Gedichte der indischen Dichterin Sujata Bhatt: "Große Gefühle, so lakonisch hingemalt wie von Raymond Chandler." Petra Höfer, taz
"meine Heimat deckt sich / mit keiner Geographie", schreibt Sujata Bhatt in einem ihrer schönsten Gedichte. Sie, die aus Nordindien stammt, lange Zeit in den USA lebte und heute in Bremen wohnt, hat ihre Muttersprache aufgegeben, um auf Englisch zu schreiben. Kaum eine zeitgenössische Dichterin hat eindringlicher über den Verlust von Sprache und Heimat nachgedacht, über die Schönheit und den Schmerz, andersartig zu sein. Ihre weltumspannende Poesie sprengt die Grenzen von Sprachen und Ländern, verbindet die Weite der nordfriesischen Landschaft mit der Sehnsucht nach dem blauen Mohn des Himalaja. Der Band erscheint bei Hanser in der Edition Lyrik Kabinett.
"meine Heimat deckt sich / mit keiner Geographie", schreibt Sujata Bhatt in einem ihrer schönsten Gedichte. Sie, die aus Nordindien stammt, lange Zeit in den USA lebte und heute in Bremen wohnt, hat ihre Muttersprache aufgegeben, um auf Englisch zu schreiben. Kaum eine zeitgenössische Dichterin hat eindringlicher über den Verlust von Sprache und Heimat nachgedacht, über die Schönheit und den Schmerz, andersartig zu sein. Ihre weltumspannende Poesie sprengt die Grenzen von Sprachen und Ländern, verbindet die Weite der nordfriesischen Landschaft mit der Sehnsucht nach dem blauen Mohn des Himalaja. Der Band erscheint bei Hanser in der Edition Lyrik Kabinett.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Werner von Koppenfels erinnert an den "Entdecker" der englischsprachigen indischen Dichterin Sujta Bhatt, den Übersetzer Jürgen Dierking. Anlass ist die von Jan Wagner übersetzte Auswahl mit Gedichten Bhatts, die Koppenfels gut gefällt. Wagners Übertragung scheint ihm stilsicher, die Texte stark vor "weiblicher Energie" und vielfältig an Zungen, wenn die Autorin über Schiffbrüche schreibt, plattdeutsche Sturmflutlieder zitiert, den Sari ihrer Mutter erinnert oder Mädchentötungen und Genitalverstümmelung in ihrer Heimat Gujarat thematisiert. Weltoffenheit, Witz, tiefer Ernst prägen diese Dichtung gleichermaßen, bezeugt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.07.2020Eine Welt von Messern und Nachtigallen
Mit der Sprache der Unterdrücker: Die angloindische Dichterin Sujata Bhatt macht Lust auf Lyrik
"Die Stinkrose" als Titel eines Gedichtbandes - geht das? Zu schmerzhaft trifft das brutale Oxymoron den lyrischen Sehnerv, zu plakativ wirkt der Verweis auf die Künste, die heutzutage nicht mehr schön sein dürfen. Aber Jan Wagner als Übersetzer der indischen englischschreibenden Dichterin Sujata Bhatt entnimmt diese Überschrift ganz legitim einem ihrer Gedichte, ja sie ist bereits Titel einer der acht Sammlungen, die sie mittlerweile veröffentlicht hat. Der Verdacht auf poetologische Symbolik liegt also schon bei der Autorin nahe.
Es geht bei diesem Bild primär um die Knoblauchknolle und dann um den so adamitischen wie dichterischen Akt des Benennens, genauer: des Umbenennens, bei dem die Zehen dieses anrüchigen Gewächses zu leuchten beginnen "wie Perlen, die noch warm sind vom Hals einer Frau". Dazu wird ein Shakespeare-Sonett anzitiert: "Was uns Rose heißt, / Wie es auch hieße, würde lieblich duften . . ." Die Dinge verwandeln, bereichern, erotisieren sich unter dem empathischen augenöffnenden Blick der Dichtung. Und der Leser wird davor gewarnt, von den orientalischen Farben und Gerüchen dieser Texte exotische Klischees zu erwarten.
Dazu passt auf witzige Weise das Eröffnungsgedicht, überschrieben mit dem befremdlichen Latinismus "Muliebrity" für Weiblichkeit. Es ist die Kindheitserinnerung an ein Mädchen, das auf der Straße Kuhfladen sammelte, eine Melange von Dung- und Blumengeruch, von Straßenstaub und anmutiger Bewegung. Der Text verwahrt sich dagegen, eine billige Metapher für irgendwas zu sein, aber er strahlt von weiblicher Energie und Grazie, besonders dann, "wenn sie ein besonders vielversprechendes / Stück Dung fand -". Die Schlusszeilen dieser Dichterin haben es in sich.
Sujata Bhatt stammt aus dem nordwestindischen Bundesstaat Gujarat. Als Kind wanderte sie mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten aus, studierte Literatur in Iowa, wurde in England publiziert und zog der Liebe zuliebe nach Bremen. Sie ist eine Weltbürgerin neuer Art, das Gegenteil der im klimatisierten Überall herumwuselnden Globalisten. Ihre Muttersprache ist Gujarati, mit dessen Schriftzeichen (für Europäer fremdartiger als Hieroglyphen) sie gelegentlich ihre Texte schmückt. Ihre zweite Sprache, in der sie weltweit Beachtung findet und deren Literatur sie, im Verein mit den besten Commonwealth-Dichtern, spürbar bereichert, nennt sie - nicht im Scherz - die der Unterdrücker.
Sie behauptet, zwei Zungen in ihrem Mund zu haben, aber es sind mehr. In ihrem Langgedicht "Das Loch im Wind", einem Drama der Naturgewalten und Schiffbrüche, zitiert sie mit den Stimmen der vor der Insel Juist untergegangenen Seeleute auch plattdeutsche Sturmflutlieder. So vielsprachig und weitgereist sie ist, Indien bleibt ihre "notwendige Obsession", schon aus familiären Gründen. In zwei gleichermaßen eindrucksvollen Gedichten sieht sie einmal, in der Erinnerung, wie virtuos ihre Mutter den Sari bindet, und dann, in der Phantasie, wie der Großvater, ein Mitstreiter Gandhis, im Gefängnis der Kolonialmacht ein Stück Poesie von Tennyson studiert.
Doch sie neigt nicht dazu, die heimatlichen Verhältnisse schönzufärben. In einem Text mit der deutschen Überschrift "Frauenjournal" lesen wir: "Eine Frau tötet ihre neugeborene Tochter / und isst dennoch zu Abend, / trägt dennoch einen grünen Sari." (Beim Googeln erfährt man, Gujarat sei eine Hochburg der Mädchentötungen und selektiven Abtreibungen.) Und dann geht es, im selben Gedicht, weiter zum nächsten Beispiel weiblicher Gewalt gegen das eigene Geschlecht: einer Genitalbeschneidung, filmisch dokumentiert. Es gilt, das Unsägliche in Worte zu fassen, Zeugnis abzulegen: "Die Kamera blickte / lange und ruhig auf die Rasierklinge." Die Kamerafrau muss ihre Hand ebenso ruhig halten wie die Beschneiderin, die stolz ist auf ihr handwerkliches Können.
Spuren der Unmenschlichkeit findet die Dichterin auch in ihrer neuen norddeutschen Heimat. In der Bremer Kunsthalle hat sie sich in die Gemälde von Paula Modersohn-Becker versenkt und der Worpsweder Gemeinschaft einen großen Zyklus gewidmet, wobei sie die Gemälde der Künstler zu eigenen Texten inspirieren. In dem Gedicht "Schwarze Segel" etwa lässt sie Paula Modersohn im fiktiven Gespräch mit Rilke die düsteren Torfboote ihrer Bilder als Totenschiffe deuten und das Moor selbst als von den Toten der Vorzeit durchsetzte Substanz: "Vielleicht bedeckte der Torf, den ich verbrenne, / einst das Gesicht einer Frau . . ." Die Phantasie wird von dieser Vorstellung besessen, malt sich das grausame Bild einer Ehebrecherin, nackt, bei lebendigem Leib von rohen Knechten in den Morast gestampft. "Du sagst mir, noch heute / könntest du ihr Gesicht sehen -"
"Wieviel Wirklichkeit hältst du aus?", fragt sich Sujata Bhatt in einem kritischen Moment. Doch ihre Wirklichkeit bezeugt den Schrecken ebenso wie die Schönheit dieser "Welt von Messern und Nachtigallen", vereint erotischen Reiz mit familiärer Wärme, Witz und Komik mit tiefem Ernst, regionale Engführung mit fabelhafter Weltoffenheit. Jan Wagner ist für seine stilsichere Übertragung, die gute Auswahl aus der Fülle des Vorhandenen und ein Leselust weckendes Nachwort zu danken. Allenfalls ein paar Anmerkungen wären bei dieser anspielungsreichen Dichtung kein Luxus gewesen.
Aber gab es denn für diese seit mehr als dreißig Jahren bekannte und vielfach preisgekrönte Lyrikerin bisher keine deutschen Übersetzer? Ist es dem Herausgeber entgangen, dass schon 1998 im Wehrhahn Verlag Hannover eine schmale, ebenfalls zweisprachige Auswahl erschien, übertragen von dem (leider schon verstorbenen) Bremer Übersetzer und unermüdlichen Literaturmittler Jürgen Dierking? Dank der luziden und unverschnörkelten Diktion Bhatts kommen dieselben Gedichte bei beiden Übersetzern oft beinahe wortgleich im Deutschen an. Auch der "Entdecker" dieser ganz besonderen Dichterin hat unsere Erinnerung verdient.
WERNER VON KOPPENFELS
Sujata Bhatt: "Die Stinkrose". Gedichte. Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Englischen mit
einem Nachwort von Jan Wagner. Edition Lyrik
Kabinett im Carl Hanser Verlag, München 2020. 176 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit der Sprache der Unterdrücker: Die angloindische Dichterin Sujata Bhatt macht Lust auf Lyrik
"Die Stinkrose" als Titel eines Gedichtbandes - geht das? Zu schmerzhaft trifft das brutale Oxymoron den lyrischen Sehnerv, zu plakativ wirkt der Verweis auf die Künste, die heutzutage nicht mehr schön sein dürfen. Aber Jan Wagner als Übersetzer der indischen englischschreibenden Dichterin Sujata Bhatt entnimmt diese Überschrift ganz legitim einem ihrer Gedichte, ja sie ist bereits Titel einer der acht Sammlungen, die sie mittlerweile veröffentlicht hat. Der Verdacht auf poetologische Symbolik liegt also schon bei der Autorin nahe.
Es geht bei diesem Bild primär um die Knoblauchknolle und dann um den so adamitischen wie dichterischen Akt des Benennens, genauer: des Umbenennens, bei dem die Zehen dieses anrüchigen Gewächses zu leuchten beginnen "wie Perlen, die noch warm sind vom Hals einer Frau". Dazu wird ein Shakespeare-Sonett anzitiert: "Was uns Rose heißt, / Wie es auch hieße, würde lieblich duften . . ." Die Dinge verwandeln, bereichern, erotisieren sich unter dem empathischen augenöffnenden Blick der Dichtung. Und der Leser wird davor gewarnt, von den orientalischen Farben und Gerüchen dieser Texte exotische Klischees zu erwarten.
Dazu passt auf witzige Weise das Eröffnungsgedicht, überschrieben mit dem befremdlichen Latinismus "Muliebrity" für Weiblichkeit. Es ist die Kindheitserinnerung an ein Mädchen, das auf der Straße Kuhfladen sammelte, eine Melange von Dung- und Blumengeruch, von Straßenstaub und anmutiger Bewegung. Der Text verwahrt sich dagegen, eine billige Metapher für irgendwas zu sein, aber er strahlt von weiblicher Energie und Grazie, besonders dann, "wenn sie ein besonders vielversprechendes / Stück Dung fand -". Die Schlusszeilen dieser Dichterin haben es in sich.
Sujata Bhatt stammt aus dem nordwestindischen Bundesstaat Gujarat. Als Kind wanderte sie mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten aus, studierte Literatur in Iowa, wurde in England publiziert und zog der Liebe zuliebe nach Bremen. Sie ist eine Weltbürgerin neuer Art, das Gegenteil der im klimatisierten Überall herumwuselnden Globalisten. Ihre Muttersprache ist Gujarati, mit dessen Schriftzeichen (für Europäer fremdartiger als Hieroglyphen) sie gelegentlich ihre Texte schmückt. Ihre zweite Sprache, in der sie weltweit Beachtung findet und deren Literatur sie, im Verein mit den besten Commonwealth-Dichtern, spürbar bereichert, nennt sie - nicht im Scherz - die der Unterdrücker.
Sie behauptet, zwei Zungen in ihrem Mund zu haben, aber es sind mehr. In ihrem Langgedicht "Das Loch im Wind", einem Drama der Naturgewalten und Schiffbrüche, zitiert sie mit den Stimmen der vor der Insel Juist untergegangenen Seeleute auch plattdeutsche Sturmflutlieder. So vielsprachig und weitgereist sie ist, Indien bleibt ihre "notwendige Obsession", schon aus familiären Gründen. In zwei gleichermaßen eindrucksvollen Gedichten sieht sie einmal, in der Erinnerung, wie virtuos ihre Mutter den Sari bindet, und dann, in der Phantasie, wie der Großvater, ein Mitstreiter Gandhis, im Gefängnis der Kolonialmacht ein Stück Poesie von Tennyson studiert.
Doch sie neigt nicht dazu, die heimatlichen Verhältnisse schönzufärben. In einem Text mit der deutschen Überschrift "Frauenjournal" lesen wir: "Eine Frau tötet ihre neugeborene Tochter / und isst dennoch zu Abend, / trägt dennoch einen grünen Sari." (Beim Googeln erfährt man, Gujarat sei eine Hochburg der Mädchentötungen und selektiven Abtreibungen.) Und dann geht es, im selben Gedicht, weiter zum nächsten Beispiel weiblicher Gewalt gegen das eigene Geschlecht: einer Genitalbeschneidung, filmisch dokumentiert. Es gilt, das Unsägliche in Worte zu fassen, Zeugnis abzulegen: "Die Kamera blickte / lange und ruhig auf die Rasierklinge." Die Kamerafrau muss ihre Hand ebenso ruhig halten wie die Beschneiderin, die stolz ist auf ihr handwerkliches Können.
Spuren der Unmenschlichkeit findet die Dichterin auch in ihrer neuen norddeutschen Heimat. In der Bremer Kunsthalle hat sie sich in die Gemälde von Paula Modersohn-Becker versenkt und der Worpsweder Gemeinschaft einen großen Zyklus gewidmet, wobei sie die Gemälde der Künstler zu eigenen Texten inspirieren. In dem Gedicht "Schwarze Segel" etwa lässt sie Paula Modersohn im fiktiven Gespräch mit Rilke die düsteren Torfboote ihrer Bilder als Totenschiffe deuten und das Moor selbst als von den Toten der Vorzeit durchsetzte Substanz: "Vielleicht bedeckte der Torf, den ich verbrenne, / einst das Gesicht einer Frau . . ." Die Phantasie wird von dieser Vorstellung besessen, malt sich das grausame Bild einer Ehebrecherin, nackt, bei lebendigem Leib von rohen Knechten in den Morast gestampft. "Du sagst mir, noch heute / könntest du ihr Gesicht sehen -"
"Wieviel Wirklichkeit hältst du aus?", fragt sich Sujata Bhatt in einem kritischen Moment. Doch ihre Wirklichkeit bezeugt den Schrecken ebenso wie die Schönheit dieser "Welt von Messern und Nachtigallen", vereint erotischen Reiz mit familiärer Wärme, Witz und Komik mit tiefem Ernst, regionale Engführung mit fabelhafter Weltoffenheit. Jan Wagner ist für seine stilsichere Übertragung, die gute Auswahl aus der Fülle des Vorhandenen und ein Leselust weckendes Nachwort zu danken. Allenfalls ein paar Anmerkungen wären bei dieser anspielungsreichen Dichtung kein Luxus gewesen.
Aber gab es denn für diese seit mehr als dreißig Jahren bekannte und vielfach preisgekrönte Lyrikerin bisher keine deutschen Übersetzer? Ist es dem Herausgeber entgangen, dass schon 1998 im Wehrhahn Verlag Hannover eine schmale, ebenfalls zweisprachige Auswahl erschien, übertragen von dem (leider schon verstorbenen) Bremer Übersetzer und unermüdlichen Literaturmittler Jürgen Dierking? Dank der luziden und unverschnörkelten Diktion Bhatts kommen dieselben Gedichte bei beiden Übersetzern oft beinahe wortgleich im Deutschen an. Auch der "Entdecker" dieser ganz besonderen Dichterin hat unsere Erinnerung verdient.
WERNER VON KOPPENFELS
Sujata Bhatt: "Die Stinkrose". Gedichte. Zweisprachige Ausgabe.
Aus dem Englischen mit
einem Nachwort von Jan Wagner. Edition Lyrik
Kabinett im Carl Hanser Verlag, München 2020. 176 S., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Sujata Bhatts Wirklichkeit bezeugt den Schrecken ebenso wie die Schönheit. Sie vereint erotischen Reiz mit familiärer Wärme, Witz und Komik mit tiefem Ernst, regionale Engführung mit fabelhafter Weltoffenheit." Werner von Koppenfels, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.07.20