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Über die DDR und über ihr Ministerium für Staatssicherheit ist viel geschrieben worden; Christian Bergmann geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung individueller Natur, sondern um ein übergreifendes Thema: Er arbeitet Charakteristika der Stasi-Sprache heraus, um zu zeigen, wie sich Geisteshaltung und Weltbild ihrer Benutzer manifestierten. »Sprache drückt immer auch etwas über den aus, der sie gebraucht.« An vielfältigen Beispielen wird dargestellt, wie Menschen zu Gegenständen herabgewürdigt werden und wie grammatische Verschiebung zugleich Enthumanisierung indiziert. Besonders auffällig…mehr

Produktbeschreibung
Über die DDR und über ihr Ministerium für Staatssicherheit ist viel geschrieben worden; Christian Bergmann geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung individueller Natur, sondern um ein übergreifendes Thema: Er arbeitet Charakteristika der Stasi-Sprache heraus, um zu zeigen, wie sich Geisteshaltung und Weltbild ihrer Benutzer manifestierten. »Sprache drückt immer auch etwas über den aus, der sie gebraucht.« An vielfältigen Beispielen wird dargestellt, wie Menschen zu Gegenständen herabgewürdigt werden und wie grammatische Verschiebung zugleich Enthumanisierung indiziert. Besonders auffällig zeigt sich dies, wenn Verben, die eigentlich eine Sache als Objekt fordern, plötzlich im Zusammenhang mit Menschen gebraucht werden, wenn etwa »zielgerichtet an einer negativen Person gearbeitet wird«. - Schon Dolf Sternberger, auf den sich der Autor ausdrücklich beruft, stellte fest, daß die offizielle Sprache totalitärer Staaten von derartigem Sprachgebrauch bestimmt wird.
Das die Analysen stützende sprachliche Material entstammt Täter- und Opferakten, Richtlinien und Durchführungsbestimmungen, Befehlen und Lageberichten sowie Dokumentationen des MfS der DDR.
Christian Bergmann gelingt es eindrucksvoll, sprachwissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden als Erklärungsmuster zu nutzen und dadurch gesellschaftliche Verhältnisse transparent zu machen.
Autorenporträt
Dr. phil. Christian Bergmann ist em. Professor für germanistische Linguistik der Technischen Universität Chemnitz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.08.1999

Wörterbücher zum Diktat
Verwaltete Welt: Der Amtsschimmel wiehert unter der Kandare

Ursprünglich wollte der Verfasser die Reden Erich Mielkes untersuchen, musste diesen Plan jedoch, wie das Vorwort mitteilt, nach Absprache mit der Gauck-Behörde aufgeben. Darüber hätte man gern Genaueres erfahren. Von der ursprünglichen Absicht muss es herrühren, dass dem Bändchen ein Foto des Ministers beigefügt ist; es schmückt auch den Einband. Einzelne Sätze in Vor- und Nachwort lesen sich so, als seien sie aus der geplanten Mielke-Monografie stehen geblieben. Untersucht werden dann aber doch nur anonyme Stasi-Akten, Dienstanweisungen, IM-Berichte. Die bürokratische Sprache der meisten Texte ist gerade nicht die Sprache Mielkes.

Bergmann will aus durchweg sehr kurzen Zitaten, die in großer Zahl angeführt werden, das "Menschen- und Weltbild" der Stasi erschließen. Das gelingt ihm auch bis zu einem gewissen Grade, allerdings nicht durch sprachwissenschaftliche Analyse, sondern einfach deshalb, weil der Inhalt der Texte deutlich genug ist. Das Problem ist, dass es gar nichts zu entlarven gibt. Anleitungen zum "Aufklären" (gemeint ist wohl Ausspionieren) und "Zersetzen" von aufrechten Bürgern durch einen totalitären Überwachungsapparat bedürfen keines moralisierenden Kommentars, sie verurteilen sich selbst. Bergmann will einen Beitrag zur Sprachkritik leisten. Aber was gibt es zu kritisieren, wo doch die Stasisprache ihren Zweck offenbar gut erfüllt hat? Die Stasi war, wie der Verfasser zugibt, vierzig Jahre lang erfolgreich tätig. Die vorgeführten Texte müssen wohl oder übel als Teil dieser Erfolgsgeschichte betrachtet werden. Kritisiert wird die Stasi, nicht ihre Sprache. Ein Geheimdienst ist keine karitative Einrichtung, das ist bekannt. Von welchem Standpunkt aus könnte man ihm das Recht streitig machen, seinen Texten eine zweckmäßige Gestalt zu geben?

Die Haltlosigkeit des Ansatzes führt zum wortreichen Leerlauf: "Aus kommunikationstheoretischer Sicht ist die Lüge eine Sprechhandlung. Diese ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass der Handelnde bemüht ist, sie zu verbergen. Das gilt auch für das Ministerium für Staatssicherheit." Das hätte man einfacher sagen können und vor allem ganz ohne die linguistischen Schnörkel, die den gesamten Text umranken und doch an keiner Stelle zur Einsicht beitragen: "Die Handlung des Anweisens kann auch ein spezielles Modalverb kennzeichnen; im Sprachgebrauch der Stasi erscheint hier ,müssen', das die Vorschrift am nachdrücklichsten zum Ausdruck bringt." Was ist daran bemerkenswert? Überall auf der Welt werden Vorschriften durch "müssen" ausgedrückt. "Durch die verhüllende Ausdrucksweise wird eine nebulöse Darstellung erreicht, die das Geschehen verschleiert." Das ist dreimal dasselbe.

Bergmann verfährt nach jener Methode, die bereits zur Entlarvung der Sprache des "Unmenschen" herhalten musste: Man stellt der bürokratischen Verwendung eines Wortes dessen traditionelle Wörterbuchbedeutung gegenüber und "beweist" damit, wie sehr die Sprache heruntergekommen ist. Schon die erste Kapitelüberschrift deutet an, dass der Stasigebrauch von "Aufklärung" nichts mehr mit den hehren Zielen jener Aufklärung zu tun hatte, nach der ein ganzes Zeitalter benannt wurde und auf die man sich nach Bergmann dringend besinnen müsste.

Die Entpersönlichung der Sprache durch den "inhumanen Akkusativ", wie Leo Weisgerber es nannte, wird ausgiebig beklagt. Bergmann weiß, dass diese Lehre äußerst umstritten und die Vorliebe für transitive Verben ein Merkmal aller Bürokratien ist. Das führt ihn jedoch nicht zu einer selbstkritischeren Argumentationsweise. So verzichtet er bewusst darauf, zum Vergleich etwa die bürokratische Sprache einer humanitären Betreuungs -Organisation zu untersuchen, und fällt damit noch hinter die jahrzehntealten Einsichten in die Ubiquität der "Sprache der verwalteten Welt" (Karl Korn) zurück.

Im Nachwort nimmt der Verfasser den wichtigsten Einwand gegen seine Methode vorweg, ohne ihn jedoch entschärfen zu können: Da er keine vergleichende Untersuchung geschrieben hat, bleibt es zweifelhaft, ob der Gegenstand seines Interesses überhaupt existiert. Ergiebiger wäre es zweifellos, den Spuren der SED-Sprache nachzugehen, die sich in scheinbar harmloseren Textsorten, zum Beispiel im "Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache", deutlicher zeigt. Die lügenhafte Voraussetzung der Interessenidentität zwischen Herrschenden und Beherrschten hat Sprachgebrauch auf wahrhaft orwellsche Weise nachhaltig korrumpiert; demgegenüber wirken die Stasitexte grundehrlich.

THEODOR ICKLER

Christian Bergmann: "Die Sprache der Stasi. Ein Beitrag zur Sprachkritik". Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999. 133 S., brosch., 19,80 DM.

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