Ein typisches Einwandererschicksal, wie es immer noch Millionen Menschen kennenlernen müssen: geflohen aus einem zerstörten Zuhause, verfolgt von Erinnerungen an eigenes Leid und eigene Schuld, angekommen in einer anderen Zivilisation, in der alles Vorherige Herkunft, Bildung, Lebensweg nichts mehr gilt und wo ein gesichts- und sprachloser Neuanfang wieder von ganz unten beginnen muss. Aber es gibt auch die Möglichkeit, neues Glück zu finden: das Abwerfen alter Lasten, die neue Sprache und Kultur, vielleicht sogar die Liebe. Walter Bauers fein und ergreifend geschriebenes Buch "Die Stimme" von 1961 erzählt von so einem Schicksal in Kanada und von der Liebe zu einer Frau in einer neuen Welt. Es ist seine autobiographische Liebeserklärung und eine Zusammenfassung seiner Sicht auf den Zweiten Weltkrieg. Eine fast siebzig Jahre nach Ende des Krieges unbedingt wieder zu entdeckende Kostbarkeit.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2015Der Regenmantel
Eine Neuausgabe von Walter
Bauers Roman „Die Stimme“
„Befehlsverweigerung“, schreit der Unteroffizier, als der Soldat sich weigert, zwei in den Wäldern aufgespürte Partisanen zu erschießen; dann legt der Mann selbst Hand an; „ich habe dich schon lange auf dem Strich, du Duckmäuser, sieh zu, wie man das macht.“ Als der Krieg dann vorbei ist, trifft der Soldat den Offizier wieder, nun in seiner neuen Funktion als erfolgreicher Unternehmer und Fabrikant. „Wir lebten beide noch. Was ihn betraf: Er war wieder oben. Das Vergangene war an ihm abgelaufen wie Wasser an einem Regenmantel.“
Eben diese Schutzhaut ist es, die dem Ich-Erzähler von Walter Bauers im Original 1961, nun in einer bibliophilen Neuausgabe erschienenen Roman fehlt. „Die Stimme“ ist ein knapper, schnörkellos geschriebener autobiografischer Text. Bauer, Jahrgang 1904, der vor 1933 mehrere Romane veröffentlicht und während des Nationalsozialismus Schreibverbot hatte, wanderte 1952 aus Enttäuschung über die restaurativen Tendenzen in der jungen Bundesrepublik nach Toronto aus, lehrte dort Literatur und starb 1976 in Kanada.
In „Die Stimme“ erzählt ein aus Deutschland emigrierter Literaturprofessor einem seiner Studenten in einem Monolog von seinen ersten Jahren in einem fremden Land mit einer fremden Sprache, vom Ankommen in einem unbekannten Land, von der Last der kollektiven Schuld seines Volkes, die er auch auf dem neuen Kontinent verspürt. Und nicht zuletzt auch von einer kurzen, aber nicht minder anrührenden Liebesgeschichte. Der Begriff der Stimme ist doppeldeutig: Zum einen meint er die konkrete Sprachlosigkeit des Emigranten, Richard Fleming ist sein Name, der sich als Hilfsarbeiter durchschlägt und eine vereinzelte Existenz führt. Zum anderen ist es die Stimme der Schauspielerin Diana Fortner, die ein Gedicht von Emily Dickinson zitiert und deren Bekanntschaft Fleming später zufällig machen wird.
Bauers Roman ist tatsächlich ein Buch aus einer anderen Zeit; aus einer Zeit, in der die Magie eines Lyrikvortrages zum Erweckungserlebnis werden kann und die erotische Verzauberung sich noch an kunstgeschichtlichen Büchern entzündet. Andererseits ist es aber auch das Porträt eines Mannes, der, möglicherweise stellvertretend für eine ganze Generation, den Glauben an das Dauerhafte, an Sicherheiten und Gewissheiten verloren hat. Das Deutschsein nach der Katastrophe: Die Frage, wie man damit umgehen kann, stellt Walter Bauer in „Die Stimme“ ohne falsches Pathos.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Walter Bauer: Die Stimme. Geschichte einer Liebe. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2014. 120 S., 18,90 Euro.
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Eine Neuausgabe von Walter
Bauers Roman „Die Stimme“
„Befehlsverweigerung“, schreit der Unteroffizier, als der Soldat sich weigert, zwei in den Wäldern aufgespürte Partisanen zu erschießen; dann legt der Mann selbst Hand an; „ich habe dich schon lange auf dem Strich, du Duckmäuser, sieh zu, wie man das macht.“ Als der Krieg dann vorbei ist, trifft der Soldat den Offizier wieder, nun in seiner neuen Funktion als erfolgreicher Unternehmer und Fabrikant. „Wir lebten beide noch. Was ihn betraf: Er war wieder oben. Das Vergangene war an ihm abgelaufen wie Wasser an einem Regenmantel.“
Eben diese Schutzhaut ist es, die dem Ich-Erzähler von Walter Bauers im Original 1961, nun in einer bibliophilen Neuausgabe erschienenen Roman fehlt. „Die Stimme“ ist ein knapper, schnörkellos geschriebener autobiografischer Text. Bauer, Jahrgang 1904, der vor 1933 mehrere Romane veröffentlicht und während des Nationalsozialismus Schreibverbot hatte, wanderte 1952 aus Enttäuschung über die restaurativen Tendenzen in der jungen Bundesrepublik nach Toronto aus, lehrte dort Literatur und starb 1976 in Kanada.
In „Die Stimme“ erzählt ein aus Deutschland emigrierter Literaturprofessor einem seiner Studenten in einem Monolog von seinen ersten Jahren in einem fremden Land mit einer fremden Sprache, vom Ankommen in einem unbekannten Land, von der Last der kollektiven Schuld seines Volkes, die er auch auf dem neuen Kontinent verspürt. Und nicht zuletzt auch von einer kurzen, aber nicht minder anrührenden Liebesgeschichte. Der Begriff der Stimme ist doppeldeutig: Zum einen meint er die konkrete Sprachlosigkeit des Emigranten, Richard Fleming ist sein Name, der sich als Hilfsarbeiter durchschlägt und eine vereinzelte Existenz führt. Zum anderen ist es die Stimme der Schauspielerin Diana Fortner, die ein Gedicht von Emily Dickinson zitiert und deren Bekanntschaft Fleming später zufällig machen wird.
Bauers Roman ist tatsächlich ein Buch aus einer anderen Zeit; aus einer Zeit, in der die Magie eines Lyrikvortrages zum Erweckungserlebnis werden kann und die erotische Verzauberung sich noch an kunstgeschichtlichen Büchern entzündet. Andererseits ist es aber auch das Porträt eines Mannes, der, möglicherweise stellvertretend für eine ganze Generation, den Glauben an das Dauerhafte, an Sicherheiten und Gewissheiten verloren hat. Das Deutschsein nach der Katastrophe: Die Frage, wie man damit umgehen kann, stellt Walter Bauer in „Die Stimme“ ohne falsches Pathos.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Walter Bauer: Die Stimme. Geschichte einer Liebe. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2014. 120 S., 18,90 Euro.
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