Die Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer beschreibt in diesem abwechslungsreichen und unterhaltsamen Buch tierische Kommunikationsformen. Sie wechselt dabei von wissenschaftlichen Anekdoten zu deren Analyse und von persönlichen Erlebnissen zu philosophischen Reflexionen über Sprache und ihre Funktionen. Die lautlichen Äußerungen von Hunden, Delfinen oder Elefanten beschreibt sie ebenso wie die erstaunlichsten systemischen und körperlichen Kommunikationsformen bei Ameisen oder Bienen. Es geht ihr neben der Entdeckung einer bis heute fast unerforschten Welt auch um die Möglichkeiten der Verständigung von Mensch und Tier. Ihre überraschenden Entdeckungen und Einsichten münden jedoch letztlich in der Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, die schwache politische Position der Tiere zu überdenken. Denn wer Sprache hat, ist ein Mensch und damit ein ethisches Subjekt, so jedenfalls eine jahrhundertealte philosophische Überzeugung, mit der man bislang den Menschen über das Tier erheben wollte. Eva Meijer leistet mit diesem glänzenden Buch einen Beitrag zu einer längst überfälligen Debatte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.06.2018Tintenfische denken mit den Armen
Und Eidechsen haben auch eine Grammatik: Eva Meijer glaubt, die Sprachen der Tiere entschlüsselt zu haben.
Seit der Antike wird die Frage nach dem Geist der Tiere gestellt. Auf eine befriedigende Antwort warten wir bis heute, denn mittlerweile haben sich so verschiedene Disziplinen wie Linguistik, Verhaltensforschung und Evolutionsbiologie in dieser Angelegenheit für auskunftsfähig erklärt. Das Ergebnis des fachlichen Spektrums ist ein immer komplizierteres Repertoire an Begriffen und Kategorien. Wer als Wissenschaftler Tiere untersucht und Geist sagt, der muss inzwischen auch Wahrnehmung und Denken, Empfindung und Bewusstsein sagen. Und Sprache. Sie gilt, je nach Perspektive, als Anzeichen oder Voraussetzung geistigen Vermögens.
Die 1980 geborene holländische Philosophin Eva Meijer hat mit "Die Sprachen der Tiere" ein Buch vorgelegt, dessen Titel Teil der Botschaft ist: Ob Schwarzkopfmeise, Gorilla oder Border Collie, sie alle sprechen. Um ihre These zu untermauern, stützt sich Meijer auf eine gut kuratierte Liste von Studien und Sachbüchern. Schnell entsteht der Eindruck, dass Tiere nicht nur redselig, sondern regelrecht eloquent sind. Delphine geben sich Namen, Tintenfische "denken mit ihren Armen", Fledermäuse singen Lieder, deren Aufbau an menschliche Sätze erinnert. Manche Tiere haben es aufgrund ihres Sprachvermögens sogar jenseits der Fachwelt zu einer gewissen Popularität gebracht: Alex, ein von der Kognitionsforscherin Irene Pepperberg trainierter Graupapagei, konnte Wünsche äußern sowie Mengen und Farben unterscheiden. Selbst die Bedeutung der für Kleinkinder nur schwer fassbaren Zahl Null hatte Alex begriffen.
Präriehunde verblüffen als wahrhafte Pedanten, sobald sie ihre Feinde charakterisieren. Mit ihren Alarmrufen geben sie an, ob sich ein Raubtier aus der Luft oder am Boden nähert. Sie teilen den Artgenossen aber auch mit, wenn ein Mensch ihr Revier betritt. Dann folgen die Einzelheiten: Größe, Farbe der Kleidung, mitgeführte Accessoires. Stellt ein Präriehund die Reihenfolge der Teile seines Rufs um, verändert sich die Information. Darin sieht Meijer eine einfache Grammatik, in der Verben, Hauptwörter und Adjektive auftauchen. Vergleichbare Sprachstrukturen entdeckt die Autorin in der ganzen Fauna.
Buckelwale "nutzen eine Syntax, um Lieder zu formen", ihre Klänge verfügten "über eine Grammatik". Auch der Bienentanz sei eine Sprache mit systematischem Reglement. Eidechsen verständigen sich untereinander, indem sie mehr als sechstausend verschiedene Körperhaltungen einnehmen - das "deutet auf eine Grammatik hin". Dann jedoch lesen wir, die vorgebrachten Beispiele könnten "keine erschöpfende Antwort auf die Frage geben, ob Tiersprachen über eine Grammatik verfügen und wie diese mit der Grammatik der Menschensprache zu vergleichen wäre". Insofern führt Eva Meijer anschaulich vor, wie man mit unserer Sprache Unklarheiten erzeugt. Ob Tiere das ebenfalls können, darüber lässt sie sich nicht aus.
Wiederholt heißt es, wir wüssten zu wenig über die Kommunikation von Tieren. Trotzdem zieht Meijer unbeirrt Schlüsse, die angesichts der eingestandenen Wissenslücken wie Spekulation anmuten. Insgesamt geht es ihr kaum darum, zu klären, was eigentlich genau gemeint ist, wenn man sagt: "Tiere sprechen." Vielmehr sammelt sie Forschungsbefunde, die sie mit Wittgenstein, Heidegger und Maurice Merleau-Ponty philosophisch in Form bringt. Aufschlussreicher wäre es gewesen, von bestimmten Kommunikationsstrategien ausgehend und mit kritischer Distanz dem Geist der Tiere nachzuspüren. Dies war der Ansatz von Donald Griffin, dem Begründer der sogenannten kognitiven Ethologie, einer Fachrichtung zwischen Verhaltensforschung und Kognitionswissenschaft. Ein solches Vorgehen hätte auch eine feine Unterscheidung zwischen nichtsprachlicher Kommunikation und tatsächlicher Sprache ermöglicht. "In Konflikten machen wir intensiven Gebrauch von Sprache", weiß Meijer, "das ist bei anderen Tieren ähnlich." Beispiel: Meerschweinchen klappern in Krisensituationen mit den Zähnen. Soll das Sprache sein? Es regen sich Zweifel. Und so führt die folgende Einsicht den Buchtitel ad absurdum: "Die Forschung steckt noch im Anfangsstadium, mit Sicherheit kann man lediglich sagen: Tiere kommunizieren."
Dass Meijer schreibt, männliche Tiere wollten ihre "Geliebte" anlocken oder der "Angebeteten" imponieren, ist dagegen akzeptabel, weil sie zugleich reflektiert, warum es manchmal sinnvoll sein kann, Tiere zu vermenschlichen. So lässt sich das Verhalten von Tieren besser befragen und anschließend nuanciert einordnen. Mehr Nuancen hätte man sich vor allem am Ende des Buchs gewünscht. Die Resultate der Wissenschaft inspirieren Meijer nämlich zu einer weitreichenden Forderung, die sie auf knapp zehn Seiten abwickelt - Tiere sollen ein politisches Mitspracherecht erhalten. Hier argumentiert sie im Sinne von Sue Donaldson und Will Kymlicka, die in ihrem Buch "Zoopolis" (2011) über Bürgerrechte für Tiere nachdenken. Tierethische Debatten sind auf komplex entfaltete Argumente angewiesen. Peter Singers utilitaristischer, an Aspekten der Nützlichkeit orientierter Ansatz wäre genauso zu berücksichtigen wie Tom Regans an moralischen Rechten ausgerichtete Position. Die Relevanz von Tugendethik und Vertragstheorie bedürfte einer ebenso gründlichen Prüfung wie etwa Clare Palmers Idee, den Umgang mit Tieren vom jeweiligen Kontext abhängig zu machen.
Stattdessen dies: "Nach heutigen Maßstäben wäre es für die meisten Tiere wohl wirklich schwer, Wahlkampf zu führen und an Parlamentsdebatten teilzunehmen. Das heißt aber nicht, dass ihre Teilhabe unmöglich oder nicht erwünscht ist." Nur nach heutigen Maßstäben? Nur für die meisten Tiere? Nur wirklich schwer? Wer an aktuellen und faszinierenden Erkenntnissen über Kommunikationsformen von Tieren interessiert ist, der greife zu diesem Buch. Wer sich eine davon ausgehende Reflexion über Sprache, Tierethik und deren Verhältnis zueinander wünscht, lasse die Finger davon.
KAI SPANKE.
Eva Meijer: "Die Sprachen der Tiere".
Aus dem Niederländischen von Christian Welzbacher. Illustrationen von Pauline Altmann. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018. 176 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und Eidechsen haben auch eine Grammatik: Eva Meijer glaubt, die Sprachen der Tiere entschlüsselt zu haben.
Seit der Antike wird die Frage nach dem Geist der Tiere gestellt. Auf eine befriedigende Antwort warten wir bis heute, denn mittlerweile haben sich so verschiedene Disziplinen wie Linguistik, Verhaltensforschung und Evolutionsbiologie in dieser Angelegenheit für auskunftsfähig erklärt. Das Ergebnis des fachlichen Spektrums ist ein immer komplizierteres Repertoire an Begriffen und Kategorien. Wer als Wissenschaftler Tiere untersucht und Geist sagt, der muss inzwischen auch Wahrnehmung und Denken, Empfindung und Bewusstsein sagen. Und Sprache. Sie gilt, je nach Perspektive, als Anzeichen oder Voraussetzung geistigen Vermögens.
Die 1980 geborene holländische Philosophin Eva Meijer hat mit "Die Sprachen der Tiere" ein Buch vorgelegt, dessen Titel Teil der Botschaft ist: Ob Schwarzkopfmeise, Gorilla oder Border Collie, sie alle sprechen. Um ihre These zu untermauern, stützt sich Meijer auf eine gut kuratierte Liste von Studien und Sachbüchern. Schnell entsteht der Eindruck, dass Tiere nicht nur redselig, sondern regelrecht eloquent sind. Delphine geben sich Namen, Tintenfische "denken mit ihren Armen", Fledermäuse singen Lieder, deren Aufbau an menschliche Sätze erinnert. Manche Tiere haben es aufgrund ihres Sprachvermögens sogar jenseits der Fachwelt zu einer gewissen Popularität gebracht: Alex, ein von der Kognitionsforscherin Irene Pepperberg trainierter Graupapagei, konnte Wünsche äußern sowie Mengen und Farben unterscheiden. Selbst die Bedeutung der für Kleinkinder nur schwer fassbaren Zahl Null hatte Alex begriffen.
Präriehunde verblüffen als wahrhafte Pedanten, sobald sie ihre Feinde charakterisieren. Mit ihren Alarmrufen geben sie an, ob sich ein Raubtier aus der Luft oder am Boden nähert. Sie teilen den Artgenossen aber auch mit, wenn ein Mensch ihr Revier betritt. Dann folgen die Einzelheiten: Größe, Farbe der Kleidung, mitgeführte Accessoires. Stellt ein Präriehund die Reihenfolge der Teile seines Rufs um, verändert sich die Information. Darin sieht Meijer eine einfache Grammatik, in der Verben, Hauptwörter und Adjektive auftauchen. Vergleichbare Sprachstrukturen entdeckt die Autorin in der ganzen Fauna.
Buckelwale "nutzen eine Syntax, um Lieder zu formen", ihre Klänge verfügten "über eine Grammatik". Auch der Bienentanz sei eine Sprache mit systematischem Reglement. Eidechsen verständigen sich untereinander, indem sie mehr als sechstausend verschiedene Körperhaltungen einnehmen - das "deutet auf eine Grammatik hin". Dann jedoch lesen wir, die vorgebrachten Beispiele könnten "keine erschöpfende Antwort auf die Frage geben, ob Tiersprachen über eine Grammatik verfügen und wie diese mit der Grammatik der Menschensprache zu vergleichen wäre". Insofern führt Eva Meijer anschaulich vor, wie man mit unserer Sprache Unklarheiten erzeugt. Ob Tiere das ebenfalls können, darüber lässt sie sich nicht aus.
Wiederholt heißt es, wir wüssten zu wenig über die Kommunikation von Tieren. Trotzdem zieht Meijer unbeirrt Schlüsse, die angesichts der eingestandenen Wissenslücken wie Spekulation anmuten. Insgesamt geht es ihr kaum darum, zu klären, was eigentlich genau gemeint ist, wenn man sagt: "Tiere sprechen." Vielmehr sammelt sie Forschungsbefunde, die sie mit Wittgenstein, Heidegger und Maurice Merleau-Ponty philosophisch in Form bringt. Aufschlussreicher wäre es gewesen, von bestimmten Kommunikationsstrategien ausgehend und mit kritischer Distanz dem Geist der Tiere nachzuspüren. Dies war der Ansatz von Donald Griffin, dem Begründer der sogenannten kognitiven Ethologie, einer Fachrichtung zwischen Verhaltensforschung und Kognitionswissenschaft. Ein solches Vorgehen hätte auch eine feine Unterscheidung zwischen nichtsprachlicher Kommunikation und tatsächlicher Sprache ermöglicht. "In Konflikten machen wir intensiven Gebrauch von Sprache", weiß Meijer, "das ist bei anderen Tieren ähnlich." Beispiel: Meerschweinchen klappern in Krisensituationen mit den Zähnen. Soll das Sprache sein? Es regen sich Zweifel. Und so führt die folgende Einsicht den Buchtitel ad absurdum: "Die Forschung steckt noch im Anfangsstadium, mit Sicherheit kann man lediglich sagen: Tiere kommunizieren."
Dass Meijer schreibt, männliche Tiere wollten ihre "Geliebte" anlocken oder der "Angebeteten" imponieren, ist dagegen akzeptabel, weil sie zugleich reflektiert, warum es manchmal sinnvoll sein kann, Tiere zu vermenschlichen. So lässt sich das Verhalten von Tieren besser befragen und anschließend nuanciert einordnen. Mehr Nuancen hätte man sich vor allem am Ende des Buchs gewünscht. Die Resultate der Wissenschaft inspirieren Meijer nämlich zu einer weitreichenden Forderung, die sie auf knapp zehn Seiten abwickelt - Tiere sollen ein politisches Mitspracherecht erhalten. Hier argumentiert sie im Sinne von Sue Donaldson und Will Kymlicka, die in ihrem Buch "Zoopolis" (2011) über Bürgerrechte für Tiere nachdenken. Tierethische Debatten sind auf komplex entfaltete Argumente angewiesen. Peter Singers utilitaristischer, an Aspekten der Nützlichkeit orientierter Ansatz wäre genauso zu berücksichtigen wie Tom Regans an moralischen Rechten ausgerichtete Position. Die Relevanz von Tugendethik und Vertragstheorie bedürfte einer ebenso gründlichen Prüfung wie etwa Clare Palmers Idee, den Umgang mit Tieren vom jeweiligen Kontext abhängig zu machen.
Stattdessen dies: "Nach heutigen Maßstäben wäre es für die meisten Tiere wohl wirklich schwer, Wahlkampf zu führen und an Parlamentsdebatten teilzunehmen. Das heißt aber nicht, dass ihre Teilhabe unmöglich oder nicht erwünscht ist." Nur nach heutigen Maßstäben? Nur für die meisten Tiere? Nur wirklich schwer? Wer an aktuellen und faszinierenden Erkenntnissen über Kommunikationsformen von Tieren interessiert ist, der greife zu diesem Buch. Wer sich eine davon ausgehende Reflexion über Sprache, Tierethik und deren Verhältnis zueinander wünscht, lasse die Finger davon.
KAI SPANKE.
Eva Meijer: "Die Sprachen der Tiere".
Aus dem Niederländischen von Christian Welzbacher. Illustrationen von Pauline Altmann. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2018. 176 S., geb., 28,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Kai Spanke hätte sich mehr erwartet von diesem Buch der Philosophin Eva Meijer. Wer etwas über die Kommunikationsformen von Buckelwalen, Eidechsen oder Gorillas erfahren möchte, wird hier zwar fündig, meint er, eine weitergehende Reflexion über die Sprache der Tiere und Tierethik darf der Leser aber nicht erwarten. Wissenslücken in ihrer philosophisch angereicherten Sammlung von Forschungsbefunden überspielt die Autorin mit Spekulation, statt mit kritischer Distanz dem Geist der Tiere nachzuspüren, kritisiert Spanke.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das ist das Grandiose an Meijers Buch: Sie drückt den Tieren nicht die Vorstellung einer überlegenen menschlichen Sprache auf, wie das vor allem in der philosophischen Tradition üblich war, sondern geht den umgekehrten Weg. Indem sie Sprachtheorien von de Saussure bis Chomsky diskutiert, entwickelt sie eine Idee von Sprache, die den Menschen wie den Tieren gleichermaßen gerecht zu werden versucht.« - Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung Nico Bleutge SZ - Süddeutsche Zeitung Magazin 20180713