13 years after Wilfried Loth's publication Stalin's Unwanted Child he draws conclusions from his research on Soviet policy towards Germany after the Second World War. What do the Moscow archive say about the intention Stalins', of his programme for the defeated Germany and his motives? How did the Soviet policy towards Germany change throughout the political process with the Western allies and the situation in occupied Germany? Who influenced Stalin's politics and how did the successor deal with the inheritance of the policy towards Germany?Archives show that Stalin against assumptions held on to a programme for the whole of Germany. Until March 1945 this programme said to split Germany between the Western countries and to build a system of peace amongst the victorious powers. Then a united German state within the borders of the occupation zone was meant to be established. The SED-dictatorship became only of prime importance in Soviet politics with the fall of Berijas. The author's conscientuous analysis removes the basis for other specualtions on the aims of the Soviet policy towards Germany. Pivotal documents allow verifying if Loth's arguments are conclusive. Wilfried Loth delivers an essential key to the understanding of the division of Germany and Europe after the Second World War. He also gives a new insight into the mechanisms of power and its structures.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2007Stalin und die Deutschen
Weiterhin lässt sich trefflich darüber streiten, ob es 1952/53 eine Chance zur Wiedervereinigung gab
"Der Schmerz war neu, rein. Mit Skepsis nicht vermischt. Dozenten drückten ihm stammelnd die Hand - es war, als ob ein liebster, engster Verwandter gestorben wäre. Ihrer aller Vater. Am Nachmittag in einer Feier wurde eine Stellungnahme des ZK verlesen, der Direktor sprach, danach ein Student, ihnen versagte die Stimme. Den Jungs standen Tränen in den Augen, die Mädchen weinten. Keine Musik, kein Gesang. Es schien, als forderte jeder Schritt, jedes Wort eine ungeheure Kraft. Tag und Nacht lösten sich die Posten an der Büste ab. Jedem im Hause sollte vergönnt sein, hier zu wachen. Es war, als ob die Welt stehenbleiben müßte. Alle Hoffnungen waren so auf ihn gelenkt worden, in ihm schien alle Kraft geballt zu sein." So schilderte 1981 der bekannte DDR-Schriftsteller - und spätere DDR-Kritiker - Erich Loest in seiner Autobiographie, wie er den Tod jenes Mannes erlebte, der im Mittelpunkt des hier anzuzeigenden Sammelbandes mit vierzehn Beiträgen steht.
In der Einleitung verweist Herausgeber Jürgen Zarusky auf demoskopische Umfragen in Russland zwischen 1998 und 2003, wo auf die Frage "Was für eine Rolle hat Stalin in der Geschichte Russlands gespielt - eine positive oder eine negative?" im Februar 2003 noch 47 Prozent der Befragten eine positive, 19 Prozent eine negative Antwort gaben. Interessant wäre die Antwort auf die Frage in Deutschland gewesen, welche Rolle Stalin hier gespielt hat. Egal wie sie ausgefallen wäre, eines ist sicher, worauf der Herausgeber ebenfalls hinweist: dass nämlich "Stalin auch ein deutsches Problem" ist. Er bestimmte die Geschichte Deutschlands in mehrfacher Hinsicht vor Hitler, mit Hitler und vor allem nach Hitler. An dieser Sichtweise orientieren sich die einzelnen Beiträge.
Denkt man als (West-)Deutscher an Stalin, so treten wohl zwei Ereignisse in den Mittelpunkt: zum einen der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 und die Stalin-Note aus dem Jahr 1952, aber auch das Thema Kriegsgefangene. Andreas Hilger schildert Erlebnisse und Erfahrungen deutscher Kriegsgefangener in Stalins Sowjetunion. Wir kennen das Schicksal von Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft - von 5,7 Millionen kamen 3,3 Millionen um. Auch in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war es schlimm - aber nicht so schlimm. Das sowjetische System brauchte arbeitsfähige Gefangene, was allerdings keine Garantie fürs Überleben war. Die Gesamtsterblichkeit in den Lagern betrug mindestens 15 Prozent, wahrscheinlich aber bis zu 30 Prozent.
Sergej Slutsch von der Akademie der Wissenschaften Russlands widmet sich "Stalin und Hitler 1933-1941. Kalküle und Fehlkalkulationen des Kreml". Demnach ging während dieses ganzen Zeitraumes "das Interesse an einer Verbesserung der politischen Beziehungen von Stalin aus", der allerdings "den Politiker Hitler einfach nicht verstand, der nur ein einziges Argument akzeptierte - Stärke." Stalin also der Naive? Das ist schwer zu glauben.
Dann erfährt man Neues in der unendlichen Geschichte der Stalin-Note vom März 1952. Was dazu im Sammelband angeboten wird, lässt sich schön vergleichen mit jenen Ergebnissen, die Wilfried Loth in seinem etwas später erschienenen Buch vorlegt - mit drei erstmals und fünf bereits an anderer Stelle veröffentlichten Beiträgen. Bei der Stalin-Note geht es wohl nicht nur um das Jahr 1952, sondern auch um die Frage, ob es eine Kontinuität in Stalins Deutschland-Politik gab. Jochen Laufer, Mitherausgeber einer dreibändigen sowjetischen Aktenedition, untersucht die Zeit von 1941 bis 1953. Stalin trat - was bisher bekannt war - bis Anfang 1945 für die Zerstückelung Deutschlands in mehrere Einzelstaaten ein. Als aus seiner Sicht die Vereinigten Staaten und Großbritannien eine solche Entscheidung "auf die UdSSR abwälzen" wollten, "nur um unseren Staat in den Augen der internationalen Öffentlichkeit anzuschwärzen", lehnte er die Zerstückelung im März 1945 ab. Bis zu diesem Punkt stimmen Laufer und Loth noch überein. Dann aber gehen die Meinungen weit auseinander. Für Loth wird die Sowjetunion seit Sommer 1945 "zur Verfechterin der Einheit Deutschlands gegenüber einer möglichen Spaltung in einen östlichen und einen westlichen Einflussbereich", die DDR letztlich "Stalins ungeliebtes Kind", wie er früher schon in seiner gleichnamigen Studie darlegte. Für diese These führt Loth gute Argumente an. Laufer sieht das allerdings vollkommen anders. Für ihn zielte die sowjetische Politik in Deutschland "unter der Flagge der deutschen Einheit auf die Gründung der DDR", und er verweist dabei auf eine 2004 veröffentlichte Tagebuchaufzeichnung des einflussreichen sowjetischen Diplomaten Wladimir Semjonow. Der hatte 1966 notiert, im Außenministerium in Moskau habe "kaum jemand" unter der Flagge der Einheit Deutschlands "soviel zur Gründung der DDR und folglich zur deutschen ,Spaltung' beigetragen wie ich".
Semjonow war nicht irgendjemand, sondern zwischen 1945 und 1954 Politischer Berater der Sowjetischen Militär-Administration und der Sowjetischen Kontrollkommission, dann Hoher Kommissar und Botschafter in der DDR. Von daher ist für Laufer die Stalin-Note "Teil und Höhepunkt der auf die SBZ gerichteten Absicherungsstrategie". Von einem ernsten Angebot also keine Spur! Ähnlich sieht das auch Aleksej Filitov von der Russischen Akademie der Wissenschaften, der ein ganz neues Motiv für die Note nennt: Einschüchterung der DDR-Führung - wegen "titoistischer" Tendenzen dort, wie er an anderer Stelle einmal geschrieben hat. Er bezweifelt sogar, ob Stalin überhaupt irgendeine Rolle im Prozess der Ausarbeitung der Konzeption der Note gespielt hat - "außer einer bremsenden und begrenzenden". Der Erste Stellvertretende Ministerpräsident und frühere langjährige Außenminister Molotow sei der entscheidende Mann gewesen, von daher sollte man nicht einmal mehr "Stalin-Note" sagen. Für Loth ist das genaue Gegenteil richtig. Da nimmt Stalin die Dinge "selbst in die Hand".
So ganz überzeugt ist Filitov denn auch von seiner eigenen Argumentation nicht, denn er stellt auch fest - übrigens ganz im Sinne des Rezensenten, der diese These schon vor 20 Jahren vertreten hat -, dass es "dennoch ein kardinaler Fehler des Westens" gewesen sei, die Note "nicht zum Anlass für Verhandlungen zu nehmen". Filitov verweist als Beleg für seine These auf Gespräche Stalins am 1. und 7. April 1952 mit der SED-Führung in Moskau. Die sind dankenswerterweise von Bernd Bonvitsch und Sergej Kudrjasov in dem Sammelband im Wortlaut veröffentlicht worden. Der Leser kann seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Als Stalin starb, gab es in der DDR vielfach solche Reaktionen wie anfangs geschildert. Jochen Laufer meint, das von ihm erwähnte "Eingeständnis" Semjonows sei "solange die DDR existierte, unaussprechbar" gewesen. Das passt jedoch nicht mit einem Dokument zusammen, das Winfried Loth in seinem Aufsatz "Wandel der sowjetischen Deutschlandpolitik" anführt. Es handelt sich um die Erläuterungen, die Georgij Malenkow als Vorsitzender des Präsidiums des Ministerrats der Sowjetunion der SED-Führung bei der Präsentation des "Neuen Kurses" am 2. Juni 1953 in Moskau gab - "als ob er die skeptischen Thesen mancher späterer Historiker im Blick hätte", wie Loth formuliert. Malenkow sagte: "Man ist vielleicht geneigt zu denken, dass wir die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands stellen, weil wir bloß irgendwelche propagandistischen Ziele verfolgen, dass wir in Wirklichkeit nicht anstreben, die Spaltung Deutschlands zu beenden, dass wir an der Wiedervereinigung nicht interessiert sind. Das ist ein großer Irrtum. Wer denkt, dass Deutschland über längere Zeit im gespaltenen Zustand, als zwei unabhängige Staaten, existieren kann, irrt sich."
Hat es demnach eine Chance zur Wiedervereinigung gegeben? 1952 oder doch eher 1953? Darüber wird wohl weiter gestritten werden. Mit der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 war das Thema zunächst jedenfalls beendet, tauchte aber auf der Gipfelkonferenz in Genf im Juli 1955 in vertrauter Runde wieder auf. Erst im Vorfeld der Genfer Außenministerkonferenz im November 1955 wurde dieses Kapitel von Moskau wohl definitiv abgeschlossen, als Chruschtschow feststellte: "Die Frage der Europäischen Sicherheit, eine generelle Frage, kann wohl mit zwei Deutschlands gelöst werden. Wir sind an der Aufrechterhaltung des Regimes interessiert, das in der DDR errichtet wurde. Das sollte gesagt werden." Dazu musste man dann allerdings 1961 die Mauer in Berlin bauen. Das schloss aber eine Lösung der europäischen Sicherheitsfrage mit dem Westen nicht aus. Im Gegenteil! Dort sah man das ähnlich. Im Foreign Office in London wurde das so formuliert: "Es gibt auch bei fortdauernder Teilung Deutschlands viele Möglichkeiten der Entspannung." Genauso sollte es später kommen.
ROLF STEININGER
Jürgen Zarusky (Herausgeber): Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung. R. Oldenburg Verlag, München 2006. 276 S., 44,80 [Euro].
Wilfried Loth: Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 318 S., 24,90 [Euro].
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Weiterhin lässt sich trefflich darüber streiten, ob es 1952/53 eine Chance zur Wiedervereinigung gab
"Der Schmerz war neu, rein. Mit Skepsis nicht vermischt. Dozenten drückten ihm stammelnd die Hand - es war, als ob ein liebster, engster Verwandter gestorben wäre. Ihrer aller Vater. Am Nachmittag in einer Feier wurde eine Stellungnahme des ZK verlesen, der Direktor sprach, danach ein Student, ihnen versagte die Stimme. Den Jungs standen Tränen in den Augen, die Mädchen weinten. Keine Musik, kein Gesang. Es schien, als forderte jeder Schritt, jedes Wort eine ungeheure Kraft. Tag und Nacht lösten sich die Posten an der Büste ab. Jedem im Hause sollte vergönnt sein, hier zu wachen. Es war, als ob die Welt stehenbleiben müßte. Alle Hoffnungen waren so auf ihn gelenkt worden, in ihm schien alle Kraft geballt zu sein." So schilderte 1981 der bekannte DDR-Schriftsteller - und spätere DDR-Kritiker - Erich Loest in seiner Autobiographie, wie er den Tod jenes Mannes erlebte, der im Mittelpunkt des hier anzuzeigenden Sammelbandes mit vierzehn Beiträgen steht.
In der Einleitung verweist Herausgeber Jürgen Zarusky auf demoskopische Umfragen in Russland zwischen 1998 und 2003, wo auf die Frage "Was für eine Rolle hat Stalin in der Geschichte Russlands gespielt - eine positive oder eine negative?" im Februar 2003 noch 47 Prozent der Befragten eine positive, 19 Prozent eine negative Antwort gaben. Interessant wäre die Antwort auf die Frage in Deutschland gewesen, welche Rolle Stalin hier gespielt hat. Egal wie sie ausgefallen wäre, eines ist sicher, worauf der Herausgeber ebenfalls hinweist: dass nämlich "Stalin auch ein deutsches Problem" ist. Er bestimmte die Geschichte Deutschlands in mehrfacher Hinsicht vor Hitler, mit Hitler und vor allem nach Hitler. An dieser Sichtweise orientieren sich die einzelnen Beiträge.
Denkt man als (West-)Deutscher an Stalin, so treten wohl zwei Ereignisse in den Mittelpunkt: zum einen der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 und die Stalin-Note aus dem Jahr 1952, aber auch das Thema Kriegsgefangene. Andreas Hilger schildert Erlebnisse und Erfahrungen deutscher Kriegsgefangener in Stalins Sowjetunion. Wir kennen das Schicksal von Rotarmisten in deutscher Kriegsgefangenschaft - von 5,7 Millionen kamen 3,3 Millionen um. Auch in sowjetischer Kriegsgefangenschaft war es schlimm - aber nicht so schlimm. Das sowjetische System brauchte arbeitsfähige Gefangene, was allerdings keine Garantie fürs Überleben war. Die Gesamtsterblichkeit in den Lagern betrug mindestens 15 Prozent, wahrscheinlich aber bis zu 30 Prozent.
Sergej Slutsch von der Akademie der Wissenschaften Russlands widmet sich "Stalin und Hitler 1933-1941. Kalküle und Fehlkalkulationen des Kreml". Demnach ging während dieses ganzen Zeitraumes "das Interesse an einer Verbesserung der politischen Beziehungen von Stalin aus", der allerdings "den Politiker Hitler einfach nicht verstand, der nur ein einziges Argument akzeptierte - Stärke." Stalin also der Naive? Das ist schwer zu glauben.
Dann erfährt man Neues in der unendlichen Geschichte der Stalin-Note vom März 1952. Was dazu im Sammelband angeboten wird, lässt sich schön vergleichen mit jenen Ergebnissen, die Wilfried Loth in seinem etwas später erschienenen Buch vorlegt - mit drei erstmals und fünf bereits an anderer Stelle veröffentlichten Beiträgen. Bei der Stalin-Note geht es wohl nicht nur um das Jahr 1952, sondern auch um die Frage, ob es eine Kontinuität in Stalins Deutschland-Politik gab. Jochen Laufer, Mitherausgeber einer dreibändigen sowjetischen Aktenedition, untersucht die Zeit von 1941 bis 1953. Stalin trat - was bisher bekannt war - bis Anfang 1945 für die Zerstückelung Deutschlands in mehrere Einzelstaaten ein. Als aus seiner Sicht die Vereinigten Staaten und Großbritannien eine solche Entscheidung "auf die UdSSR abwälzen" wollten, "nur um unseren Staat in den Augen der internationalen Öffentlichkeit anzuschwärzen", lehnte er die Zerstückelung im März 1945 ab. Bis zu diesem Punkt stimmen Laufer und Loth noch überein. Dann aber gehen die Meinungen weit auseinander. Für Loth wird die Sowjetunion seit Sommer 1945 "zur Verfechterin der Einheit Deutschlands gegenüber einer möglichen Spaltung in einen östlichen und einen westlichen Einflussbereich", die DDR letztlich "Stalins ungeliebtes Kind", wie er früher schon in seiner gleichnamigen Studie darlegte. Für diese These führt Loth gute Argumente an. Laufer sieht das allerdings vollkommen anders. Für ihn zielte die sowjetische Politik in Deutschland "unter der Flagge der deutschen Einheit auf die Gründung der DDR", und er verweist dabei auf eine 2004 veröffentlichte Tagebuchaufzeichnung des einflussreichen sowjetischen Diplomaten Wladimir Semjonow. Der hatte 1966 notiert, im Außenministerium in Moskau habe "kaum jemand" unter der Flagge der Einheit Deutschlands "soviel zur Gründung der DDR und folglich zur deutschen ,Spaltung' beigetragen wie ich".
Semjonow war nicht irgendjemand, sondern zwischen 1945 und 1954 Politischer Berater der Sowjetischen Militär-Administration und der Sowjetischen Kontrollkommission, dann Hoher Kommissar und Botschafter in der DDR. Von daher ist für Laufer die Stalin-Note "Teil und Höhepunkt der auf die SBZ gerichteten Absicherungsstrategie". Von einem ernsten Angebot also keine Spur! Ähnlich sieht das auch Aleksej Filitov von der Russischen Akademie der Wissenschaften, der ein ganz neues Motiv für die Note nennt: Einschüchterung der DDR-Führung - wegen "titoistischer" Tendenzen dort, wie er an anderer Stelle einmal geschrieben hat. Er bezweifelt sogar, ob Stalin überhaupt irgendeine Rolle im Prozess der Ausarbeitung der Konzeption der Note gespielt hat - "außer einer bremsenden und begrenzenden". Der Erste Stellvertretende Ministerpräsident und frühere langjährige Außenminister Molotow sei der entscheidende Mann gewesen, von daher sollte man nicht einmal mehr "Stalin-Note" sagen. Für Loth ist das genaue Gegenteil richtig. Da nimmt Stalin die Dinge "selbst in die Hand".
So ganz überzeugt ist Filitov denn auch von seiner eigenen Argumentation nicht, denn er stellt auch fest - übrigens ganz im Sinne des Rezensenten, der diese These schon vor 20 Jahren vertreten hat -, dass es "dennoch ein kardinaler Fehler des Westens" gewesen sei, die Note "nicht zum Anlass für Verhandlungen zu nehmen". Filitov verweist als Beleg für seine These auf Gespräche Stalins am 1. und 7. April 1952 mit der SED-Führung in Moskau. Die sind dankenswerterweise von Bernd Bonvitsch und Sergej Kudrjasov in dem Sammelband im Wortlaut veröffentlicht worden. Der Leser kann seine eigenen Schlüsse daraus ziehen. Als Stalin starb, gab es in der DDR vielfach solche Reaktionen wie anfangs geschildert. Jochen Laufer meint, das von ihm erwähnte "Eingeständnis" Semjonows sei "solange die DDR existierte, unaussprechbar" gewesen. Das passt jedoch nicht mit einem Dokument zusammen, das Winfried Loth in seinem Aufsatz "Wandel der sowjetischen Deutschlandpolitik" anführt. Es handelt sich um die Erläuterungen, die Georgij Malenkow als Vorsitzender des Präsidiums des Ministerrats der Sowjetunion der SED-Führung bei der Präsentation des "Neuen Kurses" am 2. Juni 1953 in Moskau gab - "als ob er die skeptischen Thesen mancher späterer Historiker im Blick hätte", wie Loth formuliert. Malenkow sagte: "Man ist vielleicht geneigt zu denken, dass wir die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands stellen, weil wir bloß irgendwelche propagandistischen Ziele verfolgen, dass wir in Wirklichkeit nicht anstreben, die Spaltung Deutschlands zu beenden, dass wir an der Wiedervereinigung nicht interessiert sind. Das ist ein großer Irrtum. Wer denkt, dass Deutschland über längere Zeit im gespaltenen Zustand, als zwei unabhängige Staaten, existieren kann, irrt sich."
Hat es demnach eine Chance zur Wiedervereinigung gegeben? 1952 oder doch eher 1953? Darüber wird wohl weiter gestritten werden. Mit der Niederschlagung des Aufstands vom 17. Juni 1953 war das Thema zunächst jedenfalls beendet, tauchte aber auf der Gipfelkonferenz in Genf im Juli 1955 in vertrauter Runde wieder auf. Erst im Vorfeld der Genfer Außenministerkonferenz im November 1955 wurde dieses Kapitel von Moskau wohl definitiv abgeschlossen, als Chruschtschow feststellte: "Die Frage der Europäischen Sicherheit, eine generelle Frage, kann wohl mit zwei Deutschlands gelöst werden. Wir sind an der Aufrechterhaltung des Regimes interessiert, das in der DDR errichtet wurde. Das sollte gesagt werden." Dazu musste man dann allerdings 1961 die Mauer in Berlin bauen. Das schloss aber eine Lösung der europäischen Sicherheitsfrage mit dem Westen nicht aus. Im Gegenteil! Dort sah man das ähnlich. Im Foreign Office in London wurde das so formuliert: "Es gibt auch bei fortdauernder Teilung Deutschlands viele Möglichkeiten der Entspannung." Genauso sollte es später kommen.
ROLF STEININGER
Jürgen Zarusky (Herausgeber): Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung. R. Oldenburg Verlag, München 2006. 276 S., 44,80 [Euro].
Wilfried Loth: Die Sowjetunion und die deutsche Frage. Studien zur sowjetischen Deutschlandpolitik. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. 318 S., 24,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bemerkenswert scheinen Rolf Steininger die Studien Wilfried Loths über die "Sowjetunion und die deutsche Frage". Vor allem die Ausführungen zur Stalin-Note 1952, die nach Ansicht Loths eine echte Chance zur Wiedervereinigung eröffnete, haben Steiniger interessiert. Über Loths These, die Sowjetunion habe seit Sommer 1945 die Einheit Deutschlands gegenüber einer möglichen Teilung in Ost und West vertreten, lässt sich seines Erachtens trefflich streiten. Dennoch bescheinigt er dem Autor, für diese These "gute Argumente" zu haben. Besonders hebt er ein Dokument, Erläuterungen Georgij Malenkows, hervor, das Loth in seinem Aufsatz "Wandel der sowjetischen Deutschlandpolitik" anführt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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