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Ein ironischer Politthriller über die Symbole der Macht und ihren Einfluß: In Shanghai treffen sich fünf völlig verschiedene Menschen, die alle das gleiche Ziel haben: die Beseitigung von Maos Porträt, das an der Palastmauer der Verbotenen Stadt in Peking hängt. Doch als die Verschwörer in Peking zur Tat schreiten, geht ihre Rechnung nicht auf - das Volk hängt an seinen Ikonen...

Produktbeschreibung
Ein ironischer Politthriller über die Symbole der Macht und ihren Einfluß: In Shanghai treffen sich fünf völlig verschiedene Menschen, die alle das gleiche Ziel haben: die Beseitigung von Maos Porträt, das an der Palastmauer der Verbotenen Stadt in Peking hängt. Doch als die Verschwörer in Peking zur Tat schreiten, geht ihre Rechnung nicht auf - das Volk hängt an seinen Ikonen...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.11.1999

Die Bandagen der Fünferbande
Tilman Spenglers neuer China-Roman

Achten Sie auf die Ohren, hatte der Kaiser von China gesagt. Und Tilmann Spenglers Maler von Peking hatte darauf geachtet. Hatte sich, Ohr um Ohr, Bildnis um Bildnis, vom heimlichen Heiden-Bekehrer aus Italien zum ahnungslosen Steckbrief-Fertiger fürs Reich der Mitte verkünstelt ("Der Maler von Peking", erschienen 1994). Nun lässt der studierte Sinologe vom Starnberger See noch einmal in China malen.

Doch diesmal ist alles anders. Diesmal ist der Maler von Peking kein Ausländer, pinselt keine belanglosen Visagen, hat keinen fremden Gott auf der Palette. Und achtet nicht auf die Ohren. Spenglers neuer Staatskünstler malt immer nur eins: Maos Augenbrauen. Die zwei dunklen Büschel, die Bao einmal wöchentlich abliefert, haben ihn ganz nach oben bugsiert, dorthin, wo man dreisträngige Offizierslitzen tragen, Dienstwagen fahren und zollfrei einkaufen darf. Zusammen mit den anderen, die von Maos Nasenspitze bis zu den Ohrläppchen den Rest fabrizieren und dem Roman - selbstironisches Spaßerl auf die Schöpfer-und-Werk-Ästhetik - den Titel geben: "Die Stirn, die Augen, der Mund".

Da hört der Spaß aber auch schon wieder auf. Die wackeren Verlagsleute haben nämlich überhört, dass hier jemand im Bühnenflüsterton "Vorsicht, Satire!" zischt, und verkaufen das Ganze als Politthriller (ausgerechnet wie jene noch unveröffentlichten Memoiren des Stasi-Offiziers Alexander Schalck-Golodkowski, gegen die Tilman Spengler gemeinsam mit anderen Rowohlt-Autoren Sturm läuft). Dabei lässt jeder schon nach den ersten drei Sätzen die Hoffnung auf einen Thriller fahren - und die auf eine Satire eigentlich auch.

Ein Kübelwagen stößt "schrille Warnsignale" aus, so "als handelte es sich um den Abtransport eines tödlichen Giftstoffes, vor dem die Menschen auf der Straße sich in Sicherheit bringen mussten". Deutsche Umständlichkeiten, die sich in Tatort-Tristesse auflösen wie Salz in kaltem Kaffee. "Wenn er den Hals wand, um aus dem kleinen, vergitterten Fenster zu schauen, konnte der Gefangene in den Gesichtern der Gaffer, die spärlich aufgereiht waren vor schmucklosen Fassaden, vor leeren Plätzen, vor hastig mit grauem Wellblech eingerüsteten Verkaufsständen, tatsächlich jenen unheilsgierigen Ausdruck erkennen, der in Momenten des glücklichen Entrinnens den Blick bestimmt."

Glücklich entrinnen werden nur wenige in "Die Stirn, die Augen, der Mund", und selbst die nur gerade so. Schon das ist kein kleines Kunststück nach dem abstrusen Attentat auf eine nationale Ikone, das sich der Kursbuch-Mitherausgeber Tilman Spengler aus Joseph Conrads "Secret Agent" abgekuckt hat - wo bekanntlich alle umkommen: Statt der Sternwarte in Greenwich, statt des Opernballs in Wien muss jetzt das berühmte Mao-Bild in der noch berühmteren Kaiser-Nische vor der verbotenen Stadt dran glauben: die tyrannische Technik der Repräsentation soll an sich selbst irre werden - Foucault lässt grüßen. Spenglers fünf Freunde (ohne Hund), die das Attentat wagen, bekommen alle ihre gar nicht so lustige Geschichte. Da ist die blauäugige Sinologie-Studentin Viola, die vor lauter Idealismus einen chinesischen Werftarbeiter geheiratet und ihre deutsche Staatsangehörigkeit aufgegeben hat - und die sich als einzige wundert, dass sie von ihrem Mann bespitzelt, geschlagen, betrogen wird.

Da ist ihr "Onkel Bao", der Augenbrauenmaler, der nie mehr Augenbrauen malen möchte und die Zerstörung des Mao-Bildnisses plant, weil es sein Leben und seine Kreativität zerstört hat. Da ist sein Freund, der alternde Kunsthändler Lu (sein Ahnherr machte im "Maler von Peking" Geschäfte), der es sich und seinem Geliebten Linus noch einmal zeigen will. Linus wiederum will es als amerikanischer Geheimdienstler seinen Kollegen zeigen. Und Baos Freund, der "Blitzesammler", will es allen zeigen: Explosionsartige Vernichtung als ultimativ-radikales Kunst-Werk fürs Volk - oder so ähnlich. Schlussendlich haben sie alle, wie sich's gehört, der Diktatur in die schmutzigen Hände gespielt.

So richtig mysteriös mag es nicht werden, Spenglers Lächeln à l'asiatique, das mit "Scheibenwischer"-Gelächter so wenig gemein hat wie mit Soschtschenko-Augenzwinkern. Ansteckend ist es bisweilen trotzdem. Was etwa die Fünferbande mit ihrem ergatterten Dienstsiegel alles anstellt, könnte beinahe von Kästner sein - von den Flaggen mit den fehlenden Sternen bis zu den eingeschmolzenen Mao-Broschen.

Der Amtsschimmel als Hanswurst vom Dienst zieht schließlich immer und überall, wenn die fünfzig Losungen zu Chinas Fünfzig-Jahr-Feier auch jede Satire in den Schatten stellen. Weniger witzig ist das Klischee von hässlichen Deutschen - hier ein Wirtschaftstourist -, der zur Strafe für sein schlechtes Benehmen prompt aufs Kreuz gelegt wird; so was kann ein Polt besser. Auch der Amerikaner, der - als einziger - ständig weise Worte aus den weisen Büchern der chinesischen Weisen zitiert, ist nicht gerade zum Schreien komisch.

Am besten schreibt der 1947 geborene Romancier vielleicht doch da, wo er weder einen Roman konstruiert (und dieselbe Handlung mal auf 1986, mal auf 1988 datiert) noch an seinen Karikaturen schleift; sondern dort, wo er sein China in schlichten Anekdoten erzählt. Auf einer öden Zugfahrt vertreiben sich die Leute die Zeit mit fröhlichem Beruferaten - mach mir den Klang deiner Autotür, und ich sag dir deine Privilegien. Im öden Leben vertreibt man sich die Tage mit Zotenreißen, Pornoheften - und Briefmarkensammeln.

Ein weiter Weg von Spenglers vor acht Jahren erschienenen und viel beachteten Debüt "Lenins Hirn", über den eigenen Rücken beziehungsweise sein beflügelnd lähmendes Zwicken und Zwacken ("Wenn Männer sich verheben", 1996) bis zum Samensparer Bao. Ein weiter Weg? Jedenfalls veranstaltet der Autor eine Schnitzeljagd, die an Küchenbrettern aus echter Eiche nicht vorbeigeht: Viola kriegt es auf den Schädel, und der Schriftsteller watscht damit einen Kritiker von "Der Maler von Peking" ab - der hatte ihm das Eichenbrett als Anachronismus vorgehalten.

Achten Sie auf die Ohren, hatte der Kaiser von China gesagt, und das gilt auch hier: Achten Sie auf die Ohren des Textes, nicht auf seine Schlitzohrigkeiten, nicht auf seine Stirn, seine Augen, seinen Mund. Bloß in den Ohrläppchen funkeln Spenglers Chinoiserien.

ALEXANDRA M. KEDVES.

Tilman Spengler: "Die Stirn, die Augen, der Mund". Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 255 Seiten, geb., 39,80 DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2000

Mao ohne Nase
Tilman Spenglers Chinoiserie „Die Stirn, die Augen, der Mund”
Irgendwann im Nachwende-China planen fünf Menschen, ein Maler, ein Aktionskünstler, ein Antiquitätenhändler, eine Deutsche mit chinesischem Pass und ein amerikanischer Geheimdienstmann in Shanghai ein wahnwitziges Attentat. Es geht um einen Anschlag auf das Allerheiligste der Nation, auf das drei Mann hohe Porträt des großen Vorsitzenden, das über dem Tor des Himmlischen Friedens in Peking hängt. Von dem Balkon darüber hatte Mao im Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik China verkündet.
Damit der Zahn der Zeit dem Gemälde nichts anhaben kann, ist eine Gruppe von Staatsmalern ständig damit beschäftigt, es zu erneuern. Jeder Maler hat sich auf eine bestimmte Partie des Porträts spezialisiert. So malt der eine nur die Kinnpartie, der andere die Nase, ein weiterer den Mund, die Augen, die Haare. Ein Maler ist für die Haut, ein anderer für die Ohren zuständig. Um nicht aus der Übung zu kommen, malen die Staatskünstler Tag für Tag nichts anderes als ihre Partie. Nach einer gewissen Zeit wird das Porträt von allen neu zusammengesetzt und – unbemerkt vom Publikum – gegen das alte austauscht.
Bao ist der Maler der Augenbrauen. Bao hat die Nase voll und beschließt, ein Zeichen zu setzen. Es beginnt damit, dass ein hoher Parteifunktionär beim Besuch im Malersaal einen Schlaganfall erleidet und in der Aufregung sein Amtssiegel verschwindet. Mit diesem Siegel werden kurze Zeit später Anordnungen von höchsten Stellen bekräftigt, die die Grundfesten des Staates erschüttern. Es erscheinen Nationalflaggen, auf der die Anzahl der Sterne nicht stimmen. Es werden falsche Direktiven und widersprüchliche Befehle in Umlauf gebracht, die den Glauben an das System erschüttern. Briefmarken tauchen auf mit dem Konterfei Maos ohne Nase. Ein Feuerwerk erscheint am Himmel, das den Kopf des Vorsitzenden mit Hammer und Sichel zeigt. Der Hammer schlägt plötzlich auf den Kopf und die Sichel trennt den Hals durch. Schließlich verbreiten sich Gerüchte über die Vernichtung des Mao-Porträts.
Bei dem Gedanken, dass der Staatsgründer das Gesicht verlieren soll, gerät das Volk in Aufruhr. Die Angst verbreitet sich, dass alle Ordnung zu Ende sei. Die Menschen stehen unter Schock. Und dann geschieht das Ungeheuerliche. Während rötlich-blaue Blitze aus schwarzen Wolken zucken, die Masse sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens zusammenrottet. Soldaten Tränengas in die Menge schießen, ist plötzlich dort, wo das Porträt Maos hing, eine eisgraue Fläche, auf der nur ein paar schwarze Augenbrauen zu sehen sind. Dann beginnt der Rahmen des Gemäldes leicht rosa zu schimmern und schließlich stürzt das Bild lichterloh brennend zu Boden.
Das wäre eine wunderbare Geschichte, voller Konfusion und an Kafka erinnernden Irrwitz. Es ist alles enthalten, die Komik des Befehlsempfängers, die Komik des Staatsdienstes, der Wahnwitz der Staatsreligionen. Hintergründiges über Nationen, denen die Nation gestohlen wird im Allgemeinen und die europäisch-boshafte Sicht auf den Seilakt der Pekinger Partei zwischen Mao und Markt im Besonderen. Dem Autor, von Hause aus Sinologe und Historiker darf man bei aller Skepsis, ob Europäer je das Denken und Handeln von Asiaten begreifen, durchaus zutrauen, dass er sich mit seinem Stoff auskennt. Man könnte die Geschichte auch als eine satirische Parabel auf die Doktrin der Unfehlbarkeit im China-Look lesen.
Statische Szenerien
Leider aber beginnt die Story erst auf Seite 165.
Wie schön wäre es gewesen, wenn das Buch mit dem ersten Satz von Kapitel VI angefangen hätte: „Irgendwann hatte es eine Anordnung gegeben, der zufolge Fahrräder nicht mehr im Gang vor den Büros abgestellt werden durften. ” Hier wären wir mitten in der Geschichte und in mitten im Land einer brüchigen Partei-Herrschaft gewesen. Leider aber erzählt uns Tilman Spengler bis dahin von der Einlieferung des Augenbrauenmalers in eine Irrenanstalt, von der gescheiterten Ehe der deutschen Beteiligten an dem Komplott und von vielem mehr, das auf den letzten hundert Seiten des Buches keine Rolle spielt. Das heißt, er erzählt nicht, sondern er konstruiert eine Folge von statischen Szenerien, vor denen das Romanpersonal sich in langatmigen Diskussionen verwickelt. Da sitzen die Protagonisten in Hinterzimmern, Büros, Restaurants, Ateliers, Wohnungen und Hotels und reden und reden. Wenn der Autor nicht im letzten Drittel seines Buches und andernorts bewiesen hätte, das er (auch Romane) schreiben kann, könnte man das Buch vergessen. So bleibt es ein Beispiel dafür, wie das Genre Roman im Zeitalter der Ex-und-Hop-Produktionsmaschinerien der Verlage verkommt.
Warum schreibt einer, der schon viel bessere Texte geliefert hat, ein solches Buch? Die Antwort kann nur sein: Er hat keine Zeit gehabt. Sonst hätte er nach reiflicher Überlegung die ersten hundertfünfzig Seiten weggeworfen und aus dem Rest einen anderen Roman gemacht. Heutzutage muss einer, der vom Text-Output lebt, ob für die Grundversorgung oder um den bereits etablierten Namen als Markenzeichen zu behaupten, in allen Bereichen der Publizistik tätig sein. Und da ist es schon ganz förderlich, in regelmäßigen Abständen auch den Roman-Sektor zu bedienen. Das ist vollkommen in Ordnung. Aber Romane brauchen nun einmal Zeit und nichts als Zeit, selbst wenn Neuerscheinungen heute bereits nach einer halben Saison wieder vergessen sind.
MICHAEL WINTER
TILMAN SPENGLER: Die Stirn, die Augen, der Mund. Roman. Rowohlt Verlag, Reinbek 1999. 256 Seiten, 39,80 Mark.
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