Produktdetails
- Verlag: NP Buchverlag
- Seitenzahl: 302
- Deutsch
- Abmessung: 25mm x 150mm x 220mm
- Gewicht: 549g
- ISBN-13: 9783853261514
- ISBN-10: 3853261515
- Artikelnr.: 10797693
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Reinhard Hallers Psychologie des Verbrechens hat Rezensent Gerd Roellecke recht beeindruckt. Der Gerichtspsychiater und Chefarzt an einem Behandlungszentrum für Suchtkranke versteht es nach Einschätzung Roelleckes, seine Fälle gut zu erzählen. Und zwar mit so viel Nähe, dass man den Sog des Verwerflichen spüre, und zugleich mit soviel Distanz, dass man sich nicht schuldig zu fühlen brauche. Wie Roellecke ausführt, verrätselt der Autor die vorgetragenen Fälle zunächst nach dem Muster: "Tat und Täter sind bekannt, offen ist nur noch, wie der Täter die Tat begehen konnte." Das erkläre dann der Psychiater. Verhaltensweisen wie Pyromanie, Kleptomanie, Amoklauf werden mit charakteristischen Persönlichkeitsmerkmalen verbunden, so dass die Tat wie eine Konsequenz der Persönlichkeitsentwicklung erscheint, berichtet der Rezensent. Eine solche Betrachtung führt nach Ansicht Roelleckes dazu, dass der Leser die Taten zu verstehen meint und weniger hart urteilt. Dieser Tendenz trete Haller indes mit einem eindrucksvollen Abschnitt über die Opfer entgegen. Als "Glanzlicht" lobt Roellecke insbesondere den Fall des österreichischen Briefbombenlegers Franz Fuchs.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002Verbrechen schont sich nicht
Reinhard Hallers Psychologie des Mordes / Von Gerd Roellecke
Geschichten über Verbrechen und die dahinter stehenden Personen, über die Sprache des Verbrechens und die Psyche des Mörders, über die Entwicklung zum Verbrecher und das Schicksal, Verbrecher zu sein", werden in diesem Buch erzählt, und es erzählt gut. Mit so viel Nähe, daß man den Sog des Verwerflichen spürt, und mit so viel Distanz, daß man sich nicht schuldig zu fühlen braucht. Der Autor ist Gerichtspsychiater und Chefarzt an einem Behandlungszentrum für Suchtkranke in Vorarlberg, kann also für sein Anschauungsmaterial aus dem vollen schöpfen. Er kokettiert damit, nicht aufklären, sondern unterhalten zu wollen: "Ein psychiatrisches Gutachten ist eine Biographie, ein Kriminalroman, ein Thriller, ein Zeitdokument." Aber er kann sich nur deshalb in die Nähe eines Kriminalschriftstellers begeben, weil er seiner Sache ganz sicher und ein aufrichtiger Menschenfreund ist, weil er die Grenzen seines Faches kennt und vereinfachen, also im richtigen Moment Augen und Ohren schließen kann. Einfachheit und Klarheit will er, mehr nicht.
Seine Einfachheit ist jedoch nicht naiv. Zunächst lockt er den Leser mit drei spannenden Fällen von Menschen, die sich von ihrer eigenen, ganz anders gedachten Tat zum Töten haben hinreißen lassen, auf den Boden der Analyse. Dann reichert er weitere Fälle mit abstrakten Einsichten an, bis die Kriminologie dominiert. So erörtert er Affekte im allgemeinen und fragt: "Zum Verbrecher geboren oder geworden?" Die Spannung geht nie verloren, auch wenn man bald merkt, warum. Der Verfasser verrätselt nach dem Muster: Tat und Täter sind bekannt, offen ist nur noch, wie der Täter die Tat begehen konnte. Das erklärt hier der Psychiater. Er verbindet Verhaltensweisen wie Pyromanie, Kleptomanie, Spielsucht, Amoklauf - der Fall des Robert Steinhäuser, der am 26. April 2002 in Erfurt siebzehn Menschen getötet hat, wird als "typisch" vorgestellt -, Gift- und Serienmorde so mit charakteristischen Persönlichkeitsentwicklungen, daß die Tat wie eine Konsequenz der Persönlichkeitsentwicklung erscheint.
Die persönlichkeitsorientierte Betrachtung führt naturgemäß dazu, daß man die Taten zu "verstehen" meint und deshalb weniger scharf verurteilt. Dieser Tendenz tritt der Autor mit einem eindrucksvollen Abschnitt über die Opfer entgegen. Den Stachel des Bewertungsproblems kann er aber nicht beseitigen, weil er die Frage nach Schuld und Mitschuld der Opfer - nahezu zwanghaft bei Sexualdelikten gestellt - weder ausklammern noch entschieden beantworten kann.
Ein Glanzlicht ist die Geschichte des österreichischen Briefbombers Franz Fuchs, der von 1993 bis 1995 fünfunddreißig Menschen schwer verletzt und vier getötet hat. Der Autor hat sie "Das gekränkte Genie" überschrieben. Fuchs sei ein besonders mathematisch und naturwissenschaftlich hochbegabter Mann gewesen, habe das auch gewußt, aber das Gefühl entwickelt, er werde nicht seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt. Natürlich gab es genug Umstände, die das Gefühl bestätigten. Die Gesellschaft hat sich Fuchs gegenüber allerdings wie im bildungspolitischen Bilderbuch verhalten. Fuchs stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Bereits seine Volksschullehrer haben jedoch die Hochbegabung erkannt und gegen andere Pläne der Eltern durchgesetzt, daß er das Gymnasium besuchen konnte, auf dem er denn auch Überdurchschnittliches leistete. Sein Wunschstudium theoretische Physik hat er aber nach einem Jahr abgebrochen, angeblich, weil sein Antrag abgelehnt wurde, das Stipendium zu erhöhen. Dazu der Autor: Hier zeige sich "eine typische Verhaltensweise des späteren Bombenlegers: Bei geringen Widerständen, Frustrationen bzw. Kränkungen zieht er sich völlig zurück. Er setzt nicht nach, gibt scheinbar auf, entwickelt aber innerlich eine ungeheure Wut." Das klingt plausibel, ist aber von der Tat her gedacht. Konstruiert Haller nicht den Täter?
Ein anderes Beispiel. Ein Anzeichen für eine wahnhafte Persönlichkeitsstörung sei, daß Fuchs "trotz Arbeitslosigkeit nie um Arbeitslosenunterstützung nachgesucht hat". Das leuchtet nicht sofort ein. Haller hat aber recht. Als Fuchs der Polizei schließlich mehr zufällig ins Netz ging, zündete er im letzten Augenblick eine Bombe, die ihm beide Unterarme abriß. Die Versorgung mit Prothesen hat er jedoch entrüstet abgelehnt. Das war in der Tat wahnhaft, lag auf derselben Linie wie der Verzicht auf die Arbeitslosenunterstützung, läßt die Ungeheuerlichkeit der Wut des Franz Fuchs ahnen und die Gefahr, die von ihm ausging. Wer seine eigene Existenz als Waffe einsetzt, kann eine Gesellschaft, für die das Leben der Güter höchstes ist und die sich schwertut, Leid und Schmerz zu verarbeiten, leicht in Angst und Schrecken versetzen.
An dieser Stelle führen weitere Überlegungen in Abgründe, die der Autor allerdings nicht sehen konnte, wohl aber Franz Fuchs. Fuchs wußte, daß er schwere Straftaten begangen hatte, und hielt es für richtig, daß er bestraft wurde. Er verwahrte sich jedoch dagegen, "in irgendwelchen kindlichen Konflikten oder Belastungsfaktoren in der Jugend ,Entschuldigungen' für sein strafrechtlich relevantes Tun zu sehen". Das erinnert an Hegel: Mit der Strafe wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt, deshalb darf sie sich nur an der Tat orientieren, an nichts sonst. Auf die Anerkennung seiner Vernunft wollte Fuchs offenbar nicht verzichten. Das kann man seinem Wahn zurechnen. Aber wie verhält sich der Wahn zur Philosophie? Darauf antwortet dieses vortreffliche Buch naturgemäß nicht.
Reinhard Haller: "Die Seele des Verbrechers". Motive - Impulse - Lebensbilder. NP Buchverlag, St. Pölten 2002. 320 S., geb., 23,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reinhard Hallers Psychologie des Mordes / Von Gerd Roellecke
Geschichten über Verbrechen und die dahinter stehenden Personen, über die Sprache des Verbrechens und die Psyche des Mörders, über die Entwicklung zum Verbrecher und das Schicksal, Verbrecher zu sein", werden in diesem Buch erzählt, und es erzählt gut. Mit so viel Nähe, daß man den Sog des Verwerflichen spürt, und mit so viel Distanz, daß man sich nicht schuldig zu fühlen braucht. Der Autor ist Gerichtspsychiater und Chefarzt an einem Behandlungszentrum für Suchtkranke in Vorarlberg, kann also für sein Anschauungsmaterial aus dem vollen schöpfen. Er kokettiert damit, nicht aufklären, sondern unterhalten zu wollen: "Ein psychiatrisches Gutachten ist eine Biographie, ein Kriminalroman, ein Thriller, ein Zeitdokument." Aber er kann sich nur deshalb in die Nähe eines Kriminalschriftstellers begeben, weil er seiner Sache ganz sicher und ein aufrichtiger Menschenfreund ist, weil er die Grenzen seines Faches kennt und vereinfachen, also im richtigen Moment Augen und Ohren schließen kann. Einfachheit und Klarheit will er, mehr nicht.
Seine Einfachheit ist jedoch nicht naiv. Zunächst lockt er den Leser mit drei spannenden Fällen von Menschen, die sich von ihrer eigenen, ganz anders gedachten Tat zum Töten haben hinreißen lassen, auf den Boden der Analyse. Dann reichert er weitere Fälle mit abstrakten Einsichten an, bis die Kriminologie dominiert. So erörtert er Affekte im allgemeinen und fragt: "Zum Verbrecher geboren oder geworden?" Die Spannung geht nie verloren, auch wenn man bald merkt, warum. Der Verfasser verrätselt nach dem Muster: Tat und Täter sind bekannt, offen ist nur noch, wie der Täter die Tat begehen konnte. Das erklärt hier der Psychiater. Er verbindet Verhaltensweisen wie Pyromanie, Kleptomanie, Spielsucht, Amoklauf - der Fall des Robert Steinhäuser, der am 26. April 2002 in Erfurt siebzehn Menschen getötet hat, wird als "typisch" vorgestellt -, Gift- und Serienmorde so mit charakteristischen Persönlichkeitsentwicklungen, daß die Tat wie eine Konsequenz der Persönlichkeitsentwicklung erscheint.
Die persönlichkeitsorientierte Betrachtung führt naturgemäß dazu, daß man die Taten zu "verstehen" meint und deshalb weniger scharf verurteilt. Dieser Tendenz tritt der Autor mit einem eindrucksvollen Abschnitt über die Opfer entgegen. Den Stachel des Bewertungsproblems kann er aber nicht beseitigen, weil er die Frage nach Schuld und Mitschuld der Opfer - nahezu zwanghaft bei Sexualdelikten gestellt - weder ausklammern noch entschieden beantworten kann.
Ein Glanzlicht ist die Geschichte des österreichischen Briefbombers Franz Fuchs, der von 1993 bis 1995 fünfunddreißig Menschen schwer verletzt und vier getötet hat. Der Autor hat sie "Das gekränkte Genie" überschrieben. Fuchs sei ein besonders mathematisch und naturwissenschaftlich hochbegabter Mann gewesen, habe das auch gewußt, aber das Gefühl entwickelt, er werde nicht seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt. Natürlich gab es genug Umstände, die das Gefühl bestätigten. Die Gesellschaft hat sich Fuchs gegenüber allerdings wie im bildungspolitischen Bilderbuch verhalten. Fuchs stammte aus ärmlichen Verhältnissen. Bereits seine Volksschullehrer haben jedoch die Hochbegabung erkannt und gegen andere Pläne der Eltern durchgesetzt, daß er das Gymnasium besuchen konnte, auf dem er denn auch Überdurchschnittliches leistete. Sein Wunschstudium theoretische Physik hat er aber nach einem Jahr abgebrochen, angeblich, weil sein Antrag abgelehnt wurde, das Stipendium zu erhöhen. Dazu der Autor: Hier zeige sich "eine typische Verhaltensweise des späteren Bombenlegers: Bei geringen Widerständen, Frustrationen bzw. Kränkungen zieht er sich völlig zurück. Er setzt nicht nach, gibt scheinbar auf, entwickelt aber innerlich eine ungeheure Wut." Das klingt plausibel, ist aber von der Tat her gedacht. Konstruiert Haller nicht den Täter?
Ein anderes Beispiel. Ein Anzeichen für eine wahnhafte Persönlichkeitsstörung sei, daß Fuchs "trotz Arbeitslosigkeit nie um Arbeitslosenunterstützung nachgesucht hat". Das leuchtet nicht sofort ein. Haller hat aber recht. Als Fuchs der Polizei schließlich mehr zufällig ins Netz ging, zündete er im letzten Augenblick eine Bombe, die ihm beide Unterarme abriß. Die Versorgung mit Prothesen hat er jedoch entrüstet abgelehnt. Das war in der Tat wahnhaft, lag auf derselben Linie wie der Verzicht auf die Arbeitslosenunterstützung, läßt die Ungeheuerlichkeit der Wut des Franz Fuchs ahnen und die Gefahr, die von ihm ausging. Wer seine eigene Existenz als Waffe einsetzt, kann eine Gesellschaft, für die das Leben der Güter höchstes ist und die sich schwertut, Leid und Schmerz zu verarbeiten, leicht in Angst und Schrecken versetzen.
An dieser Stelle führen weitere Überlegungen in Abgründe, die der Autor allerdings nicht sehen konnte, wohl aber Franz Fuchs. Fuchs wußte, daß er schwere Straftaten begangen hatte, und hielt es für richtig, daß er bestraft wurde. Er verwahrte sich jedoch dagegen, "in irgendwelchen kindlichen Konflikten oder Belastungsfaktoren in der Jugend ,Entschuldigungen' für sein strafrechtlich relevantes Tun zu sehen". Das erinnert an Hegel: Mit der Strafe wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt, deshalb darf sie sich nur an der Tat orientieren, an nichts sonst. Auf die Anerkennung seiner Vernunft wollte Fuchs offenbar nicht verzichten. Das kann man seinem Wahn zurechnen. Aber wie verhält sich der Wahn zur Philosophie? Darauf antwortet dieses vortreffliche Buch naturgemäß nicht.
Reinhard Haller: "Die Seele des Verbrechers". Motive - Impulse - Lebensbilder. NP Buchverlag, St. Pölten 2002. 320 S., geb., 23,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main