»Wollt ihr den totalen Krieg?« Zum 80. Jahrestag von Goebbels' Sportpalast-Rede 1943
Sie gilt als perfides Musterbeispiel der Nazi-Propaganda: Mit seiner Sportpalast-Rede inszenierte sich Joseph Goebbels im Februar 1943 als Aufpeitscher einer kriegsbegeisterten deutschen »Volksgemeinschaft«. Für den Propagandaminister aber ging es um mehr - eine Machtprobe mit dem »Führer«. Peter Longerich zeichnet in seinem Buch die Vorgeschichte, die Bedeutung und die Nachwirkung der berüchtigten Rede nach - und zeigt, wie systematisch Goebbels den Weg in seinen »totalen Krieg« plante.
Sie gilt als perfides Musterbeispiel der Nazi-Propaganda: Mit seiner Sportpalast-Rede inszenierte sich Joseph Goebbels im Februar 1943 als Aufpeitscher einer kriegsbegeisterten deutschen »Volksgemeinschaft«. Für den Propagandaminister aber ging es um mehr - eine Machtprobe mit dem »Führer«. Peter Longerich zeichnet in seinem Buch die Vorgeschichte, die Bedeutung und die Nachwirkung der berüchtigten Rede nach - und zeigt, wie systematisch Goebbels den Weg in seinen »totalen Krieg« plante.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent René Schlott spürt die heiße Nadel beim Lesen von Peter Longerichs Kommentierung der Sportpalast-Rede. Dass die vollständige Rede selbst den Hauptteil des Buches darstellt und die Kommentierung nicht eben ausführlich und tief daherkommt, lastet Schlott dem Termindruck angesichts des Jahrestags der Rede an. Longerichs Expertise und sprachliche Finesse ist laut Rezensent allerdings groß genug, um den Leser mitzunehmen und "manche Oberflächlichkeit" vergessen zu lassen. Ein leserfreundlicheres Layout hätte die Plausibilität des Ganzen noch erhöht, meint Schlott.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Ein beeindruckendes Buch. [...] Meisterhaft klärt Longerich über Hintergründe und Folgen einer Rede auf, die einen noch heute erschüttern muss.« Frankfurter Rundschau
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.06.2023Propagandistische Großaktion vor alten Parteigenossen
Einschwörung auf den totalen Krieg: Peter Longerich über Goebbels' Rede im Berliner Sportpalast im Februar 1943
Am 13. Februar 1943 berichtete Joseph Goebbels in seinem Tagebuch vom Inhalt eines abendlichen Treffens mit den NS-Funktionären Albert Speer und Robert Ley: "Wir besprechen fast ausschließlich das Thema des totalen Krieges. [...] Im übrigen sind uns dreien die Totalisierungsmaßnahmen in keiner Weise ausreichend. Es muß deshalb weiter gehetzt und angetrieben werden. Zu diesem Behuf berufe ich für nächsten Freitag eine neue Massenkundgebung im Sportpalast ein, die ich wieder mit richtigen alten Parteigenossen bestücken lassen will." Goebbels begann sofort mit der Arbeit an seiner Rede für diese nach seinen eigenen Worten "propagandistische Großaktion erster Klasse", deren erste Fassung er schon zwei Tage später zufrieden fertigstellte: "Ich glaube, daß sie sehr gut gelungen ist."
Die Ansprache, die Goebbels schließlich am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast hielt, ist berühmt und berüchtigt für die vom Propagandaminister der versammelten Menge gestellte Suggestivfrage: "Wollt ihr den totalen Krieg?" und der begeisterten Zustimmung im Saal, die er als Antwort erhielt. Der Historiker Peter Longerich hat der "Sportpalast-Rede" nun ein ganzes Buch gewidmet, das in drei Teilen ausführlich die Vor- und Nachgeschichte der Propagandaveranstaltung behandelt und die vollständige Rede mit einem Kommentar versehen wiedergibt.
Gut zwei Wochen vor seiner bis heute wohl bekanntesten Ansprache musste Goebbels in seiner Funktion als Propagandaminister die Kapitulation der 6. Armee der Wehrmacht in Stalingrad der deutschen Öffentlichkeit bekannt geben. Die Antwort auf diese Niederlage sollte nun aus seiner Sicht die Ausrufung eines totalen Krieges sein. Das Konzept einer auf allen Ebenen auf den Sieg ausgerichteten deutschen Gesellschaft schwebte Goebbels schon länger vor, er hatte Hitler jedoch mit seinen daraus resultierenden Vorschlägen einer Arbeitspflicht für alle deutschen Frauen, einem reichsweiten Betriebsverbot für Bars und Nachtclubs sowie einer Schließung mittelständischer Wirtschaftsunternehmen zugunsten einer Ressourcenkonzentration auf die Rüstungsindustrie nicht überzeugen können.
Am 18. Februar 1943 nun setzte der Propagandaminister auf seine bewährte Mischung aus Antisemitismus, Rassismus und Antibolschewismus zusammen mit Alarmismus ("dass Gefahr unmittelbar im Verzuge ist") und einer kruden Kriegslogik ("totaler Krieg = kürzester Krieg"), um die deutsche Öffentlichkeit zur Zustimmung zu bewegen. Die Veranstaltung war auch vor den Augen der Weltöffentlichkeit als öffentliches Plebiszit des deutschen Volkes zugunsten seiner Führung gedacht, stieß aber ausweislich der von Longerich zitierten zeitgenössischen Stimmungs- und Zeitungsberichte sowohl im In- wie im Ausland auf Skepsis. Denn die 15.000 Zuhörer im Sportpalast stellten keinesfalls einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung dar. Goebbels saß seiner eigenen Inszenierung auf, als er drei Tage später in seinem Tagebuch selbstzufrieden feststellte: Die Rede "beherrscht immer noch die Schlagzeilen der großen Blätter in allen Ländern der Erde. [...] Die Wirkung im Inland ist enorm."
Longerich ist ein produktiver und anerkannter Sachbuchautor, der seine Gegenstände mit Sinn für Sprache und Stil zu präsentieren weiß. 2010 legte er eine viel beachtete Goebbels-Biographie vor, die den Aufstieg des arbeitslosen promovierten Germanisten aus dem niederrheinischen Rheydt zum Chefpropagandisten des "Dritten Reiches" nachzeichnet. Erst im November letzten Jahres erschien "Außer Kontrolle", sein Buch zu 1923, das unter der Vielzahl der Jahrestagsbücher zum deutschen Krisenjahr mit der These von der "Stabilitätsillusion" herausragt (F.A.Z. vom 29. November 2022).
Das neue Buch scheint aber etwas mit der heißen Nadel gestrickt. Aus verlagspolitisch nachvollziehbaren Gründen sollte es wohl unbedingt zum Jahrestag der Sportpalastrede vorliegen, was knapp gelang. Allerdings um den Preis mancher Oberflächlichkeit. So hätte man sich die Kommentierung der Rede, deren wortgetreue und vollständige Wiedergabe auf gut achtzig Seiten den Hauptteil des Buches darstellt, an manchen Stellen ausführlicher und tiefgründiger gewünscht.
Warum etwa erwähnt Goebbels noch sehr am Anfang seiner zweistündigen Ausführungen, in der er sonst wenige konkrete Personen nennt, ausgerechnet den "englischen Lord Beaverbrook" und den "amerikanisch-jüdischen Journalisten Brown"? Es fehlen weiter gehende biographische Angaben zu beiden. Beaverbrook etwa, bürgerlich Max Aitken (1879-1964), war im Ersten Weltkrieg britischer Minister für Information und damit zuständig für die Propaganda gegen das Deutsche Reich, was im Zusammenhang mit der Goebbels-Rede nicht ganz unwichtig erscheint. Ebenso interessant wäre gewesen, mehr über die Umstände und das Ergebnis der Unterhaus-Nachwahl in einem englischen Wahlkreis zu erfahren, die Goebbels als Beleg dafür nimmt, dass es den Kommunisten (dem "Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent") gelungen sei, nun selbst im konservativen Großbritannien Fuß zu fassen. Beim recht unübersichtlichen, von zahlreichen Umbrüchen gestörten Nebeneinander von Goebbels' Redetext und Longerichs Kommentierung wäre verlagsseitig auch etwas mehr typographische Finesse und Kreativität im Layout zugunsten der Lesefreundlichkeit gefragt gewesen.
Aber das sind Beckmessereien angesichts einer gut geschriebenen Darstellung, welche die Rede in Geschichte und Verlauf des Zweiten Weltkrieges einbettet und sie auf plausible Weise als Vehikel zur politischen und persönlichen Profilierung von Goebbels im immerwährenden Ringen um die Gunst des Diktators im polykratischen NS-Machtapparat deutet. RENÉ SCHLOTT
Peter Longerich: "Die Sportpalast-Rede 1943". Goebbels und der 'totale Krieg'.
Siedler Verlag, München 2023. 208 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einschwörung auf den totalen Krieg: Peter Longerich über Goebbels' Rede im Berliner Sportpalast im Februar 1943
Am 13. Februar 1943 berichtete Joseph Goebbels in seinem Tagebuch vom Inhalt eines abendlichen Treffens mit den NS-Funktionären Albert Speer und Robert Ley: "Wir besprechen fast ausschließlich das Thema des totalen Krieges. [...] Im übrigen sind uns dreien die Totalisierungsmaßnahmen in keiner Weise ausreichend. Es muß deshalb weiter gehetzt und angetrieben werden. Zu diesem Behuf berufe ich für nächsten Freitag eine neue Massenkundgebung im Sportpalast ein, die ich wieder mit richtigen alten Parteigenossen bestücken lassen will." Goebbels begann sofort mit der Arbeit an seiner Rede für diese nach seinen eigenen Worten "propagandistische Großaktion erster Klasse", deren erste Fassung er schon zwei Tage später zufrieden fertigstellte: "Ich glaube, daß sie sehr gut gelungen ist."
Die Ansprache, die Goebbels schließlich am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast hielt, ist berühmt und berüchtigt für die vom Propagandaminister der versammelten Menge gestellte Suggestivfrage: "Wollt ihr den totalen Krieg?" und der begeisterten Zustimmung im Saal, die er als Antwort erhielt. Der Historiker Peter Longerich hat der "Sportpalast-Rede" nun ein ganzes Buch gewidmet, das in drei Teilen ausführlich die Vor- und Nachgeschichte der Propagandaveranstaltung behandelt und die vollständige Rede mit einem Kommentar versehen wiedergibt.
Gut zwei Wochen vor seiner bis heute wohl bekanntesten Ansprache musste Goebbels in seiner Funktion als Propagandaminister die Kapitulation der 6. Armee der Wehrmacht in Stalingrad der deutschen Öffentlichkeit bekannt geben. Die Antwort auf diese Niederlage sollte nun aus seiner Sicht die Ausrufung eines totalen Krieges sein. Das Konzept einer auf allen Ebenen auf den Sieg ausgerichteten deutschen Gesellschaft schwebte Goebbels schon länger vor, er hatte Hitler jedoch mit seinen daraus resultierenden Vorschlägen einer Arbeitspflicht für alle deutschen Frauen, einem reichsweiten Betriebsverbot für Bars und Nachtclubs sowie einer Schließung mittelständischer Wirtschaftsunternehmen zugunsten einer Ressourcenkonzentration auf die Rüstungsindustrie nicht überzeugen können.
Am 18. Februar 1943 nun setzte der Propagandaminister auf seine bewährte Mischung aus Antisemitismus, Rassismus und Antibolschewismus zusammen mit Alarmismus ("dass Gefahr unmittelbar im Verzuge ist") und einer kruden Kriegslogik ("totaler Krieg = kürzester Krieg"), um die deutsche Öffentlichkeit zur Zustimmung zu bewegen. Die Veranstaltung war auch vor den Augen der Weltöffentlichkeit als öffentliches Plebiszit des deutschen Volkes zugunsten seiner Führung gedacht, stieß aber ausweislich der von Longerich zitierten zeitgenössischen Stimmungs- und Zeitungsberichte sowohl im In- wie im Ausland auf Skepsis. Denn die 15.000 Zuhörer im Sportpalast stellten keinesfalls einen repräsentativen Querschnitt der deutschen Bevölkerung dar. Goebbels saß seiner eigenen Inszenierung auf, als er drei Tage später in seinem Tagebuch selbstzufrieden feststellte: Die Rede "beherrscht immer noch die Schlagzeilen der großen Blätter in allen Ländern der Erde. [...] Die Wirkung im Inland ist enorm."
Longerich ist ein produktiver und anerkannter Sachbuchautor, der seine Gegenstände mit Sinn für Sprache und Stil zu präsentieren weiß. 2010 legte er eine viel beachtete Goebbels-Biographie vor, die den Aufstieg des arbeitslosen promovierten Germanisten aus dem niederrheinischen Rheydt zum Chefpropagandisten des "Dritten Reiches" nachzeichnet. Erst im November letzten Jahres erschien "Außer Kontrolle", sein Buch zu 1923, das unter der Vielzahl der Jahrestagsbücher zum deutschen Krisenjahr mit der These von der "Stabilitätsillusion" herausragt (F.A.Z. vom 29. November 2022).
Das neue Buch scheint aber etwas mit der heißen Nadel gestrickt. Aus verlagspolitisch nachvollziehbaren Gründen sollte es wohl unbedingt zum Jahrestag der Sportpalastrede vorliegen, was knapp gelang. Allerdings um den Preis mancher Oberflächlichkeit. So hätte man sich die Kommentierung der Rede, deren wortgetreue und vollständige Wiedergabe auf gut achtzig Seiten den Hauptteil des Buches darstellt, an manchen Stellen ausführlicher und tiefgründiger gewünscht.
Warum etwa erwähnt Goebbels noch sehr am Anfang seiner zweistündigen Ausführungen, in der er sonst wenige konkrete Personen nennt, ausgerechnet den "englischen Lord Beaverbrook" und den "amerikanisch-jüdischen Journalisten Brown"? Es fehlen weiter gehende biographische Angaben zu beiden. Beaverbrook etwa, bürgerlich Max Aitken (1879-1964), war im Ersten Weltkrieg britischer Minister für Information und damit zuständig für die Propaganda gegen das Deutsche Reich, was im Zusammenhang mit der Goebbels-Rede nicht ganz unwichtig erscheint. Ebenso interessant wäre gewesen, mehr über die Umstände und das Ergebnis der Unterhaus-Nachwahl in einem englischen Wahlkreis zu erfahren, die Goebbels als Beleg dafür nimmt, dass es den Kommunisten (dem "Ansturm der Steppe gegen unseren ehrwürdigen Kontinent") gelungen sei, nun selbst im konservativen Großbritannien Fuß zu fassen. Beim recht unübersichtlichen, von zahlreichen Umbrüchen gestörten Nebeneinander von Goebbels' Redetext und Longerichs Kommentierung wäre verlagsseitig auch etwas mehr typographische Finesse und Kreativität im Layout zugunsten der Lesefreundlichkeit gefragt gewesen.
Aber das sind Beckmessereien angesichts einer gut geschriebenen Darstellung, welche die Rede in Geschichte und Verlauf des Zweiten Weltkrieges einbettet und sie auf plausible Weise als Vehikel zur politischen und persönlichen Profilierung von Goebbels im immerwährenden Ringen um die Gunst des Diktators im polykratischen NS-Machtapparat deutet. RENÉ SCHLOTT
Peter Longerich: "Die Sportpalast-Rede 1943". Goebbels und der 'totale Krieg'.
Siedler Verlag, München 2023. 208 S., geb., 24,- Euro.
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