Lobbyisten scheuen das Licht der Öffentlichkeit, gewinnen in der Berliner Republik aber immer mehr an politischem Einfluss. Dennoch wird die "stille Macht" Lobbyismus von der Wissenschaft, den Medien und der Öffentlichkeit selten in seinem gesamten Machtspektrum gewürdigt. In diesem Buch wird der Lobbyismus umfassend analysiert und der ständig wachsende Einflussbereich von Wirtschaft auf politische Entscheidungen neu vermessen. Die politische und wissenschaftliche Analyse zur aktuellen Entwicklung der politischen Lobbyarbeit wird durch neue Studien und zahlreiche Fallbeispiele etwa der Pharmalobby, Straßenbaulobby und Agrarlobby ergänzt. Wichtige Lobbyisten äußern sich zu ihrer Arbeit in Berlin. Auch der mächtige, aber unkontrollierte Lobbyismus in Brüssel wird behandelt. Lobbyismus ist ein großes Tabuthema im parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland. Erstmals werden unbekannte Einflusszonen aufgedeckt, die wichtigsten Akteure und ihre Machttechniken beschrieben. Die Macht der "Fünften Gewalt" wird mit diesem Buch transparenter - ein Hintergrunddossier und gleichzeitig ein wichtiges Kapitel verschwiegener Sozialkunde.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2004Die Seilschaft der Gesellschaft
Wer nach Zeichen für den Verfall der Öffentlichkeit sucht, tut sich in den Lobbys um. Entweiht das gedämpfte Gemurmel, das die Vorhallen der Macht erfüllt, nicht den redlichen Streit der Demokraten? Und ist der Lobbyist, der einzig und allein im Namen seines Auftraggebers spricht, nicht das wandelnde Zerrbild des vom Volk gewählten Abgeordneten? Gründe genug, diese Kleinkrämer in heiligem Zorn aus dem Tempel des Parlaments zu verjagen.
Kein Zweifel, Lobbyisten verkörpern eine geheimnisvolle Seite des Parlamentarismus. Doch die stärkere Sichtbarkeit von Interessengruppen in der Berliner Republik steht nicht zwangsweise für Dekadenz. Denn anders als die halbstaatlichen Verbände, welche die Konsensrunden der alten Bundesrepublik bevölkerten, machen die Lobbys aus ihrer Parteilichkeit wenigstens keinen Hehl. Das Setzen auf einen Wettstreit der Egoismen steht freilich, wie der Fernsehreporter Thomas Leif und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth als Buchherausgeber darlegen, immer noch im Ruf einer neoliberalen Irrlehre ("Die stille Macht." Lobbyismus in Deutschland. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003. 385 S., br., 32,90 [Euro]).
Dabei diente die Lobby ursprünglich als Kontrollstelle für Parlamentarier. Vor jeder Abstimmung erwarteten die amerikanischen Kongreßmänner des neunzehnten Jahrhunderts ein Spießrutenlaufen. In der Wandelhalle ("lobby") riefen die verschiedensten Gruppierungen den Volksvertretern ihre Abwählbarkeit ins Gedächtnis - fast eine demokratische Fassung jenes Mementos, das römische Kaiser an ihre Sterblichkeit erinnerte. An diese Urszene knüpfen die Verteidiger des Lobbyismus an: Als in den Prozeß der politischen Willensbildung eingebaute Rückkopplung beugt er der Loslösung der Legislative von ihrer Umwelt vor. Lobbys erscheinen so als "Dolmetscher" zwischen Funktionssystemen ohne gemeinsame Sprache. Besonders im Babylon der Brüsseler Verwaltung, welche den Kontakt zum Souverän stets zu verlieren droht, leisten die Lobbyisten - so der Politikwissenschaftlers Rinus van Schendelen - unverzichtbare Botendienste.
Auch in den Interviews des Bandes treten die Lobbyisten als Pfadfinder durch die Labyrinthe der Ministerialbürokratie auf. Wolf-Dieter Zumpfort, Vorsitzender des Berliner "Collegiums", verlangt vom guten Lobbyisten die Fähigkeit zum Marsch durch die Institutionen - also die telefonische Begleitung eines Gesetzesentwurfs "über den Referenten, über den Referatsleiter, den Unterabteilungsleiter und den Abteilungsleiter". Ausgerechnet dem Lobbyisten, scheinbar der natürliche Feind des Reformbremsers, ist die graue Seele des Beamten näher als der schmierige Glanz eines Moritz Hunzinger.
Längst lodert kein Fegefeuer der Eitelkeiten mehr in den Vorzimmern der Macht. In aller Bescheidenheit treten Lobbyisten als Dienstleister auf. So deutet der im Oktober 2003 von seinen Aufgaben entbundene Telekom-Lobbyist Karlheinz Maldaner an, die Hauptstadtrepräsentanz erspare streßgeplagten Vorstandsmitgliedern die Zeitungslektüre. Selbst für niedere Büroarbeiten sind sich Lobbys nicht zu schade: So bitten Ministerien, wie Maldaner bekennt, "um Hilfestellung bei der Formulierung von Gesetzestexten oder spezifischen inhaltlichen Fragestellungen". Offenbar sind Lobbyisten bloß die ersten Diener ihres Staates, die jedem angesichts der komplexen Materie um Worte ringenden Referatsleiter ein paar Adjektive schenken.
Welche Gefahren dieses "Regieren ohne Regierung" birgt, sehen auch Leif und Speth. Ihr Band enthält das Belastungsmaterial eines Schwarzbuchs und das Know-how eines Handbuchs. Manche Beiträg rechten mit den Lobbys - so die Abrechnung des Journalisten Gottlob Schober mit der Privatisierung der Telekom und dem Volksbetrug mit der Volksaktie. Andere Texte lesen sich wie PowerPoint-Präsentationen für den Wettbewerb um die schönste Lobby.
Doch gerade die unreine Heuristik dieses Bandes, der eine Mischung aus Außenperspektiven und Innenansichten präsentiert, macht ihn zum schillernden Dokument. Das Klischee von den Strippenziehern erfährt deutliche Korrekturen. So räumt die Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Birger Priddat über die "Beratungsresistenz" der Politik mit dem Vorurteil auf, Politiker stünden unter dem Einfluß ökonomischer Theorien. Die Untersuchung des Soziologen Jochen Roose über die NGOs zeigt die Verwandtschaften zwischen den scheinbar artfremden Formen des Protests und des Lobbyismus auf.
Leider bleibt der Mut zur Interpretation in diesem materialreichen Dossier die Ausnahme. Vielmehr bilden die Einzeldarstellungen zu verschiedensten Lobbys und Verbänden - vom Straßenbau bis zur Pharmabranche, von den Städten bis zu den Gewerkschaften - den Volksauflauf in den Vorzimmern fast im Maßstab eins zu eins ab. Sogar die Herausgeber lassen sich in ihrem Aufsatz über die neuen Bürgerbewegungen die Chance zu einer Deutung dieser paradoxen Lobbys gegen die Lobbys entgehen. Doch trotz einer konzeptionellen Unausgegorenheit, die sich auf der Textoberfläche in zahlreichen Schlampigkeiten spiegelt und offenbar die Kehrseite hoher Aktualität darstellt, eröffnet der Band faszinierende Perspektiven auf eine von der Wissenschaft bislang gemiedene Mikrophysik der Macht. Vielleicht ist im Gewimmel der Lobbys mehr über das Funktionieren der Demokratie zu lernen als über ihr Scheitern.
ANDREAS ROSENFELDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer nach Zeichen für den Verfall der Öffentlichkeit sucht, tut sich in den Lobbys um. Entweiht das gedämpfte Gemurmel, das die Vorhallen der Macht erfüllt, nicht den redlichen Streit der Demokraten? Und ist der Lobbyist, der einzig und allein im Namen seines Auftraggebers spricht, nicht das wandelnde Zerrbild des vom Volk gewählten Abgeordneten? Gründe genug, diese Kleinkrämer in heiligem Zorn aus dem Tempel des Parlaments zu verjagen.
Kein Zweifel, Lobbyisten verkörpern eine geheimnisvolle Seite des Parlamentarismus. Doch die stärkere Sichtbarkeit von Interessengruppen in der Berliner Republik steht nicht zwangsweise für Dekadenz. Denn anders als die halbstaatlichen Verbände, welche die Konsensrunden der alten Bundesrepublik bevölkerten, machen die Lobbys aus ihrer Parteilichkeit wenigstens keinen Hehl. Das Setzen auf einen Wettstreit der Egoismen steht freilich, wie der Fernsehreporter Thomas Leif und der Politikwissenschaftler Rudolf Speth als Buchherausgeber darlegen, immer noch im Ruf einer neoliberalen Irrlehre ("Die stille Macht." Lobbyismus in Deutschland. Westdeutscher Verlag, Wiesbaden 2003. 385 S., br., 32,90 [Euro]).
Dabei diente die Lobby ursprünglich als Kontrollstelle für Parlamentarier. Vor jeder Abstimmung erwarteten die amerikanischen Kongreßmänner des neunzehnten Jahrhunderts ein Spießrutenlaufen. In der Wandelhalle ("lobby") riefen die verschiedensten Gruppierungen den Volksvertretern ihre Abwählbarkeit ins Gedächtnis - fast eine demokratische Fassung jenes Mementos, das römische Kaiser an ihre Sterblichkeit erinnerte. An diese Urszene knüpfen die Verteidiger des Lobbyismus an: Als in den Prozeß der politischen Willensbildung eingebaute Rückkopplung beugt er der Loslösung der Legislative von ihrer Umwelt vor. Lobbys erscheinen so als "Dolmetscher" zwischen Funktionssystemen ohne gemeinsame Sprache. Besonders im Babylon der Brüsseler Verwaltung, welche den Kontakt zum Souverän stets zu verlieren droht, leisten die Lobbyisten - so der Politikwissenschaftlers Rinus van Schendelen - unverzichtbare Botendienste.
Auch in den Interviews des Bandes treten die Lobbyisten als Pfadfinder durch die Labyrinthe der Ministerialbürokratie auf. Wolf-Dieter Zumpfort, Vorsitzender des Berliner "Collegiums", verlangt vom guten Lobbyisten die Fähigkeit zum Marsch durch die Institutionen - also die telefonische Begleitung eines Gesetzesentwurfs "über den Referenten, über den Referatsleiter, den Unterabteilungsleiter und den Abteilungsleiter". Ausgerechnet dem Lobbyisten, scheinbar der natürliche Feind des Reformbremsers, ist die graue Seele des Beamten näher als der schmierige Glanz eines Moritz Hunzinger.
Längst lodert kein Fegefeuer der Eitelkeiten mehr in den Vorzimmern der Macht. In aller Bescheidenheit treten Lobbyisten als Dienstleister auf. So deutet der im Oktober 2003 von seinen Aufgaben entbundene Telekom-Lobbyist Karlheinz Maldaner an, die Hauptstadtrepräsentanz erspare streßgeplagten Vorstandsmitgliedern die Zeitungslektüre. Selbst für niedere Büroarbeiten sind sich Lobbys nicht zu schade: So bitten Ministerien, wie Maldaner bekennt, "um Hilfestellung bei der Formulierung von Gesetzestexten oder spezifischen inhaltlichen Fragestellungen". Offenbar sind Lobbyisten bloß die ersten Diener ihres Staates, die jedem angesichts der komplexen Materie um Worte ringenden Referatsleiter ein paar Adjektive schenken.
Welche Gefahren dieses "Regieren ohne Regierung" birgt, sehen auch Leif und Speth. Ihr Band enthält das Belastungsmaterial eines Schwarzbuchs und das Know-how eines Handbuchs. Manche Beiträg rechten mit den Lobbys - so die Abrechnung des Journalisten Gottlob Schober mit der Privatisierung der Telekom und dem Volksbetrug mit der Volksaktie. Andere Texte lesen sich wie PowerPoint-Präsentationen für den Wettbewerb um die schönste Lobby.
Doch gerade die unreine Heuristik dieses Bandes, der eine Mischung aus Außenperspektiven und Innenansichten präsentiert, macht ihn zum schillernden Dokument. Das Klischee von den Strippenziehern erfährt deutliche Korrekturen. So räumt die Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Birger Priddat über die "Beratungsresistenz" der Politik mit dem Vorurteil auf, Politiker stünden unter dem Einfluß ökonomischer Theorien. Die Untersuchung des Soziologen Jochen Roose über die NGOs zeigt die Verwandtschaften zwischen den scheinbar artfremden Formen des Protests und des Lobbyismus auf.
Leider bleibt der Mut zur Interpretation in diesem materialreichen Dossier die Ausnahme. Vielmehr bilden die Einzeldarstellungen zu verschiedensten Lobbys und Verbänden - vom Straßenbau bis zur Pharmabranche, von den Städten bis zu den Gewerkschaften - den Volksauflauf in den Vorzimmern fast im Maßstab eins zu eins ab. Sogar die Herausgeber lassen sich in ihrem Aufsatz über die neuen Bürgerbewegungen die Chance zu einer Deutung dieser paradoxen Lobbys gegen die Lobbys entgehen. Doch trotz einer konzeptionellen Unausgegorenheit, die sich auf der Textoberfläche in zahlreichen Schlampigkeiten spiegelt und offenbar die Kehrseite hoher Aktualität darstellt, eröffnet der Band faszinierende Perspektiven auf eine von der Wissenschaft bislang gemiedene Mikrophysik der Macht. Vielleicht ist im Gewimmel der Lobbys mehr über das Funktionieren der Demokratie zu lernen als über ihr Scheitern.
ANDREAS ROSENFELDER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Gerade die unreine Heuristik", findet Rezensent Andreas Rosenfelder, mache diesen von Thomas Leif und Rudolf Speth herausgegebenen Sammelband über die wachsende Bedeutung des Lobbyismus in Deutschland zu einem "schillernden Dokument". In diesem Band finden sich, wie der Rezensent berichtet, Texte, die sich läsen "wie PowerPoint-Rräsentationen für den Wettbewerb um die schönste Lobby", scharfe Abrechnungen von Journalisten mit einzelnen Lobbys, und leider selten Texte mit "Mut zur Interpretation". Hervor hebt der Rezensent den Beitrag des Soziologen Jochen Roose über NGOs, der Verwandtschaften zwischen den "scheinbar artfremden Formen des Protests und des Lobbyismus" aufzeige. Doch trotz einer gewissen "konzeptionellen Unausgegorenheit" und einiger "Schlampigkeiten" eröffne der Band, lobt Rosenfelder, "faszinierende Perspektiven" auf eine "von der Wissenschaft bislang gemiedene Mikrophysik der Macht" - und zeige nicht zuletzt, dass "im Gewimmel der Lobbys" vielleicht "mehr über das Funktionieren der Demokratie" zu lernen sei "als über ihr Scheitern".
© Perlentaucher Medien GmbH
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"[...] faszinierende Perspektiven auf eine von der Wissenschaft bislang vermiedene Mikrophysik der Macht." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2004
"Erstmals werden unbekannte Einflusszonen, die wichtigsten Akteure und ihre Machttechniken beschrieben." Politik & Kommunikation, 12-01/2003-2004
"Es gibt Bücher, die kommen zur richtigen Zeit. Weil sie helfen, manche Absurdität in unserer komplexen Welt zu verstehen und dann eventuell sogar zum Besseren zu wenden." Saarbrücker Zeitung, 06.04.2004
"[...] ein sehr nützliches Werk, auch für den interessierten Laien verständlich." www.ndrinfo.de, 16.02.2004
"Mehr Licht ins Dunkel bringt auf jeden Fall dieses Buch." Schwäbische Zeitung, 09.04.2004
"Leif und Speth zerren keine Dunkelmänner ans Licht und erzählen keine Episödchen, sondern sie verdeutlichen die Strukturen und Handlungsweisen des Lobbyismus. [...]" Neue Ruhr Zeitung, 04.02.2004
"[...] Ihr Band enthält das Belastungsmaterial eines Schwarzbuchs und das Know-how eines Handbuchs." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2004
"Der Band hat einen stark informativen und analytischen Charakter und weist das für eine Demokratie problematische Zusammenspiel von politischen Entscheidern, ministeriellen Bürokratien und den nicht legitimierten stillen Teilhabern an der Macht eindringlich nach." deutsche jugend, 5-2009
"Erstmals werden unbekannte Einflusszonen, die wichtigsten Akteure und ihre Machttechniken beschrieben." Politik & Kommunikation, 12-01/2003-2004
"Es gibt Bücher, die kommen zur richtigen Zeit. Weil sie helfen, manche Absurdität in unserer komplexen Welt zu verstehen und dann eventuell sogar zum Besseren zu wenden." Saarbrücker Zeitung, 06.04.2004
"[...] ein sehr nützliches Werk, auch für den interessierten Laien verständlich." www.ndrinfo.de, 16.02.2004
"Mehr Licht ins Dunkel bringt auf jeden Fall dieses Buch." Schwäbische Zeitung, 09.04.2004
"Leif und Speth zerren keine Dunkelmänner ans Licht und erzählen keine Episödchen, sondern sie verdeutlichen die Strukturen und Handlungsweisen des Lobbyismus. [...]" Neue Ruhr Zeitung, 04.02.2004
"[...] Ihr Band enthält das Belastungsmaterial eines Schwarzbuchs und das Know-how eines Handbuchs." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.03.2004
"Der Band hat einen stark informativen und analytischen Charakter und weist das für eine Demokratie problematische Zusammenspiel von politischen Entscheidern, ministeriellen Bürokratien und den nicht legitimierten stillen Teilhabern an der Macht eindringlich nach." deutsche jugend, 5-2009