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Gestern war er noch ein angesehener Superintendent, heute ist Theo Shortcourse ein Mörder auf der Flucht. Aus seinem Versteck am Fluss erzählt er sein Leben, das eng verwoben ist mit dem Schicksal des modernen Irland: mit dem Kampf der IRA und politischen Machenschaften, Spionage und Verrat.

Produktbeschreibung
Gestern war er noch ein angesehener Superintendent, heute ist Theo Shortcourse ein Mörder auf der Flucht. Aus seinem Versteck am Fluss erzählt er sein Leben, das eng verwoben ist mit dem Schicksal des modernen Irland: mit dem Kampf der IRA und politischen Machenschaften, Spionage und Verrat.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.02.1997

Drei Männer am Fluß
Peter Cunningham lauscht den Stimmen aus dem Delta

Alles fließt. Man findet hinein in eine Welt, die vorher schon bestand und weiter bestehen wird, wenn man aus der Welt wieder hinausgeht. Leben wird zum Lebenslauf, Biographien treffen aufeinander, begleiten sich eine Weile oder bis zur bitteren Neige, verbinden sich oder streben auseinander. Fragend, suchend oder blindlings voranschreitend tauchen hier und dort Figuren auf, die Gutes oder Übles wollen, nicht aus ihrer Haut können, sich selbst verfehlen oder in sich ruhen. Sie alle tragen einen Namen, werden in einen Flecken Land mit seinen Schönheiten und Wirrnissen hineingeboren. Peter Cunningham wollte nicht mehr, als dies zeigen, und es ist ihm gelungen.

Die Geschichte beginnt im Wasser, auf einem Fluß im Süden Irlands. Im Jahre 1888 fährt Sammy Love an Bord eines Dampfers den Lyle hinauf. Der Kapitän ist sturzbetrunken und verfehlt die Route. Die Mannschaft versackt notgedrungen für eine lange Nacht im Ort Monument. Am nächsten Tag, als die Reise weitergeht, bleibt Sammy Love zurück, weil er über Nacht eine Frau zu seiner Frau gemacht hat. Sie heißt Mary Sweeten. Ihr Vater stirbt bald, Sammy erbt. Das erste Kind trägt den Namen Bernard, es folgen Mary, genannt Baby, und Hugo. Sammy zieht später mit der Familie nach Eillne, dem letzten brauchbaren Streifen Land vor dem unermeßlichen Flußdelta, in das der Lyle verblutet. Im Jahre 1905 wird Martha Love geboren, und hier verliert die Familiengeschichte plötzlich an Schärfe. Mary Love stirbt, an gebrochenem Herzen, wie es später heißen wird, während ihr Mann, Sammy Love, den restlichen Teil seines Lebens in einer Nervenheilanstalt verbringt. Später weiß keiner so recht mehr, warum er dort landete. Und die, die etwas wissen, erzählen es nicht.

Erst im Jahre 1939 faßt die Familiengeschichte wieder Tritt. Theo Shortcourse erblickt das Licht der Welt und wächst als Sohn in der Obhut von Martha Love Shortcourse heran. Um ihn wird sich alles Weitere drehen, und er ist es auch, der schließlich herausfindet, was es mit den dunklen Flecken in der Geschichte seiner Familie auf sich hat. Theo hat zwei Kumpel, seine Vettern Bain und Pax. Aus Bain wird später einmal der Justizminister, dann sogar der Premierminister von Irland. Pax schafft es hoch hinauf zum leitenden Polizeibeamten. Und Theo wird den Posten eines Superintendenten beim Zollamt der Republik innehaben. Doch es wird auf eine beklemmende Weise immer gleich sein zwischen den drei Ungleichen, zwischen dem Machtmenschen Bain, dem Suchenden Theo, dem prinzipientreuen Pax. Als aus den Kinderspielen der Ernst von Erwachsenen wird, als die Lebensneugier zu Interessen gerinnt, werden alle drei in einen Strudel von Ereignissen hineingesogen, in dem es Rettung nur auf Kosten der anderen geben kann.

Peter Cunningham hat eine spannende Geschichte bewundernswert versiert erzählt. Hier ist jemand am Werk, der ein hohes technisches Können, eine Liebe zur erzählerischen Konstruktion mit einem ausgeprägten Sinn für Tonlagen, einem feinen Gespür für Figuren vereint. So etwas muß man in der Schule der Detektivromane gelernt haben, dort, wo die Szenen schnell wechseln und im Gespräch alles gesagt wird, wo die Beschreibung an Ort und Stelle bleibt und Gedanken oft verloren wirken. Cunningham, der bisher Thriller veröffentlichte, zeigt bravourös, wie in einem Genre auch gelingen kann, was im anderen immer der Fall ist. Was er sich dort an Augenmaß erschrieb, wird ihm für diesen Roman jene Sicherheit gegeben haben, dank deren er sich dem Fluß seiner Erzählung überlassen kann.

Dieser Fluß schwillt zu einem reißenden Strom an, der Jahrzehnte verschluckt. Ein Leben vergeht schnell, und ebenso plötzlich ist Theo sechzig Jahre alt, und das halbwegs stabile Gleichgewicht der drei Freunde kippt. Ein Mord geschieht. Theo erschießt Bain und flüchtet vor der Polizei und seinem Freund Pax in das nahezu unzugängliche Delta des Flusses. Dort diktiert er auf ein Tonbandgerät seine Geschichte - so, wie er sich erinnert, so, wie man sie erzählen muß, wenn die Geschichte dort ankommen soll, wo Theo jetzt sitzt und spricht. Jahrzehnte, in denen nichts Wesentliches geschah, nur Alltägliches, was sich nicht in die Kette der entscheidenden Ereignisse einreihen läßt, verschluckt er wortlos. Die Geschichte, die er zu erzählen hat, gleicht einer Familiensaga, deren banale Ungeheuerlichkeiten und trostlose Ausblicke geschwisterlich mit sonnengesegneten Augenblicken und Herzenskraft einhergehen. Solange ein Leben zwischen solcher Dunkelheit und Tageshelle erzählt werden kann, so lange hat der, der da seine Stimme erhebt, noch nicht alle Hoffnung dahingegeben. EBERHARD RATHGEB

Peter Cunningham: "Die Stimme aus dem Delta". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Carl Reske. Berlin Verlag, Berlin 1996. 444 S., geb., 42,- DM.

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