Eine Wohnsiedlung am Rande Tel Avivs: Einst für die militärische Elite des Landes erbaut, stehen die Häuser des Quartiers heute auf teurem Grund. Der Immobilienmakler Gabi Chayek zieht alle Register, um den alteingesessenen Besitzern ihren Boden abzujagen - und entfesselt damit Kräfte, die schon bald außer Kontrolle geraten, während er selbst sein Heil in einer heillosen Affäre sucht.
Wie unter einem Brennglas zeigt Michal Zamir anhand der Schicksale der Bewohner eines Viertels in Tel Aviv den Status quo ihres von Widersprüchen geprägten Landes: radikal, bewegend und mit einem bissigen Humor.
Wie unter einem Brennglas zeigt Michal Zamir anhand der Schicksale der Bewohner eines Viertels in Tel Aviv den Status quo ihres von Widersprüchen geprägten Landes: radikal, bewegend und mit einem bissigen Humor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.11.2010Weiden am Ausweiden
Schlachten ist Michal Zamirs liebstes Verfahren. Ordinäres Vieh kommt ihr aber nicht unters Messer, nur außergewöhnliche Tiere gewinnen ihr Interesse. Am liebsten: heilige Kühe. Die heiligen Kühe ihres Vaterlandes Israels vor allem. Vor zwei Jahren sezierte sie den Körper des israelischen Heiligtums Militär, bis nur noch ein klappriges Gerippe übrig blieb. Gefeierte Kriegshelden präsentierte sie als Sexneurotiker, die sich täglich an jungen Soldatinnen vergreifen. Auch im aktuellen Roman geht es um Sex. Gabi Chayek, 49 Jahre alt, ein reicher Emporkömmling, hat Geld, Villa, Frau und Kinder. Weil aber auch einer wie er Träume braucht, sehnt sich Chayek nach Hilali, der schönen Tochter eines Luftwaffenoffiziers. Hilali ist geschieden, Gabi nicht, aber das ist egal, zumal man an eine Begegnung aus Jugendtagen anknüpft. Es ist, als ob Michal Zamir einmal kurz den Vorhang lüftet, um Einblick in das Leben der Reichen und Verdienten zu gewähren. Es geschieht viel in der kurzen Zeit: Ein Alteingesessener erschießt sich, ein Ehepaar begeht Selbstmord, Gabi schläft mit Hilali, und Gabis Frau bekommt ein Kind. Gibt es Befreiung oder gar Erlösung in diesem Szenario? Eher ein Fortströmen der Leben jenseits moralischer Revolution. Deshalb lautet der letzte Satz: " Alles fließt." Michal Zamir schreibt mit Furor, tiefe Abneigung gegen das so genannte Establishment spricht aus dieser Prosa, manchmal sogar Hass. Eskapistischer Lesegenuss ist für den Leser hier nicht zu haben, es schmerzt, von alldem zu erfahren: vom Mann, der nur auf die nächste sexuelle Entladung wartet. Von der Frau, die ihren Sohn vor der Tür stehen lässt, weil sie drinnen noch einmal mit einem Mann, den sie hässlich findet, schlafen will. Aber es ist doch auf anspruchsvolle Weise ernüchternd, der Tochter des ehemaligen israelischen Geheimdienstchefs beim Schlachten der eigenen Gesellschaftsschicht lesend über die Schulter zu schauen. (Michal Zamir: "Die Siedlung". Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Atrium Verlag, Zürich 2009. 223 S., geb., 19,90 [Euro].)
kito
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schlachten ist Michal Zamirs liebstes Verfahren. Ordinäres Vieh kommt ihr aber nicht unters Messer, nur außergewöhnliche Tiere gewinnen ihr Interesse. Am liebsten: heilige Kühe. Die heiligen Kühe ihres Vaterlandes Israels vor allem. Vor zwei Jahren sezierte sie den Körper des israelischen Heiligtums Militär, bis nur noch ein klappriges Gerippe übrig blieb. Gefeierte Kriegshelden präsentierte sie als Sexneurotiker, die sich täglich an jungen Soldatinnen vergreifen. Auch im aktuellen Roman geht es um Sex. Gabi Chayek, 49 Jahre alt, ein reicher Emporkömmling, hat Geld, Villa, Frau und Kinder. Weil aber auch einer wie er Träume braucht, sehnt sich Chayek nach Hilali, der schönen Tochter eines Luftwaffenoffiziers. Hilali ist geschieden, Gabi nicht, aber das ist egal, zumal man an eine Begegnung aus Jugendtagen anknüpft. Es ist, als ob Michal Zamir einmal kurz den Vorhang lüftet, um Einblick in das Leben der Reichen und Verdienten zu gewähren. Es geschieht viel in der kurzen Zeit: Ein Alteingesessener erschießt sich, ein Ehepaar begeht Selbstmord, Gabi schläft mit Hilali, und Gabis Frau bekommt ein Kind. Gibt es Befreiung oder gar Erlösung in diesem Szenario? Eher ein Fortströmen der Leben jenseits moralischer Revolution. Deshalb lautet der letzte Satz: " Alles fließt." Michal Zamir schreibt mit Furor, tiefe Abneigung gegen das so genannte Establishment spricht aus dieser Prosa, manchmal sogar Hass. Eskapistischer Lesegenuss ist für den Leser hier nicht zu haben, es schmerzt, von alldem zu erfahren: vom Mann, der nur auf die nächste sexuelle Entladung wartet. Von der Frau, die ihren Sohn vor der Tür stehen lässt, weil sie drinnen noch einmal mit einem Mann, den sie hässlich findet, schlafen will. Aber es ist doch auf anspruchsvolle Weise ernüchternd, der Tochter des ehemaligen israelischen Geheimdienstchefs beim Schlachten der eigenen Gesellschaftsschicht lesend über die Schulter zu schauen. (Michal Zamir: "Die Siedlung". Roman. Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Atrium Verlag, Zürich 2009. 223 S., geb., 19,90 [Euro].)
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Als eine fast zärtliche Liebeserklärung an den Ort ihrer Kindheit hat Rezensentin Annabel Wahba den neuen Roman der israelischen Schriftstellerin Michal Zamir gelesen, der Tochter von Golda Meirs Geheimdienstchefs. Das überrascht die Rezensentin insofern, als Zamirs letzter Roman eine Abrechnung mit der israelischen Armee gewesen war. Bei der beschriebenen Siedlung handele es sich um einen Ort, wo die alt und machtlos gewordene Gründer- und Militärelite Israels lebt, deren Grundstücke nun von einer jungen Wirtschaftselite begehrt würden. Dabei sei das Buch sehr persönlich, fast brav ausgefallen, bedauert die Rezensentin ein wenig. Auch wenn sie äußert beeindruckt vom tiefen Einblick ist, den dieses Buch mit der Dokumentation des Endes einer Epoche gewährt: auf den Abschied von der Gründergeneration des Staates Israel, mit der gleichzeitig die Ideale dahin gingen und nichts als der Glaube ans Geld übrig bliebe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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