Partei und Staat ehemalige Nazi-Mitläufer bekleidet haben. So geht etwa aus Erhebungen des SED-Politbüros hervor, daß 1951 von den 5833 in DDR-Ministerien beschäftigten SED-Funktionären 940 vormals der NSDAP angehört haben.
Überhaupt ist es schlechthin ein Manko dieser materialreichen Untersuchung, daß darin das Leben außerhalb der SED kaum vorkommt. In Malychas Darstellung scheint sich die Formierung der SED zur stalinistischen Diktaturpartei gleichsam in einem volklosen Land abzuspielen. Ohne Zweifel hat der Stalinismus seinen willigen Parteigängern immer wieder ungeheuerliche Dinge zugemutet. Doch in welcher Relation steht das zu dem, was politischen Gegnern und unpolitischen Bürgern außerhalb der SED angetan wurde? Malycha geht am Rande auf den Ausgang der Landtagswahlen ein, die im Oktober 1946 in der SBZ stattfanden. Das Ergebnis Groß-Berlins ist nicht in die Statistik aufgenommen und wird im Text unvollständig erwähnt. Dabei bietet die Viermächtestadt den einzigartigen Vergleichsmaßstab, weil nur hier diese Wahl nach demokratischen Regeln stattfand. Die SPD, die in den SBZ nicht kandidieren durfte, erhielt in der einzigen Gesamt-Berliner Wahl, die zwischen 1933 und 1990 stattfand, 48,7 Prozent der Stimmen, die CDU 22,2 Prozent, die SED 19,8 Prozent und die Liberalen 9,2 Prozent. Selbst in den ostzonalen Landtagswahlen, die unter sowjetischer Kontrolle stattfanden, erhielt die SED nirgends die absolute Mehrheit. Demnach wollten die Bürger bereits 1946 nicht von dieser Partei regiert werden. Doch was zählte damals schon der Bürgerwille gegen den Weltgeist?
JOCHEN STAADT
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ausführlich nachvollzogen hat Manfred Wilke in seiner Rezension die Erzählung des Buches über die Stalinisierung der SED: wie es von der Dominanz der aus dem Moskauer Exil heimkehrenden KPD-Funktionäre zur Zwangsvereinigung mit der SPD kam, wie sich durch personelle Kontinuität die innerparteiliche Diktatur zur Staatsdiktatur entwickelte und durch straffe Zentralisierung auch im wirtschaftlichen Bereich am Ende alles im "koordinierenden Machtzentrum" des Zentralsekretariats unter Walter Ulbricht zusammenlief. Die Gliederung des Buches, so Wilke, vollzieht die Chronologie dieser Ereignisse nach und in vieler Hinsicht ist der Rezensent einverstanden mit dem Autor. Er kritisiert jedoch, dass die sowjetische Deutschlandpolitik allzu sehr im Hintergrund bleibt und dies manches Mal zur Erkenntnisschranke wird. Am Beispiel der Vorgänge um den 17.Juni 1953 macht der Rezensent deutlich, was er meint: eben weil die SED "zur Sicherung ihrer Macht" auf den militärischen Schutz der Sowjetunion angewiesen war, musste sie mit dem Wegfall dieses Schutzes 1989 auch notwendig selbst fallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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