Annemarie Schwarzenbach: enge Freundin von Erika und Klaus Mann, Journalistin, Photographin, politischer Freigeist und ewige Rebellin. In ihrer hochgelobten Romanbiographie schildert Melania Mazzucco eine der schillerndsten Figuren der europäischen Boheme in den bewegten dreißiger Jahren. Das Porträt einer unvergeßlichen Frauengestalt und einer kosmopolitischen Gesellschaft, vor der sich der Abgrund des Nationalsozialismus auftat.
"Einfühlsam beschreibt der Roman eine instabile Frau, der die äußere Welt in dem Maße verloren ging, in dem sie sie für sich zu gewinnen suchte."Die Zeit
"Einfühlsam beschreibt der Roman eine instabile Frau, der die äußere Welt in dem Maße verloren ging, in dem sie sie für sich zu gewinnen suchte."Die Zeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.08.2004Steine des Anstoßes
Bewegt: Melania Mazzuccos Roman um Annemarie Schwarzenbach
Sie war jung, sie war schön, und sie war reich. Die Schweizer Fabrikantentochter Annemarie Schwarzenbach besaß, was das Herz begehrt, und war doch zutiefst unglücklich, von Selbstzweifeln geplagt, von Drogen abhängig, ruhelos bis zur Selbstzerstörung. "Verödeter Engel" notiert Thomas Mann 1938 im Tagebuch, nachdem die Freundin von Erika und Klaus wieder einmal in Küsnacht zu Besuch gewesen war.
Der alte Zauberer hatte einen guten Blick: Er sah nicht nur die androgyne Schönheit der jungen Frau; er sah auch die innere Zerrissenheit, gegen die weder das Reisen noch das Schreiben zu helfen vermochte. Und auch die Liebe taugte als Heilmittel nicht. Annemarie Schwarzenbach hatte einen fatalen Hang, Menschen, vor allem Frauen, zu lieben, die ihre Liebe nicht erwiderten, und ihrerseits jene zurückzuweisen, die sie vielleicht hätten lieben können. Die Ehe mit einem französischen Diplomaten war ein Desaster, und eine Lebensgemeinschaft mit Klaus Mann erwog sie zwar, ließ es dann aber doch nicht dazu kommen. Annemarie Schwarzenbach war nur vierunddreißig Jahre alt, als sie am 15. November 1942 an den Folgen eines Fahrradunfalls starb. Ihre einflußreiche Familie und der Lauf der Zeit sorgten dafür, daß sie und ihr schriftstellerisches Werk nach dem Krieg fast vollständig in Vergessenheit gerieten.
Erst nachdem Roger Perret und Charles Linsmeyer Ende der achtziger Jahre die Öffentlichkeit auf diese schillernde Figur der Schweizer Literatur aufmerksam gemacht hatten, wurden Annemarie Schwarzenbachs Reportagen, Romane und Briefe zum Teil wieder, zum Teil erstmals veröffentlicht, Biographien über sie geschrieben und Dokumentarfilme gedreht. Besonders in systemkritischen und feministischen Kreisen genießt die extravagante Tochter aus großbürgerlichem Hause mittlerweile Kultstatus. Ihre Großmutter war eine Bismarck, ihr Großvater Ulrich Wille deutschfreundlicher General im Ersten Weltkrieg, und während Annemarie sich für deutsche Emigranten und amerikanische Gewerkschafter stark machte, taten sich ihre Eltern als Sympathisanten von Nazi-Deutschland hervor: ein brisanter Mix, der die Autorin für viele zu einer Projektionsfigur eigener Befreiungsbestrebungen werden ließ.
Daß ihre Ausstrahlungskraft keineswegs nur auf die Schweiz beschränkt geblieben ist, beweist das neueste Buch der italienischen Drehbuch- und Romanautorin Melania G. Mazzucco: "Die so Geliebte" ist, so der Untertitel, ein "Roman um Annemarie Schwarzenbach". Auslöser ihrer Recherchen sei, so Mazzucco, eine Stelle in Klaus Manns "Wendepunkt" gewesen. Sie ließ ihr keine Ruhe, bis sie alles von und über Annemarie Schwarzenbach gelesen, gesehen und zusammengetragen und es ihrerseits zu einem literarischen Werk verarbeitet hatte. Warum in aller Welt es ein Roman werden mußte und keine Biographie, bleibt Mazzuccos Geheimnis. Vermutlich fühlte sie sich in diesem Genre freier, ihrer Fabulierkunst die Zügel schießen zu lassen. Tote können sich bekanntlich nicht mehr wehren.
Melania Mazzucco kommt vom Film, und so erzählt sie die Geschichte von ihrem Ende her. Sie denkt in Bildern. Deshalb lenkt sie den Blick des Lesers schon nach den ersten Sätzen auf jenen Stein, der Annemarie Schwarzenbach und ihrem Fahrrad im Herbst 1942 zum Verhängnis werden sollte. Zwanzig Seiten benötigt die Autorin, um Romanheldin und Stein in vermeintlicher Hitchcock-Manier aufeinandertreffen zu lassen: zwanzig Seiten voller topographischer Unstimmigkeiten, finsterer Anspielungen und voll von ahnungsvollem Geraune - bis, ja bis das Fahrrad "mit metallischem Geklirre über die Steine rutscht" und Annemarie Schwarzenbach im Staube liegt, "ihr Gesicht, das auf dem Stein und in der Finsternis ruhte", den Wolken und dem Himmel zugewandt.
Und das ist erst der Anfang. In zwölf langatmigen Kapiteln breitet Melania Mazzucco, schwärmerisch und distanzlos, das bewegte Leben ihrer Protagonistin vor der geneigten Leserschaft aus. Kein Konflikt im Hause Schwarzenbach, kein Drogenabsturz und kein Klinikaufenthalt, keine Reise, kein Autokauf und keine erotische Eskapade bleiben unbeschrieben. Die Mazzucco weiß alles und sieht alles und vermag sich noch in die geheimsten Regungen, die vertraulichsten Gespräche ihrer Figuren hineinzuversetzen, als sei sie persönlich zugegen gewesen. Rein äußerlich mag das meiste, was sie da so wortreich beschreibt, sogar stimmen und durch Briefe oder Tagebücher einigermaßen belegbar sein. Nur: Der hohe Ton, den die Autorin anschlägt, und ihr schwülstiger Stil lassen die Tragik dieses Lebens nicht tragisch erscheinen, sondern nur kitschig.
Auch wer von dem über fünfhundert Seiten starken Buch neue Einsichten in Leben und Werk von Annemarie Schwarzenbach erwartet, sieht sich enttäuscht. Interessant ist allenfalls, wie Melania Mazzucco die vielen tausend Fotos, die Annemarie Schwarzenbachs Mutter nach ihrem Tod hinterlassen hatte, interpretiert und daraus die Psychogramme zweier Frauen rekonstruiert, die sich in vielem ähnlicher waren, als ihnen guttat. Doch für alle, die die Schwarzenbach-Rezeption der letzten Jahre einigermaßen aufmerksam verfolgt haben, ist auch daran nichts wirklich neu.
Statt fiktiver Dialoge, nachempfundener Emotionen und populärpsychologischer Erörterungen einer hochneurotischen Mutter-Tochter-Beziehung hätte man lieber mehr von Annemarie Schwarzenbachs eigener Prosa gelesen. Diese nämlich ist das genaue Gegenteil von Melania Mazzuccos hemmungslosen Ergüssen: karg und poetisch und von jener elektrisierenden Unruhe durchdrungen, die auch die Person Annemarie Schwarzenbach für viele ihrer Zeitgenossen so anziehend machte. Sollte der eine oder die andere beim Lesen von Melania Mazzuccos Roman Lust bekommen haben auf das Original, so hätte dieses über weite Strecken ärgerliche Buch wenigstens einen guten Zweck erfüllt.
KLARA OBERMÜLLER
Melania G. Mazzucco: "Die so Geliebte". Roman um Annemarie Schwarzenbach. Aus dem Italienischen übersetzt von Gesa Schröder. Piper Verlag, München 2003. 540 S., geb., 23,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Bewegt: Melania Mazzuccos Roman um Annemarie Schwarzenbach
Sie war jung, sie war schön, und sie war reich. Die Schweizer Fabrikantentochter Annemarie Schwarzenbach besaß, was das Herz begehrt, und war doch zutiefst unglücklich, von Selbstzweifeln geplagt, von Drogen abhängig, ruhelos bis zur Selbstzerstörung. "Verödeter Engel" notiert Thomas Mann 1938 im Tagebuch, nachdem die Freundin von Erika und Klaus wieder einmal in Küsnacht zu Besuch gewesen war.
Der alte Zauberer hatte einen guten Blick: Er sah nicht nur die androgyne Schönheit der jungen Frau; er sah auch die innere Zerrissenheit, gegen die weder das Reisen noch das Schreiben zu helfen vermochte. Und auch die Liebe taugte als Heilmittel nicht. Annemarie Schwarzenbach hatte einen fatalen Hang, Menschen, vor allem Frauen, zu lieben, die ihre Liebe nicht erwiderten, und ihrerseits jene zurückzuweisen, die sie vielleicht hätten lieben können. Die Ehe mit einem französischen Diplomaten war ein Desaster, und eine Lebensgemeinschaft mit Klaus Mann erwog sie zwar, ließ es dann aber doch nicht dazu kommen. Annemarie Schwarzenbach war nur vierunddreißig Jahre alt, als sie am 15. November 1942 an den Folgen eines Fahrradunfalls starb. Ihre einflußreiche Familie und der Lauf der Zeit sorgten dafür, daß sie und ihr schriftstellerisches Werk nach dem Krieg fast vollständig in Vergessenheit gerieten.
Erst nachdem Roger Perret und Charles Linsmeyer Ende der achtziger Jahre die Öffentlichkeit auf diese schillernde Figur der Schweizer Literatur aufmerksam gemacht hatten, wurden Annemarie Schwarzenbachs Reportagen, Romane und Briefe zum Teil wieder, zum Teil erstmals veröffentlicht, Biographien über sie geschrieben und Dokumentarfilme gedreht. Besonders in systemkritischen und feministischen Kreisen genießt die extravagante Tochter aus großbürgerlichem Hause mittlerweile Kultstatus. Ihre Großmutter war eine Bismarck, ihr Großvater Ulrich Wille deutschfreundlicher General im Ersten Weltkrieg, und während Annemarie sich für deutsche Emigranten und amerikanische Gewerkschafter stark machte, taten sich ihre Eltern als Sympathisanten von Nazi-Deutschland hervor: ein brisanter Mix, der die Autorin für viele zu einer Projektionsfigur eigener Befreiungsbestrebungen werden ließ.
Daß ihre Ausstrahlungskraft keineswegs nur auf die Schweiz beschränkt geblieben ist, beweist das neueste Buch der italienischen Drehbuch- und Romanautorin Melania G. Mazzucco: "Die so Geliebte" ist, so der Untertitel, ein "Roman um Annemarie Schwarzenbach". Auslöser ihrer Recherchen sei, so Mazzucco, eine Stelle in Klaus Manns "Wendepunkt" gewesen. Sie ließ ihr keine Ruhe, bis sie alles von und über Annemarie Schwarzenbach gelesen, gesehen und zusammengetragen und es ihrerseits zu einem literarischen Werk verarbeitet hatte. Warum in aller Welt es ein Roman werden mußte und keine Biographie, bleibt Mazzuccos Geheimnis. Vermutlich fühlte sie sich in diesem Genre freier, ihrer Fabulierkunst die Zügel schießen zu lassen. Tote können sich bekanntlich nicht mehr wehren.
Melania Mazzucco kommt vom Film, und so erzählt sie die Geschichte von ihrem Ende her. Sie denkt in Bildern. Deshalb lenkt sie den Blick des Lesers schon nach den ersten Sätzen auf jenen Stein, der Annemarie Schwarzenbach und ihrem Fahrrad im Herbst 1942 zum Verhängnis werden sollte. Zwanzig Seiten benötigt die Autorin, um Romanheldin und Stein in vermeintlicher Hitchcock-Manier aufeinandertreffen zu lassen: zwanzig Seiten voller topographischer Unstimmigkeiten, finsterer Anspielungen und voll von ahnungsvollem Geraune - bis, ja bis das Fahrrad "mit metallischem Geklirre über die Steine rutscht" und Annemarie Schwarzenbach im Staube liegt, "ihr Gesicht, das auf dem Stein und in der Finsternis ruhte", den Wolken und dem Himmel zugewandt.
Und das ist erst der Anfang. In zwölf langatmigen Kapiteln breitet Melania Mazzucco, schwärmerisch und distanzlos, das bewegte Leben ihrer Protagonistin vor der geneigten Leserschaft aus. Kein Konflikt im Hause Schwarzenbach, kein Drogenabsturz und kein Klinikaufenthalt, keine Reise, kein Autokauf und keine erotische Eskapade bleiben unbeschrieben. Die Mazzucco weiß alles und sieht alles und vermag sich noch in die geheimsten Regungen, die vertraulichsten Gespräche ihrer Figuren hineinzuversetzen, als sei sie persönlich zugegen gewesen. Rein äußerlich mag das meiste, was sie da so wortreich beschreibt, sogar stimmen und durch Briefe oder Tagebücher einigermaßen belegbar sein. Nur: Der hohe Ton, den die Autorin anschlägt, und ihr schwülstiger Stil lassen die Tragik dieses Lebens nicht tragisch erscheinen, sondern nur kitschig.
Auch wer von dem über fünfhundert Seiten starken Buch neue Einsichten in Leben und Werk von Annemarie Schwarzenbach erwartet, sieht sich enttäuscht. Interessant ist allenfalls, wie Melania Mazzucco die vielen tausend Fotos, die Annemarie Schwarzenbachs Mutter nach ihrem Tod hinterlassen hatte, interpretiert und daraus die Psychogramme zweier Frauen rekonstruiert, die sich in vielem ähnlicher waren, als ihnen guttat. Doch für alle, die die Schwarzenbach-Rezeption der letzten Jahre einigermaßen aufmerksam verfolgt haben, ist auch daran nichts wirklich neu.
Statt fiktiver Dialoge, nachempfundener Emotionen und populärpsychologischer Erörterungen einer hochneurotischen Mutter-Tochter-Beziehung hätte man lieber mehr von Annemarie Schwarzenbachs eigener Prosa gelesen. Diese nämlich ist das genaue Gegenteil von Melania Mazzuccos hemmungslosen Ergüssen: karg und poetisch und von jener elektrisierenden Unruhe durchdrungen, die auch die Person Annemarie Schwarzenbach für viele ihrer Zeitgenossen so anziehend machte. Sollte der eine oder die andere beim Lesen von Melania Mazzuccos Roman Lust bekommen haben auf das Original, so hätte dieses über weite Strecken ärgerliche Buch wenigstens einen guten Zweck erfüllt.
KLARA OBERMÜLLER
Melania G. Mazzucco: "Die so Geliebte". Roman um Annemarie Schwarzenbach. Aus dem Italienischen übersetzt von Gesa Schröder. Piper Verlag, München 2003. 540 S., geb., 23,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Einfühlsam beschreibt der Roman eine instabile Frau, der die äußere Welt in dem Maße verloren ging, in dem sie sie für sich zu gewinnen suchte." (Die Zeit)