Uwe Kolbes neuer Gedichtband zeichnet sich durch die künstlerisch auferlegte Beschränkung in der Form aus. Der Leser begegnet in vier Kapiteln jeweils zwölf Gedichten, die sich mit acht Zeilen begnügen und darin gewissermaßen ein Fenster öffnen zu einer Unendlichkeit, die jenseits des Wahrgenommenen oder Dargestellten liegt. Die Dichtung ist in einem Denken angesiedelt, das aufs Ganze zielt, seine Gewähr aber in etwas findet, das für es selbst nicht zu fassen ist. Dies ist ein wiederkehrendes Motiv in Uwe Kolbes Dichtung, das sich nicht zuletzt in seiner dichterischen Auseinandersetzung mit der Form der Psalmen gezeigt hat. In dem Band "Die sichtbaren Dinge" weisen die elementaren Beobachtungen weit über sich hinaus, so dass Kosmos und Segment poetisch zusammenkommen.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.04.2019Einer, der acht gibt
Uwe Kolbe kommt auf die sichtbaren Dinge zurück
Uwe Kolbe, inzwischen über sechzig, hat für seinen neuen Gedichtband einen schlichten, unprätentiösen Titel gewählt. "Die sichtbaren Dinge" verspricht einen realistischen Zugriff auf die Welt, eine Abkehr vom Selbstreferenziellen, das vielen modernen Gedichten genügt. Mehr noch: Der Autor hat auch Sprach- und Kulturkritisches im Auge, wenn er sein Motto von Ralph Waldo Emerson entlehnt: "Aber weise Menschen durchschauen diese verderbte Sprache und machen Worte wieder an sichtbaren Dingen fest."
Zum Glück gibt Kolbe nicht den Weisen, sondern den Handwerker. Er beschränkt sich auf vier Dutzend Gedichte, allesamt Achtzeiler, meist freirhythmisch, mit gelegentlichen Reimen und Halbreimen. Im letzten Gedicht "Acht" narrt uns der Autor, denn hier meint "acht" keine Zahl oder gar Zahlensymbolik, sondern das Acht-geben.
In diesen überschaubaren Zyklus passt alles hinein, was den Dichter beschäftigt: Beobachtungen und Reflexionen, im Glücksfall die Synthese beider. Manches gemahnt an die Glimpses von William Carlos Williams, an dessen Forderung "No ideas but in things". Und tatsächlich gibt es ein Gedicht, das an Williams erinnert. "So viel hängt ab / vom Zaunkönig", beginnt Kolbe es, und man meint, eine Kontrafaktur zu Williams zu lesen: "So viel hängt ab / von einer roten Schubkarre."
Aber Kolbe hält sich nicht bloß an die sichtbaren Dinge der Welt, sondern auch an ihre kulturellen Schätze. Er bespöttelt Rilke, der keine Miete zahlen musste, und verhöhnt die Minnesänger, die um der Hohen Frau willen sterben. Er beschwört aber auch Goethes "Urworte" und huldigt jenem "Größeren", der an der Nordsee stand und sang - keinem anderen also als Heinrich Heine. Dieser Konstellation aus den "Nordseebildern" gewinnt er eine wunderbar gereimte Pointe ab: "Wir kommen ans Meer aus zwei Gründen: / erhaben zu sein und uns nichtig zu finden." Das ist Heines würdig, und Robert Gernhardt hätte es bewundert.
Man sollte Uwe Kolbe aber nicht zu den Satirikern und Jokulatoren rechnen. Er ist auf gute und kluge Weise reell; etwas, das man heutzutage kaum kennt und schätzt. An einer Stelle spricht er wie nebenbei über sein Schreiben. In "Mein Beitrag" rechnet er sich zu den "Suchenden" und den "lebend Vergeblichen". Und dann heißt es nüchtern und irgendwie bitter: "Dies ist kein Beitrag zur Gegenwartslyrik." Lassen wir das als Ironie, ja als Sarkasmus stehen. Denn was wäre das für eine Gegenwartslyrik, zu der Uwe Kolbe nicht gehörte.
HARALD HARTUNG.
Uwe Kolbe: "Die sichtbaren Dinge".
Gedichte. Poetenladen, Leipzig 2019.
72 S., geb., 18,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Uwe Kolbe kommt auf die sichtbaren Dinge zurück
Uwe Kolbe, inzwischen über sechzig, hat für seinen neuen Gedichtband einen schlichten, unprätentiösen Titel gewählt. "Die sichtbaren Dinge" verspricht einen realistischen Zugriff auf die Welt, eine Abkehr vom Selbstreferenziellen, das vielen modernen Gedichten genügt. Mehr noch: Der Autor hat auch Sprach- und Kulturkritisches im Auge, wenn er sein Motto von Ralph Waldo Emerson entlehnt: "Aber weise Menschen durchschauen diese verderbte Sprache und machen Worte wieder an sichtbaren Dingen fest."
Zum Glück gibt Kolbe nicht den Weisen, sondern den Handwerker. Er beschränkt sich auf vier Dutzend Gedichte, allesamt Achtzeiler, meist freirhythmisch, mit gelegentlichen Reimen und Halbreimen. Im letzten Gedicht "Acht" narrt uns der Autor, denn hier meint "acht" keine Zahl oder gar Zahlensymbolik, sondern das Acht-geben.
In diesen überschaubaren Zyklus passt alles hinein, was den Dichter beschäftigt: Beobachtungen und Reflexionen, im Glücksfall die Synthese beider. Manches gemahnt an die Glimpses von William Carlos Williams, an dessen Forderung "No ideas but in things". Und tatsächlich gibt es ein Gedicht, das an Williams erinnert. "So viel hängt ab / vom Zaunkönig", beginnt Kolbe es, und man meint, eine Kontrafaktur zu Williams zu lesen: "So viel hängt ab / von einer roten Schubkarre."
Aber Kolbe hält sich nicht bloß an die sichtbaren Dinge der Welt, sondern auch an ihre kulturellen Schätze. Er bespöttelt Rilke, der keine Miete zahlen musste, und verhöhnt die Minnesänger, die um der Hohen Frau willen sterben. Er beschwört aber auch Goethes "Urworte" und huldigt jenem "Größeren", der an der Nordsee stand und sang - keinem anderen also als Heinrich Heine. Dieser Konstellation aus den "Nordseebildern" gewinnt er eine wunderbar gereimte Pointe ab: "Wir kommen ans Meer aus zwei Gründen: / erhaben zu sein und uns nichtig zu finden." Das ist Heines würdig, und Robert Gernhardt hätte es bewundert.
Man sollte Uwe Kolbe aber nicht zu den Satirikern und Jokulatoren rechnen. Er ist auf gute und kluge Weise reell; etwas, das man heutzutage kaum kennt und schätzt. An einer Stelle spricht er wie nebenbei über sein Schreiben. In "Mein Beitrag" rechnet er sich zu den "Suchenden" und den "lebend Vergeblichen". Und dann heißt es nüchtern und irgendwie bitter: "Dies ist kein Beitrag zur Gegenwartslyrik." Lassen wir das als Ironie, ja als Sarkasmus stehen. Denn was wäre das für eine Gegenwartslyrik, zu der Uwe Kolbe nicht gehörte.
HARALD HARTUNG.
Uwe Kolbe: "Die sichtbaren Dinge".
Gedichte. Poetenladen, Leipzig 2019.
72 S., geb., 18,80 [Euro].
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