Mitte der Siebziger erschüttert ein Buch die amerikanische Öffentlichkeit: Der Sex-Ratgeber 'Pleasuring. Die Reise eines Paares zur Erfüllung' ist in aller Munde. Ungünstig nur, dass die Autoren, das Ehepaar Mellow, vier minderjährige Kinder haben. Die müssen sich nun damit auseinandersetzen, dass Vater und Mutter in aller Öffentlichkeit ihr tabuloses Liebesleben beschreiben. Und das Schlimmste: Das Buch zeigt sie auch noch in sehr detailreichen Zeichnungen - in jeder nur denkbaren Stellung. Während die Ehe der Eltern den Bach runtergeht, versuchen die Kinder irgendwie mit diesem Gipfel der Peinlichkeit klarzukommen. Denn 'Pleasuring' wird zu einem Buch, das jeder, wirklich jeder kennt und das die Mellow-Geschwister ihr Leben lang begleiten wird ...'Die Stellung' ist ein tragikomisches Familienporträt, das davon erzählt, wie vier Geschwister, denen wenig Illusionen über Liebe und Sex geblieben sind, sich in der Welt behaupten. Gleichzeitig führt uns Meg Wolitzer gnadenlos vor Augen, dass wir einer Sache nicht entfliehen können: Wir sind die Kinder unserer Eltern.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Meike Fessmann findet diesen frühen Text von Meg Wolitzer schlechter als ihren Roman "Die Interessanten" von 2013. Das liegt weniger am gewählten Thema der sexuellen Befreiung in den amerikanischen 70ern als am Hang zum Banalen, dem die Autorin in diesem Familienroman freien Lauf lässt, wie Fessmann feststellt. Dass Wolitzer, indem sie den Bogen bis zur Pornografisierung der Internetära spannt, auf ein Gesellschaftsporträt abzielt, entgeht der Rezensentin nicht, die Figuren im Text findet sie jedoch zu schematisch und das Konfliktpotenzial des Themas von der Autorin nicht ausreichend entfaltet. Der die Familie huldigende Konservatismus Wolitzers scheint Fessmann im Buch ebenfalls nicht klar genug ausgearbeitet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.2015Hoppe, hoppe, Reiter
Sexuell und literarisch unbefreit: Meg Wolitzers Roman "Die Stellung"
Nachdem John Updike 1968 seinen Roman "Ehepaare" über Beziehungen und deren Bruch, über Liebe und Sex geschrieben hatte, wurde Hollywood auf den Bestsellerautor aufmerksam und lud den Schriftsteller nach Kalifornien ein. Man wollte besprechen, wie das erfolgreiche Buch zu einem erfolgreicheren Spielfilm gemacht werden könnte. Nachdem Updike sich auf einigen liederlichen Partys mit freizügigen Filmschaffenden getummelt hatte, kam der Autor, dem Norman Mailer einmal riet, lieber seinen Fuß in der Tür des Hurenhauses zu behalten, anstatt auf schönen Prosastil zu setzen, zu der ernüchternden Einsicht, sein Roman sei von einem sexuell eher naiven Menschen geschrieben worden.
Was Updike als naiv bezeichnete, könnte aber auch neugierig, überrascht oder bewundernd genannt werden. Sein sinnlicher Blick und sein blumiger Stil machten Sex immer zu etwas Glitzerndem, Geheimnis- und Genussvollem, während Meg Wolitzers jetzt auf Deutsch erschienener Roman "Die Stellung" die körperliche Liebe eher mit einer Haltung erzählt, die mit D. H. Lawrence als "Sex-Hass" und "Dreck-Lust" beschrieben werden könnte. Leider scheint die Erzählerin dieses in Updikeschen Gewässern hilflos umherplantschenden Romans tatsächlich eine sexuell ausgesprochen naive Person zu sein, und einen schönen Prosastil sucht man ebenfalls vergebens. Sex wird humorlos überzeichnet, dabei zugleich mit gezwungener Ironie überladen. So wird das Ganze als banal und schädlich in einem dargestellt - eine nicht zu unterschätzende Pirouette.
Der Roman der 1959 in New York geborenen Autorin erzählt von den "Sex-Mellows", dem Ehepaar Paul und Roz, die in den Siebzigern einen "Freude am Sex"-Ratgeber mit dem Titel "Pleasuring" veröffentlichen und zu einiger Berühmtheit gelangen. "Das Buch", wie es stets sarkastisch-monolithisch bezeichnet wird, handelt von Roz' und Pauls persönlichen Erfahrungen um das alte Rein-raus-Spiel, wie Anthony Burgess es einmal nannte. Die Kapitel von "Pleasuring" - das erste heißt "Geschlechtsverkehr: Schritt für Schritt" - sind ergänzt durch realistische Illustrationen der beiden Mellows. So weit, so gut.
Die beiden haben vier Kinder, zwei Jungs, zwei Mädchen, zwischen sechs und fünfzehn Jahren, und eines Tages, als die Eltern sich zu einem "ersten von vielen, vielen Vorträgen" in New York befinden, versammeln sich die Zöglinge und betrachten "das Buch". Da sind sie, ihre Eltern in prahlenden und peinlichen Posen. Naturgemäß reagieren alle vier, jeder auf seine Weise bestürzt auf diesen Schmuddel, sogar die beiden Kleinsten scheinen erregt. Die jüngste Tochter Claudia "ließ kichernde, spitze Schreie" hören und ist zunächst so verstört, dass sie beginnt, "sich gegen das Gesicht zu schlagen", doch - heile, heile, Gänschen - da reitet sie auch schon auf ihrem Bruder Dashiell wie auf einem Pferdchen "im Kreis durch die Küche".
Was bezweckt der Roman mit derart flapsiger Sexualisierung? Die Einsicht, dass Sex ein Kinderspiel ist, dass ein Kinderspiel Sex ist? Es wird parallelisiert durch die Nebeneinanderstellung von kindlichem Pferdchenspiel und einem zuvor mit der Sprache der Equestrik ungenau beschriebenen und ungelenk übersetzten Bild der illustrierten, illustren Mutter, die "auf dem Rücken lag, den Vater rittlings auf sich".
Das Programm scheint zu sein, Sex (und "das Buch" darüber) als einen Wurzelpunkt für eine Reihe existentieller Sackgassen zu sehen. Das erste Kapitel von Wolitzers Roman beginnt mit den Worten: "Das Buch". Sie werden parallelisiert mit denen des zweiten Kapitels: "Sexuelles Unglück". Nach dreißig Jahren im frühen 21. Jahrhundert angekommen, sind die Leben aller vier Kinder von jenem Schreckerlebnis mit dem Buch gezeichnet ("Es veränderte alles"): Claudia führt ein sexloses, ihre Kindheit idealisierendes Leben; die älteste Tochter Holly macht ein langes Drogendasein durch (wobei die schlimmste Droge des Buches meist Marihuana ist) und entfremdet sich von Geschwistern und Eltern; der zweitälteste, Michael, leidet seit Jahren an Angstzuständen und Depressionen und vermag wegen seiner Medikamente, auch als Sohn der Sex-Mellows - "die Ironie der Situation war ihm durchaus bewusst" -, "nicht zu Ende zu bringen, was er im Bett anfing". Und Dashiell ist, was möglicherweise noch schlimmer ist als retrograde Ejakulationen, den Republikanern beigetreten.
"Die Stellung" aus dem Titel des Romans bezieht sich auf die Sexualposition "Elektrisierende Versöhnung", die Roz und Paul einst für ihr Buch erfanden und die Ehepaaren nach dem Streit geraten wird. Bei den beiden hatte sie nicht funktioniert - sie sind nach dreißig Jahren getrennt, und vielleicht ist Roz' Wunsch, nun eine Jubiläumsausgabe des Buches herauszubringen, auch ein Sehnen nach Versöhnung mit ihrem Mann, den sie einst betrog. Der Roman nutzt Roz' Wunsch als Instrument, um in der Vergangenheit zu graben und zu ergründen, wie die sechs Familienmitglieder in ihren jeweils vermurksten Existenzen angelangt sind. Dabei schlägt Wolitzer einige nicht uninteressante Haken und fängt den Zeitgeist der amerikanischen siebziger Jahre ein. Ganz nebenbei zeigt ihr Roman aber auch, wie antiquiert schon heute das Jahr 2005 anmutet, als Narzissmus sich noch nicht dominant in den sozialen Medien zeigte, sondern im direkten Austausch zwischen Figuren und Menschen. Eine der besten Passagen dreht sich um Dashiell, der als Rekonvaleszent nach einer Krebserkrankung eine medikamentöse Halluzination erfährt, die ihm mit zärtlich pointierter Ökonomie einen erlösenden, weil vollkommen körperlosen Moment der Ruhe "in der kalten Winterluft" einer amerikanischen Nacht beschert. Gleichzeitig ist dieser Moment eine willkommene Erlösung von dem hibbeligen, aufgeblasenen Stil des Romans, denn auch ästhetisch hat dieser träumerische, an Cheever erinnernde Moment nichts Gewolltes. Das trifft für den Rest des Textes leider nicht zu.
Allzu oft schert Wolitzers Sprache aus und greift nach Vergleichen und Metaphern, die ebenso wahl- wie ergebnislos Mischbilder aus verschiedensten Kontexten entwerfen. Aus Brüsten werden Euter, aus Körpern Maschinen und Wüsten, und an einem Glied wird einmal gezogen "wie an etwas, das in einem Abfluss festsaß". Der übermäßige Einsatz des Metaphern-Quirls ist symptomatisch für einen Roman, der durch alle sechs Perspektiven der Familienmitglieder springt, dabei gelegentlich die Richtung verliert und die Erzählsituationen durcheinanderwirft.
Die amerikanische Autorin Meg Wolitzer ist im vergangenen Jahr bei uns mit "Die Interessanten" weitgehend zu großem Erfolg gelangt. Nun möchte man verständlicherweise an diesen Erfolg anknüpfen. Leider ist der nun frisch übersetzte, aber im Original bereits zehn Jahre alte Roman "Die Stellung" weder ein reifes noch in anderer Hinsicht den Vorgängern ebenbürtiges Werk. Wer von Sex und Liebe in Suburbia nicht genug bekommen kann, sollte sich bis auf weiteres an John Updike, Rick Moody oder die großartige A. M. Homes halten.
JAN WILM
Meg Wolitzer: "Die Stellung". Roman.
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Buchverlag, Köln, 2015. 368 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Sexuell und literarisch unbefreit: Meg Wolitzers Roman "Die Stellung"
Nachdem John Updike 1968 seinen Roman "Ehepaare" über Beziehungen und deren Bruch, über Liebe und Sex geschrieben hatte, wurde Hollywood auf den Bestsellerautor aufmerksam und lud den Schriftsteller nach Kalifornien ein. Man wollte besprechen, wie das erfolgreiche Buch zu einem erfolgreicheren Spielfilm gemacht werden könnte. Nachdem Updike sich auf einigen liederlichen Partys mit freizügigen Filmschaffenden getummelt hatte, kam der Autor, dem Norman Mailer einmal riet, lieber seinen Fuß in der Tür des Hurenhauses zu behalten, anstatt auf schönen Prosastil zu setzen, zu der ernüchternden Einsicht, sein Roman sei von einem sexuell eher naiven Menschen geschrieben worden.
Was Updike als naiv bezeichnete, könnte aber auch neugierig, überrascht oder bewundernd genannt werden. Sein sinnlicher Blick und sein blumiger Stil machten Sex immer zu etwas Glitzerndem, Geheimnis- und Genussvollem, während Meg Wolitzers jetzt auf Deutsch erschienener Roman "Die Stellung" die körperliche Liebe eher mit einer Haltung erzählt, die mit D. H. Lawrence als "Sex-Hass" und "Dreck-Lust" beschrieben werden könnte. Leider scheint die Erzählerin dieses in Updikeschen Gewässern hilflos umherplantschenden Romans tatsächlich eine sexuell ausgesprochen naive Person zu sein, und einen schönen Prosastil sucht man ebenfalls vergebens. Sex wird humorlos überzeichnet, dabei zugleich mit gezwungener Ironie überladen. So wird das Ganze als banal und schädlich in einem dargestellt - eine nicht zu unterschätzende Pirouette.
Der Roman der 1959 in New York geborenen Autorin erzählt von den "Sex-Mellows", dem Ehepaar Paul und Roz, die in den Siebzigern einen "Freude am Sex"-Ratgeber mit dem Titel "Pleasuring" veröffentlichen und zu einiger Berühmtheit gelangen. "Das Buch", wie es stets sarkastisch-monolithisch bezeichnet wird, handelt von Roz' und Pauls persönlichen Erfahrungen um das alte Rein-raus-Spiel, wie Anthony Burgess es einmal nannte. Die Kapitel von "Pleasuring" - das erste heißt "Geschlechtsverkehr: Schritt für Schritt" - sind ergänzt durch realistische Illustrationen der beiden Mellows. So weit, so gut.
Die beiden haben vier Kinder, zwei Jungs, zwei Mädchen, zwischen sechs und fünfzehn Jahren, und eines Tages, als die Eltern sich zu einem "ersten von vielen, vielen Vorträgen" in New York befinden, versammeln sich die Zöglinge und betrachten "das Buch". Da sind sie, ihre Eltern in prahlenden und peinlichen Posen. Naturgemäß reagieren alle vier, jeder auf seine Weise bestürzt auf diesen Schmuddel, sogar die beiden Kleinsten scheinen erregt. Die jüngste Tochter Claudia "ließ kichernde, spitze Schreie" hören und ist zunächst so verstört, dass sie beginnt, "sich gegen das Gesicht zu schlagen", doch - heile, heile, Gänschen - da reitet sie auch schon auf ihrem Bruder Dashiell wie auf einem Pferdchen "im Kreis durch die Küche".
Was bezweckt der Roman mit derart flapsiger Sexualisierung? Die Einsicht, dass Sex ein Kinderspiel ist, dass ein Kinderspiel Sex ist? Es wird parallelisiert durch die Nebeneinanderstellung von kindlichem Pferdchenspiel und einem zuvor mit der Sprache der Equestrik ungenau beschriebenen und ungelenk übersetzten Bild der illustrierten, illustren Mutter, die "auf dem Rücken lag, den Vater rittlings auf sich".
Das Programm scheint zu sein, Sex (und "das Buch" darüber) als einen Wurzelpunkt für eine Reihe existentieller Sackgassen zu sehen. Das erste Kapitel von Wolitzers Roman beginnt mit den Worten: "Das Buch". Sie werden parallelisiert mit denen des zweiten Kapitels: "Sexuelles Unglück". Nach dreißig Jahren im frühen 21. Jahrhundert angekommen, sind die Leben aller vier Kinder von jenem Schreckerlebnis mit dem Buch gezeichnet ("Es veränderte alles"): Claudia führt ein sexloses, ihre Kindheit idealisierendes Leben; die älteste Tochter Holly macht ein langes Drogendasein durch (wobei die schlimmste Droge des Buches meist Marihuana ist) und entfremdet sich von Geschwistern und Eltern; der zweitälteste, Michael, leidet seit Jahren an Angstzuständen und Depressionen und vermag wegen seiner Medikamente, auch als Sohn der Sex-Mellows - "die Ironie der Situation war ihm durchaus bewusst" -, "nicht zu Ende zu bringen, was er im Bett anfing". Und Dashiell ist, was möglicherweise noch schlimmer ist als retrograde Ejakulationen, den Republikanern beigetreten.
"Die Stellung" aus dem Titel des Romans bezieht sich auf die Sexualposition "Elektrisierende Versöhnung", die Roz und Paul einst für ihr Buch erfanden und die Ehepaaren nach dem Streit geraten wird. Bei den beiden hatte sie nicht funktioniert - sie sind nach dreißig Jahren getrennt, und vielleicht ist Roz' Wunsch, nun eine Jubiläumsausgabe des Buches herauszubringen, auch ein Sehnen nach Versöhnung mit ihrem Mann, den sie einst betrog. Der Roman nutzt Roz' Wunsch als Instrument, um in der Vergangenheit zu graben und zu ergründen, wie die sechs Familienmitglieder in ihren jeweils vermurksten Existenzen angelangt sind. Dabei schlägt Wolitzer einige nicht uninteressante Haken und fängt den Zeitgeist der amerikanischen siebziger Jahre ein. Ganz nebenbei zeigt ihr Roman aber auch, wie antiquiert schon heute das Jahr 2005 anmutet, als Narzissmus sich noch nicht dominant in den sozialen Medien zeigte, sondern im direkten Austausch zwischen Figuren und Menschen. Eine der besten Passagen dreht sich um Dashiell, der als Rekonvaleszent nach einer Krebserkrankung eine medikamentöse Halluzination erfährt, die ihm mit zärtlich pointierter Ökonomie einen erlösenden, weil vollkommen körperlosen Moment der Ruhe "in der kalten Winterluft" einer amerikanischen Nacht beschert. Gleichzeitig ist dieser Moment eine willkommene Erlösung von dem hibbeligen, aufgeblasenen Stil des Romans, denn auch ästhetisch hat dieser träumerische, an Cheever erinnernde Moment nichts Gewolltes. Das trifft für den Rest des Textes leider nicht zu.
Allzu oft schert Wolitzers Sprache aus und greift nach Vergleichen und Metaphern, die ebenso wahl- wie ergebnislos Mischbilder aus verschiedensten Kontexten entwerfen. Aus Brüsten werden Euter, aus Körpern Maschinen und Wüsten, und an einem Glied wird einmal gezogen "wie an etwas, das in einem Abfluss festsaß". Der übermäßige Einsatz des Metaphern-Quirls ist symptomatisch für einen Roman, der durch alle sechs Perspektiven der Familienmitglieder springt, dabei gelegentlich die Richtung verliert und die Erzählsituationen durcheinanderwirft.
Die amerikanische Autorin Meg Wolitzer ist im vergangenen Jahr bei uns mit "Die Interessanten" weitgehend zu großem Erfolg gelangt. Nun möchte man verständlicherweise an diesen Erfolg anknüpfen. Leider ist der nun frisch übersetzte, aber im Original bereits zehn Jahre alte Roman "Die Stellung" weder ein reifes noch in anderer Hinsicht den Vorgängern ebenbürtiges Werk. Wer von Sex und Liebe in Suburbia nicht genug bekommen kann, sollte sich bis auf weiteres an John Updike, Rick Moody oder die großartige A. M. Homes halten.
JAN WILM
Meg Wolitzer: "Die Stellung". Roman.
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Buchverlag, Köln, 2015. 368 S., geb., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2015Auf dem Gipfel
der Peinlichkeit
Meg Wolitzers munterer
Familienroman „Die Stellung“
Gar nicht so einfach, wenn die Eltern lockerer sind als die Kinder und ihr Liebesleben in aller Öffentlichkeit zelebrieren. Wer bisher annahm, verklemmte Eltern wären hinderlich für die sexuelle Entwicklung, wird mit diesem Roman eines Besseren belehrt. Hier ist es umgekehrt. Der dreizehnjährige Michael entdeckt an einem Sommertag des Jahres 1975 einen Sex-Ratgeber auf dem obersten Bord des Bücherregals im Wohnzimmer der auf Long Island lebenden Familie. „Pleasuring. Die Reise eines Paares zur Erfüllung“ heißt das Buch. Wie Alex Comforts „The Joy of Sex“ ist es mit detaillierten Zeichnungen eines Paars illustriert, das sich durch verschiedene Stellungen turnt.
Dass Pubertierende bei den Eltern Sex- oder Ehe-Ratgeber finden, wie das früher einmal hieß (als Hendrik van de Veldes „Die vollkommene Ehe“ in deutschen Schlafzimmerschränken schlummerte), ist nichts Besonderes. Was Michael geschieht, allerdings schon. Denn bei dem Paar handelt es sich unverkennbar um seine Eltern. Sie haben nicht nur Modell gestanden, sie haben das Buch auch geschrieben und ausführlich von ihrem Liebesleben erzählt. Und sie haben es mit Bedacht ins Wohnzimmer gestellt, damit ihre Kinder Sex als etwas Natürliches empfinden, das nicht in Schmuddelecken oder im Keller versteckt werden muss. Für Michael ist es trotzdem ein Schock, den er teilen will. Also ruft er seine drei Geschwister zusammen: Holly, die schöne und überhebliche Älteste, sowie Dashiell und Claudia, die mit ihren acht und sechs Jahren erst recht überfordert sind.
Als Paul und Roz Mellow spät nachts von einem ihrer vielen Termine als Promis der sexuellen Befreiung nach Hause kommen, liegen die Kinder schlafend in den Betten. Sie sehen aus wie immer. Doch in ihren Köpfen herrscht Chaos. Der Tag wird zum Dreh- und Angelpunkt des Romans. Immer wieder kehrt Meg Wolitzer zu ihm zurück, während sie die Lebenswege der Familienmitglieder bis ins Jahr 2003 verfolgt. „Pleasuring“ soll in einer Neuausgabe erscheinen. Das Tauziehen, das sich die seit Jahren getrennten Eltern deswegen liefern, bildet das Schwungrad des Romans.
2005 im amerikanischen Original erschienen, ist „Die Stellung“ („The Position“) ein recht munterer Familienroman mit einem gewissen Hang zum Banalen. Zugleich aber will er mehr sein, nämlich Zeitdiagnose und Gesellschaftsporträt. Zwischen diesen Ansprüchen hin und her gerissen, wirken die Figuren ziemlich schematisch. Die 1960 geborene Holly probiert sämtliche Drogen, taumelt von einer Liebesenttäuschung zur nächsten, verliert ihre Schönheit und ihren Zauber, um sich schließlich in die Ehe mit einem schnöseligen Arzt zu retten und spät noch ein Kind zu bekommen. Sie lebt in Los Angeles und hält die Familie auf Distanz. Dashiell entdeckt mit vierzehn, dass er schwul ist, tritt als junger Mann bei den Republikanern ein und verdient sein Geld als Redenschreiber. Als er lebensgefährlich erkrankt, denken alle, es sei Aids, aber es ist Krebs. Michael leidet unter Depressionen und nimmt Psychopharmaka, die er schließlich absetzt, um seine Lust wiederzugewinnen. Die Jüngste bleibt lange allein, dreht einen Film über ihre alte Schule und lernt einen Arzt kennen, in den sie sich ausgerechnet in ihrem ehemaligen Kinderzimmer verliebt. Er ist der Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer, die mittlerweile in ihrem früheren Elternhaus leben.
Vom geradezu sympathischen Sex der Hippie-Ära mit seiner Natürlichkeitsaura spannt Meg Wolitzer den Bogen zur Pornografisierung der Gesellschaft im Internetzeitalter. Doch das Konfliktpotenzial des Themas reizt sie nicht aus. Ist es tatsächlich noch Intimität, was zwischen Paul und Roz zu sehen ist, wenn ein Zeichner sie dabei abbildet und sie wortreich verschiedene Stellungen kommentieren, darunter die selbst erfundene „Elektrisierende Versöhnung“, auf die der Titel anspielt? Ist der freie Umgang mit Sexualität, ohne Rücksicht darauf, den eigenen Kindern eine medial verstärkte Urszene zuzumuten, einfach nur unbedacht oder womöglich sogar eine Form von Missbrauch? Die Figurenzeichnung legt das nahe, aber Meg Wolitzer spricht es nicht aus.
Sie huldigt lieber einem stillen Konservativismus, der Bindungskräfte beschwört, aber undeutlich bleibt. Mit ihrem jüngst erschienenen Roman „Die Interessanten“ („The Interestings“, 2013) ist der 1959 geborenen Amerikanerin endlich der Schritt zum Gesellschaftsroman geglückt. Ob man ihrem literarischen Ruf einen Gefallen tut, wenn man nun auch ihre früheren Romane ins Deutsche übersetzt, ist ungewiss. Dieser jedenfalls ist schwächer als sein ebenfalls von Werner Löcher-Lawrence übersetzter Vorgänger.
MEIKE FESSMANN
Meg Wolitzer: Die Stellung. Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Buchverlag, Köln 2015. 367 Seiten, 19,99 Euro.
Seit 1982 veröffentlichte Meg Wolitzer, geboren 1959, elf Romane. „The Position“ erschien 2005 in New York.
Foto: ina Subin/DuMont
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der Peinlichkeit
Meg Wolitzers munterer
Familienroman „Die Stellung“
Gar nicht so einfach, wenn die Eltern lockerer sind als die Kinder und ihr Liebesleben in aller Öffentlichkeit zelebrieren. Wer bisher annahm, verklemmte Eltern wären hinderlich für die sexuelle Entwicklung, wird mit diesem Roman eines Besseren belehrt. Hier ist es umgekehrt. Der dreizehnjährige Michael entdeckt an einem Sommertag des Jahres 1975 einen Sex-Ratgeber auf dem obersten Bord des Bücherregals im Wohnzimmer der auf Long Island lebenden Familie. „Pleasuring. Die Reise eines Paares zur Erfüllung“ heißt das Buch. Wie Alex Comforts „The Joy of Sex“ ist es mit detaillierten Zeichnungen eines Paars illustriert, das sich durch verschiedene Stellungen turnt.
Dass Pubertierende bei den Eltern Sex- oder Ehe-Ratgeber finden, wie das früher einmal hieß (als Hendrik van de Veldes „Die vollkommene Ehe“ in deutschen Schlafzimmerschränken schlummerte), ist nichts Besonderes. Was Michael geschieht, allerdings schon. Denn bei dem Paar handelt es sich unverkennbar um seine Eltern. Sie haben nicht nur Modell gestanden, sie haben das Buch auch geschrieben und ausführlich von ihrem Liebesleben erzählt. Und sie haben es mit Bedacht ins Wohnzimmer gestellt, damit ihre Kinder Sex als etwas Natürliches empfinden, das nicht in Schmuddelecken oder im Keller versteckt werden muss. Für Michael ist es trotzdem ein Schock, den er teilen will. Also ruft er seine drei Geschwister zusammen: Holly, die schöne und überhebliche Älteste, sowie Dashiell und Claudia, die mit ihren acht und sechs Jahren erst recht überfordert sind.
Als Paul und Roz Mellow spät nachts von einem ihrer vielen Termine als Promis der sexuellen Befreiung nach Hause kommen, liegen die Kinder schlafend in den Betten. Sie sehen aus wie immer. Doch in ihren Köpfen herrscht Chaos. Der Tag wird zum Dreh- und Angelpunkt des Romans. Immer wieder kehrt Meg Wolitzer zu ihm zurück, während sie die Lebenswege der Familienmitglieder bis ins Jahr 2003 verfolgt. „Pleasuring“ soll in einer Neuausgabe erscheinen. Das Tauziehen, das sich die seit Jahren getrennten Eltern deswegen liefern, bildet das Schwungrad des Romans.
2005 im amerikanischen Original erschienen, ist „Die Stellung“ („The Position“) ein recht munterer Familienroman mit einem gewissen Hang zum Banalen. Zugleich aber will er mehr sein, nämlich Zeitdiagnose und Gesellschaftsporträt. Zwischen diesen Ansprüchen hin und her gerissen, wirken die Figuren ziemlich schematisch. Die 1960 geborene Holly probiert sämtliche Drogen, taumelt von einer Liebesenttäuschung zur nächsten, verliert ihre Schönheit und ihren Zauber, um sich schließlich in die Ehe mit einem schnöseligen Arzt zu retten und spät noch ein Kind zu bekommen. Sie lebt in Los Angeles und hält die Familie auf Distanz. Dashiell entdeckt mit vierzehn, dass er schwul ist, tritt als junger Mann bei den Republikanern ein und verdient sein Geld als Redenschreiber. Als er lebensgefährlich erkrankt, denken alle, es sei Aids, aber es ist Krebs. Michael leidet unter Depressionen und nimmt Psychopharmaka, die er schließlich absetzt, um seine Lust wiederzugewinnen. Die Jüngste bleibt lange allein, dreht einen Film über ihre alte Schule und lernt einen Arzt kennen, in den sie sich ausgerechnet in ihrem ehemaligen Kinderzimmer verliebt. Er ist der Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer, die mittlerweile in ihrem früheren Elternhaus leben.
Vom geradezu sympathischen Sex der Hippie-Ära mit seiner Natürlichkeitsaura spannt Meg Wolitzer den Bogen zur Pornografisierung der Gesellschaft im Internetzeitalter. Doch das Konfliktpotenzial des Themas reizt sie nicht aus. Ist es tatsächlich noch Intimität, was zwischen Paul und Roz zu sehen ist, wenn ein Zeichner sie dabei abbildet und sie wortreich verschiedene Stellungen kommentieren, darunter die selbst erfundene „Elektrisierende Versöhnung“, auf die der Titel anspielt? Ist der freie Umgang mit Sexualität, ohne Rücksicht darauf, den eigenen Kindern eine medial verstärkte Urszene zuzumuten, einfach nur unbedacht oder womöglich sogar eine Form von Missbrauch? Die Figurenzeichnung legt das nahe, aber Meg Wolitzer spricht es nicht aus.
Sie huldigt lieber einem stillen Konservativismus, der Bindungskräfte beschwört, aber undeutlich bleibt. Mit ihrem jüngst erschienenen Roman „Die Interessanten“ („The Interestings“, 2013) ist der 1959 geborenen Amerikanerin endlich der Schritt zum Gesellschaftsroman geglückt. Ob man ihrem literarischen Ruf einen Gefallen tut, wenn man nun auch ihre früheren Romane ins Deutsche übersetzt, ist ungewiss. Dieser jedenfalls ist schwächer als sein ebenfalls von Werner Löcher-Lawrence übersetzter Vorgänger.
MEIKE FESSMANN
Meg Wolitzer: Die Stellung. Roman. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. DuMont Buchverlag, Köln 2015. 367 Seiten, 19,99 Euro.
Seit 1982 veröffentlichte Meg Wolitzer, geboren 1959, elf Romane. „The Position“ erschien 2005 in New York.
Foto: ina Subin/DuMont
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