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Auf der Siliziuminsel im Südwesten Chinas wird der Elektronikschrott der ganzen Welt recycelt. Inmitten von giftigen Dämpfen und verseuchter Hardware suchen die Müllmenschen nach Verwertbarem. Als eines Tages eine amerikanische Firma die Siliziuminsel modernisieren will, wird das labile Gleichgewicht zwischen den chinesischen Behörden, mächtigen Mafiaclans und internationaler Machtpolitik gestört. Arme und Reiche, Chinesen und Ausländer finden sich in einem Krieg um die letzte Ressource der nahen Zukunft wieder - den Menschen.

Produktbeschreibung
Auf der Siliziuminsel im Südwesten Chinas wird der Elektronikschrott der ganzen Welt recycelt. Inmitten von giftigen Dämpfen und verseuchter Hardware suchen die Müllmenschen nach Verwertbarem. Als eines Tages eine amerikanische Firma die Siliziuminsel modernisieren will, wird das labile Gleichgewicht zwischen den chinesischen Behörden, mächtigen Mafiaclans und internationaler Machtpolitik gestört. Arme und Reiche, Chinesen und Ausländer finden sich in einem Krieg um die letzte Ressource der nahen Zukunft wieder - den Menschen.
Autorenporträt
Qiufan Chen stammt aus Shantou in der chinesischen Provinz Guangdong. Er hat bereits über dreißig Kurzgeschichten auf Chinesisch und auf Englisch veröffentlicht. Sein Debütroman »Die Siliziuminsel« erschien 2013 auf Chinesisch und wurde von Ken Liu, dem Übersetzer Cixin Lius, ins Englische übertragen. Qiufan Chen wurde mit dem Taiwan Dragon Fantasy Award, dem Galaxy Award sowie dem chinesischen Nebula Award ausgezeichnet. Er lebt in Beijing.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2019

Chinas Schrott und Chinas Chance
Auf der Suche nach Glück und Schönheit im Giftmüll: Qiuian Chens prophetischer Roman "Die Siliziuminsel"

Wir misstrauen ihnen, sie misstrauen uns. Das Spiel trübt die Zukunft. "Wir misstrauen ihnen", das heißt: Aus westlichen Medien erfährt man über die Volksrepublik China, deren Techno-Eliten liefen "uns" in der Gen- und Bioforschung, bei neuen Chips, beim Quantencomputing, bei Raketenantrieben, in der Überwachung und demnächst in der Werkstoffkunde davon. Es wird behauptet, das chinesische IT-Unternehmen Huawei stehe im "Mittelpunkt eines weltweiten Machtkampfs" um die Kommunikationswirtschaft (so der englische "Guardian"), es wird erzählt, China betreibe Landnahme großen Stils in Afrika und chinesische Frachtschiffe seien "Waffen im Krieg um die globalen Versorgungsketten" (so das konservative amerikanische Blatt "National Review"). Hat der Westen alledem irgendeine Idee entgegenzusetzen, abgesehen von Fleischverzicht und einem neuen Krieg in Nahost?

"Sie misstrauen uns", das heißt: In einem furiosen chinesischen Roman von Qiufan Chen, der jetzt auf Deutsch unter dem Titel "Die Siliziuminsel" erschienen ist, liest man über die politökonomische Weltstrategie des Westens unterhalb der Sichtbarkeitsschwelle von Zollstreitigkeiten, dass sie von Leuten umgesetzt wird, die ticken wie der fiktive Amerikaner Scott Brandle: "Angeheuert von mächtigen Tycoons oder bekannten multinationalen Konzernen schlüpfte er in die Rolle eines Energieexperten, eines hochrangigen Finanzanalysten, eines Umweltforschers oder eines Ingenieurs für Investitionsbauprojekte und durchstreifte wie ein rastloser Jäger weite Landstriche der Dritten Welt. Vom Dschungel des Amazonas bis zur Savanne von Mosambik, von den Slumhöllen Südindiens bis zu den fischreichen Gewässern Südostasiens beschworen Männer wie er vor den einheimischen Regierungen prachtvolle Zukunftsvisionen herauf: von einem zweistelligen Wirtschaftswachstum, Unmengen von neuen Arbeitsplätzen und dem, was den Politikern am meisten am Herzen lag: gesellschaftlicher Stabilität. Der Bevölkerung brachten sie Industrieparks, Kraftwerke, sauberes Wasser und Flugzeuge und erschwindelten sich so ihr Vertrauen, bis sich die Leute scharenweise in die Fabriken drängten, wo sie unter miserablen Bedingungen wie Sklaven schufteten und von morgens bis abends irgendeine stumpfsinnige Tätigkeit verrichteten, für einen Lohn, der noch dürftiger war als das, was ihre Eltern verdient hatten."

Chens Roman handelt freilich weder von der unsichtbaren Hand des Marktes noch vom Prinzip der sozialen Solidarität, sondern davon, dass Menschen mehr wollen, als solchen abstrakten Ideen folgen, nämlich Glück und Schönheit, nach denen sie überall suchen, auch in der giftigen Bucht einer Insel voller Müll: ",Sieh mal!' Mimi packte Kaizong am Arm und zeigte auf die pechschwarze Wasserfläche. Gespannt starrte Kaizong hinab. Nach einer Weile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt und wurden empfindlich für die feinsten Lichtreflexe. Das Wasser erschien ihm nun dunkelgrün wie ein Achat, und in der Tiefe nahm er ein schwaches, phosphoreszierend blaugrünes Schimmern wahr. Anfangs waren es nur vereinzelte Punkte, doch dann wurden diese Punkte allmählich größer, breiteten sich aus zu Linien, zu Flächen, die mit dem strömenden Wasser heraufzusteigen schienen und klare Konturen annahmen - Abertausende von halb durchsichtigen, schirmförmigen Gebilden, die sich rhythmisch weiteten und wieder zusammenzogen wie in einem sanften, anmutigen Tanz: Es war, als wären im Meer unzählige zartblaue und zartgrüne LED-Leuchten aufgeglommen wie ein flirrender, kreisender Sternenhimmel von Van Gogh." Beim Staunen über das Schöne aber lässt uns Chen nicht stehen; ein Ortskundiger erklärt: "In dem Schmutzwasser hier kommen irgendwelche Kalziumionen besonders hochkonzentriert vor, und das Eiweiß im Körper der Quallen reagiert darauf, sodass sie leuchten."

Oft vermählen solche Sinnbilder in "Die Siliziuminsel" das verlockende Glitzern des Künftigen mit etwas wie der schwarzen Magie technologischer Amoralität, etwa, wenn ein eigentlich toter Hund aufgrund eines Hirnimplantats noch mit dem Schwanz wedeln (und beißen!) kann. Wie bei den Quallen scheint hier eine menschengeschaffene Neo-Natur auf, gemacht aus Abfallprodukten der Kapitalverwertung.

Die Insel des Romantitels ist ein dem chinesischen Festland vorgelagerter Schrottplatz, wo Arbeiterinnen und Arbeiter, die sämtlich aus industriell unerschlossenen chinesischen Gegenden herbeimigriert sind, allerlei westliche, nördliche, aber auch chinesische Elektronik durchsortieren, sie in Öfen oder Säurebäder legen und dann Kupfer, Zinn, Gold, Platin und dergleichen herausholen, zum Verkauf und zur Wiederverwendung. "Niemand trug irgendwelche Schutzkleidung" - dieser nackte, karge Satz ersetzt eine komplette Gesellschaftsanalyse, und zwar eine unserer Gegenwart, auch wenn Chens Roman in einer (allerdings nicht allzu fernen) Zukunft spielt, in der Prothesen, Orthesen und andere Modifikationen der menschlichen Leiblichkeit so alltäglich sind wie heute neue Apps fürs Smartphone.

Die Handlung des Buches macht aus den vernutzten Rohstoffen einer Gesellschaft, die den Warencharakter menschlicher Beziehungen bis zur allgemeinen Müllexistenz verschärft hat, einen Thriller, in dem die Begegnung zwischen Megakonzernen, Politik, radikalem Umweltaktivismus und Kriminalität allem gerecht wird (und einiges übertrifft), was ein westliches Publikum seit den Technokrimis von Michael Crichton, Daniel Suarez oder William Gibson vom Genre erwarten darf.

Mit faszinierender Konzision und hoher emotionaler Dichte in jedem Satz gelingt es Chen, die Zug- und Druckkräfte der aus dem Gegebenen extrapolierten Weltlage an seinen Figuren durchzuspielen. Drei Personen bilden das Kernpersonal: der schon vorgestellte Scott Brandle, die ausgebeutete Wanderarbeiterin Mimi und der Dolmetscher Kaizong, der aus der Region stammt, in der sich die Geschichte zuträgt, aber eine westlich-akademische Ausbildung hinter sich hat.

Scott Brandle ist, wiewohl er üblen Schaden anrichtet, kein flacher Schurke; seine Familiengeschichte und sein Engagement für manches, das er als das "kleinere Übel" gegenüber der vorgefundenen Situation erachtet, machen ihn und seine heiklen Handlungen beunruhigend plausibel. Mimi wiederum ist etwas Interessanteres als ein Opfer oder eine Heldin; sie will nicht nur das moralisch Richtige durchsetzen, sondern versucht vor allem hartnäckig, herauszufinden, ob es so etwas überhaupt geben kann. Kaizong schließlich muss als Intellektueller lernen, dass seine Aufgabe nicht nur darin besteht, alles zu reflektieren, was um ihn herum geschieht, sondern auch darin, diesen Beobachterstatus zu überwinden.

In unmittelbarer Gefahr befinden sich auf verschiedenen Etappen des Erzählgangs alle drei; der Autor setzt sie einer Welt aus, in der wahr geworden ist, was Theodor W. Adorno und Max Horkheimer Mitte des letzten Jahrhunderts über "Rackets" dachten, was neomarxistische Köpfe in den Siebzigern über den "staatsmonopolistischen Kapitalismus" vermuteten und was Wolfgang Pohrt in den Neunzigern über nachbürgerliche Bandenbildung schrieb: Die Grundlagen der alten Arbeitsgesellschaft sind von ihr selbst aufgefressen worden, die Siliziuminsel wird weder eindeutig von Politik noch klar von Wirtschaftsmächtigen regiert, sondern von Clans, die beides sind.

Wer hier beispielsweise einen Arbeitskampf organisieren will, muss die Interessen dieser Clans dabei gegeneinander ausspielen und eine geradezu militärische Informationspolitik inklusive Spionage und Desinformation betreiben, was den Amerikaner dann ärgert, die Wanderarbeiterin ängstigt und den Dolmetscher verwirrt.

Kämpfe um Rechte der Ausgebeuteten müssen an neuralgischen Punkten des Ganzen anders ansetzen als früher: Hier sucht keine Gewerkschaft mehr den Flächentarifvertrag, sondern eine Produktionsguerrilla muss in Stellungsgefechten überleben. In allen Fragen der Ausbeutung, Unterdrückung, Diskriminierung verblüffen der Scharfsinn und der Durchblick des Romanciers Qiufan Chen - zum Beispiel grübelt er, anders als mancherlei westliche Menschenfreundlichkeit zwischen Universität und Bürgerinitiative, nicht lange darüber nach, welche psychologischen oder biologischen Grundimpulse wohl dazu führen, dass Menschen gegen andere, die nicht so aussehen wie sie oder abweichende Gebräuche haben, böse Affekte hegen und Untaten begehen, sondern bezieht den antirassistischen Kampf der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King direkt auf den Umgang ortsansässiger Chinesen mit Migranten, die aus Sicht westlicher Rassisten doch derselben "Rasse" angehören. Wenn Leute etwas davon haben, andere schlecht zu behandeln, finden sie immer einen Grund - aber über den wird in "Die Siliziuminsel" nicht philosophiert, weil es ästhetisch und politisch ergiebiger ist, davon zu sprechen, wie man die Macht derer, die andere schlecht behandeln, brechen kann, als mit ihnen über ihre Beweggründe zu diskutieren.

China und der Westen also: Sie verstehen uns nicht, wir verstehen sie nicht. Wird sich jemand rechtzeitig darauf besinnen, dass Kunst und Literatur wie die von Qiufan Chen ausgezeichnete Reaktionsbeschleuniger der Verständigung sind?

DIETMAR DATH

Qiufan Chen: "Die Siliziuminsel". Roman.

Aus dem Chinesischen von Marc Hermann. Heyne Verlag, München 2019. 480 S., br., 16,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Dietmar Dath empfiehlt Qiufan Chens Roman als Verständigungshilfe zwischen China und dem Westen. Das angespannte Verhältnis der beiden beschreibt der Autor in seinem Buch laut Dath mit viel Sinn für den Wunsch der Menschen nach Glück und Schönheit. Die Erwartungen eines an Crichton, Gibson und Co. geschulten Publikums nach dem aus der Konfrontation von Wirtschaft, Politik, Umweltaktivismus und Kriminalität gespeisten Thrills erfüllt der Autor aber auch, versichert Dath. Sätze, die komplette Gesellschaftsanalysen ersetzen, beherrscht Chen ebenso wie die konzise und emotional dicht geführte Rede darüber, wie gegen die bedrohlichen Kräfte der Mächtigen anzugehen wäre, meint der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein furioser chinesischer Roman.« Dietmar Dath, Frankfurter Allgemeine Zeitung