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Produktdetails
  • Verlag: Mare Verlag
  • ISBN-13: 9783866481145
  • ISBN-10: 3866481144
  • Artikelnr.: 26386206
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.10.2009

Der die Segel bläht und die Fahnen klirren lässt
Scott Huler erzählt, wie der britische Admiral Francis Beaufort den Wind in einer Skala einfing, die so genau wie poetisch ist
Im Märchen beklagt sich ein Bauer so lange über die Unbilden des Wetters, die seine Ernten vermeintlich ruinieren, bis ihm von himmlischer Seite erlaubt wird, ein Jahr selbst das Wetter bestimmen zu können. Das Bäuerchen macht alles richtig in der Verteilung von Sonne, Regen, Schnee, Kälte und Wärme, und die Felder tragen reiche Frucht. Doch dann entdeckt er, dass die Ähren leer sind, denn er hat Entscheidendes vergessen – den Wind.
Wind an sich kann man nicht sehen, wohl aber kann man ihn hören, wenn er durch Ritzen pfeift oder die Luft mit Brausen erfüllt. Und man kann ihn natürlich spüren vom zartesten Hauch bis zur umwerfenden Sturmböe. Es liegt nahe, das wehende, stürmende Phänomen, das sich bis zu den alles verheerenden Orkanen, Hurricanes, Taifunen und Tornados steigern kann, zu erforschen.
Der amerikanische Journalist und Autor Scott Huler, Jahrgang 1969, hat sich in seinem so sorgfältig ausgearbeiteten wie unterhaltsam leichtfüßigen, so neugierigen wie animierenden, kurz: hinreißenden Buch „Die Sprache des Windes” auf die Spuren nicht nur derer begeben, die seit Homers Tagen den Wind und seine Entstehung, seine Ab- und Anwesenheit in allen Facetten verstehen und erklären wollen. Huler ist selbst, pathetisch gesagt, ins Wesen des Windes eingedrungen, als er sich etwa auf einem Segelschiff den Kopf durchblasen ließ oder die aus Holland stammende, nun in Michigan stehende Windmühle „De Zwaan” besuchte. Oder er stieg auf Bibliotheksexpeditionen in jene Köpfe ein, die Jahrhunderte hindurch den Wind messen, beschreiben, also einfangen und verständlich machen wollten.
Es dauerte eine Weile, bis man von Aristoteles’ irriger Vorstellung, der Wind sei eine Ausdünstung der Erde, so weit gekommen war, den Ursprung unter anderem an der Grenze von warmen zu kalten Luftmassen zu suchen. Die Astronomen Tycho Brahe und Anders Celsius waren mit die ersten, die das Skalenprinzip auf Windphänomene anwandten. Der Bauingenieur John Smeaton gewann schließlich aus seinen Beobachtungen an und Experimenten mit Windmühlen eine Tabelle, die in vielem der heute gebräuchlichen nahe kommt.
Doch Hulers Hauptheld ist der 1774 in Irland geborene und 1857 in England gestorbene Admiral Francis Beaufort, der jene Skala der Windstärken von 0 bis 12 erstellte und ausformulierte, die seit 1838 weltweit angewandt wird, um die Stufen des Windes von der Windstille bis zum Orkan zu klassifizieren. Hulers Recherche wurde nicht durch einen Sturm ausgelöst, sondern seine Neugier entzündet sich an der Begeisterung über Beauforts so einfache wie präzise Beschreibungen der einzelnen Windstärken. Und er erzählt im unwiderstehlich lockenden Ton großer Abenteuerromane von der ersten Begegnung mit der Wind-Skala.
„Es war ungefähr 1983. Ich arbeitete in einem kleinen technischen Verlag in der Nähe von Philadelphia, wo ich damals wohnte. (...) Ich stieß zum ersten Mal auf die Beaufort-Skala, als ich in jenem Büro etwas nachschlug. (...) Sie war in einer kleinen Tabelle abgedruckt. In der linken Spalte waren die Windstärken von 0 bis 12 angegeben. Die mittlere Spalte enthielt die Bezeichnungen und Geschwindigkeiten für jede Windkategorie. Rechts schließlich wurden die Wirkungen jeder Windstufe genannt. Eine Windstärke von weniger als 1km/h entspricht Beaufort 0 beziehungsweise „Windstille”: „Rauch steigt gerade empor”. Bei Beaufort-Stärke 1, „leiser Zug”, mit einer Geschwindigkeit von 1 bis 5 km/h, wird die Windrichtung „nur durch Zug des Rauches angezeigt, aber nicht durch Windfahne”.
Es ist diese Knappheit, die dennoch genug sinnliche Anschaulichkeit liefert, um Beauforts Beschreibungen sofort nachvollziehen zu können. „Die Beaufort-Skala, die mit ganzen 110 Wörtern den Wind beschreibt, erreicht die höchste Ebene der Klarheit nicht bloß, sondern übersteigt sie noch und wird zu reiner Poesie.”
Getragen von dieser Bewunderung beginnt Huler mit seinen Erkundungen, wie Francis Beaufort zu seiner Skala, dieser „Quintessenz sprachlicher Ökonomie”, kam. Huler fährt nicht nur manche Tour, die Beaufort einst unternahm, nach, er beschreibt nicht nur das Leben dieses großartigen Hydrographen, Kartenzeichners und Universalforschers, sondern in einer nicht anders als glücklich zu nennenden Technik des erzählerischen Mäanderns gelingt es dem Autor, ein tiefgestaffeltes Tableau jener Naturwissenschaften und ihrer Protagonisten im 18. und 19. Jahrhundert zu entwerfen, die von der Sinnlichkeit des Experimentierens und dem Abenteuer des Selbsterlebten und Selbstgefundenen geprägt waren. Dabei kann Huler sich einerseits in der Verfolgung bestimmter Details wie der Takelage von Segelschiffen oder der Frage richtigen Kartenzeichnens verlieren und andererseits sich aus der kleinteiligen Gründlichkeit wieder zu wunderbar klar zusammenfassenden Überblicken erheben.
Den Forscher Beaufort selbst, der durchaus dunkle, triebhafte Seiten hatte – er unterhielt zeitweilig eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester – beschreibt Huler dabei als Zentrum eines weitreichenden Netzwerks, in das nahezu alle wissenschaftlichen Errungenschaften und Erkenntnisse nicht nur jener Zeit eingeholt wurden. So war es Beaufort, der für die Expedition der Beagle einen jungen Mann namens Charles Darwin als Naturforscher empfahl.
Huler bringt sich selber als Protagonisten seines Buches auf selbverständliche Weise ein, wenn er von seinem kühlen Kapitän Robert Vos berichtet, der die Skala kaum braucht – „ich schaue mich um” –, weil er aus der Beobachtung von Wellen, Vögeln und der Segel seines Schiffes die Windstärke erschließt. Oder er macht uns mit dem unerschöpflich wissenden, selbstironischen Archivar der British Library, Andrew Cook, bekannt: „Ich verfüge tatsächlich über ein Maß an nutzloser Information, das, wie ich ehrlich glaube, nur wenige Menschen anstreben.” Kurz und gut: Dieses Buch, ausgezeichnet übersetzt von Harald Stadler, ist ein Schatz. HARALD EGGEBRECHT
SCOTT HULER: Die Sprache des Windes. Wie ein Admiral aus dem 19. Jahrhundert Wissenschaft in Poesie verwandelte. Übersetzt von Harald Stadler. Mare-Verlag Hamburg 2009. 318 Seiten, 23 Euro.
Schiff im Sturm, gemalt von J. W. Carmichael (1800 - 1868) – und Francis Beaufort im Jahr 1838 Fotos: Sotheby’s/AKG, National Portrait Gallery / Mare-Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ein Buch wie ein Schatz hat Rezensent Harald Eggebrecht da gelesen, ach was, verschlungen. Dem Wind auf der Spur folgt er dem Autor in seiner "Begeisterung für Beauforts", die unter anderem eine Lebensbeschreibung Francis Beauforts zur Folge hat und durch "mäanderndes Erzählen", worin Scott Huler offenbar ein Meister ist, neben Selbsterlebtem (auf dem Segelschiff oder in Bibliotheken) auch ein Panorama der Naturwissenschaften und ihrer Vertreter im 18. und 19. Jahrhundert. Das alles serviert Huler dem Rezensenten detailreich und klar und zugleich unterhaltsam, leicht und in der Art großer Abenteuerromane. Und die Übersetzung von Harald Stadler findet Eggebrecht auch klasse.

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