Der dunkle Schein der Vergangenheit
Vier Männer und eine Frau in einem heruntergekommenen Hochhaus aus den fünfziger Jahren. Der mächtige Pate des Viertels hat sie mit der Suche nach einer rätselhaften Sonne beauftragt. Das urzeitliche Kultgerät ruht in dem Gebäude, an dessen Stelle bis zum Bombenkrieg ein "Museum der Weltmirakel" stand. Die fünf haben nur wenig Zeit, denn der Abriss des Hauses steht bevor ...
"Georg Kleins neues Meisterwerk - eine Magical History Tour" (Der Tagesspiegel)
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Vier Männer und eine Frau in einem heruntergekommenen Hochhaus aus den fünfziger Jahren. Der mächtige Pate des Viertels hat sie mit der Suche nach einer rätselhaften Sonne beauftragt. Das urzeitliche Kultgerät ruht in dem Gebäude, an dessen Stelle bis zum Bombenkrieg ein "Museum der Weltmirakel" stand. Die fünf haben nur wenig Zeit, denn der Abriss des Hauses steht bevor ...
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Georg Kleins neues Meisterwerk - eine Magical History Tour Der Tagesspiegel
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.07.2004Sonne über Entenhausen
Das Hochhaus ist der Roman: Georg Klein sucht den Himmel
Damals, in "Das Phantom der Oper", war das Dach die Erlösung. Hier konnten die Liebenden zueinanderfinden, nachdem sie sich erst, während sie das verwirrende Gebäude treppauf, treppab durchquerten, noch in einem Netz von Mißverständnissen und Irrtümern verfangen hatten. Auf dem Operndach aber, hoch über allen Schnürböden, Orchestergräben und Requisitenkammern, herrscht endlich Klarheit zwischen Raoul und Christine. Und auch der heimliche Herrscher der Oper, der diskret und effektiv das Geschehen im Gebäude bestimmt und seit Jahren über die Entwicklung der jungen Sängerin wacht, scheint für den Moment entmachtet.
Das war 1910 in Gaston Leroux' Erfolgsbuch, und seitdem sind nicht viele Romane nachgekommen, in denen sich die Architektur so unübersehbar geglückt vor die Figuren drängt, deren Handlung so wesentlich von der Beschaffenheit eines einzigen Bauwerks bestimmt wird und in denen die Entdeckungsreise der Figuren durch verschiedene Etagen mit der Präzision eines Gruselfilms alle anderen Szenen gründlich in den Schatten stellt.
"Das Phantom der Oper" liefert zwar nur einen Teil der Bilder aus dem breiten Fundus der Populärkultur, die Georg Klein in seinem neuen Roman "Die Sonne scheint uns" zitiert. Aber sie sind diejenigen, die unterschwellig die größte Wirkung entfalten, wenigstens für die Atmosphäre.
Klein läßt fünf frisch rekrutierte Angestellte eines mysteriösen alten Mannes gemeinsam in einem Hochhaus nach einem verschollenen prähistorischen Kunstwerk suchen (das deutlich an die Himmelsscheibe von Nebra erinnert). Die letzten Mieter haben das Gebäude zwar schon verlassen, ihre Spuren aber sind zurückgeblieben: eine Cafeteria im zehnten Stock, Büromöbel im neunten, Lebensmittel im siebten, Textilien und Geschirr im dritten.
All dies ist dekorativ angeschmuddelt, die Vorräte sind längst nicht mehr haltbar, eine Atmosphäre von Verfall und leichter Verwahrlosung liegt über dem Hochhaus, durch dessen ungeputzte Fenster zudem das Licht nur gedämpft hineindringt: Der Kühlschrank kühlt nicht, die Heizung wärmt nicht, und auch "der Elektroherd in der Kochnische der Cafeteria wird nicht warm, obwohl er korrekt angeschlossen scheint".
Die Angestellten, vier Männer und eine Frau, sind daher bei ihren Erkundungszügen in vertikaler Richtung genauso mit der Suche nach Nahrung oder Schutz vor der nächtlichen Kälte beschäftigt wie mit der Erfüllung ihrer Aufgabe. Der Große Bruder, der all dies überwacht, jener alte Herr namens Geza Cziffra, zieht denn auch die Fäden, baut Hindernisse auf, belohnt, bestraft und läßt seinen Kandidaten gegenüber durchblicken, daß es in seinem Versuchsaufbau keinen Zufall gibt. Daß seine Anweisungen befolgt werden müssen, er selbst allerdings die Regeln jederzeit ändern kann. Und daß vorzeitiges Ausscheiden nicht vorgesehen ist.
Das nämlich ist ein wesentliches Thema dieses atemraubend effizienten, kaum mehr als zweihundert Seiten starken Romans: Klein ist es um Machtstrukturen zu tun, er bildet die Prozesse innerhalb der zusammengewürfelten Gruppe ebenso ab wie die Mechanismen, mit denen Cziffra sich die Menschen seiner Umgebung gefügig hält. Der Dualismus von Herr und Knecht, von Strippenzieher und Marionette, von Wissen und Unkenntnis zieht sich bis in die Erzählstruktur: Der erste Teil des Romans wird aus der Perspektive des somnambulen Lemon, eines der Angestellten, geschildert, der zweite aus der Perspektive Cziffras, bis dann in einem abschließenden Kapitel nacheinander beide zu Wort kommen. Und weil im Verlauf des Buches das Hochhaus mit seinen zehn Stockwerken und der kleineren, aufs Dach gesetzten Zusatzetage zum eigentlichen Stoff des Romans, man könnte sagen: zum Roman selbst wird, besteht dieser dann auch aus zehn Kapiteln und einem - strukturell von ihnen abgesetzten - elften.
Der Perspektivenwechsel zwischen Lemon und Cziffra aber ist noch aus einem anderen Grund glücklich gewählt: Die Außensicht auf Lemon erscheint um so nötiger, als er in seinem periodischen Somnambulismus zu einer eigenständigen Erzählung außerstande ist - und Klein dies glücklicherweise auch gar nicht versucht. Die Erinnerungslücken des linkischen Analphabeten, dessen Sichtweise immerhin die Hälfte des Romans bestreitet, trägt zu der Mischung aus Geheimnis und Ermittlungsdrang bei, die über diesem Buch so deutlich liegt wie über den beiden früheren Romanen Kleins, "Libidissi" und "Barbar Rosa". Dazu gehört, daß allenthalben Transparenz fehlt (und dies zuallererst dem Gebäude), daß Fährten gelegt und verwischt werden, daß die Schatzsucher scheinbar grundlos übereinander herfallen, um sich zu zerstören oder zu liebkosen und manchmal beides zugleich.
Aufklärung ist jedenfalls zuletzt von den Figuren zu erwarten: Lemon etwa rechnet es sich zum Vorteil an, bestimmte Erlebnisse und Informationen auch vor sich selbst zu verbergen, sie so tief in sich zu begraben, daß niemand Zugang hat. So bleibt beispielsweise unklar, ob Lemon jener Keulenmörder ist, der zuvor das Viertel rund um das Hochhaus terrorisierte - es gibt gute Gründe für diese Annahme, aber er selbst kann sich nicht daran erinnern und daher auch nicht davon berichten.
Daß ausgerechnet Lemon, der des Lesens und Schreibens kaum mächtig ist, als Chronist der Gruppe fungiert, ist nicht so absurd, wie es scheint. Tatsächlich werden im Verlauf des Romans, der in seiner Handlung unablässig auf Schriftlichkeit anspielt, ganz unterschiedliche Formen von Lektüre geschildert: Es werden Briefe entziffert, Zeichnungen, Runen, Comics, am Ende auch die Einritzungen auf der Unterseite der Himmelsscheibe - und hier tut sich Lemon hervor.
Die meisten Figuren tragen sprechende Namen, die wiederum allesamt in mehrere Richtungen zeigen: Etwa der des großen Manipulators Gabor Cziffra, der auf Ziffern (und: Entziffern) verweist, auf den Filmregisseur Geza von Cziffra (und seinen Film "Tanz in der Sonne" von 1954), aber auch jenen schwerreichen Comic-Helden Dagobert anklingen läßt, der mit seinen Neffen genauso harsch verfährt wie Cziffra mit seinen Angestellten, die er wiederum als seine "Neffen" bezeichnet. Daß Cziffra einen alten Tresor durch die Jahre gerettet und auf dem Hochhausdach aufgestellt hat, unterstreicht diesen Bezug.
Das Verfahren ist indessen weniger plump, als es zunächst scheinen mag. Wenn die Verwendung von sprechenden Namen, nach einem Wort Arno Schmidts, den "absoluten Bankrott der Phantasie" eines Autors offenbart, so begegnet Klein diesem Vorwurf, indem er sein an Namen gekoppeltes Verweissystem so weit verästelt, daß sich plane Eindeutigkeit nicht einstellen mag: So klingen beispielsweise im Namen des Schatzsuchers Light die Leitfigur und Lichtgestalt, der Leidende und Leichtfuß an (der zudem noch eine wissenschaftliche Arbeit über eine Kinokette namens "Lux" verfaßt).
In dieser Technik lauert natürlich die Gefahr, daß sich in der Fülle der Anspielungen, der Assoziationen und Bezüge der Roman von einem konzisen Gewebe hin zu einem unverbindlichen Sprachnetz entwickelt, das dabei ganz leer bleibt. Und es ist keine geringe Leistung, daß Klein dieser Gefahr vollständig (anders als in den beiden früheren Romanen) entgeht, indem er die Verweise letztlich wieder in die Richtung lenkt, von der sie ihren Ausgang nahmen: das Hochhaus, errichtet auf den Ruinen eines Lux-Kinos und Museums der "Weltmirakel", Symbol der deutschen Geschichte zwischen Weimarer Republik und früher Nachkriegszeit. Und die Verkörperung einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, die Relikte in sich birgt, deren Zeit - wie die der vergammelten Lebensmittel - eigentlich längst abgelaufen ist.
Am Ende gelangen die überlebenden Schatzsucher endlich zur geheimen Zentrale von Cziffras Macht, aufs Dach des Hochhauses, geleitet vom treuen Faktotum des eben gestorbenen Strippenziehers. Sie kommen allerdings mit leeren Händen, und auch mit der Liebe ist es nicht weit her, so daß diese Zusammenkunft - ein psychisch Instabiler, eine Leiche, ein Halbtoter, eine beflissene Streberin, ein alter Rechtsverdreher - eher wie eine Travestie der Dachszene von Leroux wirkt.
Freilich ist auch im "Phantom der Oper" der Platz direkt unterm Himmel kein harmloser Ort. Denn während die Liebenden dort ihre Schwüre austauschen und Pläne schmieden, hockt der Operngeist hinter einem Schornstein und lauscht, um alles zu durchkreuzen. In Kleins Roman unternimmt denn auch Light zehn Stockwerke tiefer das einzig Richtige: Versehen mit der kostbaren Scheibe, bahnt er sich seinen Weg aus dem Hochhaus ins Freie. Die Erlösung wartet hier nicht auf dem Dach, sondern auf der anderen Seite des Bauzauns.
Georg Klein: "Die Sonne scheint uns". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 208 S., geb., 17,90 [Euro].
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Das Hochhaus ist der Roman: Georg Klein sucht den Himmel
Damals, in "Das Phantom der Oper", war das Dach die Erlösung. Hier konnten die Liebenden zueinanderfinden, nachdem sie sich erst, während sie das verwirrende Gebäude treppauf, treppab durchquerten, noch in einem Netz von Mißverständnissen und Irrtümern verfangen hatten. Auf dem Operndach aber, hoch über allen Schnürböden, Orchestergräben und Requisitenkammern, herrscht endlich Klarheit zwischen Raoul und Christine. Und auch der heimliche Herrscher der Oper, der diskret und effektiv das Geschehen im Gebäude bestimmt und seit Jahren über die Entwicklung der jungen Sängerin wacht, scheint für den Moment entmachtet.
Das war 1910 in Gaston Leroux' Erfolgsbuch, und seitdem sind nicht viele Romane nachgekommen, in denen sich die Architektur so unübersehbar geglückt vor die Figuren drängt, deren Handlung so wesentlich von der Beschaffenheit eines einzigen Bauwerks bestimmt wird und in denen die Entdeckungsreise der Figuren durch verschiedene Etagen mit der Präzision eines Gruselfilms alle anderen Szenen gründlich in den Schatten stellt.
"Das Phantom der Oper" liefert zwar nur einen Teil der Bilder aus dem breiten Fundus der Populärkultur, die Georg Klein in seinem neuen Roman "Die Sonne scheint uns" zitiert. Aber sie sind diejenigen, die unterschwellig die größte Wirkung entfalten, wenigstens für die Atmosphäre.
Klein läßt fünf frisch rekrutierte Angestellte eines mysteriösen alten Mannes gemeinsam in einem Hochhaus nach einem verschollenen prähistorischen Kunstwerk suchen (das deutlich an die Himmelsscheibe von Nebra erinnert). Die letzten Mieter haben das Gebäude zwar schon verlassen, ihre Spuren aber sind zurückgeblieben: eine Cafeteria im zehnten Stock, Büromöbel im neunten, Lebensmittel im siebten, Textilien und Geschirr im dritten.
All dies ist dekorativ angeschmuddelt, die Vorräte sind längst nicht mehr haltbar, eine Atmosphäre von Verfall und leichter Verwahrlosung liegt über dem Hochhaus, durch dessen ungeputzte Fenster zudem das Licht nur gedämpft hineindringt: Der Kühlschrank kühlt nicht, die Heizung wärmt nicht, und auch "der Elektroherd in der Kochnische der Cafeteria wird nicht warm, obwohl er korrekt angeschlossen scheint".
Die Angestellten, vier Männer und eine Frau, sind daher bei ihren Erkundungszügen in vertikaler Richtung genauso mit der Suche nach Nahrung oder Schutz vor der nächtlichen Kälte beschäftigt wie mit der Erfüllung ihrer Aufgabe. Der Große Bruder, der all dies überwacht, jener alte Herr namens Geza Cziffra, zieht denn auch die Fäden, baut Hindernisse auf, belohnt, bestraft und läßt seinen Kandidaten gegenüber durchblicken, daß es in seinem Versuchsaufbau keinen Zufall gibt. Daß seine Anweisungen befolgt werden müssen, er selbst allerdings die Regeln jederzeit ändern kann. Und daß vorzeitiges Ausscheiden nicht vorgesehen ist.
Das nämlich ist ein wesentliches Thema dieses atemraubend effizienten, kaum mehr als zweihundert Seiten starken Romans: Klein ist es um Machtstrukturen zu tun, er bildet die Prozesse innerhalb der zusammengewürfelten Gruppe ebenso ab wie die Mechanismen, mit denen Cziffra sich die Menschen seiner Umgebung gefügig hält. Der Dualismus von Herr und Knecht, von Strippenzieher und Marionette, von Wissen und Unkenntnis zieht sich bis in die Erzählstruktur: Der erste Teil des Romans wird aus der Perspektive des somnambulen Lemon, eines der Angestellten, geschildert, der zweite aus der Perspektive Cziffras, bis dann in einem abschließenden Kapitel nacheinander beide zu Wort kommen. Und weil im Verlauf des Buches das Hochhaus mit seinen zehn Stockwerken und der kleineren, aufs Dach gesetzten Zusatzetage zum eigentlichen Stoff des Romans, man könnte sagen: zum Roman selbst wird, besteht dieser dann auch aus zehn Kapiteln und einem - strukturell von ihnen abgesetzten - elften.
Der Perspektivenwechsel zwischen Lemon und Cziffra aber ist noch aus einem anderen Grund glücklich gewählt: Die Außensicht auf Lemon erscheint um so nötiger, als er in seinem periodischen Somnambulismus zu einer eigenständigen Erzählung außerstande ist - und Klein dies glücklicherweise auch gar nicht versucht. Die Erinnerungslücken des linkischen Analphabeten, dessen Sichtweise immerhin die Hälfte des Romans bestreitet, trägt zu der Mischung aus Geheimnis und Ermittlungsdrang bei, die über diesem Buch so deutlich liegt wie über den beiden früheren Romanen Kleins, "Libidissi" und "Barbar Rosa". Dazu gehört, daß allenthalben Transparenz fehlt (und dies zuallererst dem Gebäude), daß Fährten gelegt und verwischt werden, daß die Schatzsucher scheinbar grundlos übereinander herfallen, um sich zu zerstören oder zu liebkosen und manchmal beides zugleich.
Aufklärung ist jedenfalls zuletzt von den Figuren zu erwarten: Lemon etwa rechnet es sich zum Vorteil an, bestimmte Erlebnisse und Informationen auch vor sich selbst zu verbergen, sie so tief in sich zu begraben, daß niemand Zugang hat. So bleibt beispielsweise unklar, ob Lemon jener Keulenmörder ist, der zuvor das Viertel rund um das Hochhaus terrorisierte - es gibt gute Gründe für diese Annahme, aber er selbst kann sich nicht daran erinnern und daher auch nicht davon berichten.
Daß ausgerechnet Lemon, der des Lesens und Schreibens kaum mächtig ist, als Chronist der Gruppe fungiert, ist nicht so absurd, wie es scheint. Tatsächlich werden im Verlauf des Romans, der in seiner Handlung unablässig auf Schriftlichkeit anspielt, ganz unterschiedliche Formen von Lektüre geschildert: Es werden Briefe entziffert, Zeichnungen, Runen, Comics, am Ende auch die Einritzungen auf der Unterseite der Himmelsscheibe - und hier tut sich Lemon hervor.
Die meisten Figuren tragen sprechende Namen, die wiederum allesamt in mehrere Richtungen zeigen: Etwa der des großen Manipulators Gabor Cziffra, der auf Ziffern (und: Entziffern) verweist, auf den Filmregisseur Geza von Cziffra (und seinen Film "Tanz in der Sonne" von 1954), aber auch jenen schwerreichen Comic-Helden Dagobert anklingen läßt, der mit seinen Neffen genauso harsch verfährt wie Cziffra mit seinen Angestellten, die er wiederum als seine "Neffen" bezeichnet. Daß Cziffra einen alten Tresor durch die Jahre gerettet und auf dem Hochhausdach aufgestellt hat, unterstreicht diesen Bezug.
Das Verfahren ist indessen weniger plump, als es zunächst scheinen mag. Wenn die Verwendung von sprechenden Namen, nach einem Wort Arno Schmidts, den "absoluten Bankrott der Phantasie" eines Autors offenbart, so begegnet Klein diesem Vorwurf, indem er sein an Namen gekoppeltes Verweissystem so weit verästelt, daß sich plane Eindeutigkeit nicht einstellen mag: So klingen beispielsweise im Namen des Schatzsuchers Light die Leitfigur und Lichtgestalt, der Leidende und Leichtfuß an (der zudem noch eine wissenschaftliche Arbeit über eine Kinokette namens "Lux" verfaßt).
In dieser Technik lauert natürlich die Gefahr, daß sich in der Fülle der Anspielungen, der Assoziationen und Bezüge der Roman von einem konzisen Gewebe hin zu einem unverbindlichen Sprachnetz entwickelt, das dabei ganz leer bleibt. Und es ist keine geringe Leistung, daß Klein dieser Gefahr vollständig (anders als in den beiden früheren Romanen) entgeht, indem er die Verweise letztlich wieder in die Richtung lenkt, von der sie ihren Ausgang nahmen: das Hochhaus, errichtet auf den Ruinen eines Lux-Kinos und Museums der "Weltmirakel", Symbol der deutschen Geschichte zwischen Weimarer Republik und früher Nachkriegszeit. Und die Verkörperung einer Vergangenheit, die nicht vergehen will, die Relikte in sich birgt, deren Zeit - wie die der vergammelten Lebensmittel - eigentlich längst abgelaufen ist.
Am Ende gelangen die überlebenden Schatzsucher endlich zur geheimen Zentrale von Cziffras Macht, aufs Dach des Hochhauses, geleitet vom treuen Faktotum des eben gestorbenen Strippenziehers. Sie kommen allerdings mit leeren Händen, und auch mit der Liebe ist es nicht weit her, so daß diese Zusammenkunft - ein psychisch Instabiler, eine Leiche, ein Halbtoter, eine beflissene Streberin, ein alter Rechtsverdreher - eher wie eine Travestie der Dachszene von Leroux wirkt.
Freilich ist auch im "Phantom der Oper" der Platz direkt unterm Himmel kein harmloser Ort. Denn während die Liebenden dort ihre Schwüre austauschen und Pläne schmieden, hockt der Operngeist hinter einem Schornstein und lauscht, um alles zu durchkreuzen. In Kleins Roman unternimmt denn auch Light zehn Stockwerke tiefer das einzig Richtige: Versehen mit der kostbaren Scheibe, bahnt er sich seinen Weg aus dem Hochhaus ins Freie. Die Erlösung wartet hier nicht auf dem Dach, sondern auf der anderen Seite des Bauzauns.
Georg Klein: "Die Sonne scheint uns". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 208 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als "atemberaubend effizient" feiert Rezensent Tilman Spreckelsen diesen Roman, in dem es seinen Informationen zufolge um Machtstrukturen, die Geheimnisse der deutschen Geschichte und ein altes, leerstehendes Hochhaus geht. Dort lasse Georg Klein fünf neue Angestellte eines alten Mannes nach einem verschollenen prähistorischen Kunstwerk suchen. Im Verlauf der Suche bestimme das Haus die Handlung atmosphärisch ähnlich dominant wie das Opernhaus einst den Roman "Das Phantom in der Oper". Die Hälfte des Romans werde von der Sichtweise eines linkischen Analphabeten namens Lemon bestritten, der als Chronist des Suchtrupps auftrete. Dies Paradoxon trägt für Spreckelsen wesentlich zur Mischung aus Geheimnis und Ermittlungsdrang bei, aus der das Buch seine Magie beziehe. Dazu kommen literarische Anspielungen zuhauf. Dass Klein dennoch seine ganz eigene Sprache entwickelt, beeindruckt den Kritiker um so mehr.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Als "atemberaubend effizient" feiert Rezensent Tilman Spreckelsen diesen Roman, in dem es seinen Informationen zufolge um Machtstrukturen, die Geheimnisse der deutschen Geschichte und ein altes, leerstehendes Hochhaus geht. Dort lasse Georg Klein fünf neue Angestellte eines alten Mannes nach einem verschollenen prähistorischen Kunstwerk suchen. Im Verlauf der Suche bestimme das Haus die Handlung atmosphärisch ähnlich dominant wie das Opernhaus einst den Roman "Das Phantom in der Oper". Die Hälfte des Romans werde von der Sichtweise eines linkischen Analphabeten namens Lemon bestritten, der als Chronist des Suchtrupps auftrete. Dies Paradoxon trägt für Spreckelsen wesentlich zur Mischung aus Geheimnis und Ermittlungsdrang bei, aus der das Buch seine Magie beziehe. Dazu kommen literarische Anspielungen zuhauf. Dass Klein dennoch seine ganz eigene Sprache entwickelt, beeindruckt den Kritiker um so mehr.
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