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Die Hoffnung, ja, die Erwartung auf Erlösung aus dem alptraumhaften Schrecken richteten die Überlebenden der 'Endlösung' 1945 auf das Gelobte Land, auf Palästina und die dort lebenden Juden. Doch statt Mitgefühl stießen sie auf Verdächtigungen und statt auf Interesse für ihre Erfahrungen auf eisiges Schweigen. Wie Schafe, so hörten sie, hätten sich die Ermordeten, die eigene Mutter, der Vater, die Töchter, die Söhne, die Freunde, wie Schafe hätten sie sich zum Schlächter treiben lassen, statt im Widerstand den Heldentod zu suchen. Wer aber überlebt habe, der sei schuldig geworden, denn nur…mehr

Produktbeschreibung
Die Hoffnung, ja, die Erwartung auf Erlösung aus dem alptraumhaften Schrecken richteten die Überlebenden der 'Endlösung' 1945 auf das Gelobte Land, auf Palästina und die dort lebenden Juden. Doch statt Mitgefühl stießen sie auf Verdächtigungen und statt auf Interesse für ihre Erfahrungen auf eisiges Schweigen. Wie Schafe, so hörten sie, hätten sich die Ermordeten, die eigene Mutter, der Vater, die Töchter, die Söhne, die Freunde, wie Schafe hätten sie sich zum Schlächter treiben lassen, statt im Widerstand den Heldentod zu suchen. Wer aber überlebt habe, der sei schuldig geworden, denn nur durch Egoismus habe er sich gerettet, während die anderen starben. In aufrüttelnder Weise beschreibt der israelische Historiker und Journalist Tom Segev in diesem Buch den Umgang der Israelis mit dem Holocaust, seinen millionenfachen Opfern und denen, die überlebten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.06.1995

Pfeiler der Nationsbildung
Tom Segevs vieldiskutiertes Buch über das Erinnern in Israel

Tom Segev: Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung. Deutsch von Jürgen Peter Krause und Maja Ueberle-Pfaff. Rowohlt Verlag, Reinbek 1995. 768 Seiten, 68,- Mark.

Israel wandelt sich zusehends; das Selbstverständnis der Israelis wandelt sich mit. Vornehmlich jüngere Historiker sind seit einigen Jahren dabei, das bislang vorherrschende, der Nationsbildung geschuldete Geschichtsbild zu stürzen. Ihre als ketzerisch erachteten Befunde bedrohen dessen tragende Säulen: die bislang geltende Wahrnehmung und Deutung der als "Shoah" interpretierten Vernichtung des europäischen Judentums sowie jener dramatischen, sich um das Gründungsjahr des jüdischen Gemeinwesens rankenden Ereignisse - vornehmlich Vertreibung und Flucht der ortsansässigen arabischen Bevölkerung. So sehr sich beide Komplexe auch voneinander unterscheiden, im israelischen Bewußtsein verschränken sie sich. Damit scheint es sein Ende zu haben. Die neuen Tendenzen in der israelischen Zeitgeschichtsschreibung weisen untrüglich in Richtung Historisierung.

Tom Segev will nicht der Tendenz der neuen Historiker zugerechnet werden. Dennoch gehört er jener Strömung an, die wider den Stachel des israelischen Selbstverständnisses löckt. Als studierter Historiker, Reporter, später Kolumnist der renommierten liberalen Tageszeitung Haarez, hat er seit Jahren jener Orientierung vorgearbeitet, und dies nicht ohne sich auf Vorläufer zu stützen, die in der hohen Zeit des politisch vorherrschenden und auf nationale Homogenisierung gerichteten Geschichtsdiskurses ein einsames Außenseiterdasein fristeten. Heute finden sich jene Außenseiter akademisch legitimiert und durch die meist erheblich jüngeren "neuen Historiker" repräsentiert.

Tom Segevs Buch über die Wirkungsgeschichte des Holocaust im israelischen Bewußtsein traf beim Erscheinen der hebräischen Originalausgabe 1991 auf eine sich bereits verändernde Selbstwahrnehmung. Damals kam dem Buch das Verdienst zu, vorgefundene Elemente der Abweichung zu einer erzählbaren Gegengeschichte formiert zu haben. Inzwischen wird die Diskussion in Israel von jenen Fragen beherrscht, denen Tom Segev provokativ Gestalt gab. Schließlich trägt seine historische Reportage nicht unwesentlich dazu bei, das israelische Gedächtnis um die Wirklichkeit der Erfahrung der jüdischen Opfer der Massenvernichtung zu erweitern.

Ein Paradox? Wohl kaum. Segevs "Siebte Million" weist eindringlich auf, wie sehr das Bewußtsein des Yishuv, der vorstaatlichen jüdischen Ansiedlung in Palästina, sich in utopischer Selbstbezogenheit bei der Einrichtung eines nationalen und sozialistischen Gemeinwesens den Ereignissen in Europa verschloß. Nicht, daß die Vorgänge in den Vernichtungslagern der Wahrnehmung leicht zugänglich gewesen wären. Das Geschehen erschien derartig unglaublich, daß es gleichsam am Bewußtsein abprallte. Aber Tom Segev kommt es auf spezifisch jüdisch-zionistische Aspekte der Verzerrung an: die Einordnung der Ereignisse in Europa in den Rahmen des traditionellen Antisemitismus ebenso wie die politische blendende Konzentration auf das Projekt des späteren israelischen Staates.

Trotz aller Katastrophenrhetorik des politischen Zionismus, der schon vor 1939 das Schicksal der europäischen Juden in den düsteren Farben malte, von "Shoah", von "Rettung" wie "Vernichtung" sprach, war die Ausrottung der europäischen Juden als reale Möglichkeit nie wirklich in Betracht gezogen worden. So nimmt es nicht wunder, daß nach 1945 die überlebenden Opfer der Vernichtung in Israel als Zeugen einer unerbetenen Wirklichkeit gleichsam an den Rand gedrängt, ihre Erinnerung unter Quarantäne gestellt wurde. Sie hatten sich dafür zu schämen, nicht dem heroischen Selbstbild der Söhne des Landes entsprochen zu haben. Kurz: Sie hatten dem Vergessen zu überantworten, was es bedeutete, der Massenvernichtung, "Auschwitz" ausgesetzt gewesen zu sein. Mehr noch: Obendrein hatten sie eine Deutung des Schreckens anzunehmen, die ihnen gleichsam die Schuld für das eigene Schicksal aufbürdete. Schließlich waren sie nicht früh genug in das Land der Väter gekommen. Segevs ständig wiederkehrender Hinweis auf einen manipulativen Umgang mit der Geschichte des Holocaust muß den Gegenstand der Kritik jedoch insoweit verfehlen, als in einer derart hoch ideologisierten Gesellschaft wie der des frühen Israels jede Kontroverse zum Weltanschauungskonflikt stilisiert wurde. Dies läßt sich am innenpolitischen Handgemenge zwischen der über Jahrzehnte hinweg dominierenden Partei Ben Gurions und der ihrer Gegner von links wie rechts, vornehmlich in den fünfziger Jahren verfolgen. Damals ziehen die Linksparteien Ben Gurion des Verrats, als er sich aus pragmatischen Gründen dem Deutschland Adenauers näherte. Die DDR als das "bessere Deutschland" blieb von solchen Anfeindungen ausgespart. Die oppositionelle Rechte unter dem jungen Begin führte ihren antibritischen Kampf gegen die längst abgetretene Mandatsmacht gegen die Person Ben Gurions insofern fort, als sie die israelischen Regierungsparteien einer angeblichen früheren Kollaboration mit England beschuldigten und in der amtlichen Annäherung an die Bundesrepublik anläßlich des Entschädigungsabkommens von Luxemburg 1952 geradezu eine Vollendung des nationalen Verrats erblickte. Heute mutet dies alles wie Schnee von gestern an. Die diesjährigen Feierlichkeiten zum Gedenktag an den Holocaust in Israel machten den Wandel des israelischen Bewußtseins deutlich. Der Heroismus des bewaffneten Kampfes, ansonsten vordergründiges Motiv des Erinnerns, wurde geradezu verschmäht hintangestellt. Nicht die Kämpfer, die hilflosen Opfer finden sich anerkannt. Die Staatsführung verneigte sich vor ihnen und verabschiedet sich von einem Geschichtsbild, das sie über Jahrzehnte hinweg an den Rand gedrängt hatte.

Die Stärken des journalistischen Historikers Tom Segev sind ganz ohne Zweifel die eher gegenwartsbezogenen Kapitel, weniger die Rekonstruktion. Im Umgang mit dem Stoff der Gegenwart kommt seine ihm eigene Art der verhaltenen Reportage voll zur Geltung. Seine indirekte Interviewtechnik schafft die nötige Distanz zum Gegenstand und demonstriert gleichzeitig einfühlsame Beteiligung. Dies gilt etwa für die Beschreibung des Kibbuz Yad Mordechai am Gazastreifen wie für die Gespräche mit Angehörigen des Kibbuz der Ghettokämpfer im Norden des Landes - dramatisch verstrickt in den Bildern von Vergangenheit und Gegenwart, zwischen dort und hier, zwischen Nazis und Palästinensern. Auch die notorischen israelischen Schülerreisen an die Orte der Vernichtung in Polen werden trotz aller Bedenklichkeiten ganz ohne Häme und selbstgerechte Distanzierung, wenn auch mit einem gehörigen Maß an Skepsis dargestellt.

Aber Tom Segev ist nicht nur ein scharfer Beobachter, sondern auch ein moralisierender Publizist. Dies mag ihm hier und da den Blick für manch unliebsame historische Wahrheit trüben. Dort etwa, wenn er sich Volkspädagogisches zumutet - wie etwa den wohlmeinenden Ratschlag an die Israelis, andere Schlußfolgerungen aus dem Holocaust zu ziehen als die von ihm beschriebenen. Schließlich rufe der Holocaust "alle dazu auf, die Demokratie zu bewahren, den Rassismus zu bekämpfen und die Menschenrechte zu schützen". Soll das alles gewesen sein? DAN DINER

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