Shimon Gibson nimmt aus archäologischer Sicht die Erzählungen der Evangelien über die Passion Christi unter die Lupe. Er berichtet höchst spannend von neuen Erkenntnissen über die Schauplätze von Jesu Wirken in Jerusalem und zeigt, was die neuen Funde für das Selbstverständnis Jesu als Nachfolger Johannes' des Täufers bedeuten. Die letzten Tage Jesu vom Einzug in Jerusalem bis zu Kreuzigung und Auferstehung nehmen in den Evangelien breiten Raum ein. Von der frühesten Zeit an haben Christen versucht, Jesu Leidensweg in Jerusalem zu lokalisieren. Durch welches Tor zog er in die Stadt ein? Wo heilte er die Kranken? Wo fand der Prozess gegen ihn statt? Und vor allem: An welcher Stelle wurde er gekreuzigt und begraben? Shimon Gibson, einer der erfahrensten Jerusalem-Archäologen, beschreibt anschaulich und anhand vieler Abbildungen, welche Geheimnisse er selbst und andere Archäologen in den letzten Jahren dem Boden der heiligen Stadt entlocken konnten. Aber das Buch ist mehr als eine archäologische Spurensuche. Neue Erkenntnisse zu den Ritualbädern, an denen Jesus Kranke geheilt haben soll, zeigen, dass seine Verbindung zu den Anhängern Johannes' des Täufers viel enger war als bisher angenommen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2010Bei den Teichen der Wahrheit
Was war damals? Jeden bewegt die Frage, wie wir wurden, was wir sind. Auf einem ihrer wichtigsten Sachwalter, der Archäologie, lastet auch eine Grundsatzfrage unserer von Juden- und Christentum geprägten Kultur: die nach der Historizität Jesu und der Stätten, an denen er wirkte.
Besonders drängend wird sie, wenn es um die an Wundern und dramatischen Ereignissen übervollen "sieben letzten Tage Jesu" geht. Der Archäologe Shimon Gibson nennt vier sämtlich mit Jerusalem und dessen Vororten verbundene Geschehnisse als zentral: Christi Heilung Aussätziger an den Teichen Bethesda und Siloam, den Prozess gegen ihn im Haus des Kaiphas und im Prätorium des Pontius Pilatus, die Kreuzigung auf Golgatha sowie die Grablegung und Auferstehung nahe dieser Hinrichtungsstätte.
Wissenschaftlich neutral geht Gibson nicht vor. Ihm liegt sehr an seinen Leistungen als Ausgräber. Da sein bisher größter Erfolg die Teilfreilegung des Bethesda- und des Siloam-Teichs war, mutiert Gibsons Jesus zum Heiler und Nachfolger des Täufers Johannes. Wie dieser am Jordan habe jener an den menschenwimmelnden Teichen Jerusalems gepredigt, getauft, vor allem aber Wunderheilungen vollzogen.
Nach prägnanten Schilderungen jüdischer Reinigungszeremonien und Erläuterungen der technisch wie ästhetisch komplizierten Bauweise beider Teiche nennt der Autor in einem tollkühnen Sprung die Heilungen als (neben der Erweckung des Lazarus) als ausschlaggebend für die Priesterschaft und König Herodes, Jesu Tod zu betreiben. Attestiert er diesen eine vernunftwidrige Mischung aus Aberglauben, religiösem Fundamentalismus und Machttrieb, so erklärt er das entscheidende Urteil des Pontius Pilatus (Kreuzigung war keine jüdische, sondern römische Hinrichtungsart) als unausweichliche Folge des Anspruchs Jesu, "König der Juden" zu sein (Shimon Gibson: "Die sieben letzten Tage Jesu". Die archäologischen Tatsachen. Verlag C.H. Beck, München 2010. 272 S., geb., 19,95 [Euro]).
Auch die Entdeckung des Schauplatzes der Urteilsfindung beansprucht Shimon Gibson für sich: Das Tribunal habe im gepflasterten Innenhof des von ihm freigelegten "Essener-Tors" an der Rückseite des Herodes-Palastes stattgefunden, das seinerzeit "als Privateingang des (römischen) Prätoriums" und für Schauprozesse genutzt worden sei. Wie die "aufgebrachte Menge", die laut Neuem Testament den Prozess verfolgte, in diesem winzigen Areal Platz gefunden haben soll, interessiert den sonst so peniblen Forscher nicht.
Jesu Grab, von dem nach Feuersbrünsten 1009 und 1808 nichts außer einem Stückchen schrundigen Felsbodens unter der Grabeskirche geblieben ist, erklärt Gibson für echt, zumindest der Zeit um 30 nach Christus zugehörig. Auch in diesen Passagen ist sein waghalsiges Spekulieren eingebettet in lesenswerte Erörterungen jüdisch-antiker Bestattungsriten und Zitate neutraler antiker Quellen, die die biblischen Berichte partiell bestätigen. Über Jesu sieben letzte Tage erfährt man also lediglich Mutmaßungen, über die letzten Jahre Jerusalems und Galiläas vor der Zerstörung durch die Truppen Roms dagegen viel.
DIETER BARTETZKO
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was war damals? Jeden bewegt die Frage, wie wir wurden, was wir sind. Auf einem ihrer wichtigsten Sachwalter, der Archäologie, lastet auch eine Grundsatzfrage unserer von Juden- und Christentum geprägten Kultur: die nach der Historizität Jesu und der Stätten, an denen er wirkte.
Besonders drängend wird sie, wenn es um die an Wundern und dramatischen Ereignissen übervollen "sieben letzten Tage Jesu" geht. Der Archäologe Shimon Gibson nennt vier sämtlich mit Jerusalem und dessen Vororten verbundene Geschehnisse als zentral: Christi Heilung Aussätziger an den Teichen Bethesda und Siloam, den Prozess gegen ihn im Haus des Kaiphas und im Prätorium des Pontius Pilatus, die Kreuzigung auf Golgatha sowie die Grablegung und Auferstehung nahe dieser Hinrichtungsstätte.
Wissenschaftlich neutral geht Gibson nicht vor. Ihm liegt sehr an seinen Leistungen als Ausgräber. Da sein bisher größter Erfolg die Teilfreilegung des Bethesda- und des Siloam-Teichs war, mutiert Gibsons Jesus zum Heiler und Nachfolger des Täufers Johannes. Wie dieser am Jordan habe jener an den menschenwimmelnden Teichen Jerusalems gepredigt, getauft, vor allem aber Wunderheilungen vollzogen.
Nach prägnanten Schilderungen jüdischer Reinigungszeremonien und Erläuterungen der technisch wie ästhetisch komplizierten Bauweise beider Teiche nennt der Autor in einem tollkühnen Sprung die Heilungen als (neben der Erweckung des Lazarus) als ausschlaggebend für die Priesterschaft und König Herodes, Jesu Tod zu betreiben. Attestiert er diesen eine vernunftwidrige Mischung aus Aberglauben, religiösem Fundamentalismus und Machttrieb, so erklärt er das entscheidende Urteil des Pontius Pilatus (Kreuzigung war keine jüdische, sondern römische Hinrichtungsart) als unausweichliche Folge des Anspruchs Jesu, "König der Juden" zu sein (Shimon Gibson: "Die sieben letzten Tage Jesu". Die archäologischen Tatsachen. Verlag C.H. Beck, München 2010. 272 S., geb., 19,95 [Euro]).
Auch die Entdeckung des Schauplatzes der Urteilsfindung beansprucht Shimon Gibson für sich: Das Tribunal habe im gepflasterten Innenhof des von ihm freigelegten "Essener-Tors" an der Rückseite des Herodes-Palastes stattgefunden, das seinerzeit "als Privateingang des (römischen) Prätoriums" und für Schauprozesse genutzt worden sei. Wie die "aufgebrachte Menge", die laut Neuem Testament den Prozess verfolgte, in diesem winzigen Areal Platz gefunden haben soll, interessiert den sonst so peniblen Forscher nicht.
Jesu Grab, von dem nach Feuersbrünsten 1009 und 1808 nichts außer einem Stückchen schrundigen Felsbodens unter der Grabeskirche geblieben ist, erklärt Gibson für echt, zumindest der Zeit um 30 nach Christus zugehörig. Auch in diesen Passagen ist sein waghalsiges Spekulieren eingebettet in lesenswerte Erörterungen jüdisch-antiker Bestattungsriten und Zitate neutraler antiker Quellen, die die biblischen Berichte partiell bestätigen. Über Jesu sieben letzte Tage erfährt man also lediglich Mutmaßungen, über die letzten Jahre Jerusalems und Galiläas vor der Zerstörung durch die Truppen Roms dagegen viel.
DIETER BARTETZKO
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