Die Eisenbahn über den Semmering, dessen Bau in den Jahren 1848-1854 unter der Leitung von Carl Ritter von Ghega erfolgte, ist die erste Hochgebirgseisenbahn der Welt und die erste, die mit dem Prädikat UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde. Mit dem Bau des Teilstückes der zweigleisig ausgeführten Südbahn von Wien über Graz und Laibach/Ljubljana bis Triest wurde in mehrfacher Hinsicht Neuland betreten: Streckenführung, Viaduktbautechnik, Tunnelbautechnik und Lokomotivbau setzten Maßstäbe für die Erschließung von topographisch schwierigem Gelände. Dinhobl zeichnet die Baugeschichte nach und bettet sie in einen internationalen Kontext ein. Mithilfe von bisher unveröffentlichten Streckenplänen und Bauzeichnungen beschreibt er die Semmeringerbahn als technikgeschichtlich bedeutsames Bauwerk.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2003Durch diese hohlen Tunnel muß sie rattern
Günter Dinhobl fährt mit der ersten Hochgebirgseisenbahn auf und davon / Von Ernst Horst
Der Mount Everest und das Indische Grabmal sind Unesco-Welterbestätten. Wer nicht nach Asien fliegen will, findet auch eine Welterbestätte in Mitteleuropa: die Semmering-Hochgebirgsbahn. Und wem selbst Österreich zu weit entfernt ist, der kann sich ein Buch kaufen und das Gebirge im Kopf durchqueren. Imaginäre Reisen sind eh die schönsten, und das Billett dafür ist wohlfeil. "Die Semmeringerbahn" von Günter Dinhobl ist eine wissenschaftliche Publikation. Trotzdem können auch Laien das Buch problemlos verstehen und genießen. Wenn jemand wie Dinhobl Physik und Geschichte studiert, dann hat er was davon. Er kann Geisteswissenschaftlern die Technik und Naturwissenschaftlern die Vergangenheit erklären.
Was ist eine Eisenbahn? Das ist nicht so leicht zu definieren. Schon in der Jungsteinzeit fuhren Karren in Spurrillen. Unsere heutigen Züge haben eine lange Evolution hinter sich. Dieser Prozeß hatte durchaus seine darwinistischen Aspekte. Irgendwann waren die Dampfrösser weit genug entwickelt, daß sie beginnen konnten, das Gebirge zu erobern. Dabei waren diverse Schwierigkeiten zu überwinden: Für die Steigungen benötigt man besonders viel Dampfkraft. Die Räder müssen so angetrieben werden, daß sie auf den glatten Schienen nicht rutschen. (Für besonders steiles Gelände gab und gibt es natürlich Zahnradbahnen, die aber andere technische und wirtschaftliche Nachteile haben.) Die Strecken sind notwendigerweise kurvenreich, was eine erhöhte Belastung des Materials durch Fliehkräfte verursacht. Der Gebirgswinter ist in unseren Breiten kalt und niederschlagreich. Und last but not least kommt man natürlich in der Regel ohne teure Viadukte und Tunnel nicht aus.
Alle diese Probleme spielten eine wichtige Rolle beim Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn, der 41,7 km langen Semmeringbahn zwischen Gloggnitz in Niederösterreich und Mürzzuschlag in der Steiermark (1848 bis 1853), den Carl Ritter von Ghega kompetent leitete. Ghega konnte sich nicht von anderen Strecken inspirieren lassen, er mußte Pionierarbeit leisten und traf dabei meistens Entscheidungen, die sich nachträglich als vernünftig und vorbildhaft herausstellten. Vielleicht war dabei ja auch ein Quentchen Glück im Spiel, aber er war zweifelsohne der richtige Mann am richtigen Platz. Es kostete ihn bereits viel Überzeugungsarbeit, die Errichtung einer Lokomotivstrecke durchzusetzen.
Damals war das Paradigma noch die so genannte Seilebene, bei der ein stationärer Antrieb die Wagen mit Ketten oder Seilen den Berg hochzog. Eine andere Alternative war die "atmosphärische Bahn", eine komplizierte technische Verirrung, die gerade in Mode war, aber nirgendwo auf Dauer befriedigend funktioniert hat. Bei einer atmosphärischen Bahn wurde in einem geschlitzten Rohr ein Kolben in Fahrtrichtung gesaugt, der über einen Ausleger die Wagen vorwärtsbewegte.
Wirklich geeignete Lokomotiven gab es noch nicht. Deshalb wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Im August 1851 kämpften vier Maschinen um die Palme des Sieges. Die Bavaria aus München gewann überlegen den ersten Preis von 20.000 Dukaten. Der Antrieb eines Teiles der Räder über eine Art Fahrradkette stellte sich aber später als wenig alltagstauglich heraus. Schlußlicht war die Vindobona, deren verborgene Qualitäten man erst später erkannte. Sie wurde die Stamutter fast aller europäischen Berglokomotiven.
Tunnel zu bauen, war damals ein mühseliges Geschäft. Es gab noch keine Tunnelbaumaschinen, und zum Sprengen mußte man Schwarzpulver verwenden, das Dynamit war noch nicht erfunden. Um bei längeren Strecken die Bauzeit abzukürzen, trieb man mehrere Schächte von oben bis zur künftigen Tunnelachse vor und baute so den Tunnel an mehreren Stellen gleichzeitig.
Das ist die "Qanat-Bauweise". Das Wort Qanat kommt aus dem Türkischen und bezeichnet die gerade beschriebene, jahrtausendealte Methode, mit der man in Nordafrika und Zentralasien Bewässerungstunnel gegraben hat. Der Haupttunnel am Semmering ist gerade einmal anderthalb Kilometer lang, mehr war aus Zeitgründen nicht möglich. Unsere Abbildungen zeigen sämtliche Tunnel, durch die die Semmeringbahn zu rattern hat.
Anschaulich und sehr gründlich schildert Dinhobl die Geschichte der Semmeringbahn von den ersten Planungen bis zur Gegenwart. Die Ausführlichkeit geht so weit, daß er sogar die elektromagnetischen Glockensignale der Bahnwärter auflistet. Dingdingding-dingdingding-dingding-ding steht beispielsweise für "Aus der Richtung nach Wien soll ein Hülfszug kommen." Darauf antwortet man ding-dingding - "Verstanden." Es gab schließlich noch kein Telefon.
Und das Buch ist nicht zuletzt auch eine kurze Einführung in das alte Eisenbahnwesen, weil vieles in einem größeren Zusammenhang erklärt wird, damit man es auch wirklich begreift. Bücher wie dieses sollte man aus dem gleichen Grund lesen, aus dem man manchmal in ein ungewöhnliches Museum geht: nicht weil man sich schon für das Thema interessiert, sondern weil man etwas Neues kennenlernen will.
Eine frühere Version des Textes wurde seinerzeit von der Alliance for nature anläßlich der Nominierung der Semmeringbahn für eine Unesco-Welterbestätte herausgegeben. Diese Naturschutz-Organisation kümmert sich auch weiter um die Eisenbahnstrecke. Sie organisiert geführte Gruppenwanderungen und belohnt größere Spenden mit allerliebsten Original-Lithographien und -Radierungen von Dampflokomotiven oder nackten Österreicherinnen (www.AllianceForNature.at). Ding-dingding.
Günter Dinhobl: "Die Semmeringerbahn". Der Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn der Welt. Verlag für Geschichte und Politik / R. Oldenbourg Verlag, Wien und München 2003. 229 S., br., Abb., 1 Faltplan, br., 24,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Günter Dinhobl fährt mit der ersten Hochgebirgseisenbahn auf und davon / Von Ernst Horst
Der Mount Everest und das Indische Grabmal sind Unesco-Welterbestätten. Wer nicht nach Asien fliegen will, findet auch eine Welterbestätte in Mitteleuropa: die Semmering-Hochgebirgsbahn. Und wem selbst Österreich zu weit entfernt ist, der kann sich ein Buch kaufen und das Gebirge im Kopf durchqueren. Imaginäre Reisen sind eh die schönsten, und das Billett dafür ist wohlfeil. "Die Semmeringerbahn" von Günter Dinhobl ist eine wissenschaftliche Publikation. Trotzdem können auch Laien das Buch problemlos verstehen und genießen. Wenn jemand wie Dinhobl Physik und Geschichte studiert, dann hat er was davon. Er kann Geisteswissenschaftlern die Technik und Naturwissenschaftlern die Vergangenheit erklären.
Was ist eine Eisenbahn? Das ist nicht so leicht zu definieren. Schon in der Jungsteinzeit fuhren Karren in Spurrillen. Unsere heutigen Züge haben eine lange Evolution hinter sich. Dieser Prozeß hatte durchaus seine darwinistischen Aspekte. Irgendwann waren die Dampfrösser weit genug entwickelt, daß sie beginnen konnten, das Gebirge zu erobern. Dabei waren diverse Schwierigkeiten zu überwinden: Für die Steigungen benötigt man besonders viel Dampfkraft. Die Räder müssen so angetrieben werden, daß sie auf den glatten Schienen nicht rutschen. (Für besonders steiles Gelände gab und gibt es natürlich Zahnradbahnen, die aber andere technische und wirtschaftliche Nachteile haben.) Die Strecken sind notwendigerweise kurvenreich, was eine erhöhte Belastung des Materials durch Fliehkräfte verursacht. Der Gebirgswinter ist in unseren Breiten kalt und niederschlagreich. Und last but not least kommt man natürlich in der Regel ohne teure Viadukte und Tunnel nicht aus.
Alle diese Probleme spielten eine wichtige Rolle beim Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn, der 41,7 km langen Semmeringbahn zwischen Gloggnitz in Niederösterreich und Mürzzuschlag in der Steiermark (1848 bis 1853), den Carl Ritter von Ghega kompetent leitete. Ghega konnte sich nicht von anderen Strecken inspirieren lassen, er mußte Pionierarbeit leisten und traf dabei meistens Entscheidungen, die sich nachträglich als vernünftig und vorbildhaft herausstellten. Vielleicht war dabei ja auch ein Quentchen Glück im Spiel, aber er war zweifelsohne der richtige Mann am richtigen Platz. Es kostete ihn bereits viel Überzeugungsarbeit, die Errichtung einer Lokomotivstrecke durchzusetzen.
Damals war das Paradigma noch die so genannte Seilebene, bei der ein stationärer Antrieb die Wagen mit Ketten oder Seilen den Berg hochzog. Eine andere Alternative war die "atmosphärische Bahn", eine komplizierte technische Verirrung, die gerade in Mode war, aber nirgendwo auf Dauer befriedigend funktioniert hat. Bei einer atmosphärischen Bahn wurde in einem geschlitzten Rohr ein Kolben in Fahrtrichtung gesaugt, der über einen Ausleger die Wagen vorwärtsbewegte.
Wirklich geeignete Lokomotiven gab es noch nicht. Deshalb wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. Im August 1851 kämpften vier Maschinen um die Palme des Sieges. Die Bavaria aus München gewann überlegen den ersten Preis von 20.000 Dukaten. Der Antrieb eines Teiles der Räder über eine Art Fahrradkette stellte sich aber später als wenig alltagstauglich heraus. Schlußlicht war die Vindobona, deren verborgene Qualitäten man erst später erkannte. Sie wurde die Stamutter fast aller europäischen Berglokomotiven.
Tunnel zu bauen, war damals ein mühseliges Geschäft. Es gab noch keine Tunnelbaumaschinen, und zum Sprengen mußte man Schwarzpulver verwenden, das Dynamit war noch nicht erfunden. Um bei längeren Strecken die Bauzeit abzukürzen, trieb man mehrere Schächte von oben bis zur künftigen Tunnelachse vor und baute so den Tunnel an mehreren Stellen gleichzeitig.
Das ist die "Qanat-Bauweise". Das Wort Qanat kommt aus dem Türkischen und bezeichnet die gerade beschriebene, jahrtausendealte Methode, mit der man in Nordafrika und Zentralasien Bewässerungstunnel gegraben hat. Der Haupttunnel am Semmering ist gerade einmal anderthalb Kilometer lang, mehr war aus Zeitgründen nicht möglich. Unsere Abbildungen zeigen sämtliche Tunnel, durch die die Semmeringbahn zu rattern hat.
Anschaulich und sehr gründlich schildert Dinhobl die Geschichte der Semmeringbahn von den ersten Planungen bis zur Gegenwart. Die Ausführlichkeit geht so weit, daß er sogar die elektromagnetischen Glockensignale der Bahnwärter auflistet. Dingdingding-dingdingding-dingding-ding steht beispielsweise für "Aus der Richtung nach Wien soll ein Hülfszug kommen." Darauf antwortet man ding-dingding - "Verstanden." Es gab schließlich noch kein Telefon.
Und das Buch ist nicht zuletzt auch eine kurze Einführung in das alte Eisenbahnwesen, weil vieles in einem größeren Zusammenhang erklärt wird, damit man es auch wirklich begreift. Bücher wie dieses sollte man aus dem gleichen Grund lesen, aus dem man manchmal in ein ungewöhnliches Museum geht: nicht weil man sich schon für das Thema interessiert, sondern weil man etwas Neues kennenlernen will.
Eine frühere Version des Textes wurde seinerzeit von der Alliance for nature anläßlich der Nominierung der Semmeringbahn für eine Unesco-Welterbestätte herausgegeben. Diese Naturschutz-Organisation kümmert sich auch weiter um die Eisenbahnstrecke. Sie organisiert geführte Gruppenwanderungen und belohnt größere Spenden mit allerliebsten Original-Lithographien und -Radierungen von Dampflokomotiven oder nackten Österreicherinnen (www.AllianceForNature.at). Ding-dingding.
Günter Dinhobl: "Die Semmeringerbahn". Der Bau der ersten Hochgebirgseisenbahn der Welt. Verlag für Geschichte und Politik / R. Oldenbourg Verlag, Wien und München 2003. 229 S., br., Abb., 1 Faltplan, br., 24,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Würde man ja eigentlich nicht denken, so der Tenor von Ernst Horsts Kritik, dass man als am Thema erst mal nicht Interessierter mit einem Buch über die erste Hochgebirgseisenbahn der Welt eine spannende Lektüre finden würde. Hat man aber doch, meint er, und das sei ein Verdienst des Autors. Der nämlich könne einem mit akribischer Liebe fürs Detail die Schwierigkeiten, die sich diesem technisch höchst komplizierten Projekt in den Weg stellten, so vor Augen führen, dass man die Lösungen bewundern lerne. Man erfahre Neues über die frühen Lokomotiven und die "Qanat-Bauweise" für Tunnels, deren Bau eine sehr aufwendige Sache war (Dynamit gab es um 1850 noch nicht). Eingebettet wird das ganze in die größeren Zusammenhänge, so dass man als Dreingabe noch "eine kurze Einführung in das alte Eisenbahnwesen" erhält, freut sich unser Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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