Er hat seine Frau verlassen und seinen Besitz aufgegeben. Er schläfttagsüber, weil die Nacht nichts von ihm will. Er ist von Finnland in eine schwedische Großstadt gezogen, weil ihn dort niemand kennt. Er will den »Vertrag mit der Zeit brechen«, den Pakt mit dem gewöhnlichen Leben, dem all die anderen so unbewußt verfallen sind.
Aber immer wieder passiert es ihm, daß ihn das Leben stärker berührt, als er es will. Es bleibt nicht bei den kleinen Hilfsarbeiten für einen finnischen Bauunternehmer, bei den nächtlichen Streifzügen durch die Stadt. Er geht Beziehungen ein: mit Karen, die über ihm wohnt und sich von einem reichen Schweden gegen sexuelle Dienstleistungen aushalten läßt. Mit Anna, die wie er fremd ist in dieser Stadt, unfreiwillig allerdings. Und plötzlich muß er sich entscheiden. Bleibt er weiter unbeteiligt, als Ungerechtigkeit und sinnlose Gewalt ihm näher kommen, als ihm lieb sein kann? Oder ergreift er schließlich doch Partei?
Mit großer Souveränität erzählt Sahlbergvom Kampf seines Helden gegen sich selbst, von der Verführung des entfremdeten Lebens und davon, daß die Menschlichkeit so leicht nicht totzukriegen ist. Ein Debüt, das in Finnland und Schweden gleichermaßen Furore gemacht hat.
Aber immer wieder passiert es ihm, daß ihn das Leben stärker berührt, als er es will. Es bleibt nicht bei den kleinen Hilfsarbeiten für einen finnischen Bauunternehmer, bei den nächtlichen Streifzügen durch die Stadt. Er geht Beziehungen ein: mit Karen, die über ihm wohnt und sich von einem reichen Schweden gegen sexuelle Dienstleistungen aushalten läßt. Mit Anna, die wie er fremd ist in dieser Stadt, unfreiwillig allerdings. Und plötzlich muß er sich entscheiden. Bleibt er weiter unbeteiligt, als Ungerechtigkeit und sinnlose Gewalt ihm näher kommen, als ihm lieb sein kann? Oder ergreift er schließlich doch Partei?
Mit großer Souveränität erzählt Sahlbergvom Kampf seines Helden gegen sich selbst, von der Verführung des entfremdeten Lebens und davon, daß die Menschlichkeit so leicht nicht totzukriegen ist. Ein Debüt, das in Finnland und Schweden gleichermaßen Furore gemacht hat.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.2003Alle Wetter!
Finnland, Finsterland: Asko Sahlberg kann auch anders
Man muß sich Asko Sahlberg als glücklichen Menschen vorstellen. Als einen milde melancholischen Finnen, der seinen Geschäften nachgeht, im privaten Umgang freundlich und verbindlich ist, humorvoll, sportlich und ein beliebter Kollege. Vermutlich hat er ein nettes, sauberes Haus unter Tannen, in dem seine sympathische Familie wohnt und drei süße Hunde, die alle Nokia heißen und von allein in sein umweltgerechtes Familienauto springen. Tagsüber arbeitet er in einer Werbeagentur und denkt darüber nach, wie neue Produkte das Leben der Finnen weiter optimierensofern das überhaupt noch möglich ist.
Nachts aber und in den frühen Morgenstunden geschieht etwas mit ihm. Er schleicht sich, leise, leise, um niemanden zu wecken, an den Computer und wird Asko Sahlberg, der Romancier. Dann aber, Junge, Junge: die Gesellschaft? Eine aufgedunsene Illusion! Die Frauen? Nutten oder Opfer! Die Männer? Schläger und Säufer! Was bleibt? Bloß die Dunkelheit. In Finnland soll es ja oft und lange dunkel sein, darum enthält dieses Buch die allermeisten Charakterisierungen von Dunkelheit, dicht gefolgt von Beschreibungen des Regens. Wettermäßig ist es ja bekanntlich nicht immer so toll im hohen Norden, und der Autor scheint hier eine Chronistenpflicht zu verspüren. Die Dunkelheit ist zum Beispiel "wie eine Frau, die durch ihre bloße Anwesenheit meine Nerven auf das Empfindlichste anspannt", oder sie "legt sich wie durchweichte Kleidung über die Stadt", "wächst dick aus der Erde" oder "liegt verschwiegen und düster um die Häuser, voller entzündeter zuckender Muskeln".
Das Buch hat genau den gleichen Ton wie die existentialistischen Romane der Nachkriegszeit. Man rätselt, ob der Autor einmal Französisch als Leistungskurs hatte oder ob die allgemeine geistesgeschichtliche Entwicklung in Finnland bloß etwas langsamer vorangeht und Existentialismus dort jetzt gerade das angesagte Ding ist? Jedenfalls ist von Körperekel bis zu sinnloser Gewalt bei gleichzeitigem Antifaschismus alles da. Ein kleiner Tip für die Werbetexter: "Wenn Sie Sartres ,Ekel' und den ,Fremden' von Camus mochten, werden Sie auch dieses Buch lieben."
Die Rahmenhandlung ist die eines Mannes, der Finnland verläßt, um in Schweden zu leben, weil seine Ehe gescheitert ist. Dort mietet er eine Wohnung und versucht, sie nie zu verlassen, dann lernt er aber doch zwei Frauen und einige Kleinkriminelle kennen, woraus sich Verwicklungen ergeben, die unbedingt "hart" sein wollen. Es gibt auch Ausflüge in die große böse Stadt, deren Schilderungen klingen wie aus der expressionistischen Literatur. Insgesamt hat der Protagonist mit der Gesellschaft, vor allem mit der verlogenen Arbeitswelt und mit dem stupiden Finnland - erst recht also mit verlogenen stupiden finnischen Werbeagenturen -, derartig abgeschlossen, daß er manchmal tagelang nicht aus der Wohnung geht und dafür lieber die Qualitäten des Regens ("wie durchsichtiges Leder") oder des Sonnenlichts ("wie festgewordenes Fett") oder der unbelebten Welt beschreibt (das "sahnige Licht der Leselampe"), wodurch der ganze Erzählton einen kräftigen Überhang an Adjektiven und Metaphern bekommt. So wird es einem bei der Lektüre ganz flau vor lauter "gierigen schwarzen leeren", "klebrigen insektenhaften", "fahlen wässrigen leeren", "blutigen rohen eitrigen" oder auch "modernden dunkeln stinkenden" Gegen- und Zuständen.
All diese Härte ist aber nur eine Pose. Wenn es richtig zur Sache geht, schlägt dem abgebrühten Helden doch das Herz auf dem rechten humanistischen Fleck, und das erinnert dann wirklich an die Lektüreinterpretationen der gymnasialen Oberstufe. Eigentlich ist diese Hauptfigur doch enttäuschend gut: Seiner hysterischen alkoholkranken Ex-Frau läßt er freiwillig Haus und Vermögen, die Nachbarin will er von der Prostitution abbringen, und einen kleinen Jungen rettet er unter großer persönlicher Gefahr vor brutalen Neonazis. Das ist sozial äußerst lobenswert, literarisch aber enttäuschend. Man wünschte sich an dieser Stelle doch dämonischere Phantasie, so wie man sich immer wünschte, daß Lassie mal ein Baby in das brennende Haus trägt.
Es gibt in der Geschichte zwar eine Tote, aber sie hat ganz romantisch Selbstmord begangen aus verschmähter Liebe und wird nicht etwa vom Protagonisten im existentialistischen Rausch erschlagen. Dennoch plagt er sich dann ermüdenderweise mit Schuldgefühlen und beschreibt dabei den Blick in den Sternenhimmel. Und statt sardonisch zu lachen und sich die Hände zu reiben, als ein Unschuldiger von der Polizei abgeführt wird, empfindet der angeblich so finstere Held fast so etwas wie Skrupel.
Man wird den Eindruck nicht los, daß der Autor nach dem Aufschreiben heftiger Gewaltszenen und angestrengt asozialen Reflexionen seiner reizenden Familie das Frühstück bereitet, im Büro brav an finnischen Werbeslogans werkelt und im Meeting versonnen lächelt beim Gedanken an seine nächtlichen existentialistischen Eskapaden, wo einer so böse Sätze sagen darf: "Die ganze Firma interessiert mich einen Scheißdreck. Sie ist bloß ein Klotz am Bein. Ein Störfaktor. Krebs."
NILS MINKMAR
Asko Sahlberg: "Die Stimme der Dunkelheit". Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 203 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Finnland, Finsterland: Asko Sahlberg kann auch anders
Man muß sich Asko Sahlberg als glücklichen Menschen vorstellen. Als einen milde melancholischen Finnen, der seinen Geschäften nachgeht, im privaten Umgang freundlich und verbindlich ist, humorvoll, sportlich und ein beliebter Kollege. Vermutlich hat er ein nettes, sauberes Haus unter Tannen, in dem seine sympathische Familie wohnt und drei süße Hunde, die alle Nokia heißen und von allein in sein umweltgerechtes Familienauto springen. Tagsüber arbeitet er in einer Werbeagentur und denkt darüber nach, wie neue Produkte das Leben der Finnen weiter optimierensofern das überhaupt noch möglich ist.
Nachts aber und in den frühen Morgenstunden geschieht etwas mit ihm. Er schleicht sich, leise, leise, um niemanden zu wecken, an den Computer und wird Asko Sahlberg, der Romancier. Dann aber, Junge, Junge: die Gesellschaft? Eine aufgedunsene Illusion! Die Frauen? Nutten oder Opfer! Die Männer? Schläger und Säufer! Was bleibt? Bloß die Dunkelheit. In Finnland soll es ja oft und lange dunkel sein, darum enthält dieses Buch die allermeisten Charakterisierungen von Dunkelheit, dicht gefolgt von Beschreibungen des Regens. Wettermäßig ist es ja bekanntlich nicht immer so toll im hohen Norden, und der Autor scheint hier eine Chronistenpflicht zu verspüren. Die Dunkelheit ist zum Beispiel "wie eine Frau, die durch ihre bloße Anwesenheit meine Nerven auf das Empfindlichste anspannt", oder sie "legt sich wie durchweichte Kleidung über die Stadt", "wächst dick aus der Erde" oder "liegt verschwiegen und düster um die Häuser, voller entzündeter zuckender Muskeln".
Das Buch hat genau den gleichen Ton wie die existentialistischen Romane der Nachkriegszeit. Man rätselt, ob der Autor einmal Französisch als Leistungskurs hatte oder ob die allgemeine geistesgeschichtliche Entwicklung in Finnland bloß etwas langsamer vorangeht und Existentialismus dort jetzt gerade das angesagte Ding ist? Jedenfalls ist von Körperekel bis zu sinnloser Gewalt bei gleichzeitigem Antifaschismus alles da. Ein kleiner Tip für die Werbetexter: "Wenn Sie Sartres ,Ekel' und den ,Fremden' von Camus mochten, werden Sie auch dieses Buch lieben."
Die Rahmenhandlung ist die eines Mannes, der Finnland verläßt, um in Schweden zu leben, weil seine Ehe gescheitert ist. Dort mietet er eine Wohnung und versucht, sie nie zu verlassen, dann lernt er aber doch zwei Frauen und einige Kleinkriminelle kennen, woraus sich Verwicklungen ergeben, die unbedingt "hart" sein wollen. Es gibt auch Ausflüge in die große böse Stadt, deren Schilderungen klingen wie aus der expressionistischen Literatur. Insgesamt hat der Protagonist mit der Gesellschaft, vor allem mit der verlogenen Arbeitswelt und mit dem stupiden Finnland - erst recht also mit verlogenen stupiden finnischen Werbeagenturen -, derartig abgeschlossen, daß er manchmal tagelang nicht aus der Wohnung geht und dafür lieber die Qualitäten des Regens ("wie durchsichtiges Leder") oder des Sonnenlichts ("wie festgewordenes Fett") oder der unbelebten Welt beschreibt (das "sahnige Licht der Leselampe"), wodurch der ganze Erzählton einen kräftigen Überhang an Adjektiven und Metaphern bekommt. So wird es einem bei der Lektüre ganz flau vor lauter "gierigen schwarzen leeren", "klebrigen insektenhaften", "fahlen wässrigen leeren", "blutigen rohen eitrigen" oder auch "modernden dunkeln stinkenden" Gegen- und Zuständen.
All diese Härte ist aber nur eine Pose. Wenn es richtig zur Sache geht, schlägt dem abgebrühten Helden doch das Herz auf dem rechten humanistischen Fleck, und das erinnert dann wirklich an die Lektüreinterpretationen der gymnasialen Oberstufe. Eigentlich ist diese Hauptfigur doch enttäuschend gut: Seiner hysterischen alkoholkranken Ex-Frau läßt er freiwillig Haus und Vermögen, die Nachbarin will er von der Prostitution abbringen, und einen kleinen Jungen rettet er unter großer persönlicher Gefahr vor brutalen Neonazis. Das ist sozial äußerst lobenswert, literarisch aber enttäuschend. Man wünschte sich an dieser Stelle doch dämonischere Phantasie, so wie man sich immer wünschte, daß Lassie mal ein Baby in das brennende Haus trägt.
Es gibt in der Geschichte zwar eine Tote, aber sie hat ganz romantisch Selbstmord begangen aus verschmähter Liebe und wird nicht etwa vom Protagonisten im existentialistischen Rausch erschlagen. Dennoch plagt er sich dann ermüdenderweise mit Schuldgefühlen und beschreibt dabei den Blick in den Sternenhimmel. Und statt sardonisch zu lachen und sich die Hände zu reiben, als ein Unschuldiger von der Polizei abgeführt wird, empfindet der angeblich so finstere Held fast so etwas wie Skrupel.
Man wird den Eindruck nicht los, daß der Autor nach dem Aufschreiben heftiger Gewaltszenen und angestrengt asozialen Reflexionen seiner reizenden Familie das Frühstück bereitet, im Büro brav an finnischen Werbeslogans werkelt und im Meeting versonnen lächelt beim Gedanken an seine nächtlichen existentialistischen Eskapaden, wo einer so böse Sätze sagen darf: "Die ganze Firma interessiert mich einen Scheißdreck. Sie ist bloß ein Klotz am Bein. Ein Störfaktor. Krebs."
NILS MINKMAR
Asko Sahlberg: "Die Stimme der Dunkelheit". Roman. Aus dem Finnischen von Stefan Moster. Luchterhand Literaturverlag, München 2003. 203 S., geb., 20,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Aus dem Verriss des Romans macht sich Nils Minkmar wie es scheint ein richtiges Vergnügen. Genüsslich wirft er dem finnischen Autor seinen Hang zum exzessiven Gebrauch von "Adjektiven und Metaphern" vor und stellt eine gewisse Obsession mit der Beschreibung des Wetters fest. Zudem, so Minkmar spöttisch, klingen die Stadtbeschreibungen Sahlbergs wie direkt der "expressionistischen Literatur" entnommen. Der Rezensent fragt boshaft, ob der Autor in der Schule wohl mal einen "Leistungskurs" Französisch belegt habe, wegen der Stilisierung seines Protagonisten, der in Schweden unter Prostituierte und Kriminelle gerät, zum existenzialistischen Helden, der bei allem Weltekel aber trotzdem "das Herz auf dem rechten Fleck" hat. Die Güte des Helden erinnert Minkmar nun vollends an gymnasiale "Lektüreinterpretationen" und er wünscht sich sehnsuchtsvoll aber vergebens, dass die Hauptfigur doch einmal weniger sozial und edel handelte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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