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In einer Zeit, in der niemand sicher sein kann, wen er vor sich hat, ist sich der Held dieses Romans nicht sicher, wer er selbst ist: Felix Kannmacher oder Johann Gottwald.Im Herbst 1934 wird Felix Kannmacher vom Pianisten Victor Marcu aus dem Deutschen Reich geschmuggelt und erhält in Bukarest eine neue Identität. Als Johann Gottwald wird er die 'Kinderfrau' von Marcus Tochter Virginia, bei der er sich schnell als großer Geschichtenerzähler beliebt macht. Als die Freundschaft zwischen beiden enger wird, entlässt ihn der eifersüchtige Vater, und plötzlich ist Kannmacher ganz allein in einem…mehr

Produktbeschreibung
In einer Zeit, in der niemand sicher sein kann, wen er vor sich hat, ist sich der Held dieses Romans nicht sicher, wer er selbst ist: Felix Kannmacher oder Johann Gottwald.Im Herbst 1934 wird Felix Kannmacher vom Pianisten Victor Marcu aus dem Deutschen Reich geschmuggelt und erhält in Bukarest eine neue Identität. Als Johann Gottwald wird er die 'Kinderfrau' von Marcus Tochter Virginia, bei der er sich schnell als großer Geschichtenerzähler beliebt macht. Als die Freundschaft zwischen beiden enger wird, entlässt ihn der eifersüchtige Vater, und plötzlich ist Kannmacher ganz allein in einem fremden Land. Und so schlägt er sich unter falschem Namen durch: als Kellner im größten Kasino von Bukarest, er arbeitet als Sekretär für die Nazis und versteckt sich in einem Kloster im Karpatenland. Doch in jeder Identität, die sein Schicksal ihm gerade aufbürdet, immer bleibt die Verbindung zwischen ihm und Virginia bestehen, die bald zu einer berühmten Schauspielerin heranwächst.'Die sieben Leben des Felix Kannmacher' ist ein historisches Schelmenstück, ein Hohelied auf die Liebe und ein berührendes Künstlerepos zugleich.
Autorenporträt
Jan Koneffke wurde 1960 in Darmstadt geboren. Er studierte Philosophie und Germanistik in Berlin und verbrachte nach einem Villa-Massimo-Stipendium sieben Jahre in Rom. Heute lebt er als Schriftsteller, Publizist und Übersetzer in Wien und Bukarest. Er erhielt unter anderem den Leonce-und-Lena-Preis für Lyrik, den Friedrich-Hölderlin-Förderpreis und den Offenbacher Literaturpreis. Bei DuMont erschienen der Gedichtband 'Was rauchte ich Schwaden zum Mond' (2001) und die 'Abschiedsnovelle' (2006) s
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.10.2011

Und wenn Felix Krull nach Bukarest gegangen wäre?

Jan Koneffke erzählt von einem Mann, der in den Wirren des Zweiten Weltkrieges zum Lebenskünstler wider Willen wird. Es ist ein Schelmenroman, bei dessen Lektüre einem das Lachen schnell vergeht.

Wer auf Flohmärkten Stöße alter Fotografien durchwühlt, möchte am liebsten den fremden Gesichtern darauf ihre Geschichten entlocken, die ihnen unlesbar eingeschrieben sind. Manchmal gelingt es der Literatur, solche Schwarzweißabzüge längst vergessener Ferienfreuden an aus der Mode gekommenen Badestränden wieder zu Leben zu erwecken, ohne dass das Ganze dabei zur unechten, nachkolorierten Operettenkiste geraten muss. Diese Gefahr kommt in Jan Koneffkes neuem Roman gar nicht erst auf. Zu fern von den Klischees einer goldenen Vorkriegszeit sind Orte, Menschen und Handlung seiner Geschichte, die sich gar nicht so leicht einem Genre zuordnen lässt. Ein Schelmenroman? Wenn, dann einer, bei dem einem mit der Zeit das Lachen im Halse stecken bleibt.

Felix Kannmacher, Koneffkes fiktiver Autobiograph, kommt auf der Flucht vor den Nazis, die ihm wegen Klavierspielens in einem "Judenlokal" die Fingerknöchel zertrümmert haben, an den rumänischen Vorzeigepianisten Victor Marcu, der sich im Schwarzmeerhafen Baltschik - Sommerresidenz der rumänischen Prinzessin Maria auf heute bulgarischem Territorium - gemeinsam mit kleiner Tochter und Entourage von seinen vielen Konzerttourneen und Liebschaften erholt. Kannmacher, der Emigrant, den Marcu mit falschem Pass versorgt, ist der passende Gesellschafter für sein mutterloses Töchterlein - Virginia, das kleine Biest, das sich gegen Felix' Deutschlektionen sträubt und ihm mit ihrer Sucht nach immer neuen, phantastischen Geschichten Schlaf und Nerven raubt. Als das Mädchen zur jungen Frau, ihre Launen zu Liebe werden, setzt Marcu Kannmacher stracks vor die Tür.

Der hat sich fortan mit den Launen der Balkanmetropole Bukarest herumzuschlagen, in einem Rumänien, das nach innen wie außen ganze Galerien widersprüchlichster Labyrinthe entfaltet: "Bukarest, quirlig und quecksilbrig, fiebrig und lumpig, verkommen und rein. Stadt der verkrusteten Zehen und Schuhriemchen, der Hermelinpelze und filzigen Schafsfelle, der Seidenstrumpfpaare und klobigen Wollsocken, der Gardistenstudenten, Armenier, Juden, Hofschranzen und Dienstboten. Stadt der sauber rasierten Bankiers und Gendarmen, Stadt der Popen mit Rauschebart und schwarzem Rock, Stadt des scharfen Nordosts, der mit Messern in Fleisch schnitt, Stadt der Schmetterlingsluft im April und der wogenden, glimmenden, rauchigen Sommer."

Kannmacher findet nach seinem ruhmlosen Abschied von Marcu zunächst Obdach bei Slumowitz, dem jüdischen Casinobetreiber, der ihn als Kellner rekrutiert. Als "Jude, ohne jüdisch zu sein", lernt Kannmacher Slumowitz' "Gott des Massels und Schlamassels" zu verstehen. Dem "sauberen" Antisemitismus der deutschen Endlösung kommt der "schmutzige" Antisemitismus rumänischer Freikorps zuvor; sein Freund Slumowitz endet am Fleischerhaken, und Kannmacher muss abermals untertauchen, zusätzlich in Furcht vor seinem nationalsozialistischen Onkel Alfred, der sich in Bukarest ungeniert enteignetes jüdisches Kapital unter die Nägel reißt. Haralamb Vona, ein skurriler Eigenbrötler, der an einer unabschließbaren Geschichte der rumänischen Architektur bastelt, ist Kannmachers nächster Lebensretter. Virginia, deren "Kinderfrau" Felix einmal war, kehrt als mittlerweile junge Theaterdiva aus der Schweiz zurück und mit ihr eine Liebe, die beide bis ans Ende der Geschichte verfolgen wird - obwohl sich beider Wege ständig wieder trennen.

Als Stalins Armee in Bukarest einmarschiert, wird Felix gefoltert, verraten von "Freunden" und als "Faschist" in einem Schauprozess zum Tod verurteilt. Doch hat der balkanische Zufallsgott anderes mit ihm vor; dank einer Frau gelingt ihm die Flucht bis Wien und dort sogar die einst erträumte Pianistenkarriere. Ein Weilchen nur - denn glücklich wird er dabei nicht. Glücklich ist er nur, wenn er erzählen kann: Geschichten, die hinausführen aus dem Albtraum der Geschichte. Geschichten - etwa die vom untreuen Dolmetscher, der mit seinen Fehlübersetzungen den rumänischen Faschisten gegen den deutschen nationalsozialistischen Verbündeten aufhetzt -, die ihn, solange er wie Scheherazade den Faden weiterspinnen kann, am Leben halten. Das ist Felix Kannmachers Schelmenstück wider Willen; mit dem Erfinden glücklich endender Geschichten, die die unglückliche Historie korrigieren, behauptet er sich im Albtraum des zwanzigsten Jahrhunderts, zieht sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf. Und wenn er nicht gestorben ist, wundert er sich noch heute, wie er eigentlich davongekommen ist.

Die letzte große Schelmenfigur der deutschen Literatur, an die Felix Kannmacher von fern erinnert, Thomas Manns Felix Krull, bleibt demgegenüber ein erstaunlich heiterer und unbeschwerter "Herr" der Geschichte. Felix Kannmacher hingegen ist nicht mehr Herr seiner Geschichte, sein Leben gehört ihm nicht mehr selbst, und doch lässt Koneffke ihn mit einer Sicherheit und Geradlinigkeit von sich erzählen, die erstaunlich wirken. Verantwortlich dafür mögen aber genau die drei Dinge sein, mit deren Hilfe sich der unfreiwillige Lebenskünstler und traurige Schelm über den Abgrund der Historie erhebt: das Klavierspielen, seine Liebe zu Virginia und die Erinnerung an die Sommer in Baltschik. Zu diesem vergessenen Nest am Schwarzen Meer begleitet man ihn gern. Jan Koneffke, mittlerweile in Bukarest und Wien zu Hause, weiß bestens Bescheid in dem der deutschen Literatur trotz Herta Müller und der rumäniendeutschen Lyrik eigentümlich fern gebliebenen Balkanraum, den er, wenn es sein muss, auch mit wortgewaltiger poetischer Verdichtungskraft beschwört: "Land der im Gleichmut verharrenden Himmel, des Holzpflugs und der Krinoline zum Sonntagstanz, der Familienfehden ins siebte und achte Glied, der unsterblichen Toten. In sich ruhendes, grausames, fruchtbares Land, Land der Trachten und Fuhrleute, webenden Frauen, der stampfenden Polka und heiteren Quadrille, der Bestattungs- und Hochzeitszigeunerorchester, der um Mitternacht sprechenden Tiere im Stall . . . Land des Neids und der Stumpfheit, die niemals zur Neige gehen. Menschengesichter, als seien sie aus frischem Lehm oder vertrockneter, rissiger Erde."

JAN RÖHNERT.

Jan Koneffke: "Die sieben Leben des Felix Kannmacher". Roman.

DuMont Verlag, Köln 2011. 507 S., geb., 19,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Kopfüber hineingestürzt hat sich Rezensentin Sabine Vogel in diesen pikaresken Roman, der von den abenteuerlichen Wechselfällen eines Berliner Barpianisten im Zweiten Weltkrieg erzählt. Die Nazis überfallen das jüdische Restaurant, in dem er spielt und zertrümmern ihm die Finger, fortan verbringt er sein Leben auf der Flucht, taucht mal als Kinderfrau bei einem Bukarester Konzertpianisten unter, mal als Kellner in einem Kasino am Schwarzen Meer. Von einem Unheil gerät er die nächste Bredouille. "Atemlos" ist Vogel dieser Odyssee des Glücks und des Schreckens nach eigenem Bekunden gefolgt, attestiert dem Wiener Autor Jan Koneffke enorme Sprachgewalt und schwärmt schließlich von "orientalischer Opulenz und balkanischer Komik".

© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein geborener Erzähler erzählt von Liebe Verrat und Tod. (...) Koneffkes Stärke ist die Anschaulichkeit seiner Prosa, die Bildhaftigkeit, die sich mit den Personen und Schauplätzen wie von selbst einzustellen scheint. (...) Es gibt Szenen voller irrwitziger Komik und voller Grausamkeit (...), so gut erzählt, dass beim Lesen ein unwiderstehlicher Sog entsteht." -- FAS

"Rumänien, Metrik und absurder Humor." -- FRANKFURTER RUNDSCHAU / BERLINER ZEITUNG

"Koneffke schafft eindringliche Stimmungen, große Spannungsbögen in einem plastischen Gesellschaftspanorama ... Ein packender Roman." -- DER STANDARD
"Ein Schriftsteller, der sich auf das Handwerk des Erzählens, in all seinen Facetten und Kniffen, blendend versteht. Nicht nur, wenn es schauerromantisch und hochpoetisch zugeht, sondern auch in denjenigen Partien, die eher spitzbübisch, urkomisch, todtraurig ausfallen. Die Stimmungspalette in diesem Roman ist nämlich enorm. Die Anteilnahme des Lesers erst recht. Jan Koneffke erzählt tempogeladen, dialogsicher, [...] wie im Film. [...] Nach 510 durch Welten und Zeiten bewegte, wandernde, stürzende, tappende, taumelnde und rasende Seiten, gelesen in einem Rutsch, legt der geneigte Leser das wunderbare Buch beglückt zur Seite." DIE WELT "Frisch fabulierend, abenteuerliche Figuren über sieben Jahrzehnte verfolgend, und das immer am Puls der jeweiligen Gegenwart, mit minutiös ausgeführten rumänischem Lokalkolorit. Alles in einer Sprache, die in Wortwahl und Satzbau nicht selbstverständlicher und heutiger wirken könnte." WIENER ZEITUNG "Koneffkes Roman ... gelingt etwas, was man eigentlich nicht für möglich hält - eine Schelmengeschichte aus den Zeiten der linken und rechten Diktaturen zu erzählen, aber gleichzeitig die Tragödien dieser Jahre präsent zu halten. Felix Kannmachers Geschichte steht geradezu exemplarisch für die absurden Seitenwege und Kehrtwendungen der europäischen Geschichte". FALTER "Eine Sprache, von der man dachte, die könne es gar nicht mehr geben. So melodiös, so stilsicher, so reich an Einfällen." DAS MAGAZIN "Ein großes und großartiges Buch!" NEUES DEUTSCHLAND "Mit rarer Leichtigkeit hat Jan Koneffke ein deutsch-rumänisches Geschichtsbuch geschrieben. [...] In einem sehr eigenen Ton, farbig, mit Hang zur Groteske, manchmal opulent, immer plastisch und immer leicht. [...] In dieser Fülle historischen Stoffs [...] ist aus dem 51-jährigen Jan Koneffke ein großer Erzähler geworden. Die vielen Geschichten in der Geschichte meistert er mit schelmischer Gelassenheit." Literaturbeilage der ZEIT "Wortgewaltige poetische Verdichtungskraft." FAZ "Koneffke tradiert eine osteuropäische Erzählkultur (...). Er strickt ein vertracktes Erzählmuster aus Politik und Liebe, Korruption und Verrat." ZÜRCHER TAGESANZEIGER "Die Gabe zum berstenden Erzählen in orientalischer Opulenz und balkanischer Komik, die muss Jan Koneffke sich aus seinen Träumen mitgebracht haben. [...] Alles ist literarische Erfindung, aber eine der glaubwürdigsten, schrecklichsten und wundervollsten." FRANKFURTER RUNDSCHAU "Ein Fest der erzählerischen Fantasie (...). Eine grandios fabulierte Geschichte eingebettet in ein penibel recherchiertes historisches Panorama, das durch seine ungewöhnliche Perspektive fesselt. (...) Es ist eines jener Bücher, deren letzte Kapitel man besonders langsam liest, weil man den Abschied von dieser Geschichte hinauszögern möchte." DARMSTÄDTER ECHO "Eine furios erzählte Geschichte und bewegende Parabel über die Behauptung des Humanen in inhumaner Zeit. KÖLNER STADTANZEIGER "Koneffke schafft eindringliche Stimmungen, große Spannungsbögen in einem plastischen Gesellschaftspanorama ... Ein packender Roman." DER STANDARD "Ein geborener Erzähler erzählt von Liebe Verrat und Tod. (...) Koneffkes Stärke ist die Anschaulichkeit seiner Prosa, die Bildhaftigkeit, die sich mit den Personen und Schauplätzen wie von selbst einzustellen scheint. (...) Es gibt Szenen voller irrwitziger Komik und voller Grausamkeit (...), so gut erzählt, dass beim Lesen ein unwiderstehlicher Sog entsteht." FAS "Das bislang eindrucksvollste Werk eines hochbegabten Autors verdient breiteste Empfehlung." EKZ BIBLIOTHEKSSERVICE "Vor dem Hintergrund der wechselvollen rumänischen Geschichte in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts erzählt Jan Koneffke ein fantastisches Lügenmärchen - und eine Liebesgeschichte, die bis in die Gegenwart reicht. [...] Ein anspruchsvolles und unterhaltsames Buch vorgelegt, das angesichts der Kriegswirren, die den Hintergrund eines Großteils der Geschichte ausmachen, nicht immer für gute Laune sorgt, aber dennoch höchst amüsant und wunderbar zu lesen ist. Figurenzeichnung, Sprache, Atmosphäre - alles stimmt, und keine der über 500 Seiten ist zu viel." SIEBENBÜRGER ZEITUNG "Was an diesem Roman besonders hervorsticht, ist die Sprache des Autors. [...] Facettenreich und anrührend, romantisch und schaurig, komisch und traurig reiht sich Abenteuer an Abenteuer, aber nie aus distanzierter Sicht. [...] Ein weiteres Beispiel des guten Händchens des DuMont Verlags für bemerkenswerte, herausragende Literatur." KUL - KULTURLEBEN "Was für eine Kraft, was für eine Fabulierkunst.[...] eine märchenhaft erzählte, gleichermaßen herzerwärmende als auch immer wieder schockierende Geschichte der Zeit vor, während und nach dem 2. Weltkrieg.[...] Ein richtig klasse Buch: unbedingt lesen." WESTFÄLISCHE NACHRICHTEN "Feine Literatur eines famosen Erzählers [...] Der Autor schafft Stimmungen, die den Leser regelrecht in die Geschichte saugen." BERGSTRÄSSER ANZEIGER…mehr
Stirb an einem anderen Tag
Jan Koneffke erzählt von Liebe, Verrat und Tod: "Die sieben Leben des Felix Kannmacher"

Das sagt sich immer so leicht und etwas unverbindlich dahin: dass einem Roman die Lust am Erzählen und Fabulieren anzumerken sei. Wobei dann meist vergessen wird, dass es ja nicht einfach ums muntere Draufloserzählen geht. Es muss recherchiert, es muss Material gesammelt und ausgemustert werden, es braucht Timing und Ökonomie, es muss ausladend sein und doch konzentriert und nicht geschwätzig. Leichtigkeit ist halt das Produkt harter Arbeit, und die Fülle entsteht aus der Kunst der Verknappung.

An dem Roman "Die sieben Leben des Felix Kannmacher" lässt sich das sofort sehen. Die Vorarbeiten reichten zehn Jahre zurück, sagt Jan Koneffke, der in einem kleinen Ort am Fuße der Karpaten sitzt, als wir telefonieren. Was auch schon teilweise die Frage beantwortet, warum ein deutscher Schriftsteller einen Roman im Bukarest der dreißiger und vierziger Jahre spielen lässt. Koneffke, 50, der lange in Rom gelebt hat, hat jetzt einen Wohnsitz in Bukarest und einen in Wien, er übersetzt aus dem Rumänischen, und er hat in seinem Roman gewissermaßen ein Stück seiner Familiengeschichte ins Rumänische übersetzt.

Der Familienname Koneffke, sagt er, leite sich vom polnischen oder kaschubischen Wort "koneffka" her: Gießkanne. Deshalb heißt der Held Kannmacher, und wer Koneffkes Roman "Eine nie vergessene Geschichte" (2008) gelesen hat, kennt Felix Kannmacher als einen jungen Mann aus Pommern, der eine Doppelhochzeit platzen ließ und dessen Spur sich anschließend verlor. Statt, wie Koneffkes realer Großonkel, in Ungarn abzutauchen, landet er eben 1934 in Rumänien, wo noch König Carol II. regiert, die nationalistische Eiserne Garde an die Macht drängt und wo man mit Nazi-Deutschland sympathisiert.

Der Erzähler der "Nie vergessenen Geschichte" hatte über seinen verschollenen Großonkel gesagt: "Ich werde sein Leben erfinden." Er hat nicht zu viel versprochen. Die Fiktion, die bereits dieser Roman-Onkel war, fiktionalisiert sich selbst. Der erste Satz des neuen Buches ist das Echo des letzten Satzes im alten Buch: "Heute kommt es mir vor, als sei meine Erinnerung eine erfundene Geschichte." Aber man muss den Vorgängerroman gar nicht kennen, um den Weg in die "Sieben Leben" zu finden. Die Ich-Erzählung ist eine Konstruktion, die sich selber trägt, was auch gut zu diesem Helden passt.

Felix Kannmacher hat keinen Lebensplan und keinen festen Boden. 1934, im Berliner Nikolaiviertel, bei einer Razzia, haben ihm SA-Männer zwei Finger zertreten, weil der Besitzer des Lokals, in dem er Klavier spielte, Jude war. Nach Bukarest hat es ihn verschlagen, weil er einen international berühmten rumänischen Pianisten kennt, der ihn im Kofferraum über die Grenze geschmuggelt, ihm falsche Papiere besorgt und als "Kinderfrau" seiner 13-jährigen Tochter angestellt hat. So ist aus Felix Kannmacher Johann Gottwald geworden, ein falscher Siebenbürger Sachse, und er ist einer dieser Romanhelden, die weniger agieren, als dass es sie ständig irgendwohin verschlägt im Leben; ein Außenseiter, ein Abenteurer wider Willen, mehr Überlebens- als Lebenskünstler, ein verhinderter Pianist ohne Beruf - aber ganz bestimmt nicht der "Taugenichts" im "Schelmenroman", zu dem der Klappentext ihn macht.

Wenn er auf sein Leben blickt, sagt Felix, sehe er nur ein "sinnloses Taumeln und Stolpern". Er weiß es - aber er kann es nicht besser. Und statt "Die sieben Leben", sagt Koneffke, hätte das Buch auch "Die sieben Tode" heißen können, was allerdings deutlich weniger einladend geklungen hätte. Jetzt denkt jeder natürlich an die sprichwörtliche Katze, weil auch Felix immer wieder auf den Füßen landet. Irgendwie jedenfalls, gebeutelt, geschunden, todtraurig, knapp davongekommen, aber mit einem ausgeprägten Selbsterhaltungswillen, auch wenn er oft nicht weiß, wer das denn nun sein soll: sein Selbst.

Er lebt weiter - und stirbt an einem anderen Tag. Marcu, der große Pianist und noch größere Selbstüberschätzer, entlässt ihn, aber Felix hat sich unsterblich verliebt in Marcus Tochter Virginia, die natürlich viel zu jung ist für den Dreißigjährigen. Die große Liebe bleibt sie dennoch, und wenn ihn etwas hält, wenn es einen schwachen Kompass gibt in seinem Leben, dann Virginia. In den politischen Tumulten der späten dreißiger und vierziger Jahre mogelt er sich durch, arbeitet als Saalchef im Casino, entgeht erst den Nazis, aber dann doch dem Nazi-Onkel nicht, der ihn für sich einzuspannen versucht. Er überlebt ein Erdbeben und versteckt sich in einem Kloster in den Karpaten. Und als die Sowjets in Rumänien einziehen, wird er als vermeintlicher Nazi inhaftiert, gefoltert, verurteilt, um sich schließlich nach Wien zu retten. Das hört sich jetzt so geradlinig an und ist doch ein wild mäandernder Lebenslauf, ein Weg voller Seitenpfade, Sackgassen und Fallgruben.

Koneffke ist nun kein Autor, dem Literaturpreisjurys, wie im Tüv-Protokoll, aufgerauhte Sprachoberflächen bescheinigen oder Metafiktion mit hoher Drehzahl. Er ist einer, der die Fülle seines Stoffs so großzügig wie gut dosiert ausbreitet und 500 Seiten lang Geschichten und Geschichten in Geschichten erzählt, die nie langweilen. Politik und Zeitgeschichte, Liebe und Tragödie, Krieg und Kunst - es fehlt an nichts, aber vor allem ist da kein sogenanntes großes Thema, zu dem dann mühsam passende Charaktere geschnitzt werden müssen.

Es geht einem wie vor überdimensionalen, überbordenden Gemälden, auf denen, bei genauem Hinsehen, jeder seinen Platz hat und auf seine Weise unentbehrlich ist - der Pope mit dem Schnapsatem und die Tante mit der Schwäche für Kompott und Suchard-Schokolade, der großmäulige Maler im paradiesischen Seebad Baltschik am Schwarzen Meer und die vielen Geliebten des Helden. Koneffkes Stärke ist die Anschaulichkeit seiner Prosa, die Bildhaftigkeit, die sich mit den Personen und Schauplätzen wie von selbst einzustellen scheint. Man erfährt, was auf den Tisch kommt und was beim Essen unterm Tisch passiert, welche Kleider getragen und welche Intrigen gesponnen werden, welche Gefühle die Charaktere umtreiben, wie es in ihren Wohnungen aussieht und in welchen Phantasmagorien sie wohnen. Es gibt Szenen voller irrwitziger Komik und voller Grausamkeit; es ist nicht das unverdrossene, augenzwinkernde Fabulieren, es fließt Blut, es gibt Verrat und Tod. Denn wenn einer sieben Leben haben soll, muss er dafür eben auch sieben Tode sterben.

Mag ja sein, dass es etwas Altmodisches hat, einfach zu erzählen, ohne sich ständig an der Unmöglichkeit des Erzählens zu reiben. Mag auch sein, dass es hilft, wenn einer so etwas wie eine Poetologie hat oder selbstreferentielle Pirouetten dreht, aber das bringt nicht wirklich weiter, wenn man nicht weiß, wie daraus zwingende Prosa wird. Bei Jan Koneffke sieht das alles ganz einfach aus. Selbstreflexion ist da nur eine Frage des geglückten Dialogs: ",Warum erfindet man eine Geschichte?', verlangte er von mir zu wissen. ,Um keine Geisel der Zeit mehr zu sein', sagte ich, wieder sicherer werdend. ,Wer Geschichten erfindet, der kann sie verlangsamen oder beschleunigen, dehnen oder stauchen. Er kann sie umkehren, anhalten, stillstellen, wenn er sich von einer Erinnerung nicht trennen will, einem Gesicht, einem Menschen. Nichts ist unwiderruflich und nichts, was sich in der Vergangenheit abspielte, notwendig. Seine Geschichte beginnt an dem fernen Punkt in der Vergangenheit, als nichts entschieden war und das Leben noch einen ganz anderen Verlauf nehmen konnte.'"

Koneffke hat, weil er sich, wie sein Held, mit der eisernen Notwendigkeit langweilt, einen Hang zum Märchenhaften, zum Phantastischen. Und indem er ihm nachgibt, wirkt die zerstückelte Biographie seines Protagonisten schon wieder normal im Vergleich zu den Geschichten, die sich dieser Felix ausdenkt, für jene Menschen, die ihm nahe sind. Wenn einer vom "goldenen Wal in den Bergen" erzählt, von einer preußischen Riesenkanone oder vom osmanischen Meisterdieb, der elf Sultane überlebte, ist es völlig glaubwürdig, dass Felix nach einem Erdbeben samt Resten seines Zimmers aus dem zehnten Stock auf der Straße steht.

Er habe beim Schreiben bisweilen an "1001 Nacht" gedacht, sagt Koneffke, vor allem wegen der balkanischen Schnittstelle zwischen Okzident und Orient, gelegentlich auch an den dauerstaunenden Simplicissimus; doch viel entscheidender ist, dass er diesen Felix, dessen Namen ein böses Omen ist, in eine Welt versetzt, die vom Geschichtenerzählen lebt - wobei Wahrheit oder Wahrscheinlichkeit dieser Geschichten weit weniger wichtig sind, als dass sie so gut erzählt sind, dass beim Lesen ein unwiderstehlicher Sog entsteht. Das erinnert von ferne an den Satz von Max Frisch: "Jeder Mensch, nicht nur der Dichter, erfindet seine Geschichten - nur dass er sie, im Gegensatz zum Dichter, für sein Leben hält." Und weil diese Geschichten auch noch ein Fenster in eine fremde, ferne Zeit aufstoßen, klappt man am Ende nicht einfach ein Buch zu, sondern taucht auf aus einer anderen Welt.

PETER KÖRTE.

Jan Koneffke: "Die sieben Leben des Felix Kannmacher". Roman. Dumont-Buchverlag, 510 Seiten, 19,99 Euro

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