Die Siedlung wurde einst mit hehren Zielen erbaut: ein reges Miteinander sollte die großzügige Architektur ermöglichen, ein gemeinschaftliches Leben ohne Zäune oder andere ausgrenzende Strukturen.
Harmonie, Toleranz, Nachbarschaft? Gutbürgerlich-beschaulich wirkt die Siedlung schnell nur noch
nach außen.
Die besten Absichten kommen nicht an gegen die Tendenz des Menschen, die Welt einzuteilen…mehrDie Siedlung wurde einst mit hehren Zielen erbaut: ein reges Miteinander sollte die großzügige Architektur ermöglichen, ein gemeinschaftliches Leben ohne Zäune oder andere ausgrenzende Strukturen.
Harmonie, Toleranz, Nachbarschaft? Gutbürgerlich-beschaulich wirkt die Siedlung schnell nur noch nach außen.
Die besten Absichten kommen nicht an gegen die Tendenz des Menschen, die Welt einzuteilen in 'wir' und 'die da', gegen die man sich behaupten muss, um auch ja kein Stückchen abgeben zu müssen von dem, was 'uns' gehört. Landorff zeichnet mit subtilen Nuancen das Bild einer Dreiklassengesellschaft auf kleinstem Raum, in der sich jeder nur zu bewusst ist, wo er steht in der sozialen Hackordnung. Und das fand ich in sich schon erstaunlich faszinierend und spannend.
Vorteile, gegenseitiges Misstrauen und Doppelmoral vom Allerfeinsten regieren das Leben – bis das mit einem Massenmord jäh zum Erliegen kommt.
Ich bin gänzlich ohne Erwartungen an das Buch herangegangen, aber ich war mir nach wenigen Seiten bereits sicher, dass ich es lieben würde. Denn der Schreibstil ist ein Gedicht: klar und ausdrucksstark, abseits inhaltsleerer Phrasen oder klischeebehafteter Bilder. Selbst wenn die Sätze manchmal kurz und schlicht sind, erzeugen sie eine dichte Atmosphäre.
Aber auch abgesehen vom Schreibstil konnte mich das Buch vollends überzeugen:
Die Handlung ist vielschichtig und geschickt konstruiert, mit immer neuen Motiven und überraschenden Wendungen. Dazu kommt noch, dass die Geschehnisse auf mehreren Zeitebenen erzählt werden, wodurch sich der Sinn des Ganzen nur allmählich erschließt. An mehreren Stellen glaubte ich, die Lösung zu kennen, aber stets passierte wieder etwas, das alles auf den Kopf stellte.
Landorff spielt mit den Erwartungen des Lesers und reizt das bis zum Äußersten aus – bis an und über die Grenzen des Glaubwürdigen. Tatsächlich ist die Auflösung am Ende dann ein Geniestreich: wahnsinnig komplex, unerwartet und dennoch in sich schlüssig.
Kommissarin Eva Schnee pflegt ein paar der in der Kriminalliteratur so typischen Ermittler-Probleme, wie eine zerrüttete Ehe oder einen Hang zum Alkohol. Trotzdem fällt sie für mich nicht unter das leidige Klischee, denn sie ist ansonsten eine interessante Protagonistin mit einer ungewöhnlichen Hintergrundgeschichte. (Ich hoffe auf einen Folgeband, in dem man mehr darüber erfährt.) Allerdings fallen ihr manche Dinge etwas zu leicht zu, wenn man bedenkt, dass sich ihr Vorgänger an diesem Fall 20 Jahre lang die Zähne ausgebissen hat!
Dem Leser begegnet eine Vielzahl von Charakteren mit einer Vielzahl von Geheimnissen, die zum Teil ein sehr bedrückendes Bild des Lebens in dieser Siedlung vor dem Massenmord zeichnen.
Sehr präsent ist ein über lange Strecken des Buches nicht namentlich benannter Mann, der mit
eindringlichen Tagebucheinträgen zu Wort kommt und sich dabei mehr und mehr als Erzähler zweifelhafter Zuverlässigkeit entpuppt. Er weiß selber nicht, in wie weit er seiner Erinnerung und seiner Selbstwahrnehmung vertrauen kann, gerade wegen dieser Zwiespältigkeit war er für mich jedoch einer der interessantesten Charaktere des Buches.
Auch andere Charaktere existieren am Rand – am Rand der Gesellschaft, am Rand der Armut, am Rand des Wahnsinns... Bei jedem habe ich mich gefragt: bist du der Tagebuchschreiber? Durch die Geschichte geistert zum Beispiel der "Schenkel Ernsti" mit der Hasenscharte, der fast schon den Status einer lokalen Legende hat und mit dem Eva Schnee es im Laufe der Ermittlungen zu tun bekommt.
Die Spannung ergab sich für mich nicht nur aus der Auflösung der Mordfälle, sondern auch aus dem, was man nach und nach über die Bewohner der Siedlung erfährt.