Margie Standiford sitzt in der Todeszelle eines Gefängnisses in Oklahoma, Stunden vor der Hinrichtung, und spricht ihre Lebensgeschichte auf Band. Sie erzählt, wie sie zur «Speed Queen» wurde; wie aus dem Drogenkonsum mit ihrem Mann und ihrer - und seiner - Geliebten Dealen wurde, aus Dealen Raub und aus Raub vielfacher Mord. Ihr Ghostwriter ist Amerikas «König des Horrors» Stephen King.
«Die Speed Queen» ist eine atemlose, erotische Geschichte. «Ein Monolog als mitreißender Schauerroman.» (Süddeutsche Zeitung)
«Ein großartiges Buch.» (Die Welt)
«Die Speed Queen» ist eine atemlose, erotische Geschichte. «Ein Monolog als mitreißender Schauerroman.» (Süddeutsche Zeitung)
«Ein großartiges Buch.» (Die Welt)
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.1998Das letzte Band
Stewart O'Nan bewahrt das Vermächtnis der "Speed Queen" · Von Hubert Spiegel
Dieses Buch enthält einhundertvierzehn Antworten. Sie erzählen die Geschichte einer Katastrophe und ziehen die Bilanz eines Lebens, an dem nichts interessant ist außer ebenjener Katastrophe, die zu seinem Ende führt. Daß dieses Ende unmittelbar bevorsteht, wenn der Roman anhebt, ist der zweite Kunstgriff, mit dem Stewart O'Nans "Speed Queen" beginnt.
Marjorie Standiford, etwa dreißig Jahre alt, ehemalige Bedienung in verschiedenen Imbißketten und Mutter eines kleinen Jungen, sitzt in der Todeszelle einer Strafanstalt in Oklahoma. Es ist der Abend ihrer Hinrichtung. Was wir lesen, sind ihre letzten einhundertvierzehn Antworten. Nie zuvor in ihrem Leben hat Marjorie so viele Worte gemacht. Nicht über sich und nicht über ihr verpfuschtes Leben.
Aber Marjorie vertraut ihr Vermächtnis nicht dem Ohr eines Geistlichen oder den Seiten eines Tagebuchs an. Diese Todeskandidatin spricht ihre letzten Worte ins Mikrofon eines Diktiergerätes. Die Instanz, vor der sie Rechenschaft ablegt im Angesicht des Todes, ist ganz von dieser Welt. Es ist der Unterhaltungsschriftsteller Stephen King, der das einzige gekauft hat, was die Todeskandidatin noch veräußern kann: Marjories letztes Band, die Geschichte ihres Untergangs.
In dieser Erzählsituation liegt der erste Kunstgriff dieses Romans. Was wie ein Dialog beginnt, entpuppt sich rasch als Monolog in der Todeszelle. Marjorie hat eine lange Liste mit Fragen vor sich, zu deren Beantwortung sie sich vertraglich verpflichtet hat. Stephen King wird aus diesem Material einen Roman machen, die spätere Verfilmung versteht sich von selbst. Offenbar hat es auch andere Interessenten gegeben, und der Schriftsteller hat für die Rechte viel Geld bezahlt, das Marjories kleiner Sohn Gainey einmal bekommen wird. Nun will der Autor die ganze Geschichte, einhundertvierzehn Antworten auf einhundertvierzehn Fragen.
Zweihundertfünfzig Seiten lang hören wir nichts anderes als Marjories Stimme, die ihre eigene Geschichte erzählt. Es ist eine schmutzige kleine Geschichte, und sie ist schnell erzählt: eine normale Kindheit in kleinen, aber halbwegs intakten Verhältnissen, der High School folgt das College, der Alkohol und die Aufputschmittel, die zum Schulalltag gehören, werden rasch zur Gewohnheit, der Nebenjob im Imbiß oder an der Tankstelle wird zur Hauptbeschäftigung: Zugedröhnt steht Marjorie nachts hinter dem Schalter, beobachtet die tankenden Autofahrer und träumt von Freiheit und Abenteuer. Hier lernt sie den Automechaniker Lamont kennen. Die beiden werden ein Paar, und sie sind glücklich: sie sind jung, sie haben einen schnellen Wagen, sie haben ein Autoradio, und sie haben eine Tüte voll Speed.
In diesen Passagen folgt Stewart O'Nan den Spuren, die Kerouacs "On the Road" und die zahllosen road movies der amerikanischen Popkultur gelegt haben: Freiheit ist nur in der Bewegung erfahrbar, Glück ist eine Mischung aus Sex, Geschwindigkeit, Musik und Drogen, und die Welt ist nicht mehr als das, was an einem vorüberflitzt, wenn man aus dem Seitenfenster seines Wagens sieht.
Als Marjorie in einen Unfall verwickelt wird und die Polizei Drogen bei ihr findet, landet sie für einige Monate im Gefängnis. Hier lernt sie Natalie kennen, mit der sie ein Verhältnis beginnt, das auch anhält, als die drei zusammenziehen. Marjorie, Lamont, Natalie und der kleine Gainey: eine fröhliche amerikanische Kleinfamilie in den achtziger Jahren, sexbesessene Automobilfetischisten im unaufhörlichen Drogenrausch.
Aber Drogen kosten Geld, und so beginnen sie zu dealen. Sie leihen sich Geld, um größere Mengen Stoff zu kaufen, und als ihnen das Geld gestohlen wird und sie den Kredit nicht zurückzahlen können, ist ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert. Nun beginnt eine Flucht, in deren Verlauf etliche Menschen ihr Leben verlieren, darunter Lamont. Natalie kommt mit einer Haftstrafe davon, Marjorie landet in der Todeszelle. Nichts erscheint zwingend an diesem Lebenslauf, nichts schicksalhaft oder tragisch. Kleine Zufälle, die in kalter Harmonie ineinandergreifen. Alles hätte auch anders kommen können. Deprimierend ist allein die stumpfe Beiläufigkeit, mit der hier ein Leben ruiniert wird.
Es liegt auf der Hand, warum Stephen King sich für Marjorie Standifords Geschichte interessiert. Er ist der Experte für kollektive Albträume, und Marjorie, die Speed Queen, verkörpert den jüngsten Nachtmahr des weißen Amerika: white trash, weißer Müll, Abkömmlinge eines Kleinbürgertums, das jede Aufstiegshoffnung aufgegeben hat, verwahrlost, gewalttätig, unberechenbar. Man ist versucht, Stewart O'Nans "Speed Queen" zu jenen Büchern zu zählen, die mit der Faszination des Bösen kokettieren und den Einbruch der Gewalt in die Banalität des Alltags als Naturereignis inszenieren. Wie schon in seinem im vergangenen Jahr auf deutsch erschienenen Debütroman "Engel im Schnee" beschreibt auch dieses Buch in einer eigentümlichen Mischung aus kaltem Entsetzen und ruhiger Faszination die Zwangsläufigkeit, mit der ein Leben zerstört werden kann und dabei andere mit sich in den Abgrund reißt. Aber in beiden Büchern wird Gewalt nicht als Attraktion beschrieben.
Eine drogenabhängige, sexuell ausgesprochen aktive junge Mutter, die angeblich mehrere Menschen kaltblütig umgebracht hat, ihre Unschuld und die Macht der Liebe beteuert, sich zur Religion bekehrt hat und nun gefaßt ihrer Hinrichtung entgegengeht - Marjorie Standiford ist der Traum eines jeden Talkmasters, und es ist kein Wunder, daß Quentin Tarantinos Produktionsfirma die Filmrechte an dem Roman gekauft hat, obwohl man einwenden könnte, daß dieses Buch bereits verfilmt worden ist. Denn die "Speed Queen" erinnert zwar an Jack Kerouac, die Manie, mit der unentwegt Automarken und die Nomenklatur der Schnellrestaurants zitiert werden, läßt an Bret Easton Ellis' "American Psycho" denken, und aus der Ferne winken Dostojewskis "Aufzeichnungen aus einem Kellerloch" ebenso wie Defoes "Moll Flanders". Aber nichts liegt näher als der Vergleich mit Oliver Stones Film "Natural Born Killers". Und so ist es wohl auch kein Zufall, daß der Vorname der Speed Queen ganz ähnlich klingt wie der Name von Stones furchterregender Heldin: Marjorie und Mallory sind Zwillinge. Aber sie haben verschiedene Väter.
Seit "Natural Born Killers" und Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" ist es in Hollywood Mode geworden, Gewalt als Groteske und Massenmord als Slapstick zu inszenieren. Vor allem Stone hat Geschwindigkeit, Gewalt und Drogen als Trias dargestellt, verschiedene Wege, die zu rauschhaftem Erleben führen. Micky und Mallory sind ganz nur bei sich, wenn sie völlig außer sich sind. "Natural Born Killers" ist in einigen Ländern verboten worden, und sein Regisseur wurde verklagt, nachdem Jugendliche mit Filmzitaten auf den Lippen Morde begangen hatten. Hollywood erlebte den größten Skandal seit langem. Aber es ist nicht ausgemacht, daß die Zumutung, die Stewart O'Nans "Speed Queen" darstellt, geringer ist. Denn in diesem Buch sind Gewalt, Mord und Drogenrausch nicht mehr das andere der Normalität, sondern die Normalität selbst. Der ruhige, lakonische Ton inszeniert den Ausnahmezustand als Regel. Darin liegt das Skandalon dieses Buches, und es ist nicht weniger bedrückend als die schockierende Orgie von "Natural Born Killers".
Stewart O'Nans Roman, den Thomas Gunkel nicht ohne Mühen übersetzt hat, beginnt mit einer großartigen Exposition. Sie zitiert die literarische Tradition der confessio, der bekennenden Ich-Erzählung, und parodiert sie, indem sie die letzten Worte einer zum Tode Verurteilten zum Rohmaterial eines Unterhaltungsschriftstellers erklärt. Man kann dieses Buch nicht lesen, ohne unablässig darüber zu spekulieren, was Stephen King mit Marjories letztem Band anfangen würde. Aber es mag sein, daß Stewart O'Nan keine Parodie im Sinne hatte, und womöglich begreift er King tatsächlich als letzten Beichtvater, als legitimen Seelsorger einer nach Millionen zählenden Fangemeinde. Dann wäre das Werk des Horrorschriftstellers nichts anderes als das Evangelium einer säkularisierten Welt, die die Hölle fürchtet, ohne noch auf einen Himmel zu hoffen.
Stewart O'Nan: "Die Speed Queen". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 254 S., geb., 39,80 DM.
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Stewart O'Nan bewahrt das Vermächtnis der "Speed Queen" · Von Hubert Spiegel
Dieses Buch enthält einhundertvierzehn Antworten. Sie erzählen die Geschichte einer Katastrophe und ziehen die Bilanz eines Lebens, an dem nichts interessant ist außer ebenjener Katastrophe, die zu seinem Ende führt. Daß dieses Ende unmittelbar bevorsteht, wenn der Roman anhebt, ist der zweite Kunstgriff, mit dem Stewart O'Nans "Speed Queen" beginnt.
Marjorie Standiford, etwa dreißig Jahre alt, ehemalige Bedienung in verschiedenen Imbißketten und Mutter eines kleinen Jungen, sitzt in der Todeszelle einer Strafanstalt in Oklahoma. Es ist der Abend ihrer Hinrichtung. Was wir lesen, sind ihre letzten einhundertvierzehn Antworten. Nie zuvor in ihrem Leben hat Marjorie so viele Worte gemacht. Nicht über sich und nicht über ihr verpfuschtes Leben.
Aber Marjorie vertraut ihr Vermächtnis nicht dem Ohr eines Geistlichen oder den Seiten eines Tagebuchs an. Diese Todeskandidatin spricht ihre letzten Worte ins Mikrofon eines Diktiergerätes. Die Instanz, vor der sie Rechenschaft ablegt im Angesicht des Todes, ist ganz von dieser Welt. Es ist der Unterhaltungsschriftsteller Stephen King, der das einzige gekauft hat, was die Todeskandidatin noch veräußern kann: Marjories letztes Band, die Geschichte ihres Untergangs.
In dieser Erzählsituation liegt der erste Kunstgriff dieses Romans. Was wie ein Dialog beginnt, entpuppt sich rasch als Monolog in der Todeszelle. Marjorie hat eine lange Liste mit Fragen vor sich, zu deren Beantwortung sie sich vertraglich verpflichtet hat. Stephen King wird aus diesem Material einen Roman machen, die spätere Verfilmung versteht sich von selbst. Offenbar hat es auch andere Interessenten gegeben, und der Schriftsteller hat für die Rechte viel Geld bezahlt, das Marjories kleiner Sohn Gainey einmal bekommen wird. Nun will der Autor die ganze Geschichte, einhundertvierzehn Antworten auf einhundertvierzehn Fragen.
Zweihundertfünfzig Seiten lang hören wir nichts anderes als Marjories Stimme, die ihre eigene Geschichte erzählt. Es ist eine schmutzige kleine Geschichte, und sie ist schnell erzählt: eine normale Kindheit in kleinen, aber halbwegs intakten Verhältnissen, der High School folgt das College, der Alkohol und die Aufputschmittel, die zum Schulalltag gehören, werden rasch zur Gewohnheit, der Nebenjob im Imbiß oder an der Tankstelle wird zur Hauptbeschäftigung: Zugedröhnt steht Marjorie nachts hinter dem Schalter, beobachtet die tankenden Autofahrer und träumt von Freiheit und Abenteuer. Hier lernt sie den Automechaniker Lamont kennen. Die beiden werden ein Paar, und sie sind glücklich: sie sind jung, sie haben einen schnellen Wagen, sie haben ein Autoradio, und sie haben eine Tüte voll Speed.
In diesen Passagen folgt Stewart O'Nan den Spuren, die Kerouacs "On the Road" und die zahllosen road movies der amerikanischen Popkultur gelegt haben: Freiheit ist nur in der Bewegung erfahrbar, Glück ist eine Mischung aus Sex, Geschwindigkeit, Musik und Drogen, und die Welt ist nicht mehr als das, was an einem vorüberflitzt, wenn man aus dem Seitenfenster seines Wagens sieht.
Als Marjorie in einen Unfall verwickelt wird und die Polizei Drogen bei ihr findet, landet sie für einige Monate im Gefängnis. Hier lernt sie Natalie kennen, mit der sie ein Verhältnis beginnt, das auch anhält, als die drei zusammenziehen. Marjorie, Lamont, Natalie und der kleine Gainey: eine fröhliche amerikanische Kleinfamilie in den achtziger Jahren, sexbesessene Automobilfetischisten im unaufhörlichen Drogenrausch.
Aber Drogen kosten Geld, und so beginnen sie zu dealen. Sie leihen sich Geld, um größere Mengen Stoff zu kaufen, und als ihnen das Geld gestohlen wird und sie den Kredit nicht zurückzahlen können, ist ihr Leben keinen Pfifferling mehr wert. Nun beginnt eine Flucht, in deren Verlauf etliche Menschen ihr Leben verlieren, darunter Lamont. Natalie kommt mit einer Haftstrafe davon, Marjorie landet in der Todeszelle. Nichts erscheint zwingend an diesem Lebenslauf, nichts schicksalhaft oder tragisch. Kleine Zufälle, die in kalter Harmonie ineinandergreifen. Alles hätte auch anders kommen können. Deprimierend ist allein die stumpfe Beiläufigkeit, mit der hier ein Leben ruiniert wird.
Es liegt auf der Hand, warum Stephen King sich für Marjorie Standifords Geschichte interessiert. Er ist der Experte für kollektive Albträume, und Marjorie, die Speed Queen, verkörpert den jüngsten Nachtmahr des weißen Amerika: white trash, weißer Müll, Abkömmlinge eines Kleinbürgertums, das jede Aufstiegshoffnung aufgegeben hat, verwahrlost, gewalttätig, unberechenbar. Man ist versucht, Stewart O'Nans "Speed Queen" zu jenen Büchern zu zählen, die mit der Faszination des Bösen kokettieren und den Einbruch der Gewalt in die Banalität des Alltags als Naturereignis inszenieren. Wie schon in seinem im vergangenen Jahr auf deutsch erschienenen Debütroman "Engel im Schnee" beschreibt auch dieses Buch in einer eigentümlichen Mischung aus kaltem Entsetzen und ruhiger Faszination die Zwangsläufigkeit, mit der ein Leben zerstört werden kann und dabei andere mit sich in den Abgrund reißt. Aber in beiden Büchern wird Gewalt nicht als Attraktion beschrieben.
Eine drogenabhängige, sexuell ausgesprochen aktive junge Mutter, die angeblich mehrere Menschen kaltblütig umgebracht hat, ihre Unschuld und die Macht der Liebe beteuert, sich zur Religion bekehrt hat und nun gefaßt ihrer Hinrichtung entgegengeht - Marjorie Standiford ist der Traum eines jeden Talkmasters, und es ist kein Wunder, daß Quentin Tarantinos Produktionsfirma die Filmrechte an dem Roman gekauft hat, obwohl man einwenden könnte, daß dieses Buch bereits verfilmt worden ist. Denn die "Speed Queen" erinnert zwar an Jack Kerouac, die Manie, mit der unentwegt Automarken und die Nomenklatur der Schnellrestaurants zitiert werden, läßt an Bret Easton Ellis' "American Psycho" denken, und aus der Ferne winken Dostojewskis "Aufzeichnungen aus einem Kellerloch" ebenso wie Defoes "Moll Flanders". Aber nichts liegt näher als der Vergleich mit Oliver Stones Film "Natural Born Killers". Und so ist es wohl auch kein Zufall, daß der Vorname der Speed Queen ganz ähnlich klingt wie der Name von Stones furchterregender Heldin: Marjorie und Mallory sind Zwillinge. Aber sie haben verschiedene Väter.
Seit "Natural Born Killers" und Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" ist es in Hollywood Mode geworden, Gewalt als Groteske und Massenmord als Slapstick zu inszenieren. Vor allem Stone hat Geschwindigkeit, Gewalt und Drogen als Trias dargestellt, verschiedene Wege, die zu rauschhaftem Erleben führen. Micky und Mallory sind ganz nur bei sich, wenn sie völlig außer sich sind. "Natural Born Killers" ist in einigen Ländern verboten worden, und sein Regisseur wurde verklagt, nachdem Jugendliche mit Filmzitaten auf den Lippen Morde begangen hatten. Hollywood erlebte den größten Skandal seit langem. Aber es ist nicht ausgemacht, daß die Zumutung, die Stewart O'Nans "Speed Queen" darstellt, geringer ist. Denn in diesem Buch sind Gewalt, Mord und Drogenrausch nicht mehr das andere der Normalität, sondern die Normalität selbst. Der ruhige, lakonische Ton inszeniert den Ausnahmezustand als Regel. Darin liegt das Skandalon dieses Buches, und es ist nicht weniger bedrückend als die schockierende Orgie von "Natural Born Killers".
Stewart O'Nans Roman, den Thomas Gunkel nicht ohne Mühen übersetzt hat, beginnt mit einer großartigen Exposition. Sie zitiert die literarische Tradition der confessio, der bekennenden Ich-Erzählung, und parodiert sie, indem sie die letzten Worte einer zum Tode Verurteilten zum Rohmaterial eines Unterhaltungsschriftstellers erklärt. Man kann dieses Buch nicht lesen, ohne unablässig darüber zu spekulieren, was Stephen King mit Marjories letztem Band anfangen würde. Aber es mag sein, daß Stewart O'Nan keine Parodie im Sinne hatte, und womöglich begreift er King tatsächlich als letzten Beichtvater, als legitimen Seelsorger einer nach Millionen zählenden Fangemeinde. Dann wäre das Werk des Horrorschriftstellers nichts anderes als das Evangelium einer säkularisierten Welt, die die Hölle fürchtet, ohne noch auf einen Himmel zu hoffen.
Stewart O'Nan: "Die Speed Queen". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Thomas Gunkel. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1998. 254 S., geb., 39,80 DM.
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