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Produktdetails
  • Verlag: Brill Fink
  • 1997.
  • Seitenzahl: 243
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm
  • Gewicht: 436g
  • ISBN-13: 9783770532360
  • ISBN-10: 3770532368
  • Artikelnr.: 07126173
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.1998

Das Gestrüpp um den Dornbusch
Wolf-Daniel Hartwich über die Leben-Moses'-Forschung

Bevor die Leben-Jesu-Forschung im neunzehnten Jahrhundert mit David Friedrich Strauss und Ernest Renan europäisches Aufsehen erregte, entdeckte das späte achtzehnte Jahrhundert das Leben Moses'. 1783 erreichten Johann Friedrich Wilhelm Jerusalems "Briefe über die mosaische Religion" schon die dritte Auflage; vier Jahre zuvor war sein "Moses - Seine Geschichte" erschienen. Moses Mendelssohn meldete sich mit seinem "Jerusalem oder Über religiöse Macht und Judentum" ebenfalls 1783 zu Wort, Johann David Michaelis und Johann Gottfried Eichhorn schrieben 1787 Einleitungen in das Alte Testament. Schon ein Jahr später veröffentlichten Karl Leonhard Reinhold "Die Hebräischen Mysterien" und Johann Jakob Heß die "Geschichte Moses"; Johann Christoph Friedrich Bach schrieb das Duo-Drama "Mosis Mutter und ihre Tochter". Friedrich Schillers Bestseller "Die Sendung Moses" erschien 1790. Es folgten weitere "neuere" (J. Gabler) und "Kritische Versuche" (F. Thormeyer) über die mosaischen Schriften, und selbst Naphtali Wesselys "Die Moseide" erschien in deutscher Übersetzung (alle 1795).

Angeregt durch diese neue Forschungsrichtung, publizierte Friedrich August Wolf (auch 1795) seine bahnbrechende Studie "Prolegomena ad Homerum". 1798 wurde Carl Philipp Emanuel Bachs Oratorium "Die Israeliten in der Wüste" erstmals in Breslau zu Gehör gebracht, und Friedrich Hölderlin bürgerte 1799 Moses in Deutschland ein: Immanuel Kant sei "der Moses unserer Nation, der sie aus der ägyptischen Erschlaffung in die freie einsame Wüste seiner Spekulation" geführt habe.

Wolf-Daniel Hartwich untersucht "Die Sendung Moses" von der Aufklärung bis Thomas Mann, doch geht er nicht allen Verästelungen dieser Forschungsgeschichte nach, sondern wählt aus: Schiller, Herder, Goethe, Heine, Nietzsche, Freud und Thomas Mann sind seine wichtigsten Autoren. Dazwischen behandelt er unter der Überschrift "Evangelische Lektüre des Gesetzes" auch J. Ch. Edelmann, Moses Mendelssohn, J. D. Michaelis, J. G. Eichhorn und J. J. Heß. Hartwich beschränkt sich also auf deutsche Autoren und vorwiegend auf christliche Schriftsteller - Achad Haam, Edmond Fleg, Micha Josef Bin Gorion (Berdyczewski) und Martin Bubers Moses-Studien, um nur einige zu nennen, werden nicht einbezogen; ebenso fehlt das Bild des Moses in der jüdischen Philosophie der Neuzeit (S. Formstecher, S. Hirsch, S. L. Steinheim, H. Cohen) - von S. R. Hirschn und seinem umfangreichen Kommentar zu den Moses-Büchern ganz zu schweigen.

Ausgeblendet sind auch die zahlreichen Moses-Dramen (besonders in England) und die Moses-Interpretationen in der bildenden Kunst und im Musiktheater, ebenso eine Untersuchung über das Moses-Bild in der alttestamentlichen Fachexegese seit Heinrich Ewald: Kurz: Der Titel von Hartwichs Buch ist etwas zu großmundig; dennoch ist diese erste Darstellung der Moses-Diskussion in der deutschen Literatur ein wichtiger Hinweis auf ein Forschungsgebiet, das in seiner ganzen Breite noch weitere Einzeluntersuchungen wert ist.

Hartwich betont, daß er wegen der Überfülle des Materials nur exemplarisch habe vorgehen können. Er möchte vor allem zeigen, "wie im Wechselspiel von Bibelkritik und Dichtung aus der religiösen Mosestradition eine literarische hervorging". Seine Untersuchung unterlegt er mit dem Schema einer dreigliedrigen Theologie, wie er sie bei Varro gefunden hat: Die erste ist eine politische, die zweite eine philosophische und die dritte eine poetische Theologie. Der Auszug Israels aus Ägypten kann als eine politische Revolution verstanden werden, Moses' Lehre von Gott als ein "Rationalisierungsschub" und die fünf Bücher Moses als ein Werk der Weltliteratur.

Die Einordnung der von Hartwich behandelten Texte unter eine dieser drei Typen von Theologie-Überschneidungen ist natürlich möglich und notwendig. Auf dieser Grundlage kann er so etwas wie eine Topik der Moses-Diskussion erstellen. Dadurch gewinnt die auf den ersten Blick zufällige Reihung (und Fortlassung) von Autoren ein klareres Profil. Außerdem versucht der Autor, mit einer weiteren Dreiergliederung etwas Ordnung in das Gestrüpp um den Dornbusch zu bringen: Die Religion kann unter dem Aspekt einer Natur-, Gesetzes- und Geistesreligion betrachtet werden (vor, mit, nach Moses). Ein wenig viel an Ordnungsschemata, doch Hartwichs topisches Denken versucht in erster Linie, die Texte einzuordnen, er liest sie als literarische Texte und fragt nicht nach ihrer speziellen Funktion innerhalb einer schon älteren Diskussion. So kann Edelmann mit Mendelssohn verglichen werden, ohne daß Mendelssohns schwieriger Text in die innerjüdische Debatte seiner Zeit eingebettet würde. Deshalb bleibt er etwas blaß.

Bedenklich an dem zweiten Dreierschema ist, daß Hartwich - mit Joachim von Fiore in der Sicht von Jacob Taubes - die Neuzeit als einen zweiten Exodus in ein säkulares Reich des "Geistes" versteht; Judentum und Christentum habe sie hinter sich gelassen. Nach dieser Geschichtstheologie verabschiedet sich die Neuzeit von Moses - wie steht es jedoch mit denen, die sich noch unter sein Gesetz stellen? Und dann wüßte man gerne, wann dieses Reich anfängt oder angefangen hat. Ist die Zeit solcher abendländischen Eschatologien nicht schon vorbei? Die jüdische Tradition hat Moses zu ihrem Liebling gemacht und ihm die Attribute Befreier und Religionsstifter ("unser Lehrer") verliehen. In dieser Tradition sitzt Moses auch noch 1997 unterhalb des Thrones Gottes und erwartet mit ihm die Stunde des Messias.

Selbst Bin Gorion, der verächtlich meinte, das mosaische Gesetz habe die Israeliten zu Juden degradiert, konnte sein Moses-Buch (1926) nicht anders beenden als mit jenem Hinweis aus dem rabbinischen Schrifttum: "Die Seele des Moses breitet sich aus und ist da in jedem Geschlecht und Zeitalter; sie erlebt ihre Urstände in jedem weisen und gerechten Manne, der in der Lehre forscht." Jan Assmann, selbst Autor eines Moses-Buches, hat das Buch mit einer klaren und es vorweg zusammenfassenden Einleitung versehen. FRIEDRICH NIEWÖHNER

Wolf-Daniel Hartwich: "Die Sendung Moses". Von der Aufklärung bis Thomas Mann. Wilhelm Fink Verlag, München 1997. 243 S., br., 48,- DM.

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