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Als die SPD entstand, war Bismarck noch nicht Kanzler und Deutschland noch nicht nationalstaatlich vereint. Die nahezu 150jährige Geschichte dieser Partei ist ein gutes Stück deutscher Gesellschaftsgeschichte. Ihr Weg führt durch verschiedene Epochen und politische Systeme, und in ihrem Zentrum standen immer wieder prägende Persönlichkeiten - von Bebel bis zu Brandt und den "Enkeln" Lafontaine und Schröder. Dennoch erzählt die Geschichte der SPD, wie Franz Walter zeigt, nicht nur vom Weg einer politischen Partei, sondern auch von einer traditionsreichen Gegenkultur, die erst in der…mehr

Produktbeschreibung
Als die SPD entstand, war Bismarck noch nicht Kanzler und Deutschland noch nicht nationalstaatlich vereint. Die nahezu 150jährige Geschichte dieser Partei ist ein gutes Stück deutscher Gesellschaftsgeschichte. Ihr Weg führt durch verschiedene Epochen und politische Systeme, und in ihrem Zentrum standen immer wieder prägende Persönlichkeiten - von Bebel bis zu Brandt und den "Enkeln" Lafontaine und Schröder. Dennoch erzählt die Geschichte der SPD, wie Franz Walter zeigt, nicht nur vom Weg einer politischen Partei, sondern auch von einer traditionsreichen Gegenkultur, die erst in der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft zerbröselte. Mit dem historischen Sozialismus verlor die SPD das sie prägende Ziel, und gerade das hat sie letztlich aus der politischen Randlage in die "neue Mitte" geführt, ja sie in der Berliner Republik an die Macht gebracht. Doch um welchen Preis? Und wie sieht die Zukunft aus?
Autorenporträt
Prof. Dr. Franz Walter ist Direktor des Instituts für Demokratieforschung an der Universität Göttingen. Er publiziert vor allem zur Geschichte und Entwicklung der deutschen Parteien, u.a. regelmäßig auf SPIEGEL ONLINE.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2002

Gefangener des SPD-Milieus
Franz Walter ist die Partei-Festschrift zur Gedenkschrift geworden

Franz Walter: Die SPD. Vom Proletariat zur Neuen Mitte. Alexander Fest Verlag, Berlin 2002. 283 Seiten, 24,90 Euro.

So gehört es sich. Wenn eine Epoche zur Neige geht, wird sie auf schöne Bilder gebannt und auf dicken, glatten Seiten beschrieben. Die sozialdemokratische Epoche geht zur Neige, und Franz Walter, Fachmann für Parteien aller Art, legt - knallrot eingebunden - eine Festschrift vor, die ihm unter der Hand zur Gedenkschrift geraten ist. Anfangs teilt er noch mit, Gerhard Schröder führe das von Bebel begonnene Werk fort. Gegen Ende aber überwiegen die Zweifel, ob noch etwas fortzuführen ist.

Was zwischen Proletariat und Neuer Mitte abgelaufen ist, erzählt und erklärt Franz Walter mit Distanz und Einfühlung, ohne Häme, auch ohne Bewunderung, mit leichter, bisweilen spitzer Feder. Walter läßt wissen: Wo große Stärken, sind große Schwächen selten weit. Die Aufgabe, eine Geschichte hinter der Ereignisgeschichte der SPD zu schreiben und anhand von Personalstudien anschaulich zu machen, ist versucht und gelöst worden, allerdings zu einem hohen Preis. Der SPD widerfährt Gerechtigkeit, obwohl - oder gerade weil? - wesentliche Elemente fehlen und wesentliche Einwände gemacht werden müssen.

Walter hat sich seinem Gegenstand auf kulturellem Wege genähert und die Mentalität des sozialdemokratischen Milieus verfaßt. Auf die Einbettung in die größeren nationalen Zusammenhänge wird ebenso verzichtet wie auf die Darlegung der technisch-industriellen Grundlagen. Sozialer Wandel? Der findet, wenn überhaupt, nur als Beiwerk statt. So schildert er die SPD der sechziger Jahre als die "beste CDU" und macht glauben, es habe im Ermessen der Partei und ihrer Führer gelegen, das konstitutive Spannungsverhältnis "zwischen dem, was war, und dem, wie es eigentlich sein sollte", ad acta zu legen und sich von den eigenen Wurzeln zu lösen. Den Anfängen der Mediengesellschaft in den sechziger Jahren spürt Walter nach. Aber muß deshalb die ganze SPD über diesen einzigen Leisten geschlagen werden? 1965 habe Willy Brandt, "ein Mann ohne Fortune, trotz Zugewinnen der ewige Verlierer", der Medienliebling nicht mehr sein wollen und erst dadurch zu späterer Größe gefunden. Über die wüste Wahlkampfhetze wird kein Wort verloren. Auch nicht über Brandts resignative Einsicht, daß er seinem Volk den eigenen Lebensweg nicht nahebringen könne.

In Walters "Milieumentalitäten", die mal gegen die Mediengesellschaft abgesetzt werden und mal auch wieder nicht, zieht das antinazistische Erbe keine Spur. Und hat das über die Zeit gerettete Bild von dem einen und freien Deutschland keinen Platz. Was nicht ins Milieu paßt, findet nicht statt. Auch das Nachkriegs-Berlin fällt aus. Die SPD in der Ostzone und die Zwangsvereinigung zur SED werden abgehandelt. Doch um die alles beherrschende Idee vom Milieu zu untermauern, wird ihr die Wirklichkeit angepaßt und grob verfälscht. Daß die Delegierten der Parteitage "geschlossen für die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" votierten, ist eben nur mit dem Zusatz richtig, daß nirgendwo in der Ostzone die SPD ihre Delegierten hatte frei wählen können; sie waren von den Sowjets bestimmt! Die Linie zieht sich durch. Bis hin zur deutschen Einheit, die von postmateriellem Schnickschnack zugedeckt wird.

Die Deutschland- und Ostpolitik fällt vom Himmel und entpuppt sich als jener zündende Funke, der die SPD wieder etwas Besonderes und Unterscheidbares sein läßt und das inzwischen aufgefächerte Milieu zusammenhält. Die "Teilkulturen" und "Lebenswelten", von denen Walter nun abwechselnd spricht, finden in der berühmten Troika ihre personelle Repräsentanz. Wehner, von dem Walter treffend sagt, daß er mit menschlichen Schwächen, aber nicht mit menschlichen Stärken umzugehen gewußt habe, ordnet er doch tatsächlich "die proletarische Tradition der Partei" zu. Wenn das Milieu à tout prix gerettet werden muß, kommt nicht nur dieser Unsinn heraus.

Walter kann feinsinnige Porträts beisteuern, bringt es aber auch fertig, den kurzlebigen Parteivorsitzenden Vogel mit dem gestandenen Ollenhauer zu vergleichen. Und zu unterstellen, daß nach dem Zustrom junger Mitglieder und deren "Re-Ideologisierung" wieder eine bürokratische Hand nötig gewesen sei. Es gibt aber kein Milieu, das sich selbst steuert und aller Auffächerung zum Trotz bei sich selbst bleibt. Die sogenannte marxistische "Re-Ideologisierung" hat doch nur deshalb Furore machen können, weil die proletarischen Nachfahren Kampfkraft und Gestaltungslust verloren hatten. Und weil ein zeitgemäßes Spiel aufgeführt wurde, inszeniert von Leuten, die noch ganz andere Spiele darbieten sollten.

Tapfer unterdrückt Walter seine Zweifel an der Tragfähigkeit des Milieus und der Kontinuität dazugehöriger Mentalitäten. Er beschreibt "die stillgestellte Partei" und glaubt, Schröder habe deshalb stark sein können. Walter hat sich zum Gefangenen des Milieus und damit auch des Augenblicks gemacht. Kaum erscheint ein solches Buch, ist sein Ende auch schon überholt. Milieu und Mentalitäten sind viel, aber nicht alles.

BRIGITTE SEEBACHER-BRANDT

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Wolfgang Storz ist von diesem Buch, das die 150-jährige Geschichte der SPD nachzeichnet etwas "überrascht". Zunächst hat er nämlich den Eindruck gewonnen, dass der Autor, der die Entwicklung der Partei von einer sozialen Bewegung zu einer sich auf die "Wirklichkeit einlassenden" Regierungspartei der politischen Mitte beschreibt, ganz einverstanden ist mit diesem Prozess. Um so erstaunter ist er bei fortschreitender Lektüre, dass am Ende vor allem "Melancholie" beim Autor vorherrscht. Plötzlich beklage Walter verlorene Prinzipien und sehe die Zukunft der Partei in Frage gestellt, so der Rezensent verblüfft. Und so kommt er wohl auch nur ironisch am Ende zu dem Urteil, dass das Buch von "brennender Aktualität" sei, da es anhand der Geschichte der SPD zeige, dass man "irgendwie irgendwohin komme, aber nur vielleicht. Immerhin aber lobt er den Autor für seine "flüssig und anschaulich gehaltene" Parteigeschichte, und er attestiert ihm, sie mit "Verve" geschrieben zu haben.

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Das Buch zur Stunde (...) spannend und anschaulich (...) ein Standardwerk. Franz Sommerfeld der Freitag 20181213