Das erste Jugendbuch von Isabel Allende
Gibt es im Dschungel des Amazonas wirklich ein riesiges, menschenähnliches Wesen, eine Bestie, die Menschen und Tiere tötet? Das soll eine Expedition herausfinden, der auch der 15-jährige Alex aus Kalifornien angehört. Bald entdecken Alex und Nadia, die Tochter des brasilianischen Expeditionsleiters, was hinter der Sache steckt: ein teuflischer Plan, der die im Amazonas-Dschungel lebenden Indios vernichten soll.
Gibt es im Dschungel des Amazonas wirklich ein riesiges, menschenähnliches Wesen, eine Bestie, die Menschen und Tiere tötet? Das soll eine Expedition herausfinden, der auch der 15-jährige Alex aus Kalifornien angehört. Bald entdecken Alex und Nadia, die Tochter des brasilianischen Expeditionsleiters, was hinter der Sache steckt: ein teuflischer Plan, der die im Amazonas-Dschungel lebenden Indios vernichten soll.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2002Piranhas sind sehr nützliche Tiere
Die Kur der Steine: Isabel Allende läßt Nachhaltigkeit vermissen
Für jeden Satz gibt es ein erstes und ein tausendstes Mal. Je mehr Bücher man durchliest, je mehr Zeitschriften man durchblättert und je mehr Filme man anguckt - desto mehr Sätze wandern von der einen in die andere Abteilung. Dieser enttäuschende Vorgang heißt Erwachsenwerden. Wer beispielsweise als Kind ein paar Abenteuerhefte und Jugendtaschenbücher gelesen hat, entdeckt als Erwachsener in folgenden Zitaten nur noch die Zitate: "Die Tropenhitze umfing sie wie ein heißes, nasses Handtuch." Oder: "Im Unterholz lauerten Tausende Augen." Oder: "Die Pubertät war ein einziges Gefühlschaos."
Isabel Allendes neuer Roman "Die Stadt der wilden Götter", der all diese und zahlreiche ähnliche Stellen enthält, handelt nicht nur vom Umstand des Erwachsenwerdens - er trägt ihm auch erstmals, in Deutschland wie in Spanien, durch zwei textgleiche Ausgaben bei verschiedenen Verlagen Rechnung. Während Hanser den Junglesern auf dem Buchdeckel ein bonbonfarbenes Dschungelparadies in Aussicht stellt, lockt Suhrkamp das Erwachsenenpublikum mit dem leicht abblätternden Gemälde einer Raubkatze. Das Gefühl allerdings, vielen Passagen schon beim ersten Lesen zum tausendsten Mal zu begegnen, kann nicht allein an der Auswahl der fortgeschrittenen Lesestufe und den sechs Euro Unterschied liegen.
Sicher erfüllen die rund 328 (Suhrkamp) beziehungsweise 360 Seiten (Hanser), die den kalifornischen Teenager Alex und seine Großmutter Kate auf einer Expedition ins Amazonasgebiet begleiten, alle Anforderungen einer Abenteuergeschichte. Vergiftete Pfeile aus dem Dickicht am Flußufer, lautlos durchs Gehölz gleitende Indianer, wolkenverhangene Gipfel heiliger Berge, mörderische Bestien in Faultiergestalt - all diese Elemente liegen irgendwo im Spannungsfeld zwischen Jack London und Jack Wolfskin, und selbst Reinhold Messner oder Werner Herzog dürften keine Patentrechte auf sie anmelden. Auch die gängigen Grundlagen einer Jugendgeschichte - eine Familie in der Krise, Hormone in Aufruhr und Formulierungen wie "Heute war definitiv der Wurm drin" - fehlen in Allendes Buch mitnichten. Trotzdem erscheint die Weglesbarkeit dieses Romans über weite Strecken nur als angenehme Rückseite seiner Heruntergeschriebenheit. Der Grundgedanke der Nachhaltigkeit, den Alex und die Leser vom Amazonas mitnehmen sollen, war bei der Verfertigung der als Auftakt zu einer Trilogie angelegten Erzählung wohl eher nachrangig.
Dabei stimmt der Handlungsrahmen des Romans beinahe mit seinem Entstehungsmythos überein. Denn die sechzigjährige Bestsellerautorin verfaßte die Geschichte nach eigener Auskunft auf Wunsch ihrer drei Enkelkinder. Ähnlichen Familienbanden verdanken angeblich auch Heldenfiguren wie Pippi Langstrumpf oder Harry Potter ihr Dasein. In "Die Stadt der wilden Götter" jedoch übernimmt die vierundsechzigjährige Großmutter selbst den Part der geheimen Protagonistin, auch wenn die Erzählung überwiegend dem Bewußtseinsstrom des fünfzehnjährigen Enkels folgt. Die Reisejournalistin Kate Cold besitzt alle Merkmale eines weiblichen Hemingway, der vermutlich sogar im Hühnerstall Motorrad fährt: "Sie trank Wodka ohne alles und rauchte schwarzen Tabak aus einer Seemannspfeife." Zudem verdammt die deutsche Übersetzung sie bei jeder wörtlichen Rede zum Raunzen, Knurren oder Brummeln. "Aber eins mußte er zugeben", so legt es der Roman dem jungen Alex nach bestandenem Abenteuer in den Mund, "Kate Cold hatte ihm einen riesigen Gefallen getan, als sie ihn aus seinem sicheren Alltag in Kalifornien herausgerissen und in diese wundersame Welt geworfen hatte."
So wundersam und unkalifornisch ist das New-Age-Paradies, das im Regenwald auf Oma und Enkel wartet, am Ende vielleicht gar nicht. Natürlich stößt Alex im Verlauf der Expedition, die im Auftrag des "International Geographic" das Geheimnis einer unheimlichen Bestie aufdecken soll, in die unberührte Wildnis seines Innenlebens vor. Zeichenhaft verliert er gleich zu Anfang seine Brille, und gemeinsam mit dem erdverbundenen Urwaldmädchen Nadja entdeckt er den Jaguar als sein Totemtier und das Kriegertum als seine Bestimmung. Liebgewonnene Vorurteile gegen die Natur müssen fallen (Piranhas sind nützlich und säubern den Fluß) und fremde Kulturen verstanden werden (Indianer bitten den Fisch um Erlaubnis, bevor sie ihn töten). Zum Schluß aber scheint durch den zivilisationskritischen Mund des Schamanen Walimai doch wieder nur der von zahlreichen Autoaufklebern bekannte Häuptling Seattle zu sprechen: "Die Nahab sind so verrückt, daß sie dem Boden die Steine stehlen wollen, den Flüssen den Sand, dem Wald die Bäume."
Gegen eine spannende Umweltsaga für Jugendliche wäre nun wenig einzuwenden. Daß in Gestalt eines dümmlichen Hauptmanns und eines charmanten Unternehmers auch der militärisch-industrielle Komplex in den Regenwald eindringt, daß mit dem als Witzfigur überzeichneten Professor Leblanc die fragwürdige Rolle der Ethnologie eine Verkörperung findet, daß die Mitarbeiter der nationalen Gesundheitsbehörde die zweifelhafte Reichweite der Regierungspolitik vorführen - an den besten Stellen liefert diese Zusammensetzung der Gemeinschaft zumindest Stoff für eine Art grünen "Herrn der Ringe" mit letztem Gefecht in Tapiwara-teri.
Allendes "Stadt der wilden Götter" aber scheint eher ein Esoterikzentrum in ihrer Wahlheimat Sausalito bei San Francisco als einen Vulkankrater am oberen Orinoko zu bezeichnen. Während Alex das Wasser des Lebens suchen soll, um es seiner krebskranken Mutter als Heilmittel mit nach Hause zu bringen, muß Nadja in einem Adlernest auf der höchsten Zinne des heiligen Berges drei Kristalleier einsammeln, die sich aber erst dann vom Fleck bewegen, als das Mädchen seinen Talisman an Ort und Stelle zurückläßt - ein fortgeschrittenes Level in einem Adventure-Spiel und zugleich eine Lerneinheit über das Gesetz des Gebens und Nehmens. Überhaupt das Lernen: "Man kann lernen, mit dem Herzen zu sehen", lernt Alex an einer Schlüsselstelle des Romans. Er wäre sehr zu beneiden, sollte ihm der Satz zum ersten Mal zu Ohren kommen.
ANDREAS ROSENFELDER
Isabel Allende: "Die Stadt der wilden Götter". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 328 S., geb., 22,90 [Euro]; Carl Hanser Verlag, München 2002. 360 S., geb., 16,90 [Euro].
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Die Kur der Steine: Isabel Allende läßt Nachhaltigkeit vermissen
Für jeden Satz gibt es ein erstes und ein tausendstes Mal. Je mehr Bücher man durchliest, je mehr Zeitschriften man durchblättert und je mehr Filme man anguckt - desto mehr Sätze wandern von der einen in die andere Abteilung. Dieser enttäuschende Vorgang heißt Erwachsenwerden. Wer beispielsweise als Kind ein paar Abenteuerhefte und Jugendtaschenbücher gelesen hat, entdeckt als Erwachsener in folgenden Zitaten nur noch die Zitate: "Die Tropenhitze umfing sie wie ein heißes, nasses Handtuch." Oder: "Im Unterholz lauerten Tausende Augen." Oder: "Die Pubertät war ein einziges Gefühlschaos."
Isabel Allendes neuer Roman "Die Stadt der wilden Götter", der all diese und zahlreiche ähnliche Stellen enthält, handelt nicht nur vom Umstand des Erwachsenwerdens - er trägt ihm auch erstmals, in Deutschland wie in Spanien, durch zwei textgleiche Ausgaben bei verschiedenen Verlagen Rechnung. Während Hanser den Junglesern auf dem Buchdeckel ein bonbonfarbenes Dschungelparadies in Aussicht stellt, lockt Suhrkamp das Erwachsenenpublikum mit dem leicht abblätternden Gemälde einer Raubkatze. Das Gefühl allerdings, vielen Passagen schon beim ersten Lesen zum tausendsten Mal zu begegnen, kann nicht allein an der Auswahl der fortgeschrittenen Lesestufe und den sechs Euro Unterschied liegen.
Sicher erfüllen die rund 328 (Suhrkamp) beziehungsweise 360 Seiten (Hanser), die den kalifornischen Teenager Alex und seine Großmutter Kate auf einer Expedition ins Amazonasgebiet begleiten, alle Anforderungen einer Abenteuergeschichte. Vergiftete Pfeile aus dem Dickicht am Flußufer, lautlos durchs Gehölz gleitende Indianer, wolkenverhangene Gipfel heiliger Berge, mörderische Bestien in Faultiergestalt - all diese Elemente liegen irgendwo im Spannungsfeld zwischen Jack London und Jack Wolfskin, und selbst Reinhold Messner oder Werner Herzog dürften keine Patentrechte auf sie anmelden. Auch die gängigen Grundlagen einer Jugendgeschichte - eine Familie in der Krise, Hormone in Aufruhr und Formulierungen wie "Heute war definitiv der Wurm drin" - fehlen in Allendes Buch mitnichten. Trotzdem erscheint die Weglesbarkeit dieses Romans über weite Strecken nur als angenehme Rückseite seiner Heruntergeschriebenheit. Der Grundgedanke der Nachhaltigkeit, den Alex und die Leser vom Amazonas mitnehmen sollen, war bei der Verfertigung der als Auftakt zu einer Trilogie angelegten Erzählung wohl eher nachrangig.
Dabei stimmt der Handlungsrahmen des Romans beinahe mit seinem Entstehungsmythos überein. Denn die sechzigjährige Bestsellerautorin verfaßte die Geschichte nach eigener Auskunft auf Wunsch ihrer drei Enkelkinder. Ähnlichen Familienbanden verdanken angeblich auch Heldenfiguren wie Pippi Langstrumpf oder Harry Potter ihr Dasein. In "Die Stadt der wilden Götter" jedoch übernimmt die vierundsechzigjährige Großmutter selbst den Part der geheimen Protagonistin, auch wenn die Erzählung überwiegend dem Bewußtseinsstrom des fünfzehnjährigen Enkels folgt. Die Reisejournalistin Kate Cold besitzt alle Merkmale eines weiblichen Hemingway, der vermutlich sogar im Hühnerstall Motorrad fährt: "Sie trank Wodka ohne alles und rauchte schwarzen Tabak aus einer Seemannspfeife." Zudem verdammt die deutsche Übersetzung sie bei jeder wörtlichen Rede zum Raunzen, Knurren oder Brummeln. "Aber eins mußte er zugeben", so legt es der Roman dem jungen Alex nach bestandenem Abenteuer in den Mund, "Kate Cold hatte ihm einen riesigen Gefallen getan, als sie ihn aus seinem sicheren Alltag in Kalifornien herausgerissen und in diese wundersame Welt geworfen hatte."
So wundersam und unkalifornisch ist das New-Age-Paradies, das im Regenwald auf Oma und Enkel wartet, am Ende vielleicht gar nicht. Natürlich stößt Alex im Verlauf der Expedition, die im Auftrag des "International Geographic" das Geheimnis einer unheimlichen Bestie aufdecken soll, in die unberührte Wildnis seines Innenlebens vor. Zeichenhaft verliert er gleich zu Anfang seine Brille, und gemeinsam mit dem erdverbundenen Urwaldmädchen Nadja entdeckt er den Jaguar als sein Totemtier und das Kriegertum als seine Bestimmung. Liebgewonnene Vorurteile gegen die Natur müssen fallen (Piranhas sind nützlich und säubern den Fluß) und fremde Kulturen verstanden werden (Indianer bitten den Fisch um Erlaubnis, bevor sie ihn töten). Zum Schluß aber scheint durch den zivilisationskritischen Mund des Schamanen Walimai doch wieder nur der von zahlreichen Autoaufklebern bekannte Häuptling Seattle zu sprechen: "Die Nahab sind so verrückt, daß sie dem Boden die Steine stehlen wollen, den Flüssen den Sand, dem Wald die Bäume."
Gegen eine spannende Umweltsaga für Jugendliche wäre nun wenig einzuwenden. Daß in Gestalt eines dümmlichen Hauptmanns und eines charmanten Unternehmers auch der militärisch-industrielle Komplex in den Regenwald eindringt, daß mit dem als Witzfigur überzeichneten Professor Leblanc die fragwürdige Rolle der Ethnologie eine Verkörperung findet, daß die Mitarbeiter der nationalen Gesundheitsbehörde die zweifelhafte Reichweite der Regierungspolitik vorführen - an den besten Stellen liefert diese Zusammensetzung der Gemeinschaft zumindest Stoff für eine Art grünen "Herrn der Ringe" mit letztem Gefecht in Tapiwara-teri.
Allendes "Stadt der wilden Götter" aber scheint eher ein Esoterikzentrum in ihrer Wahlheimat Sausalito bei San Francisco als einen Vulkankrater am oberen Orinoko zu bezeichnen. Während Alex das Wasser des Lebens suchen soll, um es seiner krebskranken Mutter als Heilmittel mit nach Hause zu bringen, muß Nadja in einem Adlernest auf der höchsten Zinne des heiligen Berges drei Kristalleier einsammeln, die sich aber erst dann vom Fleck bewegen, als das Mädchen seinen Talisman an Ort und Stelle zurückläßt - ein fortgeschrittenes Level in einem Adventure-Spiel und zugleich eine Lerneinheit über das Gesetz des Gebens und Nehmens. Überhaupt das Lernen: "Man kann lernen, mit dem Herzen zu sehen", lernt Alex an einer Schlüsselstelle des Romans. Er wäre sehr zu beneiden, sollte ihm der Satz zum ersten Mal zu Ohren kommen.
ANDREAS ROSENFELDER
Isabel Allende: "Die Stadt der wilden Götter". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Svenja Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002. 328 S., geb., 22,90 [Euro]; Carl Hanser Verlag, München 2002. 360 S., geb., 16,90 [Euro].
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