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Vom langen Schatten der Stasi Perfide Aktionen, Spionage und flächendeckende Überwachung waren das Geschäft der DDR-Staatssicherheit. Die Täter von einst leben noch immer unter uns und schmähen öffentlich und unbehelligt ihre Opfer. In selbstgerechter Entrüstung wollen sie sich "ihre" DDR nicht nehmen lassen: Die Stasi lebt. Jürgen Schreibers Reportagen verweben die erschreckenden Details zu spektakulären Enthüllungen über die Machenschaften von Mielkes Schattenarmee.

Produktbeschreibung
Vom langen Schatten der Stasi
Perfide Aktionen, Spionage und flächendeckende Überwachung waren das Geschäft der DDR-Staatssicherheit.
Die Täter von einst leben noch immer unter uns und schmähen öffentlich und unbehelligt ihre Opfer. In selbstgerechter Entrüstung wollen sie sich "ihre" DDR nicht nehmen lassen: Die Stasi lebt.
Jürgen Schreibers Reportagen verweben die erschreckenden Details zu spektakulären Enthüllungen über die Machenschaften von Mielkes Schattenarmee.
Autorenporträt
Jürgen Schreiber, geboren 1947, preisgekrönter Journalist und Sachbuchautor, war bis 2007 Chefreporter beim Tagesspiegel. Er schrieb für das SZ-Magazin, die Stuttgarter Zeitung und die Frankfurter Rundschau. Schreiber war Gründungsmitglied von Die Woche und erhielt zweimal den Wächter-Preis der deutschen Presse sowie 1991 den Theodor-Wolff-Preis. Bisher sind zwei Bücher von ihm erschienen Ein Maler aus Deutschland, 2005, und Meine Jahre mit Joschka, 2007.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2009

Aus dem Schattenreich
Konstitutives Herrschaftsinstrument der SED: "Staatssicherheit" im Alltag der DDR und Technologiespionage

DDR-Alltagsgeschichte findet sich am ehesten immer noch in Biographien und Autobiographien. Wäre dafür ein neuer Beweis nötig - Uwe Gerig hätte ihn mit seinem "deutschen Geschichtsbuch" geliefert. Er schildert darin die in der Tat "merkwürdige Karriere" eines Bild-Reporters in Ost und West des geteilten Deutschland, seine eigene. 1940 in Nordhausen geboren, verliert er noch im letzten Kriegsjahr den Vater, der als Soldat an der Westfront stirbt. Das Kriegsende erlebt der Fünfjährige in Harzgerode, das im April 1945 von amerikanischen Truppen besetzt wird. Wenig später löst die Rote Armee sie ab. Bei Gründung der DDR ist Uwe Gerig neun Jahre alt - er wächst im "Arbeiter-und-Bauern-Staat" heran, in dem er seine Sozialisation erfährt. Grundschule, Oberschule, FDJ, Abitur, zwei Jahre Wehrdienst, vier Jahre Studium im "Roten Kloster", der Fakultät für Journalistik an der Universität Leipzig, Genosse der SED, 1965 Diplom-Journalist, Sparte Bild-Reporter - das sind seine frühen Wegmarken.

"Das Volk", die Zeitung der SED-Bezirksleitung Erfurt, wird ihm als Arbeitsplatz zugewiesen. "Parteiauftrag". Der graue Redaktionsalltag frustriert den Nachwuchsjournalisten total. Eine flapsige Bemerkung über einen prominenten Genossen führt zu seinem Ausschluss aus dem Journalistenverband, was in der DDR praktisch Berufsverbot hieß. Aber mit dem alerten Bild-Reporter ist das Glück des Tüchtigen. Die "Neue Berliner Illustrierte" nutzt seine fotografischen Fähigkeiten. Gerig macht Karriere als Freiberufler, er ist gefragt, hat Erfolg, verdient für DDR-Verhältnisse enorm, genießt Privilegien, leistet sich zahlreiche Reisen ins sozialistische Ausland einschließlich Kuba und Vietnam - zusammen mit seiner Frau Ruth, einer Bibliothekarin. 1962 kommt die Tochter Gabriela zur Welt. Eine glückliche Familie im sozialistischen Staat deutscher Nation?

Weit gefehlt. Politische Enttäuschungen und die Tristesse des DDR-Sozialismus machen das Leben zunehmend schwerer erträglich. Belästigung und Bespitzelung durch den Staatssicherheitsdienst und eine versuchte IM-Werbung machen das Maß voll. Während einer Urlaubsreise gelingt dem Ehepaar 1983 die Flucht via Jugoslawien und Österreich in die Bundesrepublik. Mit Bluff und einer raffinierten Drohung mit Enthüllungen über die DDR trotzt Gerig drei Monate später der DDR auch die Ausreise der Tochter ab. In Frankfurt am Main findet der Reporter bei einer Boulevardzeitung einen neuen Job. Seine Aufgabe sieht er fortan in der Aufklärung über die Zustände in der DDR, obwohl er begründete Furcht vor der Stasi haben muss, die in Teil vier des Buches wiedergegebenen Akten sind Beleg dafür. Im MfS wurde Gerig unter dem Codewort "Reporter" operativ bearbeitet - was dem realistisch und meinungsfreudig, gelegentlich etwas schnoddrig verfassten Buch zu seinem Titel verhalf. Lektüre gegen DDR-Nostalgie.

An Stasi-Thematik arbeitet sich auch Jürgen Schreiber ab, ergänzt durch Streiflichter auf den DDR-Alltag, der ohne Stasi nicht denkbar ist. Die Erwartungen, die sich an sein Taschenbuch knüpfen, erfüllen sich allerdings nur partiell. Wer hinter dem Titel "Die Stasi lebt" aktuelle Neuigkeiten vermutet, wird enttäuscht. Der Autor, vormals Chefreporter beim "Tagesspiegel" und der "Süddeutschen Zeitung", ediert zwanzig seiner 1993 bis 2006 veröffentlichten Berichte, Porträts und Reportagen zu Personen und Geschehnissen, die alle im Kontext der Staatssicherheit stehen. Seine Sammlung wäre uneingeschränkt zu loben, wenn er sich die Mühe einer minimalen Aktualisierung gemacht hätte, in Fußnoten oder in Schlussbemerkungen. Das unterblieb.

Zum Beispiel erfährt, wer das Buch liest, zwar Näheres über Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, Honeckers Unterhändler im westöstlichen Agentenaustausch und Häftlingsfreikauf - mitnichten aber, dass "der Advokat, der aus der Kälte kam", 2008 verstorben ist. Ein Hinweis wäre zeitlich ebenso möglich gewesen wie im Fall Jeffrey M Carney, jenes amerikanischen Soldaten, der als Stasi-Spion (IM "Kid") äußerst ergiebig gewirkt hat. 1991 wurde er enttarnt und von amerikanischen Agenten illegal aus Berlin in die Vereinigten Staaten entführt, wo er zu 38 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Schreiber referiert das alles korrekt, doch nichts erfährt der Leser von "Kids" Freilassung nach elf Haftjahren.

Die Texte des Autors lesen sich spannend - die Geschichte etwa des einstigen Stasi-Majors aus Schwerin, Sylvester Murau, der im Oktober 1954 die DDR verließ. Im hessischen Heubach fand der "Verräter" eine Bleibe. Und von hier wurde er in einer Juli-Nacht 1955 von zwei gedungenen Kriminellen betäubt und in die DDR verschleppt - unter tätiger Mithilfe der eigenen Tochter. 1956 wurde Murau vom Bezirksgericht Cottbus zum Tode verurteilt und in Dresden hingerichtet. Die Tochter aber heiratete später den in den Fall ihres Vaters involvierten Stasi-Offizier. Schreiber hat das Familiendrama aus dem Mielke-Milieu bis hinein in konsternierende Details rekonstruiert, heute noch lebende Beteiligte befragt, auch ehemalige MfSler, sogar die Tochter, und Akten gesichtet. Nicht zuletzt in der aufwendigen, gewissenhaften Recherche zeigt sich seine Stärke. Auch andere Beiträge seiner Sammlung belegen das - so seine Skizze über Siegfried Rataizik (nicht "Rataizick"), den langjährigen Chef des Zentralen Stasi-Gefängnisses Berlin-Hohenschönhausen. "Sein klares Feindbild hält das scheinbar unerschütterliche Ich intakt. Schuldgefühle? Von wegen!" Fall für Fall wird ausgebreitet. Von Alexander Schalck-Golodkowski bis zu Rudolf Maerker, einst SPD-Kreisvorsitzender in Bonn, der nach seinem Tode als IM "Max" entlarvt wurde. Meldungen aus dem Schattenreich der Stasi.

Auch das dritte Buch beruht auf ausgiebigen Recherchen zur Stasi, wobei sich Kristie Macrakis, eine amerikanische Wirtschaftshistorikerin, thematisch auf die Wissenschafts- und Technologiespionage hauptsächlich der Hauptverwaltung Aufklärung konzentriert. Hier fördert die Autorin manches Interessante zutage, obwohl sie an die Geschichte des MfS herangeht, "indem sie das Geschehen in Zusammenhang mit der Geschichte der Geheimdienste bringt und sich politisch gefärbter Kommentare enthält". Stasi-Analyse einmal wertungsfrei. Die Verortung des MfS als konstitutives Herrschaftsinstrument der SED bleibt unklar.

Das in zwei Teile gegliederte Buch widmet sich zunächst den Spionageaktivitäten des MfS, vornehmlich des Sektors Wissenschaft und Technik (HV A) mit Schwerpunkt Ausspähung der Computerindustrie in der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten - und zum anderen dem Operativ-Technischen Sektor, einer Stasi-Struktureinheit mit zuletzt rund 1100 Mitarbeitern, die mit der Entwicklung und Anwendung konspirativer Technik befasst war. Was die Autorin aus deutschen und amerikanischen Archiven zusammengetragen hat, ist informativ, reich an biographischen Details wie im Fall des Überläufers Werner Stiller, dessen Legende arg lädiert wird. Eine straffere Strukturierung hätte dem Text gutgetan. Zudem enthält das Buch zahlreiche Ungenauigkeiten und Schnitzer. Ein Beispiel: Ernst Wollweber wird als "der erste Chef des MfS" ausgewiesen. Das aber war Wilhelm Zaisser, den die Autorin nicht erwähnt. Auch sie hat das Gespräch mit Ex-Stasi-Kadern gesucht, so auf der umstrittenen HVA-Konferenz 2007 an der süddänischen Universität Odense. Neues ist dabei nicht herausgekommen.

Im Übrigen haben die enorm aufwendige Technologiespionage und der Embargoschmuggel der DDR wenig genützt. Der Versuch, so das Resümee, "sich in die Computerrevolution der achtziger Jahre durch Spionage und illegalen Technologietransfer einzuklinken", ist "jämmerlich gescheitert".

KARL WILHELM FRICKE

Uwe Gerig: Die Stasi nannte mich "Reporter". Journalist in Ost + West. Eine merkwürdige Karriere im geteilten Deutschland. Verlag Books on Demand, Norderstedt 2009. 494 S., 29,80 [Euro].

Jürgen Schreiber: Die Stasi lebt. Berichte aus einem unterwanderten Land. Droemer/Knaur Verlag, München 2009. 224 S., 8,95 [Euro].

Kristie Macrakis: Die Stasi-Geheimnisse. Methoden und Technik der DDR-Spionage. Aus dem Englischen von Frank M. von Berger und Dirk Oetzmann. Verlag F. A. Herbig, München 2009. 463 S., 24,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Neuigkeiten - Fehlanzeige. Über Streiflichter auf den DDR-Alltag unter den Augen der Stasi kommt dieser Band nicht hinaus, teilt uns Karl Wilhelm Fricke mit. Die zwischen 1993 und 2006 veröffentlichten Berichte, Porträt und Reportagen des ehemaligen Chefreporter des "Tagesspiegels" und der "SZ", Jürgen Schreiber, findet Fricke zwar durchaus spannend, gewissenhaft recherchiert und im Ganzen sachlich korrekt. Eine minimale Aktualisierung, das macht der Rezensent unmissverständlich klar, hätten sie jedoch gut vertragen können. Ein Hinweis auf das Ende von Honeckers Unterhändler Wolfgang Vogel oder das von Jeffrey M. Carney (IM "Kid"), findet Fricke, wäre durchaus möglich und für den Leser von Interesse gewesen.

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