Band IV des von der Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik des DAI herausgegebenen Handbuchs der Staatsverträge des Altertums bietet eine vollständige Sammlung der griechischen und lateinischen Originalquellen zu allen überlieferten Staatsverträgen des 2. und 1. Jh. v. Chr. Sämtliche literarischen bzw. epigraphischen Texte werden außerdem in neuen deutschen Übersetzungen geboten, die dem Nutzer den unmittelbaren Zugang zu den antiken Quellen erleichtern sollen. Die Verträge sind darüber hinaus jeweils mit erläuternden Sachkommentaren versehen. Namen-, Sach- und Wortregister ermöglichen die direkte Erschließung der historischen Inhalte. Damit bietet der Band ein wichtiges Instrument für die künftige Bearbeitung der Geschichte der zwischenstaatlichen Beziehungen in einer der bedeutendsten Epochen des Altertums, in welcher Rom zur bestimmenden Macht des Mittelmeerraumes aufstieg.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.2020Mümmeln in München
Uralte Staatsverträge
Wo macht ein Gelehrter seinem Ärger über ein nicht erschienenes Buch Luft? Am besten in der Rezension eines existierenden. Als der Berliner Althistoriker Werner Dahlheim 1997 in der "Historischen Zeitschrift" den Altertum und Mittelalter umfassenden Band der "Fontes Historiae Iuris Gentium" rühmte, die Wilhelm Grewe als Ergänzung seiner "Epochen der Völkerrechtsgeschichte" herausgegeben hatte, zielte er auf eine Leerstelle: Nicht jeder große Plan halte, was er verspreche; in diesem Sinn "mümmelt die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik mit Sitz in München seit Menschengedenken an einer Sammlung der Staatsverträge des Altertums". Nach vierzig Jahren guter Vorsätze waren nur zwei Bände erschienen, die "mit Müh und Not das Jahr 200 v. Chr. erreichen".
Die Anspielung auf den "Erlkönig" zeigt, welches finale Schicksal der Rezensent dem Münchner Kind prophezeite. Gewiss, Grewes Edition sei durch Kompromisse beschränkt, und Forscher müssten anderes hinzuziehen. Doch das Wichtigste von den Hethitern bis in die Zeit des Columbus übersichtlich in einem Band zu finden sei nicht zu verachten - wer partout mehr wolle, riskiere, "wissenschaftlich hehre Konzepte, aber leere Seiten" vorzufinden. Das saß.
Die attackierte Forschungsstelle war 1951 unter dem Dach des Deutschen Archäologischen Instituts gegründet worden, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu unterstützen, Publikationen zu fördern und der Inschriftenkunde ein Bein jenseits der Akademieunternehmen zu verschaffen. Das Programm stellte sich im Geiste des Mitbegründers Hermann Bengtson betont positivistisch vor; nach den Sinngebungsorgien auch unter Althistorikern zwischen 1920 und 1945 sollte solide, ideologiefreie Grundlagenforschung den Ruf der Zunft wiederherstellen. Mit Alexander Schenk Graf von Stauffenberg amtierte ein erwiesener Gegner des Nationalsozialismus als erster Vorsitzender - dass in der Person von Helmut Berve ein mit dem Regime engstens verbundener Aktivist sein Nachnachfolger werden sollte, ist eine andere Geschichte.
Die "Staatsverträge" sollten auch den Alten Orient einschließen, was mit Blick auf Berve eine hübsche Pointe ist, hatte dieser doch in den dreißiger Jahren die universalhistorische Konzeption eines solchen Altertums mit der Begründung verworfen, Deutsche könnten "fremdrassige, uns wesensfremde Völker" schlicht nicht verstehen. Allerdings muss Berve auch gut vierzig Jahre nach seinem Tod nicht im Grabe rotieren: Der geplante Band eins ist nie erschienen. Das dürfte auch so bleiben, solange sich kein versierter Altorientalist bereitfindet, seine Arbeitskraft in den Dienst eines konzeptionell sieben Jahrzehnte alten Unternehmens zu stellen.
Warum nach den beiden 1962 und 1969 publizierten Bänden der "Staatsverträge" nichts mehr kam, darüber kursieren Erzählungen von verlorenen Manuskripten, geschrotteten Dateien oder Datenträgern, die digitalen Systemwechseln zum Opfer fielen. Offensichtlich wurden Verpflichtungen als eher unverbindlich betrachtet, und vielleicht erschien auch manchem das völkerrechtliche Dokument als nicht mehr so zentral oder hilfreich, wenn es darum ging, zwischenstaatliche Beziehungen ganz anders, nämlich imperialismustheoretisch oder politikwissenschaftlich zu untersuchen. Ob das Fehlen der kommentierten Grundlagenedition die Forschung behindert hat, ist kaum zu sagen, es ist jedoch wohl eher unwahrscheinlich.
Totgesagte feiern bisweilen Auferstehung, Materialität vermittelt Botschaften. Beides belegt der eben bei C. H. Beck erschienene, von R. Malcolm Errington bearbeitete vierte Band der "Staatsverträge", der die Verträge der griechisch-römischen Welt von etwa 200 vor Christus bis zum Beginn der Kaiserzeit enthält. Fast so dick wie die beiden alten Teile zusammen, erscheint er äußerlich in der gleichen Gestalt: blaues Leinen, hellgrauer Schutzumschlag, blassgelber Kopfschnitt. Die Verspätung wird im Vorwort weder begründet noch entschuldigt; lapidar erläutert der 1939 geborene Bearbeiter nur, worin sich der Band "von seinen vor ca. 50 Jahren erschienenen Vorgängern unterscheidet". Die wichtigste Änderung, die Beigabe von Übersetzungen, wird immerhin nicht mit einer Jeremiade über geschwundene altsprachliche Kompetenzen gerahmt; vielmehr sollen die eigens angefertigten Verdeutschungen die Kommentierung von einer Inhaltsangabe entlasten. Wissenschaftlich ist das Erscheinen des Bandes willkommen, kann mit ihm doch das imperiale Hineinwachsen der Römer in die späthellenistische Staatenwelt auf der Ebene des Vertragsrechts leichter studiert werden.
Das Erstaunliche der Publikation tritt zutage, wenn man die Erscheinungsdaten der beiden noch ausstehenden Teile zu Kaiserzeit und Spätantike extrapoliert: Sie müssten 2071 und 2078 vorliegen.
UWE WALTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Uralte Staatsverträge
Wo macht ein Gelehrter seinem Ärger über ein nicht erschienenes Buch Luft? Am besten in der Rezension eines existierenden. Als der Berliner Althistoriker Werner Dahlheim 1997 in der "Historischen Zeitschrift" den Altertum und Mittelalter umfassenden Band der "Fontes Historiae Iuris Gentium" rühmte, die Wilhelm Grewe als Ergänzung seiner "Epochen der Völkerrechtsgeschichte" herausgegeben hatte, zielte er auf eine Leerstelle: Nicht jeder große Plan halte, was er verspreche; in diesem Sinn "mümmelt die Kommission für Alte Geschichte und Epigraphik mit Sitz in München seit Menschengedenken an einer Sammlung der Staatsverträge des Altertums". Nach vierzig Jahren guter Vorsätze waren nur zwei Bände erschienen, die "mit Müh und Not das Jahr 200 v. Chr. erreichen".
Die Anspielung auf den "Erlkönig" zeigt, welches finale Schicksal der Rezensent dem Münchner Kind prophezeite. Gewiss, Grewes Edition sei durch Kompromisse beschränkt, und Forscher müssten anderes hinzuziehen. Doch das Wichtigste von den Hethitern bis in die Zeit des Columbus übersichtlich in einem Band zu finden sei nicht zu verachten - wer partout mehr wolle, riskiere, "wissenschaftlich hehre Konzepte, aber leere Seiten" vorzufinden. Das saß.
Die attackierte Forschungsstelle war 1951 unter dem Dach des Deutschen Archäologischen Instituts gegründet worden, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu unterstützen, Publikationen zu fördern und der Inschriftenkunde ein Bein jenseits der Akademieunternehmen zu verschaffen. Das Programm stellte sich im Geiste des Mitbegründers Hermann Bengtson betont positivistisch vor; nach den Sinngebungsorgien auch unter Althistorikern zwischen 1920 und 1945 sollte solide, ideologiefreie Grundlagenforschung den Ruf der Zunft wiederherstellen. Mit Alexander Schenk Graf von Stauffenberg amtierte ein erwiesener Gegner des Nationalsozialismus als erster Vorsitzender - dass in der Person von Helmut Berve ein mit dem Regime engstens verbundener Aktivist sein Nachnachfolger werden sollte, ist eine andere Geschichte.
Die "Staatsverträge" sollten auch den Alten Orient einschließen, was mit Blick auf Berve eine hübsche Pointe ist, hatte dieser doch in den dreißiger Jahren die universalhistorische Konzeption eines solchen Altertums mit der Begründung verworfen, Deutsche könnten "fremdrassige, uns wesensfremde Völker" schlicht nicht verstehen. Allerdings muss Berve auch gut vierzig Jahre nach seinem Tod nicht im Grabe rotieren: Der geplante Band eins ist nie erschienen. Das dürfte auch so bleiben, solange sich kein versierter Altorientalist bereitfindet, seine Arbeitskraft in den Dienst eines konzeptionell sieben Jahrzehnte alten Unternehmens zu stellen.
Warum nach den beiden 1962 und 1969 publizierten Bänden der "Staatsverträge" nichts mehr kam, darüber kursieren Erzählungen von verlorenen Manuskripten, geschrotteten Dateien oder Datenträgern, die digitalen Systemwechseln zum Opfer fielen. Offensichtlich wurden Verpflichtungen als eher unverbindlich betrachtet, und vielleicht erschien auch manchem das völkerrechtliche Dokument als nicht mehr so zentral oder hilfreich, wenn es darum ging, zwischenstaatliche Beziehungen ganz anders, nämlich imperialismustheoretisch oder politikwissenschaftlich zu untersuchen. Ob das Fehlen der kommentierten Grundlagenedition die Forschung behindert hat, ist kaum zu sagen, es ist jedoch wohl eher unwahrscheinlich.
Totgesagte feiern bisweilen Auferstehung, Materialität vermittelt Botschaften. Beides belegt der eben bei C. H. Beck erschienene, von R. Malcolm Errington bearbeitete vierte Band der "Staatsverträge", der die Verträge der griechisch-römischen Welt von etwa 200 vor Christus bis zum Beginn der Kaiserzeit enthält. Fast so dick wie die beiden alten Teile zusammen, erscheint er äußerlich in der gleichen Gestalt: blaues Leinen, hellgrauer Schutzumschlag, blassgelber Kopfschnitt. Die Verspätung wird im Vorwort weder begründet noch entschuldigt; lapidar erläutert der 1939 geborene Bearbeiter nur, worin sich der Band "von seinen vor ca. 50 Jahren erschienenen Vorgängern unterscheidet". Die wichtigste Änderung, die Beigabe von Übersetzungen, wird immerhin nicht mit einer Jeremiade über geschwundene altsprachliche Kompetenzen gerahmt; vielmehr sollen die eigens angefertigten Verdeutschungen die Kommentierung von einer Inhaltsangabe entlasten. Wissenschaftlich ist das Erscheinen des Bandes willkommen, kann mit ihm doch das imperiale Hineinwachsen der Römer in die späthellenistische Staatenwelt auf der Ebene des Vertragsrechts leichter studiert werden.
Das Erstaunliche der Publikation tritt zutage, wenn man die Erscheinungsdaten der beiden noch ausstehenden Teile zu Kaiserzeit und Spätantike extrapoliert: Sie müssten 2071 und 2078 vorliegen.
UWE WALTER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Wissenschaftlich ist das Erscheinen des Bandes willkommen, kann mit ihm doch das imperiale Hineinwachsen der Römer in die späthellenistische Staatenwelt auf der Ebene des Vertragsrechts leichter studiert werden."
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Uwe Walter
"Der vierte Band der 'Staatsverträge des Altertums' sollte in keiner Forschungsbibliothek fehlen." H-Soz-Kult, Sven Günther
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Uwe Walter
"Der vierte Band der 'Staatsverträge des Altertums' sollte in keiner Forschungsbibliothek fehlen." H-Soz-Kult, Sven Günther