Ein namenloser Künstler sucht in der fremden Großstadt Paris sein Glück. Er gelangt in die Hände des dubiosen Kunsthändlers Schwänzel und in eine Gesellschaft von Trinkern und Herumtreibern im Montparnasse-Quartier. Seine materiellen Sorgen ertränkt er im Alkohol, der ihn zugleich in euphorische Zustände versetzt. Doch aus seiner Schaffenskrise retten ihn diese nicht. Erst ein Autounfall führt den Künstler schließlich zur 'seltsamen Wendung' seines Daseins.
In seiner hier erstmals publizierten Novelle schildert Ludwig Hohl aus eigener Erfahrung den Existenzkampf eines Künstlers um Anerkennung: zerrieben zwischen persönlichen Ambitionen und den Mechanismen des Kunsthandels, zwischen innerer Einsamkeit und der trügerischen Trinkgeselligkeit in Straßencafés, gefangen von der zerstörerischen Kraft des Alkohols. In einer ungeschliffenen, unmittelbaren Sprache führt uns der Erzähler in den Mahlstrom von Ekstase und Verzweiflung, in das Ringen um ein absolutes Werk, das als Vision stets aufscheint, sich in Realität jedoch nur als große Leerstelle, als unendliches Rauschen erweist.
In seiner hier erstmals publizierten Novelle schildert Ludwig Hohl aus eigener Erfahrung den Existenzkampf eines Künstlers um Anerkennung: zerrieben zwischen persönlichen Ambitionen und den Mechanismen des Kunsthandels, zwischen innerer Einsamkeit und der trügerischen Trinkgeselligkeit in Straßencafés, gefangen von der zerstörerischen Kraft des Alkohols. In einer ungeschliffenen, unmittelbaren Sprache führt uns der Erzähler in den Mahlstrom von Ekstase und Verzweiflung, in das Ringen um ein absolutes Werk, das als Vision stets aufscheint, sich in Realität jedoch nur als große Leerstelle, als unendliches Rauschen erweist.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Ein wenig Nerven braucht man schon, um das Säufertum zu ertragen, das Ludwig Hohl in dieser erstmalig erscheinenden Novelle schildert, warnt Rezensent Matthias Weichelt. Unmengen an Alkohol schüttet der Protagonist in sich hinein, der sich im Paris der 1920er Jahre als Künstler versucht. Für ihn sind nächtliche Streifzüge und Trinkerei nötig, um kreativ zu werden, führen aber auch zu einem "zunehmenden Kontrollverlust", so der Kritiker. Es folgt Trinkgelage auf Trinkgelage, geschildert in starker expressionistischer Sprache, erläutert Weichelt. Die in den 1930er Jahren entstandene Novelle trägt autobiographische Züge, vermutet er, Hohl allerdings konnte sich später nicht mehr mit ihr identifizieren und sich nie dazu durchringen, den Text zu veröffentlichen, erfahren wir. Die Zerrissenheit des Künstlertums zwischen "verzweifeltem Rausch" und kreativem Schaffen sieht der Rezensent hier intensiv und glaubhaft dargestellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.01.2024Rausch und Ekstase
Aufs Ganze: Eine frühe Erzählung Ludwig Hohls
Wer gerade gute Vorsätze gefasst hat und versucht, sich an eine moderatere Lebensweise zu gewöhnen, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Die Mengen an Alkohol, die hier vom frühen Abend bis in den Vormittag hinein getrunken werden, sind nur etwas für starke Nerven. Namenloser Held der Novelle ist ein "ungeheurer Säufer", der "da und dort von der Polizei angesprochen, hie und da auf den Posten geschleppt, oft aus den Kaffeehäusern geworfen und dann doch wieder geduldet" wird. Im Paris der Zwanzigerjahre versucht er sich als Maler im Künstlerquartier des Montparnasse über Wasser zu halten, mit Bildern, die zwischen all den Abstürzen entstehen und von einem windigen Agenten namens Schwänzel für eine Handvoll Francs aufgekauft werden.
Um diesen Zwiespalt von verzweifeltem Rausch und künstlerischem Schaffen kreist die Anfang der Dreißigerjahre geschriebene, jetzt erstmals veröffentlichte Erzählung des 1980 gestorbenen Schweizer Schriftstellers Ludwig Hohl, der dabei durchaus auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte. Hohl, 1904 im Kanton Glarus als Sohn eines Pfarrers geboren, fühlte sich früh zum Schreiben berufen und rebellierte gegen seine als engstirnig empfundene Umgebung. 1924 macht er sich mit einer Freundin auf nach Paris, um in der Metropole seinen Traum von einem selbstbestimmten Dasein umzusetzen. Das wenige Geld, das er von zu Hause bekommt, ist immer viel zu schnell verbraucht, die an Zeitungen und Verlage geschickten Texte werden kaum gedruckt. Die erhoffte künstlerische Karriere bleibt vorerst ein Trugbild, umso intensiver taucht Hohl in das berüchtigte Nachtleben ein. In seinen Briefen an den Freund Isak Grünberg und in den Aufzeichnungen "Aus der Tiefsee. Paris 1926" hat er die exzessiven Trinkgelage, die nicht selten im Rinnstein oder in der Ausnüchterungszelle enden, schonungslos festgehalten. Vom Glanz der Bars und Cafés jener Zeit, den Hemingway, Fitzgerald und andere beschrieben haben, spürt man hier wenig, viel hingegen vom Elend einer Existenz, die ihren hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht wird und nur in der Trunkenheit Vergessen findet.
Ludwig Hohl hatte auch den Titel "Ein Säufer" in Erwägung gezogen, mit "Die seltsame Wendung" den Akzent dann aber stärker auf die innere Verwandlung seines Protagonisten gelegt. Denn das nächtliche Umherirren und Sichverlieren ist auch Voraussetzung des künstlerischen Schaffens, der Erlösung von allen Selbstzweifeln. Hohl protokolliert diesen Vorgang, reflektiert den zunehmenden Kontrollverlust. Er will, schreibt Anna Stüssi im Nachwort, "beobachten und bezeugen, was ihm trinkenderweise geschieht, wenn er zwischen Größenwahn und Minderwert hin- und hergeworfen wird (. . .) und von Alkohol stimuliert die 'Wendung' erlebt, die Befreiung aus der Vereinzelung und den Anschluss an das überquellende Reich der schöpferischen Kraft".
Seinen Ausdruck findet dieses Selbstexperiment in einer expressionistisch gefärbten, manchmal auch religiös aufgeladenen Sprache: "Der Körper ist noch um einen Hauch dünner; das Wetter ist heiß und strahlend; dann steht er auf zu höherer, unermesslicher Ekstase." Der Autor geht wie sein Held aufs Ganze, folgt dessen Credo, nur "das Leben, das Erleben" sei der Weg zur Kunst: "Hineingehen in alles, nichts fürchten, von unten, von außen her muss man kommen, kein Gutes entsteht je aus Akademien." Wie selbstzerstörerisch dieser Weg sein kann, wurde Hohl bald klar. 1930 verließ er Paris, lebte kurze Zeit in Wien und einige Jahre in Den Haag, bevor er in die Schweiz zurückkehrte und in Genf in einer legendär gewordenen Kellerwohnung hauste. Seine Novelle war ihm mittlerweile fremd geworden, in einem Gespräch bezeichnete er sie als "Schweinerei", die er dennoch nicht zerstören könne. Immer wieder überarbeitete er das Manuskript, fand aber keinen Zugang mehr zum expressiven Stil seiner frühen Prosa. Kurz vor seinem Tod riss er einzelne Seiten heraus, die, wie der Herausgeber Magnus Wieland vermutet, Schilderungen homoerotischer Begegnungen enthalten haben könnten. Einige der lädierten Blätter sind in der auch Abbildungen und Seitenkommentare enthaltenden Ausgabe dokumentiert.
Für Autoren wie Peter Handke, Friedrich Dürrenmatt oder Adolf Muschg wurde Hohl vor allem mit seinen philosophisch-aphoristischen Notizen zu einem maßgeblichen Schriftsteller. In diesem Band kann man ihn in seinen wilden, ungeschlachten Anfängen neu entdecken. Vorausgesetzt, man hat keine Angst vor Getränken, die "in Fluten, in Katarakten" hinuntergestürzt werden. MATTHIAS WEICHELT
Ludwig Hohl: "Die seltsame Wendung". Novelle.
Nachwort von Anna Stüssi. Hrsg. von Magnus Wieland. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2023.
160 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Aufs Ganze: Eine frühe Erzählung Ludwig Hohls
Wer gerade gute Vorsätze gefasst hat und versucht, sich an eine moderatere Lebensweise zu gewöhnen, sollte von diesem Buch die Finger lassen. Die Mengen an Alkohol, die hier vom frühen Abend bis in den Vormittag hinein getrunken werden, sind nur etwas für starke Nerven. Namenloser Held der Novelle ist ein "ungeheurer Säufer", der "da und dort von der Polizei angesprochen, hie und da auf den Posten geschleppt, oft aus den Kaffeehäusern geworfen und dann doch wieder geduldet" wird. Im Paris der Zwanzigerjahre versucht er sich als Maler im Künstlerquartier des Montparnasse über Wasser zu halten, mit Bildern, die zwischen all den Abstürzen entstehen und von einem windigen Agenten namens Schwänzel für eine Handvoll Francs aufgekauft werden.
Um diesen Zwiespalt von verzweifeltem Rausch und künstlerischem Schaffen kreist die Anfang der Dreißigerjahre geschriebene, jetzt erstmals veröffentlichte Erzählung des 1980 gestorbenen Schweizer Schriftstellers Ludwig Hohl, der dabei durchaus auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte. Hohl, 1904 im Kanton Glarus als Sohn eines Pfarrers geboren, fühlte sich früh zum Schreiben berufen und rebellierte gegen seine als engstirnig empfundene Umgebung. 1924 macht er sich mit einer Freundin auf nach Paris, um in der Metropole seinen Traum von einem selbstbestimmten Dasein umzusetzen. Das wenige Geld, das er von zu Hause bekommt, ist immer viel zu schnell verbraucht, die an Zeitungen und Verlage geschickten Texte werden kaum gedruckt. Die erhoffte künstlerische Karriere bleibt vorerst ein Trugbild, umso intensiver taucht Hohl in das berüchtigte Nachtleben ein. In seinen Briefen an den Freund Isak Grünberg und in den Aufzeichnungen "Aus der Tiefsee. Paris 1926" hat er die exzessiven Trinkgelage, die nicht selten im Rinnstein oder in der Ausnüchterungszelle enden, schonungslos festgehalten. Vom Glanz der Bars und Cafés jener Zeit, den Hemingway, Fitzgerald und andere beschrieben haben, spürt man hier wenig, viel hingegen vom Elend einer Existenz, die ihren hochgesteckten Erwartungen nicht gerecht wird und nur in der Trunkenheit Vergessen findet.
Ludwig Hohl hatte auch den Titel "Ein Säufer" in Erwägung gezogen, mit "Die seltsame Wendung" den Akzent dann aber stärker auf die innere Verwandlung seines Protagonisten gelegt. Denn das nächtliche Umherirren und Sichverlieren ist auch Voraussetzung des künstlerischen Schaffens, der Erlösung von allen Selbstzweifeln. Hohl protokolliert diesen Vorgang, reflektiert den zunehmenden Kontrollverlust. Er will, schreibt Anna Stüssi im Nachwort, "beobachten und bezeugen, was ihm trinkenderweise geschieht, wenn er zwischen Größenwahn und Minderwert hin- und hergeworfen wird (. . .) und von Alkohol stimuliert die 'Wendung' erlebt, die Befreiung aus der Vereinzelung und den Anschluss an das überquellende Reich der schöpferischen Kraft".
Seinen Ausdruck findet dieses Selbstexperiment in einer expressionistisch gefärbten, manchmal auch religiös aufgeladenen Sprache: "Der Körper ist noch um einen Hauch dünner; das Wetter ist heiß und strahlend; dann steht er auf zu höherer, unermesslicher Ekstase." Der Autor geht wie sein Held aufs Ganze, folgt dessen Credo, nur "das Leben, das Erleben" sei der Weg zur Kunst: "Hineingehen in alles, nichts fürchten, von unten, von außen her muss man kommen, kein Gutes entsteht je aus Akademien." Wie selbstzerstörerisch dieser Weg sein kann, wurde Hohl bald klar. 1930 verließ er Paris, lebte kurze Zeit in Wien und einige Jahre in Den Haag, bevor er in die Schweiz zurückkehrte und in Genf in einer legendär gewordenen Kellerwohnung hauste. Seine Novelle war ihm mittlerweile fremd geworden, in einem Gespräch bezeichnete er sie als "Schweinerei", die er dennoch nicht zerstören könne. Immer wieder überarbeitete er das Manuskript, fand aber keinen Zugang mehr zum expressiven Stil seiner frühen Prosa. Kurz vor seinem Tod riss er einzelne Seiten heraus, die, wie der Herausgeber Magnus Wieland vermutet, Schilderungen homoerotischer Begegnungen enthalten haben könnten. Einige der lädierten Blätter sind in der auch Abbildungen und Seitenkommentare enthaltenden Ausgabe dokumentiert.
Für Autoren wie Peter Handke, Friedrich Dürrenmatt oder Adolf Muschg wurde Hohl vor allem mit seinen philosophisch-aphoristischen Notizen zu einem maßgeblichen Schriftsteller. In diesem Band kann man ihn in seinen wilden, ungeschlachten Anfängen neu entdecken. Vorausgesetzt, man hat keine Angst vor Getränken, die "in Fluten, in Katarakten" hinuntergestürzt werden. MATTHIAS WEICHELT
Ludwig Hohl: "Die seltsame Wendung". Novelle.
Nachwort von Anna Stüssi. Hrsg. von Magnus Wieland. Suhrkamp Verlag,
Berlin 2023.
160 S., geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»... knapp hundert Jahre nach seinem Aufbruch nach Paris, öffnet eine schmale Künstlernovelle erneut die Tür in sein widerspenstiges Werk. Welch Glück!« Timo Posselt DIE ZEIT 20240214